"Gerade weil ich an ein ewiges Leben glaube, darf ich, wenn es an der Zeit ist, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art meines Sterbens entscheiden." Mit diesen Worten stellt Hans Küng die traditionelle Auffassung in Frage, nach der gilt: aushalten, bis zum Schluss, denn allein Gott bestimmt das Lebensende. Seitdem Hans Küng als junger Priester das qualvolle Sterben seines Bruders mit ansehen musste, seit er Zeuge des Dahindämmerns seines Freundes Walter Jens wurde, ist in ihm die Überzeugung gewachsen, dass niemand zu einer solchen Existenz gezwungen sein muss.
So verbindet Hans Küng frühere Texte über das Sterben mit seinen Glaubensüberzeugungen und theologischen Einsichten, die er eindrücklich im Gespräch mit Anne Will offenlegte, zu einer klaren Position: "Glücklich sterben" im Sinne von Hans Küng hat nichts mit "Selbstmord" zu tun, sondern meint ein menschenwürdiges Ende des Lebens.
So verbindet Hans Küng frühere Texte über das Sterben mit seinen Glaubensüberzeugungen und theologischen Einsichten, die er eindrücklich im Gespräch mit Anne Will offenlegte, zu einer klaren Position: "Glücklich sterben" im Sinne von Hans Küng hat nichts mit "Selbstmord" zu tun, sondern meint ein menschenwürdiges Ende des Lebens.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Für Bernhard Lang leibt und lebt der streitbare Theologe Hans Küng in diesem Büchlein nach wie vor. Die von Küngs Autobiografie und seinem darin geäußerten Bekenntnis zum selbstbestimmten Tod angestoßene Debatte findet laut Lang im Gespräch mit Anne Will und den beigefügten Kapiteln eine würdige Fortsetzung, Klärung und Vertiefung. Wiederum zeigt sich Küng als Gegner des theologischen Menschenbildes in der Folge Christi. Stattdessen, so erklärt Lang, propagiert der Autor die Gottebenbildlichkeit des Menschen und steht der Leidenstheologie nach wie vor reserviert gegenüber. Lang erkennt Vorbilder in Giovanni Pico della Mirandola und Karl Barth. Küngs Beharren auf der Freiheit zur Selbstbestimmung als ein Gottesgeschenk scheint dem Rezensenten zuzusagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2014Vom glücklichen Sterben
Das Leben gilt gemeinhin als ein Geschenk, sei es von Gott gegeben, sei es von den Eltern. Aber wer sagt, dass man ein
Geschenk nicht zurückgeben dürfe? In einer passionierten Streitschrift plädiert der Theologe Hans Küng für die aktive Sterbehilfe
VON MATTHIAS DROBINSKI
Hans Küng leidet an Parkinson. Er will seinem Leben ein Ende setzen, wenn er die ersten Anzeichen spürt, dass der Verstand so nachlässt, dass er nicht mehr derselbe ist. Hans Küng ist Mitglied des Schweizer Sterbehilfe-Vereins „Exit“. Dass er für aktive Sterbehilfe ist, hat der katholische Theologe bereits 1994 geschrieben, als er gemeinsam mit seinem Nachbarn in Tübingen, dem Rhetorik-Professor Walter Jens, ein Büchlein mit dem Titel „menschenwürdig sterben“ verfasste. Dass er auch in die Tat umsetzen will, was er damals schrieb, hat er vergangenes Jahr öffentlich gemacht, im dritten Band seiner Autobiografie. Ausgerechnet Küng, der trotz allem Ärger mit diversen Päpsten immer Wert darauf legte, katholisch zu sein!
Für manche, die ihn verehren, war das ein Schlag. Für jene, die für die Freigabe des assistierten Suizids und des organisierten Tötens auf Verlangen eintreten, ist er seitdem ein Kronzeuge: Seht her, es gibt auch prominente Christen, die unserer Meinung sind.
