Nachdem Handelspolitik lange eine Sache spezialisierte Juristen war, ist sie heute ein Feld heftiger politischer Auseinandersetzungen: Beim Brexit steht der freie Warenverkehr auf dem Spiel, Donald Trump droht deutschen Autobauern mit Schutzzöllen.
In seinem Buch, das in der englischsprachigen Welt für Furore sorgt, wirft Quinn Slobodian einen neuen Blick auf die Geschichte von Freihandel und neoliberaler Globalisierung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Gruppe von Ökonomen um Friedrich von Hayek und Wilhelm Röpke. Getrieben von der Angst, nationale Massendemokratien könnten durch Zölle oder Kapitalverkehrskontrollen das reibungslose Funktionieren der Weltwirtschaft stören, bestand ihre Vision darin, den Markt auf der globalen Ebene zu verrechtlichen und so zu schützen.
Slobodian begleitet seine Protagonisten durch das 20. Jahrhundert. Er zeigt, wie sie auf neue Herausforderungen - die Entkolonialisierung etwa oder die europäische Integration - reagierten und auseiner Außenseiterposition heraus die Deutungshoheit eroberten.
In seinem Buch, das in der englischsprachigen Welt für Furore sorgt, wirft Quinn Slobodian einen neuen Blick auf die Geschichte von Freihandel und neoliberaler Globalisierung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Gruppe von Ökonomen um Friedrich von Hayek und Wilhelm Röpke. Getrieben von der Angst, nationale Massendemokratien könnten durch Zölle oder Kapitalverkehrskontrollen das reibungslose Funktionieren der Weltwirtschaft stören, bestand ihre Vision darin, den Markt auf der globalen Ebene zu verrechtlichen und so zu schützen.
Slobodian begleitet seine Protagonisten durch das 20. Jahrhundert. Er zeigt, wie sie auf neue Herausforderungen - die Entkolonialisierung etwa oder die europäische Integration - reagierten und auseiner Außenseiterposition heraus die Deutungshoheit eroberten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2020Wirklich global sollte der Markt sein
Pläne schmieden, selbst wenn man von Plänen nicht viel hält: Quinn Slobodian untersucht die Gründerväter des Neoliberalismus
"Neoliberalismus" bezeichnet ebenso die Selbstbeschreibung einer Gruppe politischer Ökonomen, die sich 1938 in Paris konstituierte (F.A.Z. vom 29. November 2019), wie einen etwas pauschalen politischen Vorwurf gegen den gegenwärtigen Stand des Kapitalismus und schließlich auch einen Forschungsgegenstand von Ideenhistorikern und Sozialwissenschaftlern, die den Versuch unternehmen, die erste und die zweite Bedeutung miteinander in Verbindung zu bringen. In dieser Arbeitsteilung ist, wie Quinn Slobodian zu Beginn seines Buchs bemerkt, eine Lücke entstanden, weil sich Historiker mehr für die nationale, Sozialwissenschaftler mehr für die internationale Dimension neoliberalen Denkens interessieren. Diese Lücke, die historische Frage, was die Gruppe von Autoren um Mises, Hayek und Röpke zur internationalen Ordnung zu sagen hatte, beansprucht das vorliegende Buch zu schließen - und es erfüllt diesen Anspruch überzeugend.
Dabei ist die Ausgangsthese, entgegen konventioneller Ansicht seien die Neoliberalen gar nicht gegen eine starke Staatsgewalt angetreten, sondern nur gegen demokratische Politik, welche durch internationale Organisationen aufgehalten werden sollte, nicht ganz so neu wie behauptet. Dass die Neoliberalen keine Anti-Etatisten waren, zeigt schon oberflächliche Lektüre und ist als Einsicht erst in politischen Auseinandersetzungen seit den 1980er Jahren und der staatskritischen Rhetorik derer untergegangen, die sich auf diese Autoren berufen haben.
Nichtsdestotrotz will man diese Zusammenhänge genauer kennenlernen, und dieses Bedürfnis bedient Slobodian mit Gründlichkeit und Eleganz. Besonders geglückt ist die Abfolge der Darstellung, in der er die Orte des Geschehens, die Epochen und thematischen Schwerpunkte der Diskussion zwischen den 1920er und den 1990er Jahren schlüssig miteinander verbindet. Mises' in Wien begonnenes Projekt einer Denationalisierung der Wirtschaftspolitik, wandelte sich zwischenzeitlich zu einem massiv empirischen Vorhaben der Erhebung gesamtwirtschaftlicher Daten über das, was man ab einem bestimmten Punkt viel zu selbstverständlich als "Weltwirtschaft" bezeichnet, bevor es dann wieder unter Hayeks Einfluss zu einem vornehmlich institutionellen Anliegen wird, das in den folgenden Generationen Juristen mehr ansprechen wird als Ökonomen. Nicht zuletzt als verklärte Reminiszenz an ein imaginiertes Habsburgerreich, in dem sich verschiedene Nationen unter einem gemeinsamen Eigentumsregime verbunden haben sollen, gerät das Entwerfen von im weitesten Sinne föderalen Strukturen zu einer aggressiven Institutionenpolitik, die sich vom selbstkultivierten Misstrauen gegenüber politischer Planung nicht beirren lässt.
