Alles Wissenswerte über das Glück
Noch ein Buch zum Thema Glück? Ja, aber ein anderes: realistisch, fröhlich, enzyklopädisch - und voller Überraschungen. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Wolf Schneider mit der Frage, was das Glück ausmacht und mit welchen Rezepten man es steigern kann. Jetzt hat er es aufgeschrieben: alles Wissenswerte über das Glück in einem Buch.
Noch ein Buch zum Thema Glück? Ja, aber ein anderes: realistisch, fröhlich, enzyklopädisch - und voller Überraschungen. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Wolf Schneider mit der Frage, was das Glück ausmacht und mit welchen Rezepten man es steigern kann. Jetzt hat er es aufgeschrieben: alles Wissenswerte über das Glück in einem Buch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2007Das kleine Glück der großen Zahl
Wolf Schneider verrät, was wir meinen, wenn wir sagen: Der da hat den Bogen raus
Glück hat - im Gegensatz zu dem, was viele Philosophen lehren - wenig mit Tugend zu tun. Aus Machtphantasien, Schadenfreude und noch niedrigeren Beweggründen kann echtes Glück erwachsen, und nichts spricht dafür, dass die besseren auch die glücklicheren Menschen sind.
In einer der schönsten Geschichten Wolfgang Borcherts, "Die Küchenuhr", sitzt ein alt aussehender junger Mann nach einem Bombeneinschlag auf einer Parkbank und erzählt den peinlich berührten Umsitzenden davon, dass er alles verloren habe: seine Bleibe, seine Familie, vor allem seine Mutter, die immer aufstand nachts, wenn er von der Arbeit kam, und ihm das Abendessen aufwärmte. Sie sagte jedes Mal "So spät wieder", sonst nichts, und rieb dabei ihre nackten Füße aneinander. Der Mann hatte es immer als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Jetzt, wo er alles verloren habe, sagt er, jetzt wisse er, dass es das Paradies war, "das richtige Paradies".
Es ist merkwürdig: Gerade diejenigen, die, wie Borchert, das Glück am allerwenigsten erlebt haben, scheinen am besten darüber schreiben zu können. Der Journalist und Publizist Wolf Schneider, der - seinen öffentlichen Auftritten nach zu urteilen - sein Leben für wenn nicht glücklich, so doch für geglückt hält, ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme: Mit "Glück!" hat er ein so lesenswertes wie belesenes Buch vorgelegt, das als Gegenentwurf zum meisten daherkommt, was bisher über das Thema geschrieben wurde: in der sogenannten Lebenshilfeliteratur, in der millionenfach die Lüge verbreitet wird, Glück sei bloß eine Frage der Einstellung oder gar der Technik; in den Grundsatzprogrammen der Parteien, die vorgeben, sie könnten auf das "größte Glück der größten Zahl" hinwirken; und in den Büchern der Religionen und Philosophen, die bei aller guten Absicht die Menschheit doch immer wieder ins Unglück gestürzt haben.
Schneider stellt in seinem Buch im Wesentlichen fünf Thesen auf. Die erste: Das Glück schlechthin gibt es nicht, schon gar nicht das große. Dem einen können ein paar kleine Gesten den Tag behaglich machen, dem anderen hilft ein kleiner Exzess - wie es sich überhaupt empfiehlt, auf die Ratschläge professioneller Bedenkenträger ab und an zu pfeifen. Glück lässt sich nicht messen und daher auch nicht verordnen. Menschen in Bangladesch, die regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht werden, können glücklicher sein als ein deutscher Manager, dem sein unbefriedigter Ehrgeiz den Tag vergällt.
Die zweite These: Glück kann kein absoluter, gleichbleibender Zustand sein. Der irische Satiriker George Bernard Shaw hat dazu einmal treffend bemerkt: "Ein immerwährender Feiertag ist eine gute, allgemein verständliche Definition der Hölle." Erst der Kontrast schafft nämlich die Möglichkeit von Glück: Wer immer satt ist, verpasst laut Schneider "das Urvergnügen, sich sättigen zu können".