An seinem 85. Geburtstag hat Hans Küng erklärt, er wolle sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Eineinhalb Jahre und ein halbes Dutzend prominente Auftritte später hat er nun ein Büchlein veröffentlicht, in dem er seine Position zur Sterbehilfe erklärt; „Glücklich sterben?“ heißt es. Das Thema ist ihm zu wichtig, als dass er sich dafür ans selbst gewählte Schweigen halten würde. Das Buch enthält ein längeres Interview, das die Fernsehmoderatorin Anne Will im November 2013 mit ihm geführt hat. Es enthält viele Zitate aus früheren Büchern. Und manchmal spricht aus ihm die Haltung eines Menschen, der im Lauf seines Lebens sehr viel geschrieben hat: Hab’ ich es euch nicht gleich gesagt? Und doch lohnt sich die Lektüre. Man kann noch einmal Hans Küngs scharfem, kämpferischem Geist begegnen. Und wer die Sache mit der Sterbehilfe anders sieht, kann die eigenen Argumente prüfen, schärfen – und auch ihre Grenzen erkennen.
Vor allem zwei Erlebnisse, so erzählt Küng, hätten seine Haltung zur Sterbehilfe beeinflusst: der Tod seines Bruders Georg und der seines Freundes Walter Jens. Georg Küng starb 1955 mit 23 Jahren an einem Hirntumor. Seit der Diagnose war der Tod klar; Monat um Monat verfiel der sportliche junge Mann, ein Organ ums andere versagte, am Ende erstickte er am steigenden Wasser in der Lunge. War diese Qual gottgefällig, gottgewollt? Hans Küng beschloss, dass er so auf keinen Fall sterben wolle.
50 Jahre später: Bei Walter Jens zeigt sich eine rasch fortschreitende Demenz – einer der großen Intellektuellen des Landes ist bald nicht mehr Herr seines Willens. Der Zeitpunkt des Absprungs ist verpasst. Den folgenden Tod beschreibt Küng als elend und würdelos. Den richtigen Zeitpunkt: Er möchte ihn nicht verpassen. „Es gehört für mich zur Lebenskunst und zu meinem Glauben an das ewige Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern“, schreibt er, „wenn es an der Zeit ist, darf ich, falls ich es noch kann, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art des Sterbens entscheiden.“
Küng möchte als Theologe und mit der Theologie argumentieren; es geht ihm um die Kunst des „glücklichen Sterbens“ im Glauben, dass der Tod nicht das Ende ist. Und zu diesem glücklichen Sterben gehört für ihn auch, Zeitpunkt und Art des Endes selber wählen zu können. Nicht immer hätten die Christen schlecht über den Freitod geredet, argumentiert er; während der Christenverfolgung habe es als heroischer Akt gegolten, sich umzubringen, um nicht unter der Folter andere zu verraten. Erst Augustinus habe den Suizid als Mord am eigenen Leben angesehen und das Leben als Geschenk, das man nicht so einfach zerstören dürfe. Aber warum, hält Küng entgegen, soll man ein Geschenk nicht zurückgeben dürfen, das einem zur Qual geworden ist? Und warum soll man, wenn man den Suizid nicht für den direkten Weg in die Hölle hält, nicht auch als Christ für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe sein können?
„Aus der Würde des Menschen folgt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen“, sagt Küng, „auch für die letzte Etappe, das Sterben. Auf das Recht zum Leben folgt ja keinesfalls die Pflicht zum Leben, zum Weiterleben in jedem Fall. (...) Sterbehilfe ist zu verstehen als ultimative Lebenshilfe. Auch hier sollte keine Heteronomie herrschen, sondern die Autonomie, die für gläubige Menschen in Theonomie gründet.“
Das seien seine eigenen, höchstpersönlichen Gedanken, betont Hans Küng immer wieder. Er wolle niemanden überreden, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen oder gar Suizid zu begehen. Er sagt Ja zur Hospizbewegung und zur Palliativmedizin: Wo den Menschen geholfen werden kann, soll ihnen geholfen werden. Wo das aber nicht mehr geht, sollen sie ihrem Leben ein möglichst gutes Ende setzen können.
Bei der Frage, wie das rechtlich geregelt werden könnte, wie es also allgemeine Regeln für die vielen individuellen Lebensenden geben sollte, wird Hans Küng dann entgegen seiner Ankündigung natürlich doch politisch. Er plädiert für eine sehr weitgehende Liberalisierung auch der kommerziellen Sterbehilfe; er macht sich, kurz gesagt, die Position der Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz zu eigen. Warum sollen die Sterbehelfer kein Geld nehmen, wenn doch auch die Pfarrer sich Beerdigungen bezahlen lassen? Und warum sollen sich die Menschen nicht den Tod abholen können, die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden und trotzdem nicht mehr weiterleben wollen?