Die institutionellen Projekte, denen sich die Beteiligten namentlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zuwenden, stehen dabei allesamt, so eine für das Buch zentrale Beobachtung, im Schatten der Dekolonialisierung. Der Aufbau einer Welthandelsordnung, gipfelnd in der Gründung der WTO, die Einrichtung eines Systems von Investitionsschutzabkommen, die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und auch die Auseinandersetzung mit der sozial- und entwicklungspolitischen Programmatik der Vereinen Nationen sind durch die Front zwischen Nord und Süd geprägt. Für unterschiedliche Vertreter der neoliberalen Bewegung ergeben sich hier unterschiedliche Anliegen und Kritikpunkte.
Auf der einen Seite sollen die Staaten des Südens durch Einbeziehung in ein globales Marktsystem in ihrer Entwicklung befördert werden. Die hieraus folgende Kritik an der europäischen Agrarpolitik traf damals wie heute zu, ließ sich von manchen Neoliberalen sogar gegen die aus globaler Sicht marktfragmentierende europäische Integration im Ganzen wenden. Auf der anderen Seite war man sich einig, dass die Demokratisierung der Staaten des Südens nicht wünschenswert sei. Die alte liberale Skepsis gegen die Weisheit der Massendemokratie wurde mit rassistischen Stereotypen verstärkt, die namentlich den von den Nationalsozialisten verfolgten Röpke zu einem leidenschaftlichen Befürworter der südafrikanischen Apartheid werden ließen. Diese Asymmetrie ist nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch angelegt, sollte die globale Arbeitsteilung doch nicht etwa zur Industrialisierung des Südens führen, sondern eben vor allem zur Erschließung von Agrarmärkten, während der Norden die Industrie dazu liefert.
Slobodians materialreiche Darstellung, die auch dadurch gewinnt, dass sie, soweit möglich, den baulichen und bildlichen Kontext der Debatten einbezieht, beginnt kompakter, als sie endet. Dies hängt mit dem Verlust an Übersichtlichkeit zusammen, der sich auf dem langen Weg vom frühen Mises und einer kleinen Gruppe von Globalisten, die in Genf Pläne schmiedeten, bis zu den frühen neunziger Jahren einstellt, in denen nicht nur die Welt der Institutionen, sondern auch die Zahl der bekennenden Neoliberalen größer geworden war. Darum geraten die im Buch analysierten Diskussionen im Laufe der Darstellung selbstbezüglicher, namentlich die Frage, was denn der makroökonomische Mainstream mit Problemen und Lösungen der Neoliberalen anfangen kann, kommt aus dem Blick. Am Ende klammert sich Slobodian stark an die Darstellung von Hayeks theoretischem Spätwerk, das als Stück reiner Ideengeschichte durchaus bemerkenswert ist, in dieser politischen Diskurshistoriographie aber etwas erratisch wirkt.
Einige Nachfragen betreffen nicht allein das Buch, sondern die im Moment in der angelsächsischen Geschichtswissenschaft wieder aufblühende politische Diskursgeschichte im Ganzen. Da wäre zum einen das schwierige Problem der Zurechnung von ideologischem Einfluss auf den konkreten Institutionenaufbau. Waren die Neoliberalen so einflussreich, wie im Buch insinuiert wird, oder hatte die institutionelle Entwicklung andere Ursachen? Offen bleibt auch die Frage nach politischen Bewertungskriterien. Slobodian ist im Ton angenehm zurückhaltend, aber doch in einer Art, die unterstellt, man wisse schon, dass es sich hier letztlich allesamt um böse Buben handle.
Das wird oft plausibel, erscheint aber mitunter auch als Produkt eines unterstellten Konsenses mit seinen Lesern, deren politische Überzeugungen sich der Verfasser zwar ganz anders als, aber ähnlich homogen wie die der beschriebenen Neoliberalen vorzustellen scheint. Schließlich bleibt die Frage nach historischen Vorläufern. Historiker amüsieren sich oft darüber, wie unhistorisch Philosophen Begriffe wie "Liberalismus" ausbuchstabieren. Aber umgekehrt droht mitunter in der neueren Ideengeschichte die Behauptung, theoretische Figuren seien in einem bestimmten Kontext neu oder zumindest anders entstanden, längere Kontinuitäten aus den Augen zu verlieren. Vieles von dem, was Slobodian am neoliberalen Denken für bemerkenswert hält, dürfte sich jedenfalls so, wie er es darstellt, deutlich früher finden. Dass die Neoliberalen Freiheit letztlich instrumentalistisch verstehen, verbindet sie nicht zuletzt mit von ihnen verabscheuten Regulierern wie John Stuart Mill.