Die dritte These: Nicht alle können zugleich glücklich sein. Wenn sich etwa ein Ehemann eine Geliebte nimmt, schreibt Schneider, dann ist es gut möglich, dass von den drei beteiligten Personen zwei glücklicher sind als zuvor, der Ehemann nämlich und die Geliebte. Für die betrogene Ehefrau wird man das hingegen nicht annehmen dürfen.
Die vierte These: Es ist gar nicht nötig, glücklich zu sein. Oft ist der Moment davor besser oder der Moment danach, die Sehnsucht, die nach Max Frisch "unser Bestes" ist, oder die Erinnerung. Wie sonst wäre zu erklären, dass Safari-Touristen auf das Glück verzichten, den Anblick einer Giraffe oder eines Elefanten zu genießen, nur um den Moment - mit der Kamera hantierend - für später festzuhalten? Und was hat Michelangelo geritten, dass er sechs Jahre lang auf einem neunzehn Meter hohen Gerüst das Jüngste Gericht an die Altarwand der Sixtinischen Kapelle malte? Es scheint Kräfte im Menschen zu geben, die stärker sind als das Streben nach Glück.
Schließlich die fünfte These: Es ist schädlich, wenn jeder nach Glück strebt. Was geschähe, fragt Schneider, wenn der Notarzt lieber schliefe, als zu helfen, wenn die Tochter lieber auf Reisen ginge, als ihre dahinsiechende Mutter zu pflegen? In jedem Fall hat Glück - im Gegensatz zu dem, was viele Philosophen lehrten - wenig mit Tugend und Moral zu tun. Aus Machtphantasien, Schadenfreude und noch niedrigeren Beweggründen kann echtes Glück erwachsen, und nichts spricht dafür, dass die besseren auch die glücklicheren Menschen sind.
Man merkt, dass Schneider ein gelernter Journalist ist, ein eher okkasioneller Denker, der sich aller philosophischen, ideologischen oder theologischen Überwölbung verweigert und dem effektvollen Aphorismus sowie der literarischen Schilderung nähersteht als konsistenten Gedankensystemen. Die meisten der großen Theoretiker - Platon, Marx, Fourier, Hegel, Thomas Morus -, die sich ihr Leben lang vergeblich mühten, der Menschheit den Weg ins irdische oder himmlische Paradies zu weisen, gibt er der Lächerlichkeit preis und nimmt sie in die Pflicht für die Perversionen, die ihre prometheischen Entwürfe in der Realität provoziert haben.
Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass wir etwa bei Borchert mehr über Glück erfahren als bei Platon, bei Tucholsky mehr als bei Thomas von Aquin. Dennoch urteilt Schneider zu ungerecht. Was würde uns schließlich fehlen ohne die Scholastiker, die Utilitaristen und die Eudämonisten! Und was wäre die Weltliteratur ohne Platon, der an der Unmöglichkeit einer gerechten Staatskonstruktion schier verzweifelte und über den der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom einmal schrieb: "Er führte einen Beweis nach dem anderen für die Unsterblichkeit der Seele an, doch unter all diesen so scharfsinnigen Argumenten gähnte der Abgrund des Todes, die Nichtexistenz der Seele."
"Glück!" ist dagegen ein sehr abgeklärtes Buch, das gerade deshalb zum kleinen Glück zumindest einer kleinen Zahl wird beitragen können. Was nach der Lektüre bleibt, ist die eher beruhigende als beängstigende Einsicht, die ein großer Unglücklicher, ein ständig ums große Glück Betrogener, der frühere Boxer Graciano Rocchigiani, einst formuliert hatte: "Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, 'n bisschen Bumsen, 'n bisschen Anerkennung." Schneider sagt es nur eleganter.
TIMO FRASCH
Wolf Schneider: "Glück!". Eine etwas andere Gebrauchsanweisung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 303 S., geb., 19,90 [Euro].
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Wolf Schneider verrät, was wir meinen, wenn wir sagen: Der da hat den Bogen raus
Glück hat - im Gegensatz zu dem, was viele Philosophen lehren - wenig mit Tugend zu tun. Aus Machtphantasien, Schadenfreude und noch niedrigeren Beweggründen kann echtes Glück erwachsen, und nichts spricht dafür, dass die besseren auch die glücklicheren Menschen sind.
