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Produktdetails
  • Insel-Bücherei 1193
  • Verlag: Insel Verlag
  • 4. Aufl.
  • Seitenzahl: 72
  • Deutsch
  • Abmessung: 9mm x 121mm x 184mm
  • Gewicht: 124g
  • ISBN-13: 9783458191933
  • ISBN-10: 3458191933
  • Artikelnr.: 07910770
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Romain Rolland wurde am 29. Januar 1866 in Clamecy als Sohn eines Notars geboren. Nach einem Studium an der Pariser École Normale Supérieure, der französischen Eliteschule für die Lehramtsfächer an Gymnasien, ging er 1892/93 als Stipendiat nach Rom, um an seiner thèse (Doktorarbeit) über "Les Origines du théâtre lyrique moderne" zu arbeiten. Nach deren erfolgreicher "Verteidigung" (soutenance) ist Rolland von 1895 bis 1912 Professor für Musik- und Kunstgeschichte. Von seinem sehr umfangreichen Schaffen, das zahlreiche Theaterstücke, Biografien, Essais und Romane umfasst, kennt man heute vor allem den 10-bändigen "roman fleuve" "Jean-Christophe" (1904-12). "Jean-Christophe" brachte dem Autor 1915 den Nobelpreis. Während des 1. Weltkriegs ging Rolland in die neutrale Schweiz und versuchte von dort aus als pazifistischer Intellektueller sowohl nach Frankreich hineinzuwirken, wo man ihm dies übelnahm, als auch nach Deutschland, wo man ihn naturgemäß kaum hörte. In den zwanziger und dreißiger Jahren sympathisierte er mit dem 1920 gegründeten Parti communiste français. Romain Rolland starb am 30. Dezember 1944 in Vézelay.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.1999

Einstürzende Dichterhäuser
Wie Romain Rolland Goethe und Beethoven zusammenbrachte · Von Jens Malte Fischer

Romain Rolland ist in Deutschland ein Unbekannter geworden. Vorbei die Zeit, als er, der unbeugsame Pazifist des Ersten Weltkriegs, aus der neutralen Schweiz seine Essays gegen diesen Krieg veröffentlichte ("Au-dessus de la mêlée" 1915), als seine Roman-Dekalogie "Jean-Christophe" (1905 bis 1912) über den flämisch-deutschen Komponisten Jean-Christophe Klafft auch in Deutschland verschlungen wurde als ein Zeitgemälde, das zur deutsch-französischen Verständigung beitragen sollte und eine Künstler-Biographie war (der französische "Doktor Faustus"), in der man die Züge von Beethoven, Wagner und Hugo Wolf erkennen sollte (die fast gleichzeitige deutsche Ausgabe erzielte respektable Auflagen). Es war vor allem dieser Roman, für den Rolland 1915 den Nobelpreis erhielt, der auch seine pazifistische Grundhaltung würdigte. Er hatte Sympathien für die Sowjetunion und machte Mitte der dreißiger Jahre eine Reise nach Moskau - das brachte in den sechziger Jahren Neuauflagen seiner Werke in der DDR.

Der enzyklopädisch gebildete Rolland war nicht nur Romancier und Dramatiker, sondern auch Musikhistoriker und bekleidete eine Professur an der Pariser École Normale Supérieure und an der Sorbonne. Einer seiner größten Erfolge war eine Beethoven-Biographie (1903). "In unserem schmutzigen Brotbeutel, zwischen dem Notizbuch und der Taschenlampe, bewahrten wir ehrfürchtig das Leben Beethovens", schrieb ein französischer Weltkriegsteilnehmer. Rolland gab der französischen Beethoven-Rezeption, die im neunzehnten Jahrhundert keineswegs überschwenglich gewesen war, einen wuchtigen Anstoß. Der kranke und einsame Beethoven, und doch ein Sieger, so sah sein im Zeitstil heroisiertes Beethoven-Bild aus.

Eine späte Nachgeburt dieser Verehrung war der jetzt neu aufgelegte Essay "Goethe und Beethoven", der in zwei Fortsetzungen in der Zeitschrift "Europe" 1927 erschien und, von Anton Kippenberg, dem Leiter des Insel-Verlages, eigenhändig übertragen, in dessen "Jahrbuch der Sammlung Kippenberg" 1927/28 auf deutsch publiziert wurde. Es ist ein Büchlein der Trauer um eine verpaßte welthistorische Gelegenheit, gut fünf Jahre nach Schillers Tod ein neues Dioskuren-Paar zu bilden: den größten Wortsetzer seiner Zeit und deren größten Tonsetzer zu einer Sternenfreundschaft zusammenzubinden.