Das alles ändert nichts an dem vorzüglichen Eindruck, den ein Buch hinterlässt, das zu einem großen Teil aus deutschsprachigen Quellen schöpft und so zum Schluss noch eine ganz andere Frage provoziert: Was macht eigentlich die deutsche Ideengeschichte?
CHRISTOPH MÖLLERS
Quinn Slobodian: "Globalisten". Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus.
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 522 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pläne schmieden, selbst wenn man von Plänen nicht viel hält: Quinn Slobodian untersucht die Gründerväter des Neoliberalismus
"Neoliberalismus" bezeichnet ebenso die Selbstbeschreibung einer Gruppe politischer Ökonomen, die sich 1938 in Paris konstituierte (F.A.Z. vom 29. November 2019), wie einen etwas pauschalen politischen Vorwurf gegen den gegenwärtigen Stand des Kapitalismus und schließlich auch einen Forschungsgegenstand von Ideenhistorikern und Sozialwissenschaftlern, die den Versuch unternehmen, die erste und die zweite Bedeutung miteinander in Verbindung zu bringen. In dieser Arbeitsteilung ist, wie Quinn Slobodian zu Beginn seines Buchs bemerkt, eine Lücke entstanden, weil sich Historiker mehr für die nationale, Sozialwissenschaftler mehr für die internationale Dimension neoliberalen Denkens interessieren. Diese Lücke, die historische Frage, was die Gruppe von Autoren um Mises, Hayek und Röpke zur internationalen Ordnung zu sagen hatte, beansprucht das vorliegende Buch zu schließen - und es erfüllt diesen Anspruch überzeugend.
Dabei ist die Ausgangsthese, entgegen konventioneller Ansicht seien die Neoliberalen gar nicht gegen eine starke Staatsgewalt angetreten, sondern nur gegen demokratische Politik, welche durch internationale Organisationen aufgehalten werden sollte, nicht ganz so neu wie behauptet. Dass die Neoliberalen keine Anti-Etatisten waren, zeigt schon oberflächliche Lektüre und ist als Einsicht erst in politischen Auseinandersetzungen seit den 1980er Jahren und der staatskritischen Rhetorik derer untergegangen, die sich auf diese Autoren berufen haben.
Nichtsdestotrotz will man diese Zusammenhänge genauer kennenlernen, und dieses Bedürfnis bedient Slobodian mit Gründlichkeit und Eleganz. Besonders geglückt ist die Abfolge der Darstellung, in der er die Orte des Geschehens, die Epochen und thematischen Schwerpunkte der Diskussion zwischen den 1920er und den 1990er Jahren schlüssig miteinander verbindet. Mises' in Wien begonnenes Projekt einer Denationalisierung der Wirtschaftspolitik, wandelte sich zwischenzeitlich zu einem massiv empirischen Vorhaben der Erhebung gesamtwirtschaftlicher Daten über das, was man ab einem bestimmten Punkt viel zu selbstverständlich als "Weltwirtschaft" bezeichnet, bevor es dann wieder unter Hayeks Einfluss zu einem vornehmlich institutionellen Anliegen wird, das in den folgenden Generationen Juristen mehr ansprechen wird als Ökonomen. Nicht zuletzt als verklärte Reminiszenz an ein imaginiertes Habsburgerreich, in dem sich verschiedene Nationen unter einem gemeinsamen Eigentumsregime verbunden haben sollen, gerät das Entwerfen von im weitesten Sinne föderalen Strukturen zu einer aggressiven Institutionenpolitik, die sich vom selbstkultivierten Misstrauen gegenüber politischer Planung nicht beirren lässt.
Die institutionellen Projekte, denen sich die Beteiligten namentlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zuwenden, stehen dabei allesamt, so eine für das Buch zentrale Beobachtung, im Schatten der Dekolonialisierung. Der Aufbau einer Welthandelsordnung, gipfelnd in der Gründung der WTO, die Einrichtung eines Systems von Investitionsschutzabkommen, die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und auch die Auseinandersetzung mit der sozial- und entwicklungspolitischen Programmatik der Vereinen Nationen sind durch die Front zwischen Nord und Süd geprägt. Für unterschiedliche Vertreter der neoliberalen Bewegung ergeben sich hier unterschiedliche Anliegen und Kritikpunkte.
