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Goethe und die Kunst. Zeit seines Lebens begriff Goethe die Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als wesentliche Komponente seines Erkenntnisinteresses. Der Band stellt Goethes Verhältnis zu den Bildenden Künsten in seiner Bedeutung für sein Leben und Werk dar. Dokumentiert wird das Thema Kunst in Goethes literarischem Werk, seine Schriften zur Kunst, sein Sammlertum und seine Kunstpolitik. Ein alphabetisches Lexikon der Künstler, die für Goethe eine besondere Bedeutung besaßen, rundet das Thema ab.

Produktbeschreibung
Goethe und die Kunst. Zeit seines Lebens begriff Goethe die Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als wesentliche Komponente seines Erkenntnisinteresses. Der Band stellt Goethes Verhältnis zu den Bildenden Künsten in seiner Bedeutung für sein Leben und Werk dar. Dokumentiert wird das Thema Kunst in Goethes literarischem Werk, seine Schriften zur Kunst, sein Sammlertum und seine Kunstpolitik. Ein alphabetisches Lexikon der Künstler, die für Goethe eine besondere Bedeutung besaßen, rundet das Thema ab.
Autorenporträt
Andreas Beyer, Kunsthistoriker, Professor für Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit, Universität Basel; Ernst Osterkamp, Germanist, Professor an der Humboldt Universität zu Berlin
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Goethe war nie in Paris

Die Genie-Ästhetik war nur ein Beginn: Das neue Goethe-Handbuch macht den Dichter für die heutige Kunstwissenschaft fruchtbar.

Von Michael Mönninger

Einfacher als Aufzählungen von Goethes Kunstaktivitäten als Dichter, Komponist, Zeichner, Sammler, Kulturpolitiker und Theoretiker ist die Frage, was er nicht getan hat: Er hat nie gebaut. Obwohl er nach seinem Amtsantritt in Weimar 1775 auch das Bauwesen leitete, errichtete er kein einziges Haus. Das Herzogtum war nicht reich genug für neue Landmarken, zog keine namhaften Architekten an und ließ Goethe nur als Berater und bei Renovierungen freie Hand. Dabei scheute sich der Olympier nicht vor schlichten Aufgaben. So legte er beim Wiederaufbau des Eisenacher Scheunenviertels Wert auf eine volkstümliche Einrichtung: Als begeisterter Schlittschuhläufer drang er auf ein Lusthaus mitsamt See für die winterliche "Eisfahrt".

Ebenso wenig Raum nehmen seine Schriften zur Architektur im Gesamtwerk ein. Allenfalls ärgern sich Baugeschichtler über seine Fehlzuschreibung der französischen Kathedralgotik zur "deutschen Baukunst". Auch kein Ruhmesblatt ist seine angelesene Antikenauffassung, die ihn in Italien beim Anblick der wuchtigen Tempel in Paestum zuerst nur Beklemmung verspüren ließ. Und gegen sein Verdienst, in Vicenza die Bauten Palladios lieben gelernt und erstmals europaweit propagiert zu haben, steht seine Blindheit gegenüber dem sizilianischen Mittelalter und römischen Barock.

Trotzdem lohnt die Beschäftigung mit Goethes Architekturauffassung ungemein. Allein sein erst postum veröffentlichtes Manuskript "Baukunst 1795" verweist auf eine modern-enzyklopädische Architekturtheorie: Baukunst sei nicht bloßer Augenschmaus, sondern beruhe auf der Materialwahl als Formprinzip und ziele physiologisch auf den Bewegungs-sinn des menschlichen Körpers. Das beschrieb Goethe mit seinem grandiosen Bild vom tanzenden Blinden: "Der Körper, wie wir im Tanzen sehen, fühlt eine angenehme Empfindung, wenn er sich nach gewissen Gesetzen bewegt. Diese Empfindung sollte ein Blinder haben, der durch ein wohlgebautes Haus geführt würde." Von August Schmarsows "Raumgestaltung" über Walter Benjamins "taktile" Architekturezeption bis hin zu Oskar Schlemmers "Raumgespinsten" ist hier alles angedeutet.

Derlei Erkenntnisglück verdankt sich dem jüngsten Band des Goethe-Handbuchs, der sich der Kunst widmet. Nach zwanzig Jahren liegt das von den Universitäten Aachen, Düsseldorf und der Klassik Stiftung Weimar initiierte Riesenwerk mit vier Haupt- und drei Supplementbänden nun vollständig vor. Damit erhebt sich auf dem Zentralmassiv von Goethes Schriften ein weiterer Bücherberg, der aber gegen alle Befürchtungen nicht nur Spezialisten mit historisch-philologischer Sonderausrüstung zugänglich ist. Anstelle eines Palimpsests aus Quellen und Verweisen haben die Herausgeber Ernst Osterkamp und Andreas Beyer ein wissenschaftliches Lesebuch erarbeitet. Darin wahren sie mit 29 Fachautoren die Anschlussfähigkeit an konkurrierende Deutungen und behalten auch den Überblick über Goethes genialen Universaldilettantismus.

