Nach fünf Jahren als Mitglied des Europäischen Parlaments wagt Reinhold Messner, inzwischen 60 Jahre alt, noch einmal ein großes Abenteuer - "einen letzten Grenzgang zwischen Leben und Tod". Er will, einem alten Traum folgend, die Längsdurchquerung der Wüste Gobi versuchen, auf seine Weise - allein, völlig auf sich gestellt und ohne jede logistische Unterstützung.
Im Mai 2004 bricht er von Bayant-Ukhaa in der Ostgobi auf, mit einem Rucksack, einem speziellen Wassercontainer und einer GPS-Uhr. Von Jurte zu Jurte, unterstützt nur von Hirtennomaden, schlägt er sich nach Westen durch, die Ost- und Südgobi durchmessend, dann eine sich 300 km hinziehende leere Steinscherbenwüste. Er durchwandert die Westgobi und kehrt nach Überquerung des Altai-Gebirges schließlich nach Ulan Baator zurück.
Messner, der seinen strapaziösen Marsch auch als Versuch begreift, mit dem Altern zurechtzukommen, kehrt mit Erfahrungen und Einsichten heim, die jeden von uns angehen.
Im Mai 2004 bricht er von Bayant-Ukhaa in der Ostgobi auf, mit einem Rucksack, einem speziellen Wassercontainer und einer GPS-Uhr. Von Jurte zu Jurte, unterstützt nur von Hirtennomaden, schlägt er sich nach Westen durch, die Ost- und Südgobi durchmessend, dann eine sich 300 km hinziehende leere Steinscherbenwüste. Er durchwandert die Westgobi und kehrt nach Überquerung des Altai-Gebirges schließlich nach Ulan Baator zurück.
Messner, der seinen strapaziösen Marsch auch als Versuch begreift, mit dem Altern zurechtzukommen, kehrt mit Erfahrungen und Einsichten heim, die jeden von uns angehen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2005Schmerzen sind nicht so schlimm
Zweitausend Kilometer zerbröseltes Gebirge, fünfzig Kilo auf dem Rücken: Auf seinem letzten Trip geht Reinhold Messner durch die Wüste
Der Bergsteiger Reinhold Messner nennt es seinen „letzten Trip”: eine Reise durch die Wüste. In seinem neuen Buch beschreibt er zwei Unternehmungen. Erstens eine Vorbereitungsreise mit seinem dreizehnjährigen Sohn durch ein Stück Sahara. Die beiden schließen sich für vierhundert Kilometer in zehn Tagen von Abre du Ténéré nach Bilma einer Salzkarawane an. Dem liebevoll beobachtenden Blick des Vaters zu folgen, ist eine sehr erfreuliche, manchmal rührende Lektüre.
Den viel größeren Teil des Buches nimmt der Bericht von der Durchquerung der Wüste Gobi ein. Reinhold Messner trägt über mehr als zweitausend Kilometer einen fünfzig Kilo schweren Rucksack, der vor allem Wasser enthält; und ein Navigator in der Armbanduhr hilft ihm, nicht zu versanden.
Messner ist vor allem als der Mann bekannt, der als Erster alle vierzehn Achttausender erklommen hat, der als Erster ohne Sauerstoffgerät auf dem Mount Everest war. Was will dieser Bergsteiger in der Wüste? 1999 wurde er für die italienischen Grünen ins Europäische Parlament gewählt, fünf Jahre später sehnt er sich hinaus aus den klimatisierten Räumen in Straßburg, fühlt sich schwer, müde, träge, alt. Und erinnert sich an einen Wunsch, den er seit Jahrzehnten hegt: die Wüste zu entdecken.
Steht das Wesen einer Wüste dem eines Berges nicht fern? Nein, Messner sieht in der Wüste die „Gebirge, die in Jahrmillionen zu Steinscherben und Sand zerbröselt sind. In ihrer stofflichen Substanz ist die Wüste ein zerfallendes Gebirge und erhaben wie dieses.”
In Ulaan-Uul, vierhundert Kilometer südlich von Ulan-Bator, unweit der chinesischen Grenze, macht sich im Mai 2004 der Mann auf den Weg durch die Brösel der Gobi, um fünf Wochen später nach der Überquerung des noch aufragenden Altai-Gebirges wieder in einer Stadt anzukommen.
Dämmerung zu Dämmerung
Was bringt Messner uns mit? Es muss auf einer solchen Wanderung zu Wiederholungen von Gedanken kommen, denn an vielen Tagen trifft der Wanderer eben keine Nomaden in Jurten, wo er übernachten und die Vorräte auffüllen kann, sondern setzt Schritt für Schritt durch Sand und Steinscherben, von Dämmerung zu Dämmerung.