Auf der einen Seite sollen die Staaten des Südens durch Einbeziehung in ein globales Marktsystem in ihrer Entwicklung befördert werden. Die hieraus folgende Kritik an der europäischen Agrarpolitik traf damals wie heute zu, ließ sich von manchen Neoliberalen sogar gegen die aus globaler Sicht marktfragmentierende europäische Integration im Ganzen wenden. Auf der anderen Seite war man sich einig, dass die Demokratisierung der Staaten des Südens nicht wünschenswert sei. Die alte liberale Skepsis gegen die Weisheit der Massendemokratie wurde mit rassistischen Stereotypen verstärkt, die namentlich den von den Nationalsozialisten verfolgten Röpke zu einem leidenschaftlichen Befürworter der südafrikanischen Apartheid werden ließen. Diese Asymmetrie ist nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch angelegt, sollte die globale Arbeitsteilung doch nicht etwa zur Industrialisierung des Südens führen, sondern eben vor allem zur Erschließung von Agrarmärkten, während der Norden die Industrie dazu liefert.
Slobodians materialreiche Darstellung, die auch dadurch gewinnt, dass sie, soweit möglich, den baulichen und bildlichen Kontext der Debatten einbezieht, beginnt kompakter, als sie endet. Dies hängt mit dem Verlust an Übersichtlichkeit zusammen, der sich auf dem langen Weg vom frühen Mises und einer kleinen Gruppe von Globalisten, die in Genf Pläne schmiedeten, bis zu den frühen neunziger Jahren einstellt, in denen nicht nur die Welt der Institutionen, sondern auch die Zahl der bekennenden Neoliberalen größer geworden war. Darum geraten die im Buch analysierten Diskussionen im Laufe der Darstellung selbstbezüglicher, namentlich die Frage, was denn der makroökonomische Mainstream mit Problemen und Lösungen der Neoliberalen anfangen kann, kommt aus dem Blick. Am Ende klammert sich Slobodian stark an die Darstellung von Hayeks theoretischem Spätwerk, das als Stück reiner Ideengeschichte durchaus bemerkenswert ist, in dieser politischen Diskurshistoriographie aber etwas erratisch wirkt.
Einige Nachfragen betreffen nicht allein das Buch, sondern die im Moment in der angelsächsischen Geschichtswissenschaft wieder aufblühende politische Diskursgeschichte im Ganzen. Da wäre zum einen das schwierige Problem der Zurechnung von ideologischem Einfluss auf den konkreten Institutionenaufbau. Waren die Neoliberalen so einflussreich, wie im Buch insinuiert wird, oder hatte die institutionelle Entwicklung andere Ursachen? Offen bleibt auch die Frage nach politischen Bewertungskriterien. Slobodian ist im Ton angenehm zurückhaltend, aber doch in einer Art, die unterstellt, man wisse schon, dass es sich hier letztlich allesamt um böse Buben handle.
Das wird oft plausibel, erscheint aber mitunter auch als Produkt eines unterstellten Konsenses mit seinen Lesern, deren politische Überzeugungen sich der Verfasser zwar ganz anders als, aber ähnlich homogen wie die der beschriebenen Neoliberalen vorzustellen scheint. Schließlich bleibt die Frage nach historischen Vorläufern. Historiker amüsieren sich oft darüber, wie unhistorisch Philosophen Begriffe wie "Liberalismus" ausbuchstabieren. Aber umgekehrt droht mitunter in der neueren Ideengeschichte die Behauptung, theoretische Figuren seien in einem bestimmten Kontext neu oder zumindest anders entstanden, längere Kontinuitäten aus den Augen zu verlieren. Vieles von dem, was Slobodian am neoliberalen Denken für bemerkenswert hält, dürfte sich jedenfalls so, wie er es darstellt, deutlich früher finden. Dass die Neoliberalen Freiheit letztlich instrumentalistisch verstehen, verbindet sie nicht zuletzt mit von ihnen verabscheuten Regulierern wie John Stuart Mill.
Das alles ändert nichts an dem vorzüglichen Eindruck, den ein Buch hinterlässt, das zu einem großen Teil aus deutschsprachigen Quellen schöpft und so zum Schluss noch eine ganz andere Frage provoziert: Was macht eigentlich die deutsche Ideengeschichte?
CHRISTOPH MÖLLERS
Quinn Slobodian: "Globalisten". Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus.
