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Als Johann Wolfgang von Goethe am 28. August 1749 geboren wurde, ahnte niemand, welch ungeheurer Lebensbogen ihm vorgeschrieben sein würde. Massen von Geschichte haben sich an ihm vorbeigewälzt. Der siebenjährige Krieg, der Unabhängigkeitskampf Amerikas, die Französische Revolution, der Aufstieg und Fall Napoleons, die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches, ein Jahrhundertwechsel mit dem Eintritt in ein neues, ein bürgerliches Maschinenzeitalter haben seinen Geist bestürmt. Als der Geheimrat von Goethe mit dreiundachtzig Jahren in Weimar stirbt, da waren Napoleon, Beethoven und Hegel tot,…mehr

Produktbeschreibung
Als Johann Wolfgang von Goethe am 28. August 1749 geboren wurde, ahnte niemand, welch ungeheurer Lebensbogen ihm vorgeschrieben sein würde. Massen von Geschichte haben sich an ihm vorbeigewälzt. Der siebenjährige Krieg, der Unabhängigkeitskampf Amerikas, die Französische Revolution, der Aufstieg und Fall Napoleons, die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches, ein Jahrhundertwechsel mit dem Eintritt in ein neues, ein bürgerliches Maschinenzeitalter haben seinen Geist bestürmt. Als der Geheimrat von Goethe mit dreiundachtzig Jahren in Weimar stirbt, da waren Napoleon, Beethoven und Hegel tot, dagegen studierte Bismarck bereits in Göttingen, Karl Marx in Berlin und Richard Wagner komponierte seine erste Oper.
Goethes Werke reflektieren die kaum überbietbare Spannweite seines Lebens, das uns in Teilen sehr nah, in seinen Anfängen unendlich fern zu sein scheint. Das "Phänomen" Goethe wird von Hans Mayer in seiner ganzen Bedeutung für Literatur und Geistesleben bis in unsere Zeit analysiert. Das Werk und das Leben werden in ihrer engen Verschränkung gezeigt, die wechselseitigen Entwicklungen aus der tiefen Kenntnis sowohl des Lebens wie der Werke Goethes erläutert.
Autorenporträt
Der Wissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller wurde am 19. März 1907 in Köln geboren. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie in Köln, Bonn und Berlin. Als Jude verfolgt, war er von 1933 bis 1945 in der Emigration in Frankreich und in der Schweiz. Von 1948 bis 1963 lehrte er Geschichte der Nationalliteraturen an der Universität Leipzig. Zwischen 1965 und 1973 war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Technischen Universität Hannover. Danach lebte er als Honorarprofessor in Tübingen.

1935, im Exil, begann er mit den Vorarbeiten für sein großes Werk über Georg Büchner; ohne Zuspruch von Carl J. Burckhardt wäre das Opus magnum nicht beendet worden. 1972 erschien eine Neuausgabe im Suhrkamp Verlag. 40 Titel von ihm sind seitdem in "seinem"rden, darunter Bücher über Goethe und Brecht, Thomas Mann und Richard Wagner; der letzte in diesen Tagen: "Erinnerungen an Willy Brandt"¶der drückte darüber brieflich noch seine Hochachtung aus.

Hans Mayer war ein Lehrer für uns Deutsche. Ein Wissenschaftler, der mitten im Stalinismus Autoren wie Kafka, Proust, Joyce und Bloch verteidigte, der, wo immer in der Welt er lehrte, Literatur befragte, ob sie geeignet sei, Humanität zu befördern. Ein Gelehrter zwischen den Fronten, dessen wichtigste Werke nicht zufällig den Unbotmäßigen und "Außenseitern"rungen waren Erinnerungen eines "Deutschen auf Widerruf"eines anderen Deutschland bereiteten neuen Kräften wie Uwe Johnson den Weg.

Hans Mayer ist Ehrenbürger der Städte Köln und Leipzig, Ehrendoktor der Universitäten in Brüssel, Wisconsin und Leipzig, Ehrenprofessor der Universität Peking, Träger des "Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland"Nestor der deutschen Literaturwissenschaft, starb am Sonnabend,
dem 19. Mai 2001, im Alter von 94 Jahren in Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2000

Stern der schönsten Höhe
Was Goethe angeht, hat Hans Mayer schon immer gewusst

Zeichen eines doppelten Jubiläums ist die Sammlung der Aufsätze von Hans Mayer über Goethe: In der Masse der Bücher zum Gedenkjahr ist sie eine Besonderheit, denn der Autor selbst setzt sich das Denkmal einer fünfzigjährigen Goethe-Verehrung. Im Jahr 1949 fand sie einen ersten Ausdruck in der "Rede an junge Menschen", die einen "Weg zu Goethe in Abkehr von allem Goethe-Kult" suchte; 1999 schließt ein biografischer Rückblick die Beschäftigung mit dem Dichter ab, der ihm immer "Stern der schönsten Höhe" gewesen war. Obwohl sich dieses Nachwort eines Buches und eines ganzen Lebens keinen Deut um das schert, was in diesem Jahr mit seinem "Stern" geschah, stimmt es mit der Voraussetzung dieser Feiern um Goethe überein. Alle Beiträge dieses Bandes nämlich haben, über das wissenschaftliche Nachdenken hinaus, nur die eine Absicht, Goethe endgültig als den einzigen großen deutschen Dichter zu inthronisieren und Schiller, der einst mit ihm den höchsten Stand teilte, abzusetzen.