Um vier Themen kreist dieses Buch: die Beschreibung der Wüste und des Lebens der Nomaden; die Reaktionen eines sechzig Jahre alten Körpers auf die Strapazen; die Erinnerungen an frühere Reisen, an die Kindheit und an die Familie daheim; und schließlich den Versuch, sich selbst in der Welt zu erkennen und zu verstehen.
Messner hat sich in eine Landschaft begeben, deren Bewohner jeden Tag um ihr Überleben kämpfen müssen. Sie sind zum Leben in kleinen Familienverbänden gezwungen und ziehen mit ihren Jurten dorthin, wo ihre Tiere Futter finden. Jedes Jahr gibt es weniger Futter für mehr Tiere, und so ist das Ende des Nomadentums in der Mongolei absehbar. Zudem bricht die Moderne in diese Welt ein. In den Jurten stehen Fernseher, die über Satellitenschüsseln den quietschbunten Radau der westlichen Welt heranholen. In den wenigen und winzigen Siedlungen kann man die Obdachlosen sehen, die sich von ihren Familien gelöst haben und nun dem Alkohol verfallen. Messner grübelt über seinen eigenen Platz nach, erinnert sich an die Umtriebigkeit, die ihn in seiner Jugend von zu Hause wegführte. „Vielleicht ist es besser”, denkt er, „man bleibt an einem ungeliebten Ort, als am Ende keinen Platz zum Bleiben zu haben.”
Noch aber gibt es die Nomaden und ihre Gastfreundlichkeit. Der Wanderer kann sich nur durch Gebärden und Gesten verständlich machen, und überall wird er mit derselben Fürsorge aufgenommen. Ohne diese Fürsorge hätte er die Gobi nicht durchqueren können. Gegen Ende der Reise pocht sein Körper auf Erholung. Wie schon in anderen Büchern von Messner erfahren wir, wo er sich in früheren Jahren welche Knochen gebrochen hat und welche Glieder er ganz dem Frost opfern musste.
Dem Nichts entfliehen
Nichts ist dem Autor wichtiger als sein Körper, denn er hat keine Hilfsmittel zur Fortbewegung. Er kriecht, wenn seine Beine ihn nicht tragen. Dieses Journal wäre ohne die blutende Nase und die Sterne vor den Augen nicht wahrhaftig. Am Ende wird Messner zugestehen, dass ihn diese Reise kaum weiser, zwar auch nicht müde gemacht habe; sie habe ihn alt aussehen lassen.
Der Trip ins Alter wird derjenige sein, der dem Sechzigjährigen nun bevorsteht. Die Vorbereitungen dazu könnten kaum besser getroffen sein, abgesehen von dem Kitzel, der Messner bislang antreibt: Den Reiz, der ihn immer wieder an seine Grenzen führte, schildert er im Wiederkommen, das einer Wiedergeburt ähnelt, und in dem Glück, überlebt zu haben. Die Reise ans Ende seiner Tage dagegen muss der Mensch auch unfreiwillig antreten.
Liest man dieses Buch, so möchte man nur ganz wenige der Erfahrungen teilen, also nicht unbedingt die Schmerzen und die Eiterbeule in der Nase und die Ernährung durch gekochtes Schafsfett. Aber man muss dankbar sein, dass es Menschen wie Messner gibt, die einem diese Frage beantworten: Kann ein Mensch durch eine ganze Wüste gehen? Man müsste es sonst selbst ausprobieren und würde wohl jämmerlich scheitern.
Messners Expeditionen haben etwas von der Arbeit eines Künstlers. Sein flüchtiges Werk besteht in der Bewegung des Mannes. Die Motivation ist der mancher Künstler nicht unähnlich, die beispielsweise lieber hungern, als nicht mehr zu malen. Messner: „Schmerzen sind nicht so schlimm. An Schmerzen gewöhnt man sich. Viel schlimmer ist es, nicht mehr tun zu können, was ich ein Leben lang getan habe. Auch wenn es noch so unnütz war.” Es ist aber nicht unnütz, wenn ein Mensch sich befreit, wenn er „in der Leere dem Nichts entfliehen” will.
Der Kunstbericht von der Bewegung durch die Bröselwüste Gobi, angereichert durch eindrucksvolle Fotos, vermittelt keine Sinnlosigkeit, vielmehr lernen wir den Kosmos Gobi kennen und die Sternschnuppe Reinhold Messner und wie sie für fünf Wochen eins werden. Davon spricht der Untertitel Buches: „Die Wüste in mir”.