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 522 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2020Die Regeln der Freiheit
Was wollten die Neoliberalen? Quinn Slobodian erzählt ihre Geschichte neu, vom Untergang des Habsburger Reiches
bis zur Gründung der Welthandelsorganisation. Es ist auch eine Geschichte der Angst vor Instabilität und Umverteilung
VON JENS BISKY
Es ist gerade für Kritiker des Neoliberalismus unbefriedigend, wenn ihr Gegner nur als Zerrbild beschworen und obenhin charakterisiert wird. Etwa mit der beliebten Unterstellung, es gehe den Neoliberalen um den Glauben an sich selbst regulierende Märkte, schlanke Staaten, das gedeihliche Miteinander von Kapitalismus und Demokratie. Das stimme so nicht, behauptet der Historiker Quinn Slobodian in seiner ideengeschichtlichen Studie über die „Globalisten“. Deren Ausgangspunkt sei nicht so weit von Überzeugungen eines John Maynard Keynes oder Karl Polanyi entfernt gewesen. Sie hätten die Märkte nicht befreien, sondern ummanteln und supranationale Institutionen aufbauen wollen. Warum? Um zwei Herausforderungen zu begegnen: der einen „durch die demokratische Mitbestimmung der Massen“, der anderen durch das „Ende der Imperien“.
Im Zentrum dieses klugen, oft überraschenden und pointenreichen Buches stehen nicht Milton Friedman und die Chicago Boys, nicht die Berater der Reagan- und Thatcher-Jahre, sondern die Genfer Schule. Dazu zählten Intellektuelle wie Wilhelm Röpke, Ludwig von Mises, Michael A. Heilperin, Friedrich August von Hayek, Gottfried Haberler, später dann von diesen inspirierte Mitarbeiter im Sekretariat des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT). Wie haben sie die Welt wahrgenommen? Welche Probleme waren ihnen wichtig? Was schlugen sie zur Lösung vor? Was lernten sie im Lauf der Jahrzehnte?
Slobodian beginnt seine Geschichte in Wien am Stubenring, im Haus der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer. Dort arbeiteten Mises, Hayek, Haberler und erlebten, was man das „Ende der liberalen Epoche“ genannt hat. Ludwig von Mises schrieb 1922, dass kurz vor dem Ausbruch des Krieges die „Verwirklichung des Traumes einer ökumenischen Gesellschaft in die Nähe gerückt“ sei. Und nun schien Stillstand, gar Rückbildung der Gesellschaft möglich. Im Ersten Weltkrieg hatten viele Staaten Eigentum beschlagnahmt, eine Befehlswirtschaft eingeführt. Danach stand das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der Tagesordnung. Wo Imperien waren, entstanden Nationalstaaten, die vielfach versuchten, autark zu werden, wenigstens die eigene Wirtschaft durch Zölle zu schützen.
Die „wehrhaften Liberalen“ in der Ringstraße suchten nach Wegen, die zerstörte Welt wieder aufzubauen. Das mündete in Projekte eines „kapitalistischen Internationalismus“. Es galt, den Freihandel wiederherzustellen. Das Kapital, schreibt Slobodian, „musste wieder kosmopolitisch werden“, was freilich voraussetzte, dass grenzüberschreitende Investitionen und Privateigentum vor Beschränkungen und Enteignungen geschützt waren. Gesucht wurde eine Organisationsform für das spannungsreiche Nebeneinander von Weltwirtschaft und Nationalstaaten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg formulierte der Staatsrechtler Carl Schmitt eine Unterscheidung, die gut zum Weltbild der Genfer Schule passte. Er unterschied die Welt der territorial begrenzten Staaten, imperium, von der Welt des Eigentums, dominium. Quinn Slobodian zeigt nun Schritt für Schritt, dass der Neoliberalismus der Genfer Schule „ursprünglich keine Philosophie des freien Marktes, sondern ein Entwurf für eine Doppelregierung in der doppelten Welt des Kapitalismus war“. Die Neoliberalen waren getrieben von der Angst vor Instabilität, wobei die Demokratie eine entscheidende, eine besonders beunruhigende, ja bedrohliche Rolle spielte. Die Forderungen der vielen, der Arbeiter in Europa, später auch der Menschen in den gerade entkolonialisierten Ländern, drohten den Gang der Geschäfte zu stören.
Begonnen hatten die Neoliberalen im Kampf gegen Zollmauern und als Konjunkturforscher. Nach 1945 kümmerten sie sich vor allem um „das internationale Recht und die internationale Governance“. Der Einfluss der Nationalstaaten sollte zurückgedrängt, die Macht supranationaler Institutionen, die nicht dem wechselnden Wählerwillen unterworfen waren, gestärkt werden. Für dieses politische Vorhaben zur Entpolitisierung schien die Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1994 ein Erfolg. Doch die scheinbar entpolitisierte Institution machte den Welthandel, seine Mechanismen und Ungerechtigkeiten sichtbar, sie wurde zur Adresse von Kritik und Protest, etwa gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999.
