Als Goethe am 19. Oktober 1806 zum Entsetzen der Weimarer Gesellschaft die Mutter seines fast erwachsenen Sohnes heiratete, lag eine krisenhaft zugespitzte Folge traumatischer Ereignisse hinter ihm: Schillers Tod am 9. Mai 1805, Nierenkoliken, die ihm das Leben zur Hölle machten, schließlich am 14. Oktober 1806 der Sieg von Napoleons Truppen bei Jena und Auerstedt: Weimar war freigegeben zur Plünderung, der Tod allgegenwärtig. Nie stand das mögliche Ende Goethe so nah vor Augen, und er wollte, so wird gesagt, Frau und Sohn im Falle seines Todes versorgt wissen. Doch ist das als Erklärung für seine späte Heirat hinreichend? Wolfgang Frühwald zeigt, daß es wirklich Liebe war, die Goethe zu diesem Schritt bewog - eine Liebe, die sich nicht mehr um die feinsinnige Trennung von Sexualität und Freundschaft, bürgerlicher Ehe und Triebbefriedigung scherte. Der Nachweis gelingt Frühwald in einer packenden Synopse des Schicksalsjahres 1806 sowie in der Betrachtung von poetischen Texten, indenen Goethe "Barrieren gegen den Tod" errichtete.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2007Goetheana
"Wenn alle Bande sich auflösen, wird man zu den häuslichen zurückgewiesen" - mit diesen Worten vermeldet Goethe seinem im Feld stehenden Herzog Carl August die überstürzte Eheschließung mit Christiane Vulpius im Jahr 1806, mit der er zuvor nahezu zwanzig Jahre in "wilder" Ehe gelebt hat. Vorausgegangen waren dem die dramatischen Ereignisse bei der Plünderung Weimars, nachdem die preußische Armee bei Jena und Auerstedt von Napoleon vernichtend geschlagen worden war. Auch wenn die Quellenlage diffus bleibt: Christiane Vulpius war es wohl, die Goethe in dieser Nacht das Leben gerettet hat, als marodierende Franzosen in Goethes Haus drangen. Gewiss, dieses Ereignis wurde in der Goetheliteratur oft und breit geschildert - man denke nur an das Christiane-Buch von Sigrid Damm -, und doch ist es beeindruckend, was Wolfgang Frühwald daraus macht. Wie er um dieses Ereignis des "panischen Lebensschreckens" herum ein luzides Porträt des alten Goethe entwirft, wie er zentrale Aspekte von dessen Leben und Schaffen, die bekannte Todesphobie etwa oder die Vorstellungen von Ehe und Liebe, in Beziehung zu ihm setzt, nötigt gerade in seiner Leichtigkeit höchsten Respekt ab. Vor diesem Hintergrund wird auch Goethes vermeintlich obszönes Gedicht "Das Tagebuch" aus dem Jahr 1810, das von einem gescheiterten Ehebruch erzählt, von einem Produkt der frivolen Laune zu einem Dokument ehelicher Treue umgedeutet - sinnig erwähnt Frühwald, dass es Goethe Sulpice Boisserée 1815 auf der Heimreise von Heidelberg, unmittelbar nach der Trennung von Marianne von Willemer, vorgelesen hat. Schön, dass es noch Germanisten gibt, die so schreiben können! (Wolfgang Frühwald: "Goethes Hochzeit". Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2007. 79 S., geb., 11,80 [Euro].) meis
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wenn alle Bande sich auflösen, wird man zu den häuslichen zurückgewiesen" - mit diesen Worten vermeldet Goethe seinem im Feld stehenden Herzog Carl August die überstürzte Eheschließung mit Christiane Vulpius im Jahr 1806, mit der er zuvor nahezu zwanzig Jahre in "wilder" Ehe gelebt hat. Vorausgegangen waren dem die dramatischen Ereignisse bei der Plünderung Weimars, nachdem die preußische Armee bei Jena und Auerstedt von Napoleon vernichtend geschlagen worden war. Auch wenn die Quellenlage diffus bleibt: Christiane Vulpius war es wohl, die Goethe in dieser Nacht das Leben gerettet hat, als marodierende Franzosen in Goethes Haus drangen. Gewiss, dieses Ereignis wurde in der Goetheliteratur oft und breit geschildert - man denke nur an das Christiane-Buch von Sigrid Damm -, und doch ist es beeindruckend, was Wolfgang Frühwald daraus macht. Wie er um dieses Ereignis des "panischen Lebensschreckens" herum ein luzides Porträt des alten Goethe entwirft, wie er zentrale Aspekte von dessen Leben und Schaffen, die bekannte Todesphobie etwa oder die Vorstellungen von Ehe und Liebe, in Beziehung zu ihm setzt, nötigt gerade in seiner Leichtigkeit höchsten Respekt ab. Vor diesem Hintergrund wird auch Goethes vermeintlich obszönes Gedicht "Das Tagebuch" aus dem Jahr 1810, das von einem gescheiterten Ehebruch erzählt, von einem Produkt der frivolen Laune zu einem Dokument ehelicher Treue umgedeutet - sinnig erwähnt Frühwald, dass es Goethe Sulpice Boisserée 1815 auf der Heimreise von Heidelberg, unmittelbar nach der Trennung von Marianne von Willemer, vorgelesen hat. Schön, dass es noch Germanisten gibt, die so schreiben können! (Wolfgang Frühwald: "Goethes Hochzeit". Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2007. 79 S., geb., 11,80 [Euro].) meis
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angetan berichtet Rezensent Gustav Seibt von Wolfgang Frühwalds "nachdenklichem" Vortrag über Goethes Hochzeit. Der Interpretation dieser späten, von vielen Seiten argwöhnisch betrachteten Eheschließung mit Christiane Vulpius als einem Vorgang "gelingender Lebensbewältigung" kann er sich nur anschließen. Besonders deutlich wird für ihn Goethes für damalige Verhältnisse recht moderne Auffassung der Ehe als einer Beziehung, in der Liebe, Sexualität und Treue im Einklang stehen. Die so verstandene Ehe habe Goethe geholfen, seine Lebenskrise zu überwinden. Für Seibt eine "wundervolle Geschichte", die Frühwald in seinen Augen "klug reflektiert" erzählt.
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»Wie Wolfgang Frühwald ein luzides Porträt des alten Goethe entwirft, nötigt gerade in seiner Leichtigkeit höchsten Respekt ab.« Frankfurter Allgemeine Zeitung