Ein Ehepaar im Supermarkt, Robert und Odile. Ihr an sich lächerlicher Streit an der Käsetheke eskaliert, die Nerven liegen blank, weil es hier um viel mehr als um die Wahl des richtigen Käses geht. Odile, Mutter zweier Kinder, wird sich schon bald einen Liebhaber nehmen, der sie dann seinerseits betrügt. Yasmina Reza beschreibt Paare, Einzelgänger und Familien in unverschämt komischen Alltagsszenen. Inmitten von gesellschaftlichem Ansehen und beruflichen Erfolgen werden ihre Träume vom Alltag zerrieben. Doch aufgeben? Niemals! Mit scharfer Beobachtungsgabe und schmerzhaft treffenden Dialogen entzündet die Autorin ein Feuerwerk aus klugem Witz, Humor und tiefen Einsichten in unsere heutige Gesellschaft.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Yasmina Reza betreibt in ihrem neuen Roman "Glücklich die Glücklichen" wieder einmal ihr Lieblingsspiel, die Demaskierung der "existenziellen Mickrigkeit" der gehobenen Mittelschicht, am liebsten mithilfe tobender Ausbrüche, die den Lack der gewohnheitsmäßig Wohlerzogenen ankratzen, berichtet Ijoma Mangold. Wie viele andere Bücher Rezas hat dieses neue aber ein "Trivialitätsproblem", findet der Rezensent, die Erkenntnis, dass unser Inneres meistens hässlicher ist als unsere Fassade, ist noch kein Gewinn, und die Freude bei der Lektüre spontaner Entgleisungen ist wahrscheinlich bloß der wohlige Selbstgrusel der Lesenden, vermutet Mangold.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2014Die Signatur des Zusammenbruchs
Ehekrieg an der Käsetheke: Der neue Roman von Yasmina Reza erzählt vom Unglück der Glücklichen
Es gibt in "Glücklich die Glücklichen", dem neuen Buch von Yasmina Reza, eine Episode, die einem noch Tage, ja Wochen nach der Lektüre im Kopf herumgeht, so eindringlich ist sie geschrieben: Es geht darin um das Ehepaar Pascaline und Lionel Hutner und ihren Sohn Jacob. Als der noch ein Kind war, hörte er im Auto die Stimme von Céline Dion, die bei ihm einschlug wie ein Blitz. Die Eltern kauften ihm Dions Album, dann das nächste, immer mehr Poster kamen an die Wand, bis sie bald mit einem kleinen Fan zusammenlebten, wie es Tausende andere auf der Welt gibt. Nur dass Jacob Céline Dion nicht nur liebte, sondern mehr und mehr glaubte, Céline Dion zu sein. Er fing an, sich als sie zu verkleiden, indem er sich eine Haarmähne aus den Bändern der damaligen Kassetten bastelte. Er imitierte die Stimme der Sängerin, ihren Québecer Akzent. Er imitierte sie perfekt und hörte gar nicht mehr auf damit, bis die Eltern begriffen, mit Céline Dion im Körper von Jacob Hutner zusammenzuleben.
Mit neunzehn bringen sie ihn in eine Klinik, wogegen er sich nicht wehrt. Er hält die Psychiatrie für ein Aufnahmestudio und den zuständigen Arzt für den Toningenieur. Ihren Freunden sagen sie zunächst nichts, behaupten, Jacob sei für ein Praktikum im Ausland. Dann kommt der Yasmina-Reza-Moment: Bei einem Männerabend mit zweien seiner Freunde bricht es aus Lionel heraus, dass sein Sohn in der Geschlossenen ist. Anstatt Anteil zu nehmen, können sich die Freunde bei der Vorstellung von Jacob als Céline Dion aber nicht beherrschen. Sie finden es einfach zu lustig. Unkontrolliert prusten sie los, können nicht an sich halten, versuchen, ernste Gesichter zu machen: "Du weißt ja, dass wir uns nicht lustig machen." Und lachen weiter.