In einer der schönsten Geschichten Wolfgang Borcherts, "Die Küchenuhr", sitzt ein alt aussehender junger Mann nach einem Bombeneinschlag auf einer Parkbank und erzählt den peinlich berührten Umsitzenden davon, dass er alles verloren habe: seine Bleibe, seine Familie, vor allem seine Mutter, die immer aufstand nachts, wenn er von der Arbeit kam, und ihm das Abendessen aufwärmte. Sie sagte jedes Mal "So spät wieder", sonst nichts, und rieb dabei ihre nackten Füße aneinander. Der Mann hatte es immer als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Jetzt, wo er alles verloren habe, sagt er, jetzt wisse er, dass es das Paradies war, "das richtige Paradies".
Es ist merkwürdig: Gerade diejenigen, die, wie Borchert, das Glück am allerwenigsten erlebt haben, scheinen am besten darüber schreiben zu können. Der Journalist und Publizist Wolf Schneider, der - seinen öffentlichen Auftritten nach zu urteilen - sein Leben für wenn nicht glücklich, so doch für geglückt hält, ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme: Mit "Glück!" hat er ein so lesenswertes wie belesenes Buch vorgelegt, das als Gegenentwurf zum meisten daherkommt, was bisher über das Thema geschrieben wurde: in der sogenannten Lebenshilfeliteratur, in der millionenfach die Lüge verbreitet wird, Glück sei bloß eine Frage der Einstellung oder gar der Technik; in den Grundsatzprogrammen der Parteien, die vorgeben, sie könnten auf das "größte Glück der größten Zahl" hinwirken; und in den Büchern der Religionen und Philosophen, die bei aller guten Absicht die Menschheit doch immer wieder ins Unglück gestürzt haben.
Schneider stellt in seinem Buch im Wesentlichen fünf Thesen auf. Die erste: Das Glück schlechthin gibt es nicht, schon gar nicht das große. Dem einen können ein paar kleine Gesten den Tag behaglich machen, dem anderen hilft ein kleiner Exzess - wie es sich überhaupt empfiehlt, auf die Ratschläge professioneller Bedenkenträger ab und an zu pfeifen. Glück lässt sich nicht messen und daher auch nicht verordnen. Menschen in Bangladesch, die regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht werden, können glücklicher sein als ein deutscher Manager, dem sein unbefriedigter Ehrgeiz den Tag vergällt.
Die zweite These: Glück kann kein absoluter, gleichbleibender Zustand sein. Der irische Satiriker George Bernard Shaw hat dazu einmal treffend bemerkt: "Ein immerwährender Feiertag ist eine gute, allgemein verständliche Definition der Hölle." Erst der Kontrast schafft nämlich die Möglichkeit von Glück: Wer immer satt ist, verpasst laut Schneider "das Urvergnügen, sich sättigen zu können".
Die dritte These: Nicht alle können zugleich glücklich sein. Wenn sich etwa ein Ehemann eine Geliebte nimmt, schreibt Schneider, dann ist es gut möglich, dass von den drei beteiligten Personen zwei glücklicher sind als zuvor, der Ehemann nämlich und die Geliebte. Für die betrogene Ehefrau wird man das hingegen nicht annehmen dürfen.
Die vierte These: Es ist gar nicht nötig, glücklich zu sein. Oft ist der Moment davor besser oder der Moment danach, die Sehnsucht, die nach Max Frisch "unser Bestes" ist, oder die Erinnerung. Wie sonst wäre zu erklären, dass Safari-Touristen auf das Glück verzichten, den Anblick einer Giraffe oder eines Elefanten zu genießen, nur um den Moment - mit der Kamera hantierend - für später festzuhalten? Und was hat Michelangelo geritten, dass er sechs Jahre lang auf einem neunzehn Meter hohen Gerüst das Jüngste Gericht an die Altarwand der Sixtinischen Kapelle malte? Es scheint Kräfte im Menschen zu geben, die stärker sind als das Streben nach Glück.
