Als Reaktion auf die Zersplitterung und Verhirnung des modernen Menschen, auf die Entfremdung von der Natur und den Verlust eines gesicherten Glaubens fordert Goethe mit Nachdruck im späteren Werk, daß sich der Mensch immer wieder erneuere, statt im Festen zu erstarren. Dazu bedürfe es vor allem der Phantasie. Diese Arbeit zeigt auf, daß Bilder der Erneuerung durch Phantasie in bisher nicht gekannter Form ins Spätwerk eingegangen sind. So wird gezeigt, daß die Karawanen im "West-östlichen Divan" nicht nur Teil der Fiktion vom Dichter als Handelsreisendem sind, sondern in ihrem Hin- und Widerschweifen Verkörperungen der Phantasie selber. Im "Faust"-Kapitel geht es um den Nachweis vielfältig miteinander verknüpfter Geburts- oder Neugeburtsmetaphorik. Mehr noch: Der Dichter zeichnet in seinen Text eine Fülle von Gebärmutterformen ein; so wenn "die Menge" durch die "enge Gnadenpforte" drängt, wenn Phiolen oder Delphine zu Zeichen des ewigen Kreislaufs werden, sich in Buchten und Schluchten Tod und Neugeburt ereignen. Das Abschlußkapitel beschäftigt sich mit Gottfried Benns lebenslanger Affinität zu Goethe. Benn sieht in Goethe den heimlichen Nihilisten, der sich unter großen Anfechtungen immer wieder auf den "Olymp des Scheins" zu retten versuchte. In unvermuteter Spiegelung Bennscher Formulierungen finden sich hier noch einmal Goethes "Caravanen".