»Gestern dacht' ich: entweder du warst sonst toll, oder du bist es jetzt.« Goethe scheint recht verwirrt gewesen zu sein in Neapel, wie diese Zeilen verraten.Immerhin war Neapel die größte Stadt, die er zeitlebens besuchte, und gegendas laute Straßenleben der süditalienischen Metropole schien ihm Rom wie einkühler, ruhiger Ort des Nordens.Der Neapel-Kenner Dieter Richter lässt uns an Goethes Befremden, aber auchan seiner Begeisterung teilhaben: über den öffentlichen Charakter des Volkslebensmit Lastträgern, Bootsleuten, Fischern, Eseltreibern und unzähligenKindern. Über die bunten und bizarren Formen der neapolitanischen Volksfrömmigkeit.Über das Schauspiel der ungewohnten Vegetation, der Früchte, derLandschaft, des Meeres. Über den feuerspeienden Vesuv. Und schließlich überdie Kunst, von den antiken Monumenten (wie dem Tempel in Paestum) zu denin Neapel lebenden Künstlern und Lebenskünstlern, deren Gesellschaft derreisende Goethe sucht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Noch einmal Goethe in Italien. Diesem Buch jedoch kann Martin Meyer durchaus Neues abgewinnen. Denn der Autor ist Kenner der Materie, weiß das aber dezent im Hintergrund zu halten, während er vorne brillant erzählt. Wenn Dieter Richter Goethe nach Neapel folgt, in die Gesellschaft wie in die Landschaft, macht er Meyer zwar von vornherein deutlich, wie sehr Goethes Text eine rückblickende Inszenierung ist, nicht unmittelbares Erleben. Ferner fügt er dem Bild jede Menge Erkenntnisse und Entdeckungen hinzu (etwa zu Goethes naturkundlichen Explorationen). Der Lebendigkeit der Schilderungen scheint das aber keinen Schaden zuzufügen, im Gegenteil. Dass der Autor von Norbert Millers Studie über Goethe in Italien profitiert, möchte der Rezensent allerdings nicht unerwähnt lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2012KURZKRITIK
Singende Triglyphe
Dieter Richter über
Goethe in Neapel
Wenn man dieses Büchlein studiert hat, fragt man sich, welcher Ort eigentlich mehr Spuren im Werk Goethes hinterlassen hat, Rom oder Neapel? Sicher, die Architekturphantasmagorie des „Märchens“ weist nach Rom. Für Neapel und die Fahrt dahin aber stehen die Luciane der „Wahlverwandtschaften“, zu der Emma Hamilton Modell stand, im „Faust“ die Sümpfe, die am Ende des zweiten Teils trockengelegt werden – es könnten die Pontinischen sein –, der Streit zwischen Vulkanisten und Neptunisten zur Erdentstehung, ein im Schatten des Vesuv heiß umkämpftes Thema, die „singende Triglyphe“ und die stumpfkegeligen Säulenschäfte des Tempels der Helena-Beschwörung, die auf Paestum verweisen.
In Neapel erreichte Goethe endgültig das italienische Italien, er verließ die Museumslandschaft der „Grand Tour“. Hier interessierten ihn Natur, Volksleben und Landschaft genauso wie die Ausgrabungen, ja, er begab sich in die mondäne Gesellschaft der kosmopolitischen Metropole mit ihren 450 000 Einwohnern, der mit Abstand größten Stadt, die Goethe überhaupt betreten hat. Auf einmal ließ er sich auch den Starruhm des Werther-Verfassers wieder gefallen. Der reiche Hofmaler Hackert wurde sein Zeichenlehrer und vertrauter Freund, ein Uckermärker, der es zum Günstling des Königshauses gebracht hatte. Und er hat hier nicht nur den Schattenriss seiner Philine für die „Lehrjahre“ gefunden, sondern auch über ein eigenes Erlebnis schöne erotische Prosa verfasst, nach der Begegnung mit Juliane von Mudersbach unterm nächtlichen Leuchten des Vesuv. Dieter Richter, der gelehrte Kenner des parthenopeischen Kosmos, hat nun das seit Benedetto Croce gründlichste Buch zu diesem Gegenstand vorgelegt, und dabei auch diesen bei Goethe-Kennern noch gar nicht recht gewürdigten Frauennamen in helles Mondlicht gerückt.