Slobodian greift den Impuls dieser Proteste auf. Nachdem in seiner Jugend viel von „Globalisierung“, dem „Ende der Geschichte“, dem Ende der Nationalstaaten und dem einigenden Band der Weltwirtschaft geredet worden sei, habe seine Generation in Seattle begonnen, sich bewusst zu machen, „was tatsächlich vor sich ging, und die Geschichte wieder selbst in die Hand zu nehmen“. Seine kritische Rekonstruktion der neoliberalen Ideen ist auch gegen deren ideologische Verklärung des Einst gerichtet. So idyllisierte etwa Wilhelm Röpke die liberale Welt. Seine Generation habe „in ihrer Jugend noch das Abendrot jenes langen strahlenden Sommertages erlebt“, der vom Wiener Kongress bis zum August 1914 gedauert habe.
Röpke, der 1933 die Nationalsozialisten öffentlich kritisiert hatte, verteidigte in den Sechzigerjahren die Apartheid und glorifizierte Südafrika als Bollwerk gegen wirtschaftliche Unordnung. Mit seinen Kollegen aus der 1947 gegründeten Mont Pèlerin Society hatte er sich damals bereits überworfen. Hayek verurteilte zwar die Apartheid, aber ebenso Sanktionen gegen Südafrika. Das System der Weltwirtschaft sollte nicht von globalisierter Moral gestörten werden.
Aufschlussreich ist die unterschiedliche Sicht der Neoliberalen auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die einen sahen in ihr einen Beitrag zur „Fragmentierung des Weltmarkts“, die anderen ein gutes Beispiel dafür, „wie man einen Markt mit einer rechtlichen Struktur integrieren konnte“. Damit wurde die EWG zu einem Vorbild für die rechtliche, institutionelle Neuordnung.
Gegen die Ansprüche der postkolonialen Staaten auf eine neue Weltwirtschaftsordnung erklärte Jan Tumlir, einer der neoliberalen Reformer im GATT-Sekretariat in Genf, dass diese Wünsche die Ordnung selbst sprengen würden. „Internationale Regeln schützen den Weltmarkt vor den Regierungen.“ Slobodian fasst sarkastisch treffend zusammen, dass es offenkundig nicht Zweck der Ordnung sei, „den Menschen zu geben, was sie wollten, sondern sie daran zu hindern, sich zu nehmen, was sie wollten – und dadurch das System als Ganzes zu zerstören“.
Quinn Slobodian erzählt, wie die „militanten Globalisten“ das zwanzigste Jahrhundert wahrnahmen. Hinter die oft gehörte Behauptung von ihrem Triumph setzt er ein Fragezeichen. Die Regeln des Welthandels haben das Ziel nicht erreicht, „störende Bemühungen um soziale Gerechtigkeit oder Umverteilung zu unterbinden“. In vielen Nationalstaaten werden Globalisten wie Kosmopoliten inzwischen von links wie rechts heftig attackiert. Wer sich, wie noch Gerhard Schröder 2002, auf die „Stürme der Globalisierung“ berufen wollte, um Reformen im Inneren zu rechtfertigen, dürfte es heute schwer haben, eine Mehrheit zu überzeugen und zu gewinnen. Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung werden nahezu überall ablehnend betrachtet. Hinzu kommen der Brexit und die Schutzzollpolitik Donald Trumps.
Aber vielleicht ist auch dieses Bild überzeichnet. Wilhelm Röpke meinte 1940, die Menschen müssten sich daran gewöhnen, „dass es auch eine präsidiale, autoritäre, ja sogar – horribile dictu – eine diktatorische Demokratie gibt“. Was würden die Genfer Globalisten zu erklärt „illiberalen Demokratien“ sagen? Die Probleme, mit denen sie sich herumgeschlagen und die sie mit ihren Vorschlägen oft verschärft haben, sind noch die unseren. Es geht um Stabilität und Gerechtigkeit, um das Verhältnis von Demokratie, Nationalstaat und Weltwirtschaft.
Das Kapital musste nach dem
Ersten Weltkrieg „wieder
kosmopolitisch werden“
Deregulierung und
Liberalisierung werden von
rechts wie von links attackiert
Quinn Slobodian:
Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt
des Neoliberalismus.
Aus dem Englischen
von Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 522 Seiten, 32 Euro.
Proteste gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle, 1999. „In Seattle begannen wir, uns kollektiv bewusst zu machen, was tatsächlich vorging, und die Geschichte wieder selbst in die Hand zu nehmen“, schreibt der 1978 geborene Historiker Quinn Slobodian in seinem Buch „Globalisten“.