Yasmina Reza ist Expertin für solche plötzlich ausgesprochenen Wahrheiten, für unkontrollierte Ausbrüche, für Ausraster, die ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude mit einem Mal zum Einsturz bringen. Sie ist brillant darin, solche Momente der Wahrheit als komische zu beschreiben, ohne ihren tiefschwarzen Grund aus dem Blick zu verlieren. In den beiden Theaterstücken, für die sie weltberühmt wurde, "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels", ist das so. Und in "Glücklich die Glücklichen" ist es jetzt wieder so. Wieder geht es in fast provozierender Ausschließlichkeit um die feine Gesellschaft, das gehobene Bürgertum, kultivierte Besserverdiener, von denen die einen das Talent zum Glücklichsein besitzen und die anderen nicht. Es geht um eine Art Gesellschaftstanz auf brüchigem Parkett, bei dem die beteiligten Protagonisten beinahe darauf warten, wer vor den Augen aller als Nächstes einbrechen wird, um sich sodann hastig zu umarmen.
Als Form für diesen Tanz hat die 54-jährige Schriftstellerin, die selbst aus einer wohlhabenden Künstlerfamilie kommt und ihre Karriere als Schauspielerin begann, den Reigen gewählt. Ähnlich wie bei Arthur Schnitzler, in dessen Theaterstück "Reigen" eine Figur ihre Hand immer einer neuen Figur aus der nächsten Szene reicht, sind die Personen bei Reza als Freunde, Bekannte, Liebhaber, Eheleute, Patienten, Klienten untereinander verbunden. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit den Namen derer überschrieben, deren Perspektive sie einnehmen. Achtzehn Episoden werden auf diese Weise erzählt. Mit jeder neu erzählten Episode wächst das Bezugssystem, fügt sich das Personal wie ein Puzzle zusammen, so dass insgesamt das Porträt einer gesellschaftlichen Szene erscheint. Yasmina Reza kann das wie keine andere zeitgenössische Schriftstellerin in Frankreich. Sie sei "am Gipfel ihrer Kunst" angekommen, schrieb begeistert deshalb im vergangenen Jahr Jean Birnbaum in "Le Monde". Und trotzdem stört diesmal etwas. Trotzdem wirkt "Glücklich die Glücklichen" auf eine merkwürdige Weise unvollkommen.
"Roman" nennt Reza ihr Buch, wogegen nichts spricht: Ein in seiner Form unkonventionell erzählter Roman ist immer willkommen. Doch wird man bei der Lektüre den Eindruck nicht los, dass die Autorin sich zwischen Drama und Erzählung diesmal nicht entscheiden konnte oder, was genauso gut sein kann, nicht entscheiden wollte. Immer wieder gibt es Passagen, die sich wie aus einem Einakter lesen. Gleich in der ersten Szene, in der die Eheleute Robert und Odile Toscano an der Käsetheke eines Supermarkts einen bald außer Kontrolle geratenen Streit anzetteln, ist das so. Da ist Yasmina Reza ganz bei sich. Szenen wie diese sind für sie wie ein Heimspiel: "- Was für Käse hast du gekauft? - Einen kleinen Ziegenkäse und einen Morbier. - Was, keinen Schweizer, schreit sie auf. - Hab ich vergessen, und ich geh auch nicht noch mal hin, zu lange Schlange. - Du weißt genau, wenn du nur einen einzigen Käse kaufen müsstest, dann Schweizer, wer isst bei uns denn Morbier? Wer? - Ich, sag ich. - Seit wann isst du Morbier? Wer will schon Morbier essen? - Hör auf Odile, sag ich. - Wer mag denn diesen Scheiß-Morbier?! Subtext natürlich ,außer deiner Mutter'."
Man hat dieses Käsethekenehemassaker sofort vor Augen, würde es gerne auf der Bühne sehen, und wahrscheinlich lässt eine Theaterinszenierung auch nicht lange auf sich warten. Die erzählerische Mischform, die solche Dialoge in kommentierende Passagen und innere Monologe einbettet, führt allerdings dazu, dass das bezwingend Reduzierte, Pointierte, Ungeschwätzige von Rezas Theaterstücken an manchen Stellen verplappert ausfranst. Man findet in "Glücklich die Glücklichen" insgesamt einfach zu viel Psychologie und Beziehungstalk, während die Prosapassagen im Gegenzug merkwürdig unanalytisch bleiben.
In ihrem Buch "Frühmorgens, abends oder nachts", für das Yasmina Reza den damaligen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy ein Jahr lang im Wahlkampf begleitet hat, war das anders. Da erzählt die Autorin zu Beginn, wie sie bei einem Lunch mit einem Geschäftsmann ihr literarisches Projekt erläutert: "Ich sage: Ich versuche weder über die Macht zu schreiben noch über die Politik als Existenzform. Es interessiert mich, einen Mann zu betrachten, der gegen die Vergänglichkeit antreten will. Nicolas (ich nenne ihn beim Vornamen!) wirkt froh und dankbar, dass ich das so sage."