Abgesehen davon, dass es zwischen den Spenden für eine Beerdigung und den
900 Schweizer Franken Lebensmitgliedschaft bei Exit schon einen Unterschied gibt: So präzise Küng die Grenzen vieler allzu selbstsicherer kirchlicher Argumente aufzeigt, so unkritisch ist er in der politischen Debatte. Im Grunde betreibt er hier eine „Why not?“-Argumentation, die immer „Warum nicht?“ fragt – aber die Gründe ausspart, die dagegenstehen könnten.
Warum kommen zunehmend alte Menschen aus Holland über die Grenze nach Deutschland, um sich dort behandeln zu lassen? Weil sie nicht als sterbenswert eingestuft werden wollen. Die kritischen Gegenargumente werden ausgespart – man hätte sie sich zumindest erörtert gewünscht. Gruselig wird es, wo Küng die hohen Pflegekosten anführt, die ja auch zum Sterbenswillen führen könnten. Küng merkt das selber: „Manche Leser mögen den Eindruck gewinnen, hier werde nun in kalter und seelenloser Weise von den Motiven zu Suizid und seinen konkreten Möglichkeiten gesprochen“, schreibt er. „Das ist nicht der Fall.“ Der Leser liest’s und denkt sich: doch.
So bleibt ein durchaus beeindruckendes Bekenntnis des Individualisten Hans Küng, dem die Selbstbestimmung im Leben seit jeher sehr wichtig gewesen ist. Die ehrlich formulierte Angst, die Kontrolle übers Leben zu verlieren, der Schrecken vor der Hilflosigkeit, vor dem Verlust des Eigenen: Sie ziehen sich durch das Buch.
Wer von sich sagen kann, ihm werde das nicht passieren, darf das kritisieren und als menschliche Schwäche brandmarken. Alle anderen sollten es zumindest zur Kenntnis nehmen – und sich damit trösten, dass sich noch ein anderer Gedanke durch das Buch zieht: Vielleicht würde sich der Autor nach einem Suizid doch zu sehr selber fehlen. Im Nachwort scheibt Hans Küng, dass er, als er das Buch schon fertig hatte, eine schwere gesundheitliche Krise durchlitten habe: „Buchstäblich über Nacht“ schien ihm die Kontrolle über sein Leben „aus den Händen zu gleiten“, das Buch obsolet und der Tod zur Option zu werden. Der Zustand hat sich gebessert. Man darf hoffen und wünschen, dass dies so lange wie möglich so bleiben möge.
Hans Küng: Glücklich sterben? Piper-Verlag, 2014. 160 Seiten, 16,99 Euro
Nicht immer, argumentiert Küng,
hätten die Christen
schlecht über den Freitod geredet
Küng empfiehlt auch eine
weitgehende Liberalisierung
der kommerziellen Sterbehilfe
„Es gehört für mich (...) zu meinem Glauben an das ewige Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern“: Hans Küng
Zeichnung: Schopf
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Das Leben gilt gemeinhin als ein Geschenk, sei es von Gott gegeben, sei es von den Eltern. Aber wer sagt, dass man ein
Geschenk nicht zurückgeben dürfe? In einer passionierten Streitschrift plädiert der Theologe Hans Küng für die aktive Sterbehilfe
VON MATTHIAS DROBINSKI
Hans Küng leidet an Parkinson. Er will seinem Leben ein Ende setzen, wenn er die ersten Anzeichen spürt, dass der Verstand so nachlässt, dass er nicht mehr derselbe ist. Hans Küng ist Mitglied des Schweizer Sterbehilfe-Vereins „Exit“. Dass er für aktive Sterbehilfe ist, hat der katholische Theologe bereits 1994 geschrieben, als er gemeinsam mit seinem Nachbarn in Tübingen, dem Rhetorik-Professor Walter Jens, ein Büchlein mit dem Titel „menschenwürdig sterben“ verfasste. Dass er auch in die Tat umsetzen will, was er damals schrieb, hat er vergangenes Jahr öffentlich gemacht, im dritten Band seiner Autobiografie. Ausgerechnet Küng, der trotz allem Ärger mit diversen Päpsten immer Wert darauf legte, katholisch zu sein!