Weil sich Goethes verzetteltes Wirken im Bereich der bildenden Künste nicht chronologisch darstellen lässt, erfassen die Herausgeber die historischen, werkgeschichtlichen und biographischen Aspekte in drei Abteilungen: mit systematischen Essays zu seinen Tätigkeitsfeldern, Einzelaufsätzen zu seinen Kunstschriften sowie einem Lexikon zu 58 Künstlern, die für Goethe wichtig waren.

Eingangs zeigt Ernst Osterkamp vier Phasen von Goethes Kunstbezug. Von Frankfurt am Main bis zum frühen Weimar interessiert er sich weniger für die Italiener als, dem Vernunftzeitalter entsprechend, für die Naturnachahmung in niederländischen Landschaften. Doch unter dem Einfluss von Hamann und Herder begeistert er sich für die schöpferische Genieästhetik, verfasst seine Sturm-und-Drang-Hymne an das Straßburger Münster und schwenkt von den normativen Schönheitslehren des Aufklärungsklassizismus auf nationale Traditionen um. Mit antitheoretisch-romantischem Affekt verwirft er die generalisierenden Kunstsysteme zugunsten der sinnlichen Erfahrung der Werke. Doch seit seiner Beschäftigung mit altdeutscher Graphik, so Osterkamp, geht Goethe vom gegenstandsorientierten zum formbezogenen Kunstinteresse über, was seine Annäherung an Idealität der Antike und Renaissance befördert.

Auf der Italienreise 1786 lässt Goethe dann die romantische Gotikliebe fallen. Seine Beschäftigung mit der antiken Skulptur motiviert ihn zum Studium der menschlichen Gestalt als "non plus ultra alles menschlichen Wissens und Tuns". Religiöse Bilder mit transzendenten Gehalten verwirft er, weil er solche Werke für nicht aus sich heraus verständlich hält. In Italien erkennt Goethe, dass der Künstler die Natur nicht subjektiv überbieten, sondern "nach wahren und natürlichen Gesetzen ohne Willkür" arbeiten soll. Neben Palladio tritt sein zweiter Kunstgott Raffael, den er als Student in Dresden noch übersehen hatte. Er entdeckt die Geschichtlichkeit der Kunst und entwickelt seinen Stil-Begriff als Abkehr vom genialen Subjektivismus.

Die dritte Phase der Weimarer Klassik nach 1798 bringt Goethe nicht nur Erfolge. Seine Kunstzeitschrift "Propyläen" muss er mangels Leserinteresse wieder einstellen. Auch seine Preisaufgaben über homerische Themen finden wenig Resonanz. Je mehr er den Zeitgeschmack des "klosterbrudrisierenden, sternbaldisierenden Unwesens" bekämpft, gerät er - vor allem nach dem Tod Schillers - in Isolation. Trotzdem lässt er in den späten Jahren nach 1805 nicht von der Kritik an religiös durchwirkter Kunst ab. Anstelle der "Kinder-Päpsteley" der Nazarener bevorzugt er Leonardos freie Bilderfindungen, die sich über religiöse Gegenstände erheben. Nicht einmal Philipp Otto Runges Arabeskenkunst ("Teufelszeug von unendlicher Schönheit") oder Caspar David Friedrichs Seelenlandschaften ("Seine Bilder können ebenso gut auf dem Kopf gesehen werden") sind ihm geheuer. Lieber betrachtet er Ideallandschaften von Lorrain oder Ruisdael. Zwar bleibt Goethe, so Osterkamp, fortan vom prinzipiellen Defizit der nachantiken Kunst überzeugt. Aber er relativiert das überzeitlich geglaubte Griechentum und weitet seine Forschungen bis zur Frühgeschichte aus. Damit wird er, wie Martin Dönikes Beitrag über Goethe in der Wissenschaftsgeschichte feststellt, zum Wegbereiter der akademischen Kunstgeschichte, der von der normativ-wertenden zur historisch-verstehenden Kunstbetrachtung übergeht und von Burckhardt, Wölfflin, Sedlmayr bis Gosebruch eine Disziplin geprägt hat.

Alle Aufsätze holen Goethe vom Sockel der Heiligenverehrung und kreisen um die Leitfrage: Blieb er wirklich dem Primat der Anschauung treu, wie seine Naturforschungen zeigen, oder hat er mit seinem klassizistischen Programm die deutsche Kunst mutwillig umgebogen? Am schärfsten urteilt Christian Hechts Beitrag über die Weimarer Kunstpolitik. Er sieht Goethe nicht als "Erneuerer der Kunst aus dem Geist der Antike", sondern als "Vater des Historismus".