Doch sollte man sich von Yasmina Reza nicht in die Irre führen lassen. Denn natürlich geht es, das ist ja die Stärke ihres auch Jahre nach dem Wahlkampf immer noch beeindruckenden Buchs, um Machtanalyse und die Analyse von Politik als Existenzform. Es geht um einen im höchsten Tempo agierenden Politiker, der, ständig in Bewegung, eigentlich keine Zeit für Reflexion findet, die stattdessen dann aber das Buch liefert: "Es ist seltsam", heißt es, als es um den Willen zum höchsten Amt, dem Präsidentenamt, geht, "um jeden Preis, um den Preis der größten Entbehrungen, etwas zu wollen, das einen gar nicht mehr erregt, das man nicht mehr liebt. Wenn diese vitalen Zustände fehlen, bleibt nur das Wollen. Das Wollen als Restantrieb. Und zwar, dann doch, ein äußerst machtvoller."
In "Glücklich die Glücklichen" findet man solche Überlegungen nicht. Die Figuren haben einfach zu wenig Distanz zu sich selbst oder zu den anderen. Sie treten als Beobachter der Szene niemals wirklich zurück, sondern sind unablässig involviert, ins Beziehungsgefüge verstrickt. Das ist konsequent, macht den Beziehungsreigen aber irgendwann ermüdend und ein bisschen leer. Es werden Beziehungsklischees über Männer und Frauen vorgeführt: "Frauen nutzen alles, um dich runterzumachen, sie rufen dir liebend gern in Erinnerung, was für eine Enttäuschung du bist", findet Robert an der Käsetheke. Es werden Glücksvorstellungen demaskiert: "Ich dachte, der ist ja völlig am Ende. Dass ein Darius Ardashir Klinker und Makramee als Indizien des Glücks betrachtet, ist die Signatur des Zusammenbruchs", denkt Jean Ehrenfried, als sein Gesprächspartner ihm vom kleinen Glück in einem Haus mit Geranien vor den Fenstern vorschwärmt, das er an einer Eisenbahnlinie gesehen hat. Es werden in der Krebspraxis des Doktor Chemla Wahrheiten über das Leben ausgesprochen: "Nach einer Weile ist selbst das Leben ein idiotischer Wert." Aber das ist es dann auch schon.
Wer Yasmina Reza in ihren Dramen für ihre Pointiertheit bewundert und in ihren Prosatexten für ihre analytische Schärfe, den wird das neue Buch deshalb ein wenig enttäuschen. Lesen muss man es trotzdem. Vor allem wegen einzelner Bilder und Szenen. Wegen zweier prustender Freunde und eines neunzehnjährigen Jungen in der Drehtür einer Psychiatrie, der, mehrere Schals um den Hals gebunden, um seine Stimmbänder zu schützen, den ankommenden Gästen Autogramme gibt. Die Pfleger nennen ihn "Céline". Er sieht glücklich aus.
JULIA ENCKE
Yasmina Reza: "Glücklich die Glücklichen". Roman. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. C. Hanser, 176 Seiten, 17,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ehekrieg an der Käsetheke: Der neue Roman von Yasmina Reza erzählt vom Unglück der Glücklichen
Es gibt in "Glücklich die Glücklichen", dem neuen Buch von Yasmina Reza, eine Episode, die einem noch Tage, ja Wochen nach der Lektüre im Kopf herumgeht, so eindringlich ist sie geschrieben: Es geht darin um das Ehepaar Pascaline und Lionel Hutner und ihren Sohn Jacob. Als der noch ein Kind war, hörte er im Auto die Stimme von Céline Dion, die bei ihm einschlug wie ein Blitz. Die Eltern kauften ihm Dions Album, dann das nächste, immer mehr Poster kamen an die Wand, bis sie bald mit einem kleinen Fan zusammenlebten, wie es Tausende andere auf der Welt gibt. Nur dass Jacob Céline Dion nicht nur liebte, sondern mehr und mehr glaubte, Céline Dion zu sein. Er fing an, sich als sie zu verkleiden, indem er sich eine Haarmähne aus den Bändern der damaligen Kassetten bastelte. Er imitierte die Stimme der Sängerin, ihren Québecer Akzent. Er imitierte sie perfekt und hörte gar nicht mehr auf damit, bis die Eltern begriffen, mit Céline Dion im Körper von Jacob Hutner zusammenzuleben.