Foto: dpa
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Was wollten die Neoliberalen? Quinn Slobodian erzählt ihre Geschichte neu, vom Untergang des Habsburger Reiches
bis zur Gründung der Welthandelsorganisation. Es ist auch eine Geschichte der Angst vor Instabilität und Umverteilung
VON JENS BISKY
Es ist gerade für Kritiker des Neoliberalismus unbefriedigend, wenn ihr Gegner nur als Zerrbild beschworen und obenhin charakterisiert wird. Etwa mit der beliebten Unterstellung, es gehe den Neoliberalen um den Glauben an sich selbst regulierende Märkte, schlanke Staaten, das gedeihliche Miteinander von Kapitalismus und Demokratie. Das stimme so nicht, behauptet der Historiker Quinn Slobodian in seiner ideengeschichtlichen Studie über die „Globalisten“. Deren Ausgangspunkt sei nicht so weit von Überzeugungen eines John Maynard Keynes oder Karl Polanyi entfernt gewesen. Sie hätten die Märkte nicht befreien, sondern ummanteln und supranationale Institutionen aufbauen wollen. Warum? Um zwei Herausforderungen zu begegnen: der einen „durch die demokratische Mitbestimmung der Massen“, der anderen durch das „Ende der Imperien“.
Im Zentrum dieses klugen, oft überraschenden und pointenreichen Buches stehen nicht Milton Friedman und die Chicago Boys, nicht die Berater der Reagan- und Thatcher-Jahre, sondern die Genfer Schule. Dazu zählten Intellektuelle wie Wilhelm Röpke, Ludwig von Mises, Michael A. Heilperin, Friedrich August von Hayek, Gottfried Haberler, später dann von diesen inspirierte Mitarbeiter im Sekretariat des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT). Wie haben sie die Welt wahrgenommen? Welche Probleme waren ihnen wichtig? Was schlugen sie zur Lösung vor? Was lernten sie im Lauf der Jahrzehnte?
Slobodian beginnt seine Geschichte in Wien am Stubenring, im Haus der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer. Dort arbeiteten Mises, Hayek, Haberler und erlebten, was man das „Ende der liberalen Epoche“ genannt hat. Ludwig von Mises schrieb 1922, dass kurz vor dem Ausbruch des Krieges die „Verwirklichung des Traumes einer ökumenischen Gesellschaft in die Nähe gerückt“ sei. Und nun schien Stillstand, gar Rückbildung der Gesellschaft möglich. Im Ersten Weltkrieg hatten viele Staaten Eigentum beschlagnahmt, eine Befehlswirtschaft eingeführt. Danach stand das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der Tagesordnung. Wo Imperien waren, entstanden Nationalstaaten, die vielfach versuchten, autark zu werden, wenigstens die eigene Wirtschaft durch Zölle zu schützen.
Die „wehrhaften Liberalen“ in der Ringstraße suchten nach Wegen, die zerstörte Welt wieder aufzubauen. Das mündete in Projekte eines „kapitalistischen Internationalismus“. Es galt, den Freihandel wiederherzustellen. Das Kapital, schreibt Slobodian, „musste wieder kosmopolitisch werden“, was freilich voraussetzte, dass grenzüberschreitende Investitionen und Privateigentum vor Beschränkungen und Enteignungen geschützt waren. Gesucht wurde eine Organisationsform für das spannungsreiche Nebeneinander von Weltwirtschaft und Nationalstaaten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg formulierte der Staatsrechtler Carl Schmitt eine Unterscheidung, die gut zum Weltbild der Genfer Schule passte. Er unterschied die Welt der territorial begrenzten Staaten, imperium, von der Welt des Eigentums, dominium. Quinn Slobodian zeigt nun Schritt für Schritt, dass der Neoliberalismus der Genfer Schule „ursprünglich keine Philosophie des freien Marktes, sondern ein Entwurf für eine Doppelregierung in der doppelten Welt des Kapitalismus war“. Die Neoliberalen waren getrieben von der Angst vor Instabilität, wobei die Demokratie eine entscheidende, eine besonders beunruhigende, ja bedrohliche Rolle spielte. Die Forderungen der vielen, der Arbeiter in Europa, später auch der Menschen in den gerade entkolonialisierten Ländern, drohten den Gang der Geschäfte zu stören.
Begonnen hatten die Neoliberalen im Kampf gegen Zollmauern und als Konjunkturforscher. Nach 1945 kümmerten sie sich vor allem um „das internationale Recht und die internationale Governance“. Der Einfluss der Nationalstaaten sollte zurückgedrängt, die Macht supranationaler Institutionen, die nicht dem wechselnden Wählerwillen unterworfen waren, gestärkt werden. Für dieses politische Vorhaben zur Entpolitisierung schien die Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1994 ein Erfolg. Doch die scheinbar entpolitisierte Institution machte den Welthandel, seine Mechanismen und Ungerechtigkeiten sichtbar, sie wurde zur Adresse von Kritik und Protest, etwa gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle 1999.
