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Gestörte Lieferketten, Flucht und Migration, Kritik an »kosmopolitischen Eliten«: Auseinandersetzungen über Globalisierung und neuerdings auch Deglobalisierung haben Konjunktur. Tatsächlich wird über Wohl und Wehe der weltweiten Verflechtungen seit mehr als 150 Jahren diskutiert. Mal gewannen euphorische, mal pessimistische Sichtweisen die Oberhand. Dabei ist in jüngster Zeit das Wort »Globalismus« zu einem Kampfbegriff geworden. David Kuchenbuch entschärft diese Debatten. Er erfasst »Globalismen« als Ausdruck eines globalen Bewusstseins, das auch die Kritik an der Globalisierung…mehr

Produktbeschreibung
Gestörte Lieferketten, Flucht und Migration, Kritik an »kosmopolitischen Eliten«: Auseinandersetzungen über Globalisierung und neuerdings auch Deglobalisierung haben Konjunktur. Tatsächlich wird über Wohl und Wehe der weltweiten Verflechtungen seit mehr als 150 Jahren diskutiert. Mal gewannen euphorische, mal pessimistische Sichtweisen die Oberhand. Dabei ist in jüngster Zeit das Wort »Globalismus« zu einem Kampfbegriff geworden. David Kuchenbuch entschärft diese Debatten. Er erfasst »Globalismen« als Ausdruck eines globalen Bewusstseins, das auch die Kritik an der Globalisierung beinhaltet.

In seinem Buch erzählt Kuchenbuch zum ersten Mal die wechselhafte Geschichte des globalen Denkens in der transatlantischen Moderne. Er rekonstruiert die sozialen Milieus, die kulturellen Konstellationen und die politischen Mobilisierungsprozesse, aus denen heraus Globalismen entstanden. Es geht um Phänomene wie die utopischen Hoffnungen, die sich Ende des Zweiten Weltkriegs auf eine friedliche »One World« richteten, oder um die in den 1970er Jahren verbreitete Sorge angesichts »globaler Interdependenzen«.

So zeigt dieses konzise und anschaulich geschriebene Buch, wie stark historische Erfahrungen in gegenwärtigen Debatten fortwirken.
Autorenporträt
David Kuchenbuch, PD Dr., ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gießen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2023

Nach den Siebzigerjahren nahm sich die Welt anders aus
Alternativen nicht ausgeschlossen: Der Historiker David Kuchenbuch heftet sich an die Spuren des Bewusstseins globaler Vernetzungen

Welche Denkweisen haben zu der Art globaler Vernetzung geführt, die wir heute kennen? Und ist die damit verbundene Erfahrung wirklich so rezent, wie manche Debatten suggerieren? Nein, argumentiert der Gießener Historiker David Kuchenbuch in seinem gewandt formulierten Essay, der die nordatlantischen Diskurse über das komplexe Zusammenwachsen der Welt seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nachzeichnet. In dieser Zeit, schreibt er, begann die Reflexionsgeschichte von Globalität mit dem enormen Transformationsdruck, "der von einem dominierenden, sich industrialisierenden Europa ausstrahlte". Zwar kam es nun weltweit zu einer Vermehrung und Verdichtung kultureller und ökonomischer Kontaktzonen. Dieser Prozess ging jedoch keineswegs mit einem respektvollen Interesse an den "Anderen" einher. Vielmehr war, wie der Kolonialismus zeige, das Gegenteil der Fall.

1882 war, folgen wir Kuchenbuch, ein Jahr, in dem sich zahlreiche Wendemarken in der Geschichte der Globalisierung ausmachen lassen und überdies Ereignisse stattfanden, welche die "erreichte Globalität" des späten neunzehnten Jahrhunderts illustrieren. Dazu zählt er die Gründung der Standard Oil Trust durch John Rockefeller; den Chinese Exklusion Act, mit dem sich die Vereinigten Staaten ihr erstes rassistisches Einwanderungsgesetz gaben; die Maigesetze, die in Russland die Freizügigkeit der Juden einschränkten; sowie die britische Kontrolle des Suezkanals. Und Ernest Renan entwarf in seinem Pariser Vortrag "Was ist eine Nation?" die Vision einer supranationalen europäischen Gemeinschaft. Diese bunte Mischung kennzeichne eine Vielzahl von Themen, die heute im Kontext von Globalisierung diskutiert werden: von der Macht transnationaler Unternehmen über transkontinentale Migration und Versuche ihrer Eindämmung hin zur Suche nach postnationalen Konstellationen.