Für manche, die ihn verehren, war das ein Schlag. Für jene, die für die Freigabe des assistierten Suizids und des organisierten Tötens auf Verlangen eintreten, ist er seitdem ein Kronzeuge: Seht her, es gibt auch prominente Christen, die unserer Meinung sind.
An seinem 85. Geburtstag hat Hans Küng erklärt, er wolle sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Eineinhalb Jahre und ein halbes Dutzend prominente Auftritte später hat er nun ein Büchlein veröffentlicht, in dem er seine Position zur Sterbehilfe erklärt; „Glücklich sterben?“ heißt es. Das Thema ist ihm zu wichtig, als dass er sich dafür ans selbst gewählte Schweigen halten würde. Das Buch enthält ein längeres Interview, das die Fernsehmoderatorin Anne Will im November 2013 mit ihm geführt hat. Es enthält viele Zitate aus früheren Büchern. Und manchmal spricht aus ihm die Haltung eines Menschen, der im Lauf seines Lebens sehr viel geschrieben hat: Hab’ ich es euch nicht gleich gesagt? Und doch lohnt sich die Lektüre. Man kann noch einmal Hans Küngs scharfem, kämpferischem Geist begegnen. Und wer die Sache mit der Sterbehilfe anders sieht, kann die eigenen Argumente prüfen, schärfen – und auch ihre Grenzen erkennen.
Vor allem zwei Erlebnisse, so erzählt Küng, hätten seine Haltung zur Sterbehilfe beeinflusst: der Tod seines Bruders Georg und der seines Freundes Walter Jens. Georg Küng starb 1955 mit 23 Jahren an einem Hirntumor. Seit der Diagnose war der Tod klar; Monat um Monat verfiel der sportliche junge Mann, ein Organ ums andere versagte, am Ende erstickte er am steigenden Wasser in der Lunge. War diese Qual gottgefällig, gottgewollt? Hans Küng beschloss, dass er so auf keinen Fall sterben wolle.
50 Jahre später: Bei Walter Jens zeigt sich eine rasch fortschreitende Demenz – einer der großen Intellektuellen des Landes ist bald nicht mehr Herr seines Willens. Der Zeitpunkt des Absprungs ist verpasst. Den folgenden Tod beschreibt Küng als elend und würdelos. Den richtigen Zeitpunkt: Er möchte ihn nicht verpassen. „Es gehört für mich zur Lebenskunst und zu meinem Glauben an das ewige Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern“, schreibt er, „wenn es an der Zeit ist, darf ich, falls ich es noch kann, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art des Sterbens entscheiden.“
Küng möchte als Theologe und mit der Theologie argumentieren; es geht ihm um die Kunst des „glücklichen Sterbens“ im Glauben, dass der Tod nicht das Ende ist. Und zu diesem glücklichen Sterben gehört für ihn auch, Zeitpunkt und Art des Endes selber wählen zu können. Nicht immer hätten die Christen schlecht über den Freitod geredet, argumentiert er; während der Christenverfolgung habe es als heroischer Akt gegolten, sich umzubringen, um nicht unter der Folter andere zu verraten. Erst Augustinus habe den Suizid als Mord am eigenen Leben angesehen und das Leben als Geschenk, das man nicht so einfach zerstören dürfe. Aber warum, hält Küng entgegen, soll man ein Geschenk nicht zurückgeben dürfen, das einem zur Qual geworden ist? Und warum soll man, wenn man den Suizid nicht für den direkten Weg in die Hölle hält, nicht auch als Christ für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe sein können?