MARTIN Z. SCHRÖDER
REINHOLD MESSNER: Gobi. Die Wüste in mir. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 272 Seiten, 19,90 Euro.
„Vielleicht ist es besser, man bleibt an einem ungeliebten Ort, als am Ende keinen Platz zum Bleiben zu haben”: Reinhold Messner in der Wüste Gobi
Abbildung aus dem besprochenen Band
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Zweitausend Kilometer zerbröseltes Gebirge, fünfzig Kilo auf dem Rücken: Auf seinem letzten Trip geht Reinhold Messner durch die Wüste
Der Bergsteiger Reinhold Messner nennt es seinen „letzten Trip”: eine Reise durch die Wüste. In seinem neuen Buch beschreibt er zwei Unternehmungen. Erstens eine Vorbereitungsreise mit seinem dreizehnjährigen Sohn durch ein Stück Sahara. Die beiden schließen sich für vierhundert Kilometer in zehn Tagen von Abre du Ténéré nach Bilma einer Salzkarawane an. Dem liebevoll beobachtenden Blick des Vaters zu folgen, ist eine sehr erfreuliche, manchmal rührende Lektüre.
Den viel größeren Teil des Buches nimmt der Bericht von der Durchquerung der Wüste Gobi ein. Reinhold Messner trägt über mehr als zweitausend Kilometer einen fünfzig Kilo schweren Rucksack, der vor allem Wasser enthält; und ein Navigator in der Armbanduhr hilft ihm, nicht zu versanden.
Messner ist vor allem als der Mann bekannt, der als Erster alle vierzehn Achttausender erklommen hat, der als Erster ohne Sauerstoffgerät auf dem Mount Everest war. Was will dieser Bergsteiger in der Wüste? 1999 wurde er für die italienischen Grünen ins Europäische Parlament gewählt, fünf Jahre später sehnt er sich hinaus aus den klimatisierten Räumen in Straßburg, fühlt sich schwer, müde, träge, alt. Und erinnert sich an einen Wunsch, den er seit Jahrzehnten hegt: die Wüste zu entdecken.
Steht das Wesen einer Wüste dem eines Berges nicht fern? Nein, Messner sieht in der Wüste die „Gebirge, die in Jahrmillionen zu Steinscherben und Sand zerbröselt sind. In ihrer stofflichen Substanz ist die Wüste ein zerfallendes Gebirge und erhaben wie dieses.”
In Ulaan-Uul, vierhundert Kilometer südlich von Ulan-Bator, unweit der chinesischen Grenze, macht sich im Mai 2004 der Mann auf den Weg durch die Brösel der Gobi, um fünf Wochen später nach der Überquerung des noch aufragenden Altai-Gebirges wieder in einer Stadt anzukommen.
Dämmerung zu Dämmerung
Was bringt Messner uns mit? Es muss auf einer solchen Wanderung zu Wiederholungen von Gedanken kommen, denn an vielen Tagen trifft der Wanderer eben keine Nomaden in Jurten, wo er übernachten und die Vorräte auffüllen kann, sondern setzt Schritt für Schritt durch Sand und Steinscherben, von Dämmerung zu Dämmerung.
Um vier Themen kreist dieses Buch: die Beschreibung der Wüste und des Lebens der Nomaden; die Reaktionen eines sechzig Jahre alten Körpers auf die Strapazen; die Erinnerungen an frühere Reisen, an die Kindheit und an die Familie daheim; und schließlich den Versuch, sich selbst in der Welt zu erkennen und zu verstehen.
Messner hat sich in eine Landschaft begeben, deren Bewohner jeden Tag um ihr Überleben kämpfen müssen. Sie sind zum Leben in kleinen Familienverbänden gezwungen und ziehen mit ihren Jurten dorthin, wo ihre Tiere Futter finden. Jedes Jahr gibt es weniger Futter für mehr Tiere, und so ist das Ende des Nomadentums in der Mongolei absehbar. Zudem bricht die Moderne in diese Welt ein. In den Jurten stehen Fernseher, die über Satellitenschüsseln den quietschbunten Radau der westlichen Welt heranholen. In den wenigen und winzigen Siedlungen kann man die Obdachlosen sehen, die sich von ihren Familien gelöst haben und nun dem Alkohol verfallen. Messner grübelt über seinen eigenen Platz nach, erinnert sich an die Umtriebigkeit, die ihn in seiner Jugend von zu Hause wegführte. „Vielleicht ist es besser”, denkt er, „man bleibt an einem ungeliebten Ort, als am Ende keinen Platz zum Bleiben zu haben.”