GUSTAV SEIBT
DIETER RICHTER: Goethe in Neapel. Wagenbach Verlag, Berlin 2012. 142 Seiten, zahlr. Abb., 15,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Singende Triglyphe
Dieter Richter über
Goethe in Neapel
Wenn man dieses Büchlein studiert hat, fragt man sich, welcher Ort eigentlich mehr Spuren im Werk Goethes hinterlassen hat, Rom oder Neapel? Sicher, die Architekturphantasmagorie des „Märchens“ weist nach Rom. Für Neapel und die Fahrt dahin aber stehen die Luciane der „Wahlverwandtschaften“, zu der Emma Hamilton Modell stand, im „Faust“ die Sümpfe, die am Ende des zweiten Teils trockengelegt werden – es könnten die Pontinischen sein –, der Streit zwischen Vulkanisten und Neptunisten zur Erdentstehung, ein im Schatten des Vesuv heiß umkämpftes Thema, die „singende Triglyphe“ und die stumpfkegeligen Säulenschäfte des Tempels der Helena-Beschwörung, die auf Paestum verweisen.
In Neapel erreichte Goethe endgültig das italienische Italien, er verließ die Museumslandschaft der „Grand Tour“. Hier interessierten ihn Natur, Volksleben und Landschaft genauso wie die Ausgrabungen, ja, er begab sich in die mondäne Gesellschaft der kosmopolitischen Metropole mit ihren 450 000 Einwohnern, der mit Abstand größten Stadt, die Goethe überhaupt betreten hat. Auf einmal ließ er sich auch den Starruhm des Werther-Verfassers wieder gefallen. Der reiche Hofmaler Hackert wurde sein Zeichenlehrer und vertrauter Freund, ein Uckermärker, der es zum Günstling des Königshauses gebracht hatte. Und er hat hier nicht nur den Schattenriss seiner Philine für die „Lehrjahre“ gefunden, sondern auch über ein eigenes Erlebnis schöne erotische Prosa verfasst, nach der Begegnung mit Juliane von Mudersbach unterm nächtlichen Leuchten des Vesuv. Dieter Richter, der gelehrte Kenner des parthenopeischen Kosmos, hat nun das seit Benedetto Croce gründlichste Buch zu diesem Gegenstand vorgelegt, und dabei auch diesen bei Goethe-Kennern noch gar nicht recht gewürdigten Frauennamen in helles Mondlicht gerückt.
GUSTAV SEIBT
DIETER RICHTER: Goethe in Neapel. Wagenbach Verlag, Berlin 2012. 142 Seiten, zahlr. Abb., 15,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2012Bücher Eine wahrhafte Reise stellt einen vom Kopf auf die Füße. Denn eine Reise beginnt ja, lange, bevor man sie antritt, auf den Spuren eines anderen: zuhörend, lesend, träumend. So war es bei Goethe der Fall. Sein Vater Johann Caspar war 1740 in den Süden gereist und schwärmte sein ganzes Leben davon. Als Goethe dann 46 Jahre später selbst seine Grand Tour macht, "ist alles, wie ich mir's dachte, und alles neu". Besonders der Süden, Neapel fordern ihn heraus, die griechischen Tempel, der Vesuv, das Treiben in der damals drittgrößten Stadt Europas. Aber Goethe wäre nicht Goethe, wenn ihn die Irritation durch die Anschauung nicht auf neue Ideen gebracht hätte. Von seinem lebenslang produktiven Umgang mit Stadt, Landschaft, Leuten und der Ausstrahlung, die seine Sicht auf Neapel und den Süden bis heute hat, erzählt Dieter Richter in "Goethe in Neapel" (Wagenbach, 144 Seiten, 15,90 Euro) pointiert und kenntnisreich. Absolut lesenswert.
beha
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Dieter Richter ist ein Meister darin, wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiteren Publikum zu vermitteln. Er vermag es, zu belehren ohne Dünkel, zu unterhalten ohne Aufdringlichkeit.« Adam Soboczynski, Die ZEIT