"Kennt ihr den Witz von dem Mann aus Kametschaantkari?" So beginnt die Erzählung des betagten Mannes aus der Region Kachetien. Er fabuliert darüber, wie der Tumult der Welt und des ganzen Landes - vom Beginn der Sowjetzeit bis in die 1990er Jahre - die Bewohner eines kleinen Dorfes im Kaukasus ereilt. Warum es dort zwar nach Stalin und Kommunismus einen westlichen Supermarkt gibt, man jedoch nicht den berühmten georgischen Büffelkäse kaufen kann. Die Bewohner des Dorfes sind Überlebensjongleure, allen voran seine lebenspralle Schwester Anitschka, die am eigenen Leib erfährt, wie die Globalisierung neue Unfreiheit und Intoleranz generiert. Kurzum, alles, außer den Bergen des Kaukasus, hat sich verändert.Ein Meisterstück georgischer Kurzprosa! und zugleich ein phantasievoll erzählter Crashkurs in georgischer Kultur und Geschichte und zugleich eine Parabel über die Globalisierung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Hier geht nichts in die Welt
Kote Jandieris tragikomische Geschichte Georgiens
Mittendrin fängt diese georgische Geschichte an, die ein alter Mann, etwas langsam im Kopf, den Lesern erzählt - oder den Journalisten vielmehr, die eine Radiosendung aufnehmen. Direkt spricht er sie an, macht Scherze, plaudert drauflos. Aus Kachetien, einer Region im Osten Georgiens, stammt er, der Versatzstücke aus seinem Leben erzählt. Erst langsam formen diese sich zu einer sinnhaften Struktur.
1920 geboren, streift der Mann in seinen Erinnerungen Stationen der georgischen Geschichte, fast beiläufig, viel historisches Wissen voraussetzend und doch so, dass auch Leser, die keine Kenntnisse von Georgien haben, ein Bild von diesem Land bekommen. Er erzählt vom Aufstand in Kachetien gegen die sowjetische Besetzung Georgiens in den frühen zwanziger Jahren, von den Repressionen der Kommunisten, vom Zweiten Weltkrieg und den Kämpfen gegen die deutsche Wehrmacht, vom Georgisch-Abchasischen Krieg 1992 bis 1993, vom Religionshass und den gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Zeugen Jehovas, vom Leben in Georgien in Zeiten der Globalisierung, von der Not und Armut der Menschen. Plötzlich gibt es in seinem Dorf einen Supermarkt, in dem Produkte aus aller Welt zu finden sind. Den georgischen Büffelkäse aber, eine Spezialität des Landes, den gibt es nirgendwo mehr. Denn von Georgien, sagt der alte Mann traurig, geht nichts in die Welt, kein Brot, kein Käse, kein Wort.
Oft sind es auch nur Farben, Gerüche, Stimmungen, die aus den Erzählungen haften bleiben, aber doch tief berühren, weil der alte Mann sein schweres Leben, in dem er eine Hand verliert, so zu nehmen vermag, wie es eben kommt. Er hat eine vier Jahre ältere Schwester, Anitschka, die er über alles liebt und die zum Sinnbild seiner melancholischen Erzählung wird. Als kleines Mädchen lief sie einmal singenden Reitern hinterher, stellte sich auf einen Felsbrocken, der gefährlich über eine Schlucht ragte, und sang deren Lied mit, mit zerzaustem Haar und "dünnen Beinen, die unter dem zerknüllten Baumwollkleid rauskamen".
hbt.
Kote Jandieri: "Globalisierung". Eine georgische Geschichte. Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Klak Verlag, Berlin 2018. 110 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kote Jandieris tragikomische Geschichte Georgiens
Mittendrin fängt diese georgische Geschichte an, die ein alter Mann, etwas langsam im Kopf, den Lesern erzählt - oder den Journalisten vielmehr, die eine Radiosendung aufnehmen. Direkt spricht er sie an, macht Scherze, plaudert drauflos. Aus Kachetien, einer Region im Osten Georgiens, stammt er, der Versatzstücke aus seinem Leben erzählt. Erst langsam formen diese sich zu einer sinnhaften Struktur.
1920 geboren, streift der Mann in seinen Erinnerungen Stationen der georgischen Geschichte, fast beiläufig, viel historisches Wissen voraussetzend und doch so, dass auch Leser, die keine Kenntnisse von Georgien haben, ein Bild von diesem Land bekommen. Er erzählt vom Aufstand in Kachetien gegen die sowjetische Besetzung Georgiens in den frühen zwanziger Jahren, von den Repressionen der Kommunisten, vom Zweiten Weltkrieg und den Kämpfen gegen die deutsche Wehrmacht, vom Georgisch-Abchasischen Krieg 1992 bis 1993, vom Religionshass und den gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Zeugen Jehovas, vom Leben in Georgien in Zeiten der Globalisierung, von der Not und Armut der Menschen. Plötzlich gibt es in seinem Dorf einen Supermarkt, in dem Produkte aus aller Welt zu finden sind. Den georgischen Büffelkäse aber, eine Spezialität des Landes, den gibt es nirgendwo mehr. Denn von Georgien, sagt der alte Mann traurig, geht nichts in die Welt, kein Brot, kein Käse, kein Wort.
Oft sind es auch nur Farben, Gerüche, Stimmungen, die aus den Erzählungen haften bleiben, aber doch tief berühren, weil der alte Mann sein schweres Leben, in dem er eine Hand verliert, so zu nehmen vermag, wie es eben kommt. Er hat eine vier Jahre ältere Schwester, Anitschka, die er über alles liebt und die zum Sinnbild seiner melancholischen Erzählung wird. Als kleines Mädchen lief sie einmal singenden Reitern hinterher, stellte sich auf einen Felsbrocken, der gefährlich über eine Schlucht ragte, und sang deren Lied mit, mit zerzaustem Haar und "dünnen Beinen, die unter dem zerknüllten Baumwollkleid rauskamen".
hbt.
Kote Jandieri: "Globalisierung". Eine georgische Geschichte. Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Klak Verlag, Berlin 2018. 110 S., br., 15,- [Euro].
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