Slobodian greift den Impuls dieser Proteste auf. Nachdem in seiner Jugend viel von „Globalisierung“, dem „Ende der Geschichte“, dem Ende der Nationalstaaten und dem einigenden Band der Weltwirtschaft geredet worden sei, habe seine Generation in Seattle begonnen, sich bewusst zu machen, „was tatsächlich vor sich ging, und die Geschichte wieder selbst in die Hand zu nehmen“. Seine kritische Rekonstruktion der neoliberalen Ideen ist auch gegen deren ideologische Verklärung des Einst gerichtet. So idyllisierte etwa Wilhelm Röpke die liberale Welt. Seine Generation habe „in ihrer Jugend noch das Abendrot jenes langen strahlenden Sommertages erlebt“, der vom Wiener Kongress bis zum August 1914 gedauert habe.
Röpke, der 1933 die Nationalsozialisten öffentlich kritisiert hatte, verteidigte in den Sechzigerjahren die Apartheid und glorifizierte Südafrika als Bollwerk gegen wirtschaftliche Unordnung. Mit seinen Kollegen aus der 1947 gegründeten Mont Pèlerin Society hatte er sich damals bereits überworfen. Hayek verurteilte zwar die Apartheid, aber ebenso Sanktionen gegen Südafrika. Das System der Weltwirtschaft sollte nicht von globalisierter Moral gestörten werden.
Aufschlussreich ist die unterschiedliche Sicht der Neoliberalen auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die einen sahen in ihr einen Beitrag zur „Fragmentierung des Weltmarkts“, die anderen ein gutes Beispiel dafür, „wie man einen Markt mit einer rechtlichen Struktur integrieren konnte“. Damit wurde die EWG zu einem Vorbild für die rechtliche, institutionelle Neuordnung.
Gegen die Ansprüche der postkolonialen Staaten auf eine neue Weltwirtschaftsordnung erklärte Jan Tumlir, einer der neoliberalen Reformer im GATT-Sekretariat in Genf, dass diese Wünsche die Ordnung selbst sprengen würden. „Internationale Regeln schützen den Weltmarkt vor den Regierungen.“ Slobodian fasst sarkastisch treffend zusammen, dass es offenkundig nicht Zweck der Ordnung sei, „den Menschen zu geben, was sie wollten, sondern sie daran zu hindern, sich zu nehmen, was sie wollten – und dadurch das System als Ganzes zu zerstören“.
Quinn Slobodian erzählt, wie die „militanten Globalisten“ das zwanzigste Jahrhundert wahrnahmen. Hinter die oft gehörte Behauptung von ihrem Triumph setzt er ein Fragezeichen. Die Regeln des Welthandels haben das Ziel nicht erreicht, „störende Bemühungen um soziale Gerechtigkeit oder Umverteilung zu unterbinden“. In vielen Nationalstaaten werden Globalisten wie Kosmopoliten inzwischen von links wie rechts heftig attackiert. Wer sich, wie noch Gerhard Schröder 2002, auf die „Stürme der Globalisierung“ berufen wollte, um Reformen im Inneren zu rechtfertigen, dürfte es heute schwer haben, eine Mehrheit zu überzeugen und zu gewinnen. Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung werden nahezu überall ablehnend betrachtet. Hinzu kommen der Brexit und die Schutzzollpolitik Donald Trumps.
Aber vielleicht ist auch dieses Bild überzeichnet. Wilhelm Röpke meinte 1940, die Menschen müssten sich daran gewöhnen, „dass es auch eine präsidiale, autoritäre, ja sogar – horribile dictu – eine diktatorische Demokratie gibt“. Was würden die Genfer Globalisten zu erklärt „illiberalen Demokratien“ sagen? Die Probleme, mit denen sie sich herumgeschlagen und die sie mit ihren Vorschlägen oft verschärft haben, sind noch die unseren. Es geht um Stabilität und Gerechtigkeit, um das Verhältnis von Demokratie, Nationalstaat und Weltwirtschaft.
Das Kapital musste nach dem
Ersten Weltkrieg „wieder
kosmopolitisch werden“
Deregulierung und
Liberalisierung werden von
rechts wie von links attackiert
Quinn Slobodian:
Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt
des Neoliberalismus.
Aus dem Englischen
von Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 522 Seiten, 32 Euro.
Proteste gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle, 1999. „In Seattle begannen wir, uns kollektiv bewusst zu machen, was tatsächlich vorging, und die Geschichte wieder selbst in die Hand zu nehmen“, schreibt der 1978 geborene Historiker Quinn Slobodian in seinem Buch „Globalisten“.
Foto: dpa
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