„Aus der Würde des Menschen folgt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen“, sagt Küng, „auch für die letzte Etappe, das Sterben. Auf das Recht zum Leben folgt ja keinesfalls die Pflicht zum Leben, zum Weiterleben in jedem Fall. (...) Sterbehilfe ist zu verstehen als ultimative Lebenshilfe. Auch hier sollte keine Heteronomie herrschen, sondern die Autonomie, die für gläubige Menschen in Theonomie gründet.“
Das seien seine eigenen, höchstpersönlichen Gedanken, betont Hans Küng immer wieder. Er wolle niemanden überreden, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen oder gar Suizid zu begehen. Er sagt Ja zur Hospizbewegung und zur Palliativmedizin: Wo den Menschen geholfen werden kann, soll ihnen geholfen werden. Wo das aber nicht mehr geht, sollen sie ihrem Leben ein möglichst gutes Ende setzen können.
Bei der Frage, wie das rechtlich geregelt werden könnte, wie es also allgemeine Regeln für die vielen individuellen Lebensenden geben sollte, wird Hans Küng dann entgegen seiner Ankündigung natürlich doch politisch. Er plädiert für eine sehr weitgehende Liberalisierung auch der kommerziellen Sterbehilfe; er macht sich, kurz gesagt, die Position der Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz zu eigen. Warum sollen die Sterbehelfer kein Geld nehmen, wenn doch auch die Pfarrer sich Beerdigungen bezahlen lassen? Und warum sollen sich die Menschen nicht den Tod abholen können, die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden und trotzdem nicht mehr weiterleben wollen?
Abgesehen davon, dass es zwischen den Spenden für eine Beerdigung und den
900 Schweizer Franken Lebensmitgliedschaft bei Exit schon einen Unterschied gibt: So präzise Küng die Grenzen vieler allzu selbstsicherer kirchlicher Argumente aufzeigt, so unkritisch ist er in der politischen Debatte. Im Grunde betreibt er hier eine „Why not?“-Argumentation, die immer „Warum nicht?“ fragt – aber die Gründe ausspart, die dagegenstehen könnten.
Warum kommen zunehmend alte Menschen aus Holland über die Grenze nach Deutschland, um sich dort behandeln zu lassen? Weil sie nicht als sterbenswert eingestuft werden wollen. Die kritischen Gegenargumente werden ausgespart – man hätte sie sich zumindest erörtert gewünscht. Gruselig wird es, wo Küng die hohen Pflegekosten anführt, die ja auch zum Sterbenswillen führen könnten. Küng merkt das selber: „Manche Leser mögen den Eindruck gewinnen, hier werde nun in kalter und seelenloser Weise von den Motiven zu Suizid und seinen konkreten Möglichkeiten gesprochen“, schreibt er. „Das ist nicht der Fall.“ Der Leser liest’s und denkt sich: doch.
So bleibt ein durchaus beeindruckendes Bekenntnis des Individualisten Hans Küng, dem die Selbstbestimmung im Leben seit jeher sehr wichtig gewesen ist. Die ehrlich formulierte Angst, die Kontrolle übers Leben zu verlieren, der Schrecken vor der Hilflosigkeit, vor dem Verlust des Eigenen: Sie ziehen sich durch das Buch.
Wer von sich sagen kann, ihm werde das nicht passieren, darf das kritisieren und als menschliche Schwäche brandmarken. Alle anderen sollten es zumindest zur Kenntnis nehmen – und sich damit trösten, dass sich noch ein anderer Gedanke durch das Buch zieht: Vielleicht würde sich der Autor nach einem Suizid doch zu sehr selber fehlen. Im Nachwort scheibt Hans Küng, dass er, als er das Buch schon fertig hatte, eine schwere gesundheitliche Krise durchlitten habe: „Buchstäblich über Nacht“ schien ihm die Kontrolle über sein Leben „aus den Händen zu gleiten“, das Buch obsolet und der Tod zur Option zu werden. Der Zustand hat sich gebessert. Man darf hoffen und wünschen, dass dies so lange wie möglich so bleiben möge.
Hans Küng: Glücklich sterben? Piper-Verlag, 2014. 160 Seiten, 16,99 Euro
Nicht immer, argumentiert Küng,
hätten die Christen
schlecht über den Freitod geredet
Küng empfiehlt auch eine
weitgehende Liberalisierung
der kommerziellen Sterbehilfe
„Es gehört für mich (...) zu meinem Glauben an das ewige Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern“: Hans Küng
Zeichnung: Schopf
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"Ein Buch voller Leidenschaft und Reibungsfläche, gerade auch für Christen.", Hersfelder Zeitung, 19.11.2014