Mit neunzehn bringen sie ihn in eine Klinik, wogegen er sich nicht wehrt. Er hält die Psychiatrie für ein Aufnahmestudio und den zuständigen Arzt für den Toningenieur. Ihren Freunden sagen sie zunächst nichts, behaupten, Jacob sei für ein Praktikum im Ausland. Dann kommt der Yasmina-Reza-Moment: Bei einem Männerabend mit zweien seiner Freunde bricht es aus Lionel heraus, dass sein Sohn in der Geschlossenen ist. Anstatt Anteil zu nehmen, können sich die Freunde bei der Vorstellung von Jacob als Céline Dion aber nicht beherrschen. Sie finden es einfach zu lustig. Unkontrolliert prusten sie los, können nicht an sich halten, versuchen, ernste Gesichter zu machen: "Du weißt ja, dass wir uns nicht lustig machen." Und lachen weiter.
Yasmina Reza ist Expertin für solche plötzlich ausgesprochenen Wahrheiten, für unkontrollierte Ausbrüche, für Ausraster, die ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude mit einem Mal zum Einsturz bringen. Sie ist brillant darin, solche Momente der Wahrheit als komische zu beschreiben, ohne ihren tiefschwarzen Grund aus dem Blick zu verlieren. In den beiden Theaterstücken, für die sie weltberühmt wurde, "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels", ist das so. Und in "Glücklich die Glücklichen" ist es jetzt wieder so. Wieder geht es in fast provozierender Ausschließlichkeit um die feine Gesellschaft, das gehobene Bürgertum, kultivierte Besserverdiener, von denen die einen das Talent zum Glücklichsein besitzen und die anderen nicht. Es geht um eine Art Gesellschaftstanz auf brüchigem Parkett, bei dem die beteiligten Protagonisten beinahe darauf warten, wer vor den Augen aller als Nächstes einbrechen wird, um sich sodann hastig zu umarmen.
Als Form für diesen Tanz hat die 54-jährige Schriftstellerin, die selbst aus einer wohlhabenden Künstlerfamilie kommt und ihre Karriere als Schauspielerin begann, den Reigen gewählt. Ähnlich wie bei Arthur Schnitzler, in dessen Theaterstück "Reigen" eine Figur ihre Hand immer einer neuen Figur aus der nächsten Szene reicht, sind die Personen bei Reza als Freunde, Bekannte, Liebhaber, Eheleute, Patienten, Klienten untereinander verbunden. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit den Namen derer überschrieben, deren Perspektive sie einnehmen. Achtzehn Episoden werden auf diese Weise erzählt. Mit jeder neu erzählten Episode wächst das Bezugssystem, fügt sich das Personal wie ein Puzzle zusammen, so dass insgesamt das Porträt einer gesellschaftlichen Szene erscheint. Yasmina Reza kann das wie keine andere zeitgenössische Schriftstellerin in Frankreich. Sie sei "am Gipfel ihrer Kunst" angekommen, schrieb begeistert deshalb im vergangenen Jahr Jean Birnbaum in "Le Monde". Und trotzdem stört diesmal etwas. Trotzdem wirkt "Glücklich die Glücklichen" auf eine merkwürdige Weise unvollkommen.
"Roman" nennt Reza ihr Buch, wogegen nichts spricht: Ein in seiner Form unkonventionell erzählter Roman ist immer willkommen. Doch wird man bei der Lektüre den Eindruck nicht los, dass die Autorin sich zwischen Drama und Erzählung diesmal nicht entscheiden konnte oder, was genauso gut sein kann, nicht entscheiden wollte. Immer wieder gibt es Passagen, die sich wie aus einem Einakter lesen. Gleich in der ersten Szene, in der die Eheleute Robert und Odile Toscano an der Käsetheke eines Supermarkts einen bald außer Kontrolle geratenen Streit anzetteln, ist das so. Da ist Yasmina Reza ganz bei sich. Szenen wie diese sind für sie wie ein Heimspiel: "- Was für Käse hast du gekauft? - Einen kleinen Ziegenkäse und einen Morbier. - Was, keinen Schweizer, schreit sie auf. - Hab ich vergessen, und ich geh auch nicht noch mal hin, zu lange Schlange. - Du weißt genau, wenn du nur einen einzigen Käse kaufen müsstest, dann Schweizer, wer isst bei uns denn Morbier? Wer? - Ich, sag ich. - Seit wann isst du Morbier? Wer will schon Morbier essen? - Hör auf Odile, sag ich. - Wer mag denn diesen Scheiß-Morbier?! Subtext natürlich ,außer deiner Mutter'."