Für die Zeitgenossen, fügt der Autor hinzu, handelte es sich hingegen noch nicht unbedingt um zentrale Bereiche. Und überhaupt lasse sich für diese Periode "keine eindeutige Korrelation zwischen der konkreten lokalen Bedeutung weitreichender geographischer Verbindungen und dem Maß ihrer Thematisierung beobachten". Gleichwohl hält er mit Verweis auf begriffsgeschichtliche Untersuchungen fest, dass sich etwa in Deutschland um 1900 ein "ausgeprägtes Globalitätsbewusstsein" in der massiv steigenden Zahl von "Welt"-Komposita wie Weltwirtschaft oder Weltverkehr manifestierte. Die kurz vor dem Ersten Weltkrieg florierenden Imperialismustheorien schließlich interpretierten die Weltwirtschaft als System und betonten die auf die Verwertung neuer Territorien abzielende Zusammenarbeit von Regierungen und Kapital. Allerdings erwies sich die These von der Vermengung von kolonialistischer Politik und Finanzwirtschaft empirisch als nicht haltbar, obgleich die Schriften vor allem von Lenin und Rosa Luxemburg in den Sechziger- und Siebzigerjahren neue Resonanz für die Analyse der Abhängigkeiten der "Dritten Welt" erfuhren.

Kuchenbuch durchquert im Anschluss souverän die vielschichtige und widersprüchliche Entwicklung globalen Denkens in der Zwischenkriegszeit und in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg. Wirklich Neues zur umfassenden Literatur kann er freilich nicht beitragen. Und leider bezieht er die wachsende Forschung zu entsprechenden Debatten und Perspektiven in der Welt jenseits des nordatlantischen Raumes nur unzureichend ein. Die Siebzigerjahre markieren für ihn, auch hier argumentiert er in enger Tuchfühlung mit der neueren Historiographie, eine Zäsur. Ein Gefühl der Ernüchterung machte sich breit, das Goldene Zeitalter der Wirtschaftswunderjahre war vorbei, rasante kulturell-gesellschaftliche Umwälzungen wirkten plötzlich beunruhigend, "weil sie die Interpretation nährten, dass die glorreichen Jahrzehnte nicht nur vorbei, sondern dass sie auch nicht wiederholbar waren". Neu am Globalismus dieser Zeit sei überdies gewesen, dass weltweite Missstände und Ungleichheit nicht allein als komplex verschränkt wahrgenommen, sondern verstärkt als Sünden einer globalen Vergangenheit skandalisiert wurden.

Ausführlich und kritisch widmet sich der Autor jener Denkrichtung und Praxis, die unter dem omnipräsenten und zugleich eher nebulösen Begriff "Neoliberalismus" fungiert. "Wir leben immer noch in der Welt Milton Friedmans", konstatiert er abschließend und meint damit, dass die Weltwirtschaft weiterhin durch einen Kapitalismus der "strukturellen Verantwortungslosigkeit" geprägt sei, wie ihn der Chicagoer Ökonom und Nobelpreisträger wirkungsmächtig umrissen habe. Aber, lautet seine eher implizite Botschaft, so musste es nicht kommen und so muss es nicht bleiben. Globalisierung geschah nicht einfach, sie sei politisch gewollt gewesen. Es lohne sich daher, historische Alternativen differenziert zu würdigen, etwa das Potential der Diskussion der Siebzigerjahre über alternative globale Ordnungen neu zu prüfen. Dies mag wie ein Ruf in der Wüste erscheinen. In jedem Fall aber bietet David Kuchenbuchs kurze Geschichte des globalen Bewusstseins eine exzellente Einführung in eine Thematik, die uns noch lange begleiten wird. ANDREAS ECKERT

David Kuchenbuch: "Globalismen". Geschichte und Gegenwart des globalen Bewusstseins.

Hamburger Edition, Hamburg 2023. 248 S., br., 15,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Eckert liest den Essay des Historikers David Kuchenbuch als gewinnbringende Einführung zum Thema Globalität. Auch wenn der Autor nicht viel Neues zur Literatur über das globale Denken beitragen kann und existierende Quellen nicht immer ausreichend würdigt, wie der Rezensent einräumt, legt er, ausgehend von Wendepunkten wie der Gründung der Standard Oil oder der britischen Kontrolle des Suezkanals, die Entwicklung der Globalisierung doch überzeugend dar und widmet sich in diesem Zusammenhang auch eingehend dem Neoliberalismus, so Eckert. Dass der Autor auch historische Alternativen aufzeigt, gefällt Eckert besonders gut.

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