Viermal sind Goethe und Beethoven im Juli 1812 in Teplitz zusammengetroffen. "Abends bei Beethoven. Er spielte köstlich", so lautet eine Tagebucheintragung Goethes. Das "köstlich" dürfte bei Beethovenianern zu Stirnrunzeln führen. Die berühmte Briefbemerkung an Zelter bald nach dieser Begegnung (die eindrucksvolle Edition des Briefwechsels Goethe-Zelter in der Münchner Ausgabe des Hanser-Verlags mit ihren dreitausend Seiten bietet auch das schmale Material zur Beurteilung des Verhältnisses Goethes zu Beethoven): "Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt, allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt derestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht" zeigt das Übergewicht der Persönlichkeitsbeurteilung über die musikalische. Zelter, der nicht nur der engste Freund Goethes war, sondern auch seine Autorität in musikalischen Fragen, bestärkt den Freund in seinem dezidierten, wenn auch musikalisch vagen Urteil: "Auch ich bewundere ihn mit Schrecken" - das ist für Zelters normale Temperierung ein weitgehendes Zugeständnis einer widrigen Faszination. Und daß Zelter ehemalige Tadler Beethovens, die sich jetzt für ihn ereifern, mit Homosexuellen vergleicht, wird Goethe nicht bewogen haben, sein einmal getroffenes Urteil zu überprüfen. Als Zelter fast zwanzig Jahre später den "Fidelio" sieht und als Werk eines Genies rühmt, ist es für Beethoven bereits zu spät. Ein Jahr vor der ersten Begegnung hatte Beethoven einen untertänigen Brief an Goethe gerichtet, die Egmont-Musik ankündigend. Goethe antwortet freundlich, aber distanziert-formell. Den bewegenden Brief, den Beethoven 1823 an Goethe richtete, um Unterstützung der Subskription der "Missa solemnis" bittend, hat dieser keiner Antwort gewürdigt.

Romain Rolland geht den bekannten Fakten nach, und er fügt (und hier gilt es für den Leser heute, große Vorsicht walten zu lassen) alle Tagträume und Semi-Dokumente Bettina von Arnims hinzu, die diese in ihrem gescheiterten Versuch, die beiden von ihr geliebten und verehrten Genies unter ihrem eigenen Morgenstern zusammenzuführen, sich imaginiert hat. Wie alle Goethe- und Musik-Liebhaber mag Rolland Zelter nicht (da ist er ungerecht), dafür liebt er Bettina über alles. Wer hätte da nicht Verständnis, nur hätte er Ende der zwanziger Jahre mehr Vorsicht walten lassen müssen, denn die Unzuverlässigkeit ihrer Zeugenqualität war bekannt. Im Prinzip wußte dies Rolland, aber in allen Zweifelsfällen schlägt er sich mit Argumenten, die mehr von Zuneigung als von Logik diktiert sind, auf ihre Seite und gibt alle berühmten und zweifelhaften Anekdoten treuherzig wieder, wie die, daß Goethe sich vor dem Hofstaat der Kaiserin demütig am Straßenrand verbeugt habe, während Beethoven mit einem lässigen Tippen an seine Hutkrempe durch den Hofstaat gewandelt sei.

Für einen Beethoven-Film ist diese Szene von unschätzbarem Wert, für die Beantwortung der Frage, warum Goethe und Beethoven nicht zu Dioskuren wurden, ist ihr Wert begrenzt. Es ist ausreichend, sich an den Brief Beethovens an seinen Verleger zu halten, wo es lakonisch heißt: "Göthe behagt die Hofluft sehr. Mehr als einem Dichter ziemt." Rolland, nicht nur ein Beethoven-, sondern auch ein Goethe-Adorant, mag ungern zugeben, daß dessen Sinn für Musik im Vergleich zu allen anderen Sinnen begrenzt war. "Musik kann ich nicht beurteilen, denn es fehlt mir an Kenntnis der Mittel, deren sie sich zu ihren Zwecken bedient", schreibt er in einem Brief. Gemessen daran war er erstaunlich interessiert und fasziniert, aber sein Horizont war vom Volksliedhaften, vom Geselligen, vom Singspiel, vom Strophenlied und von der Liedertafel begrenzt, immerhin hat er die Größe Glucks und Mozarts erahnt. Daß der beschränkte Zelter Gift ins Ohr Goethes geträufelt habe, wie Rolland schreibt, ist Unsinn. Sie waren sich von vornherein einig, wie Musik zu beurteilen war, die bei ihnen Befremden oder Schauder erregte, ob es sich um Berlioz oder Beethoven handelte. Wenn Zelter behauptete, daß Beethoven seine eigenen Werke "ein heimliches Grauen" zu verursachen schienen, wie wollte sich Goethe nicht eingestehen, daß es ihm ähnlich ging, bei seiner fragmentarischen Kenntnis derselben?

Als der junge Mendelssohn dem alten Geheimrat 1830 (Beethoven war seit drei Jahren tot) den ersten Satz der Fünften Symphonie am Klavier vorführte, brummelte Goethe unwirsch: "Das bewegt aber gar nichts; das macht nur Staunen; das ist grandios" und später: "Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein, und wenn das nun alle die Menschen zusammenspielen!" Da ist mehr an anziehender Abstoßung zugegeben, als man erwarten kann. Schubert hat so viel Interesse von Goethe nicht erfahren. Wer sich mehr erhoffte, der gab sich Illusionen hin.

Romain Rolland teilt und beschreibt diese Illusion wortreich und liebevoll. Sein Essay hat heute den Charme eines sepiabraunen Daguerreotypes, aber Rolland verdiente es doch , als ein Kronzeuge der beschworenen deutsch-französischen Freundschaft öfter herangezogen zu werden, als es heute der Fall ist.

Romain Rolland: "Goethe und Beethoven". Aus dem Französischen übersetzt von Anton Kippenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 69 S., geb., 22,80 DM.

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