Man hat dieses Käsethekenehemassaker sofort vor Augen, würde es gerne auf der Bühne sehen, und wahrscheinlich lässt eine Theaterinszenierung auch nicht lange auf sich warten. Die erzählerische Mischform, die solche Dialoge in kommentierende Passagen und innere Monologe einbettet, führt allerdings dazu, dass das bezwingend Reduzierte, Pointierte, Ungeschwätzige von Rezas Theaterstücken an manchen Stellen verplappert ausfranst. Man findet in "Glücklich die Glücklichen" insgesamt einfach zu viel Psychologie und Beziehungstalk, während die Prosapassagen im Gegenzug merkwürdig unanalytisch bleiben.
In ihrem Buch "Frühmorgens, abends oder nachts", für das Yasmina Reza den damaligen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy ein Jahr lang im Wahlkampf begleitet hat, war das anders. Da erzählt die Autorin zu Beginn, wie sie bei einem Lunch mit einem Geschäftsmann ihr literarisches Projekt erläutert: "Ich sage: Ich versuche weder über die Macht zu schreiben noch über die Politik als Existenzform. Es interessiert mich, einen Mann zu betrachten, der gegen die Vergänglichkeit antreten will. Nicolas (ich nenne ihn beim Vornamen!) wirkt froh und dankbar, dass ich das so sage."
Doch sollte man sich von Yasmina Reza nicht in die Irre führen lassen. Denn natürlich geht es, das ist ja die Stärke ihres auch Jahre nach dem Wahlkampf immer noch beeindruckenden Buchs, um Machtanalyse und die Analyse von Politik als Existenzform. Es geht um einen im höchsten Tempo agierenden Politiker, der, ständig in Bewegung, eigentlich keine Zeit für Reflexion findet, die stattdessen dann aber das Buch liefert: "Es ist seltsam", heißt es, als es um den Willen zum höchsten Amt, dem Präsidentenamt, geht, "um jeden Preis, um den Preis der größten Entbehrungen, etwas zu wollen, das einen gar nicht mehr erregt, das man nicht mehr liebt. Wenn diese vitalen Zustände fehlen, bleibt nur das Wollen. Das Wollen als Restantrieb. Und zwar, dann doch, ein äußerst machtvoller."
In "Glücklich die Glücklichen" findet man solche Überlegungen nicht. Die Figuren haben einfach zu wenig Distanz zu sich selbst oder zu den anderen. Sie treten als Beobachter der Szene niemals wirklich zurück, sondern sind unablässig involviert, ins Beziehungsgefüge verstrickt. Das ist konsequent, macht den Beziehungsreigen aber irgendwann ermüdend und ein bisschen leer. Es werden Beziehungsklischees über Männer und Frauen vorgeführt: "Frauen nutzen alles, um dich runterzumachen, sie rufen dir liebend gern in Erinnerung, was für eine Enttäuschung du bist", findet Robert an der Käsetheke. Es werden Glücksvorstellungen demaskiert: "Ich dachte, der ist ja völlig am Ende. Dass ein Darius Ardashir Klinker und Makramee als Indizien des Glücks betrachtet, ist die Signatur des Zusammenbruchs", denkt Jean Ehrenfried, als sein Gesprächspartner ihm vom kleinen Glück in einem Haus mit Geranien vor den Fenstern vorschwärmt, das er an einer Eisenbahnlinie gesehen hat. Es werden in der Krebspraxis des Doktor Chemla Wahrheiten über das Leben ausgesprochen: "Nach einer Weile ist selbst das Leben ein idiotischer Wert." Aber das ist es dann auch schon.
Wer Yasmina Reza in ihren Dramen für ihre Pointiertheit bewundert und in ihren Prosatexten für ihre analytische Schärfe, den wird das neue Buch deshalb ein wenig enttäuschen. Lesen muss man es trotzdem. Vor allem wegen einzelner Bilder und Szenen. Wegen zweier prustender Freunde und eines neunzehnjährigen Jungen in der Drehtür einer Psychiatrie, der, mehrere Schals um den Hals gebunden, um seine Stimmbänder zu schützen, den ankommenden Gästen Autogramme gibt. Die Pfleger nennen ihn "Céline". Er sieht glücklich aus.