Noch aber gibt es die Nomaden und ihre Gastfreundlichkeit. Der Wanderer kann sich nur durch Gebärden und Gesten verständlich machen, und überall wird er mit derselben Fürsorge aufgenommen. Ohne diese Fürsorge hätte er die Gobi nicht durchqueren können. Gegen Ende der Reise pocht sein Körper auf Erholung. Wie schon in anderen Büchern von Messner erfahren wir, wo er sich in früheren Jahren welche Knochen gebrochen hat und welche Glieder er ganz dem Frost opfern musste.
Dem Nichts entfliehen
Nichts ist dem Autor wichtiger als sein Körper, denn er hat keine Hilfsmittel zur Fortbewegung. Er kriecht, wenn seine Beine ihn nicht tragen. Dieses Journal wäre ohne die blutende Nase und die Sterne vor den Augen nicht wahrhaftig. Am Ende wird Messner zugestehen, dass ihn diese Reise kaum weiser, zwar auch nicht müde gemacht habe; sie habe ihn alt aussehen lassen.
Der Trip ins Alter wird derjenige sein, der dem Sechzigjährigen nun bevorsteht. Die Vorbereitungen dazu könnten kaum besser getroffen sein, abgesehen von dem Kitzel, der Messner bislang antreibt: Den Reiz, der ihn immer wieder an seine Grenzen führte, schildert er im Wiederkommen, das einer Wiedergeburt ähnelt, und in dem Glück, überlebt zu haben. Die Reise ans Ende seiner Tage dagegen muss der Mensch auch unfreiwillig antreten.
Liest man dieses Buch, so möchte man nur ganz wenige der Erfahrungen teilen, also nicht unbedingt die Schmerzen und die Eiterbeule in der Nase und die Ernährung durch gekochtes Schafsfett. Aber man muss dankbar sein, dass es Menschen wie Messner gibt, die einem diese Frage beantworten: Kann ein Mensch durch eine ganze Wüste gehen? Man müsste es sonst selbst ausprobieren und würde wohl jämmerlich scheitern.
Messners Expeditionen haben etwas von der Arbeit eines Künstlers. Sein flüchtiges Werk besteht in der Bewegung des Mannes. Die Motivation ist der mancher Künstler nicht unähnlich, die beispielsweise lieber hungern, als nicht mehr zu malen. Messner: „Schmerzen sind nicht so schlimm. An Schmerzen gewöhnt man sich. Viel schlimmer ist es, nicht mehr tun zu können, was ich ein Leben lang getan habe. Auch wenn es noch so unnütz war.” Es ist aber nicht unnütz, wenn ein Mensch sich befreit, wenn er „in der Leere dem Nichts entfliehen” will.
Der Kunstbericht von der Bewegung durch die Bröselwüste Gobi, angereichert durch eindrucksvolle Fotos, vermittelt keine Sinnlosigkeit, vielmehr lernen wir den Kosmos Gobi kennen und die Sternschnuppe Reinhold Messner und wie sie für fünf Wochen eins werden. Davon spricht der Untertitel Buches: „Die Wüste in mir”.
MARTIN Z. SCHRÖDER
REINHOLD MESSNER: Gobi. Die Wüste in mir. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 272 Seiten, 19,90 Euro.
„Vielleicht ist es besser, man bleibt an einem ungeliebten Ort, als am Ende keinen Platz zum Bleiben zu haben”: Reinhold Messner in der Wüste Gobi
Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Messners Expeditionen, immer hinein in die abweisende Welt des Hochgebirges oder hier ins Nichts der Wüste - das hat was von einem Kunstprojekt, findet Martin Z. Schröder. Der Mann mit seinem Körper in Bewegung. Grenzerfahrung und ewige Wiederholung. Ankommen, nur um wieder loszuziehen. Doch Messner wird wohl nicht mehr allzu oft losgehen, nennt die Durchquerung der Gobi seinen "letzten Trip". Der nächste, so Schröder, ist der ins Alter. Und die Wüste? Messner bringt Bilder mit, die beeindruckend, und andere, die deprimierend sind: Nomaden mit Satellitenschüsseln, Obdachlose in winzigen Siedlungen - sie haben sich von ihren Familien gelöst und sind nun allein. Und immer wieder: der Körper in strapaziöser Bewegung. Wo er schmerzt, wo er eitert. "Man muss dankbar sein", schreibt Schröder, "dass es Menschen wie Messner gibt, die einem diese Frage beantworten: Kann ein Mensch durch eine ganze Wüste gehen?" Messner kann offensichtlich.
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