Solche Verdikte hindern nicht am Genuss der Anschauung, den Johannes Grave beim Gang durch Goethes Wohnhaus mitsamt einer Generalinventur seiner Kunstsammlung eröffnet und dabei die geradezu physiologische Wirkungsmacht der räumlichen Arrangements entfaltet. Ebenso eindringlich schildert Andreas Beyer die Bildstrategien zeitgenössischer Goethe-Porträtisten, die den Dichter abwechselnd in Eroberer- und Hausvater-Pose zeigen und dabei vor neidvoller Verehrung ihre eigene Physiognomie ins Konterfei mogeln.

Obwohl Goethe nie in Paris war, spürt er, wie nach den napoleonischen Kunstfeldzügen die neue Welthauptstadt das alte Rom entthront. Boris Roman Gibhardt zeigt, wie Goethe über Wilhelm von Humboldt den Kontakt zu Jacques-Louis David sucht und nach der historisch-organischen die politisch-revolutionäre Geschichtlichkeit der Kunst entdeckt. So propagiert er gerade nach Napoleons Niederlage die französische Kunst, um den Triumph des deutschen Patriotismus zu dämpfen.

Klaus Jan Philipp untersucht Goethes Interesse am Ausdruck und Charakter der Baukunst anstelle der starren Proportionslehren. Dabei übersieht er trotz eingehender Würdigung der Idee von der "verstummten Tonkunst" den synästhetisch-modernen Kern der leibseelischen Erfahrung des Bauens. Auch Detlef Kreikenbooms Beitrag über "Laokoon" bleibt hinter dem Vitalismus von Goethes Verlebendigung der antiken Figurengruppe zurück, die an heutige Schock-Ästhetik heranreicht. Unthematisiert ist auch die protofilmische Szenenlogik der Moment- und Übergangswirkungen, mit der Goethe die Skulptur imaginär in Bewegung setzt.

Obwohl zuweilen der historisierende gegenüber dem aktualisierenden Zugriff überwiegt, gelingt es dem Handbuch, Goethes Vermächtnis auch für die heutige Kunst- und Bildwissenschaft fruchtbar zu machen. Gegen deren theoriegeleiteten Ansätze mit ihrer Geschichtsaversion und Anschauungsferne stellt es ein weitverzweigtes ästhetisches Denken, das explorativ und experimentell war und sich lieber selbst dementierte, als zu risikieren, neue Gegenstände und Einsichten zu verpassen.

Andreas Beyer/Ernst Osterkamp (Hrsg.): "Goethe-Handbuch, Supplemente". Band 3: Kunst.

J. B. Metzler Verlag, Stuttgart/ Weimar 2011. 624 S., Abb., geb., 129,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den dritten und letzten Supplementband des Goethe-Handbuchs feiert Michael Mönninger als Chance zum detaillierten Einblick in Goethes Architekturauffassung. War er nun Wegbereiter moderner Architekturtheorie oder doch bloß der "Vater des Historismus", wie einer der 29 Beiträger des Bandes behauptet? Apropos, Heiligenverehrung hat Mönninger hier nicht vor sich, eher wird die obige Frage eingekreist, wissenschaftlich, historisch, werkgeschichtlich, biografisch, aber nicht nur für Spezialisten lesbar, wie uns der Rezensent versichert. Goethes Stil-Begriff wird verhandelt ebenso wie die Eindrücke beim Gang durch sein Wohnhaus in Weimar und die Bildstrategien der Goetheporträtisten. Komisch nur, dass ausgerechnet der historisierende Zugriff dominiert, wie Mönninger erklärt. Da hat der Meister wohl wieder mal abgefärbt auf seine Interpreten.

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"Das neue Goethe-Handbuch macht den Dichter für die heutige Kunstwissenschaft fruchtbar." -- FAZ

"Was man bislang auf diesem Gebiet als eher trübes Bild wahrgenommen hat, das tritt auf einmal scharf vor Augen, was früher eine Vignette war, erweitert das Panorama..." -- Goethe-Café

"Im ganzen erweist sich der Supplement-Band als wertvolle Ergänzung der bisherigen Bände des "Goethe-Handbuchs", der seinen eingangs formulierten Anspruch, eine "systematische Darstellung" des Großthemas "Goethe und die Kunst" vorzulegen, überzeugend einlöst." -- Informationsmittel (IFB) - digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft

"Schon Wilhelm von Humboldt war davon überzeugt, daß nur das auf Kunst, Natur und Poesie "gerichtete Anschauungsvermögen zusammen" der Schlüssel zum Verständnis von Goethes Schaffen liefere. Diesen Sachverhalt aufzuklären ist das Bemühen der beiden Herausgeber und ihrer neunundzwanzig Mitautoren. Goethes komplexe Beschäftigung mit der Kunst wird in drei Hauptabschnitten analysiert." -- www.walthari.com