JULIA ENCKE
Yasmina Reza: "Glücklich die Glücklichen". Roman. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. C. Hanser, 176 Seiten, 17,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Yasmina Reza erzählt mit Witz und Hintersinn von der ständig bedrohten Harmonie in menschlichen Paarbeziehungen." Romain Leick, Der Spiegel, 27.01.14
"Elegant werden im Roman die großen Lebensfragen durcheinandergeschlagen, bis alle Lebensweisheiten geplatzt sind." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 06.02.14
"Er kauft immer den falschen Käse. Sie weigert sich, nachts das Licht auszumachen. Yasmina Reza hat in ihrem neuen Roman 'Glücklich die Glücklichen' die Kunst der Eskalation perfektioniert." Maren Keller, Spiegel Online, 05.02.14
"Das Glück ist da, wo man es am Wenigsten erwartet. Das ist das eigentlich Charmante an diesem Buch. Und das was beim Lesen glücklich macht." Maren Keller, Spiegel Online, 05.02.14
"Yasmina Reza weiß die Reibereien zwischen Frauen und Männern, Eltern und Kindern, unter Kollegen und Freunden im gehobenen Milieu der Journalisten und Ärzte, Künstler und Ingenieure in allen Registern von Komik und Bitterkeit brillant durchzuspielen." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 06.02.14
"Yasmina Reza ist Expertin für plötzlich ausgesprochene Wahrheiten, für unkontrollierte Ausbrüche, für Ausraster, die ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude mit einem Mal zum Einsturz bringen kann. Sie ist brillant darin, solche Momente der Wahrheit als komische zu beschreiben, ohne ihren tiefschwarzen Grund aus dem Blick zu verlieren." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.02.14
"Niemand schreibt so radikal wie sie über den Selbstbetrug moderner Paare - und niemand so komisch." Ariane Heimbach, Brigitte, 2014
"Yasmina Rezas Roman 'Glücklich die Glücklichen' ist eine menschliche Komödie im Miniaturformat." Martin Halter, Tages-Anzeiger, 12.02.14
"Spätestens dieser Roman macht klar, mit welchem Raffinement sie an ihren Szenen arbeitet und wie trefflich es ihr gelingt, vom Schweren auf eingängige Weise zu erzählen." Rainer Moritz, Die Presse, 22.02.14
"Elegant werden im Roman die großen Lebensfragen durcheinandergeschlagen, bis alle Lebensweisheiten geplatzt sind." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 06.02.14
"Er kauft immer den falschen Käse. Sie weigert sich, nachts das Licht auszumachen. Yasmina Reza hat in ihrem neuen Roman 'Glücklich die Glücklichen' die Kunst der Eskalation perfektioniert." Maren Keller, Spiegel Online, 05.02.14
"Das Glück ist da, wo man es am Wenigsten erwartet. Das ist das eigentlich Charmante an diesem Buch. Und das was beim Lesen glücklich macht." Maren Keller, Spiegel Online, 05.02.14
"Yasmina Reza weiß die Reibereien zwischen Frauen und Männern, Eltern und Kindern, unter Kollegen und Freunden im gehobenen Milieu der Journalisten und Ärzte, Künstler und Ingenieure in allen Registern von Komik und Bitterkeit brillant durchzuspielen." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 06.02.14
"Yasmina Reza ist Expertin für plötzlich ausgesprochene Wahrheiten, für unkontrollierte Ausbrüche, für Ausraster, die ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude mit einem Mal zum Einsturz bringen kann. Sie ist brillant darin, solche Momente der Wahrheit als komische zu beschreiben, ohne ihren tiefschwarzen Grund aus dem Blick zu verlieren." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.02.14
"Niemand schreibt so radikal wie sie über den Selbstbetrug moderner Paare - und niemand so komisch." Ariane Heimbach, Brigitte, 2014
"Yasmina Rezas Roman 'Glücklich die Glücklichen' ist eine menschliche Komödie im Miniaturformat." Martin Halter, Tages-Anzeiger, 12.02.14
"Spätestens dieser Roman macht klar, mit welchem Raffinement sie an ihren Szenen arbeitet und wie trefflich es ihr gelingt, vom Schweren auf eingängige Weise zu erzählen." Rainer Moritz, Die Presse, 22.02.14