Im Kontext eines Sammelbandes gewinnt der Wiederabdruck von Mayers großem Essay "Ein Versuch über den Erfolg" ein neues Gesicht. Das Bilderstürmerische des schmalen Bändchens, das, als es 1973 erschien, Furore machte, ja brüskierte, liest man nun mit der Gewissheit, dass diese Entmythologisierung von Goethes Biografie dem Blick für die Wirklichkeit und nicht nur der Lust an der Umkehr des Gewohnten entsprungen war. Die aufgeklärte Haltung Goethe gegenüber, wie sie hier empfohlen wird, hat sich allenthalben durchgesetzt. Mayers Essay plädiert dafür, Goethe nicht mehr als den Olympier, nicht mehr als den Liebling der Frauen, nicht mehr als den Inspirierten und Neuerer auf allen Gebieten der Künste und Wissenschaften zu sehen. Diese Forderung Mayers ist seitdem oft wiederholt worden, doch ist bei ihm die Energie der Negation solch gedankenloser Vorurteile noch spürbar.

Ähnlich wie K. R. Eissler führen psychoanalytische Überlegungen Hans Mayer dazu, Goethes problematisches Verhältnis zum Vater neu zu bestimmen: Um nicht in seinen Spuren zu wandeln, wechselte der junge Goethe von Frankfurt nach Weimar; und ebendeshalb schob er die Italien-Reise lange hinaus, die auch der Vater unternommen und zur Norm künstlerischer Bildung erklärt hatte. Hans Mayer relativiert die scheinbar freien Entscheidungen des jugendlichen Genies - und lenkt stattdessen das Augenmerk auf das damals noch geringer geschätzte Alterswerk. Indem er an den "Wanderjahren" eine "spezifisch moderne Romankonzeption" freilegt, verschafft er diesem abseitigen Werk eine unverhoffte stilistische Aktualität und macht die Funktion Goethes für die gegenwärtige Literatur bewusst: Der Roman sei "Literatur über Literatur, arbeitend mit Stilparodien und Collagen, als Diskontinuität des erzählerischen Zusammenhangs, mit Novellen, Briefen, Maximen und Reflexionen, Traktaten und Essays".

Mayer revidiert auch das Urteil über Goethes politische Stellung. Die Gelassenheit, die er gegenüber Goethes skeptischer Einstellung zur Französischen Revolution wahrt, versucht das Schuldenkonto des Dichters zu entlasten. Der linke Verdacht der Studentenbewegung hatte in Goethe den Fürstendiener entlarvt, dessen Werk als unpolitisch abzutun sei. Im Unterschied zu seiner politischen Verantwortungslosigkeit trat Schiller als der aufgeklärte Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft auf. Er war der Vater ihrer Revolution, Goethe der Großvater des Establishments.

Mit seinem Plädoyer für Goethe und gegen Schiller, seiner Bevorzugung der Phantasie gegenüber der Philosophie, seinem Interesse für die späte Dichtung Goethes, seiner Abneigung gegen das Drama könnte man Hans Mayer geradezu einen "Anti-Wiese" nennen. Die Bände, die Benno von Wiese unter die Deutschlehrer gebracht hatte, setzten sich Schillers dramatische Dichtung zum Maßstab aller Kunst und interpretierten sie in Begriffen, die Schillers theoretischem Werk entnommen waren. Dagegen unternimmt es Mayer im Kapitel über die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller, das Denkmal der Dioskuren zu Fall zu bringen. Die beiden "Freunde" versteht Mayer als Taktiker einer gemeinsamen Literaturpolitik, aus der Schiller die größeren Vorteile gezogen hat: "Schiller ist erfolgreich, Goethe ist es nicht. Schiller wird vom Zeitgeist inspiriert, indem er ihn inspiriert. Goethe steht quer zu ihm und bekommt es zu spüren." Schließlich erscheint Schiller als das eigentliche Hindernis für Goethes poetische Produktion: "Goethe hat im Jahrzehnt mit Schiller nichts geschaffen, was an Kühnheit, Rücksichtslosigkeit, formaler Meisterschaft vergleichbar wäre dem großen Roman (,Die Wahlverwandtschaften') und dem ,West-östlichen Divan'. Zwei künstlerische Produktionen ohne Beispiel, die sich auf lange Zeit hin  . . . als erschreckliche Misserfolge darstellen sollten."

Die Klage über die Achtlosigkeit, ja Feindseligkeit der Deutschen ihrem größten Dichter gegenüber war in den siebziger Jahren berechtigt. Sie darf endlich in dem Nachwort verstummen, das "Goethe. Tübingen 1999" überschrieben ist. Wenn aber nun Mayers Landsleute den Dichter auch eifrig genug gefeiert haben, so hätte er doch die Albernheit der zeremoniellen Scherze in diesem gedankenlosen Gedenkjahr nicht so gänzlich übersehen dürfen, wie es in dem Nachwort geschieht. Mit Mayers Erfolg setzt sich schließlich auch Goethes Misserfolg durch: Sein Werk wird, trotz aller Feiern, in diesem Jahr kaum einen neuen Leser gewonnen haben.

HANNELORE SCHLAFFER

Hans Mayer: "Goethe". Herausgegeben von Inge Jens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 448 S., geb., 58,- DM.

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