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Produktdetails
  • Verlag: vacat
  • Seitenzahl: 271
  • Erscheinungstermin: Mai 2006
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 512g
  • ISBN-13: 9783930752430
  • ISBN-10: 3930752433
  • Artikelnr.: 20832310
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2006

Wo der Dorn das Röckchen zerrt
Musen und Rübchen in der Mark: Goethes preußische Verbindungen
Gewiss wächst man sich an der Ilm anders aus als inmitten des Barnim, auf halbem Wege zwischen Berlin und Eberswalde. Aber was sagt das gegen den Charme dieser Verse?
Wie schön die Fensterscheiben, rund und düster!
Des Altars Decke, wo die Motte kreucht!
Die schwarzen Spinngewebe, die der Küster
Selbst mit dem längsten Kehrwisch nicht erreicht!
Wie schön der Todtenkränze Flittern,
Die hier bestäubt am kleinen Chore zittern!
Friedrich Wilhelm August Schmidt, 1764 in Fahrland geboren, seit 1795 Pfarrer in Werneuchen, hat auf diese Weise die „Dorfkirche” besungen. Der schnell absprechende Großstadtgeselle Ludwig Tieck störte sich daran, dass hier „alles so durcheinander schön” gefunden wurde. In Weimar aber kam der „Calender der Musen und Grazien für das Jahr 1796” gerade recht, damit sich Spottlust und der nationalpädagogische Ehrgeiz der Xeniendichter Goethe und Schiller an ihm bewähren konnten. Sie hatten größere Geister und Begabungen als Schmidt von Werneuchen getroffen. Unsterblich wurde der Pfarrer durch Goethes Parodie „Musen und Grazien in der Mark”, ein Muster des Genres.
Dann im Sand uns zu verliehren,
Der uns keinen Weg versperrt!
Dich den Anger hin zu führen,
Wo der Dorn das Röckchen zerrt!
Zu dem Dörfchen laß uns schleichen,
Mit dem spitzen Thurme hier;
Welch ein Wirthshaus sonder gleichen!
Trocknes Brot und saures Bier!
„Weimar und Werneuchen” mag ein entlegenes Thema scheinen. Für den glänzend illustrierten, informativen Band „Goethe und die Mark”, begleitend zu einer Ausstellung in den Römischen Bädern in Potsdam erschienen, hat sich Günter de Bruyn seiner angenommen. Zwanglos gelangt er über Werneuchen ins Zentrum der Goetheschen Existenz und zur Frage, die jeder, sei er nun Bewunderer oder Verächter des Dichters, sich vorlegen muss: Wie hältst Du es mit Resignation und Maß, der Beschränkung aufs Kleine, auf den überschaubaren Wirkungskreis in der Provinz?
Im Jahr 1778 hatte sich Goethe sechs Tage in Berlin aufgehalten. „Je größer die Welt, desto garstiger die Farce”, resümierte er, und ist, Einladungen ausschlagend, Gelegenheiten versäumend, nie wieder in die gerade entstehende Kulturhauptstadt gefahren.
Zwar lag hier der Mittelpunkt des früh einsetzenden Goethe-Kultes, zwar hat er zeitlebens den atembraubend raschen Aufstieg Preußens wie dessen Sturz im Jahr 1806 verfolgt, wohl banden ihn Freundschaften und Interessen, aber er zog es doch vor, sich aus der gar nicht so weiten Ferne zu informieren. Goethes Verhältnis zur Mark, zu Berlin und zu Preußen wirkt mehrfach angstbesetzt. Hier hat er eine große Bühne, aber zu nah will er ihr nicht kommen.
Seit August 1799 informiert ihn der Musiker Carl Friedrich Zelter in einer Prosa, die ihresgleichen sucht, über das Geschehen. Nur 32 der mehr als 850 Briefe umfassenden Korrespondenz lesen Christian Brückner und Otto Sander auf einem ebenfalls zur Ausstellung erschienenen Hörbuch, aber der Hörer spürt doch, welches Monument der Freundschaft er vor sich hat und ärgert sich von Minute zu Minute mehr, dass anstelle dieses Briefwechsels Eckermanns Gespräche zum Hausbuch der Bildungsbürger avancierten. Jeder Satz dieser Korrespondenz eröffnet eine Welt und deutet auf deren gebrechliche Einrichtung. Es fehlt das Steife und das Reden von oben herab. Resignation, die Beschränkung auf das einem jeden Gemäße ist hier ganz vom Ruch des Spießertums befreit.
„Je schlechter Land, desto bessere Patrioten” raunzte Goethe einmal über die Märker. Die Euphorie der Selbstgenügsamkeit, ob mit Spinnweben oder vaterländischen Gesängen, war dem Provinzstadtbewohner dann doch ein Gräuel. JENS BISKY
PETER WALTHER (Hrsg.): Goethe und die Mark. vacat verlag, Potsdam 2006. 271 Seiten, 20 Euro.
GOETHE UND ZELTER. Eine Freundschaft in Briefen, gelesen von Christian Brückner und Otto Sander. CD mit 16 Seiten Booklet. vacat verlag, Potsdam 2006. 54:37 min., 13 Euro
Goethe, 1779. Unbekannter Künstler nach einer Vorlage von G. O. May. Gouache, Kreide auf Elfenbein. Klassik Stiftung Weimar, Goethe-Nationalmuseum
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