Schließlich die fünfte These: Es ist schädlich, wenn jeder nach Glück strebt. Was geschähe, fragt Schneider, wenn der Notarzt lieber schliefe, als zu helfen, wenn die Tochter lieber auf Reisen ginge, als ihre dahinsiechende Mutter zu pflegen? In jedem Fall hat Glück - im Gegensatz zu dem, was viele Philosophen lehrten - wenig mit Tugend und Moral zu tun. Aus Machtphantasien, Schadenfreude und noch niedrigeren Beweggründen kann echtes Glück erwachsen, und nichts spricht dafür, dass die besseren auch die glücklicheren Menschen sind.
Man merkt, dass Schneider ein gelernter Journalist ist, ein eher okkasioneller Denker, der sich aller philosophischen, ideologischen oder theologischen Überwölbung verweigert und dem effektvollen Aphorismus sowie der literarischen Schilderung nähersteht als konsistenten Gedankensystemen. Die meisten der großen Theoretiker - Platon, Marx, Fourier, Hegel, Thomas Morus -, die sich ihr Leben lang vergeblich mühten, der Menschheit den Weg ins irdische oder himmlische Paradies zu weisen, gibt er der Lächerlichkeit preis und nimmt sie in die Pflicht für die Perversionen, die ihre prometheischen Entwürfe in der Realität provoziert haben.
Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass wir etwa bei Borchert mehr über Glück erfahren als bei Platon, bei Tucholsky mehr als bei Thomas von Aquin. Dennoch urteilt Schneider zu ungerecht. Was würde uns schließlich fehlen ohne die Scholastiker, die Utilitaristen und die Eudämonisten! Und was wäre die Weltliteratur ohne Platon, der an der Unmöglichkeit einer gerechten Staatskonstruktion schier verzweifelte und über den der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom einmal schrieb: "Er führte einen Beweis nach dem anderen für die Unsterblichkeit der Seele an, doch unter all diesen so scharfsinnigen Argumenten gähnte der Abgrund des Todes, die Nichtexistenz der Seele."
"Glück!" ist dagegen ein sehr abgeklärtes Buch, das gerade deshalb zum kleinen Glück zumindest einer kleinen Zahl wird beitragen können. Was nach der Lektüre bleibt, ist die eher beruhigende als beängstigende Einsicht, die ein großer Unglücklicher, ein ständig ums große Glück Betrogener, der frühere Boxer Graciano Rocchigiani, einst formuliert hatte: "Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, 'n bisschen Bumsen, 'n bisschen Anerkennung." Schneider sagt es nur eleganter.
TIMO FRASCH
Wolf Schneider: "Glück!". Eine etwas andere Gebrauchsanweisung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 303 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großem Spaß und einigem Behagen hat Rezensent Timo Frasch dieses Buch des Journalisten Wolf Schneider gelesen, der ihn mit einigen frappanten Gedanken überraschen konnte. Zum Beispiel, dass es das große Glück ohnehin nicht gibt, oder dass Glück auch gar nicht das Wichtigste ist. Michelangelo, stützt Frasch diese Behauptung, sei auch nicht glücklich gewesen, als er sechs Jahre lang auf dem Rücken liegen musste, um die Sixtinische Kapelle zu gestalten. Doch auch wenn der Rezensent den sehr belesenen Autor eigentlich schätzt, räumt er ein, dass Wolf in diesem Band vor allem den "effektvollen Aphorismus" pflegt, große Gedankengebäude stünden ihm fern. Die Fundamentalkritik an Menschheitsdenkern wie Platon, Marx, Hegel oder Thomas Morus will Frasch nicht gelten lassen. So spöttelt Frasch zum Schluss freundlich, dass Wolf im Grunde neu und elegant formuliere, was uns schon Boxweltmeister Graciano Rocchigiani mit auf den Weg gegeben hat, wie Frasch zitiert: "Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, 'n bisschen bumsen, n' bisschen Anerkennung."
© Perlentaucher Medien GmbH
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