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Weimar, das 'Herz der deutschen Kultur' war 1792/93 keine Idylle, sondern wurde von vielfältigen politischen Konflikten erschüttert. In den 'heißen' Jahren der Französischen Revolution erlebte das Herzogtum Studentenunruhen, einen Aufstand von Textilarbeitern, Spitzelwesen und Repressionen. Bürger, die gelegentlich Revolutionskokarden trugen, stellten vehemente Forderungen an Herzog Carl August. Professoren und Schriftsteller wurden eingeschüchtert, die Autonomie der Universität Jena ausgehöhlt. Teile des einfachen Volkes sahen die französischen Truppen, die Eisenach zu besetzen drohten, nicht…mehr

Produktbeschreibung
Weimar, das 'Herz der deutschen Kultur' war 1792/93 keine Idylle, sondern wurde von vielfältigen politischen Konflikten erschüttert. In den 'heißen' Jahren der Französischen Revolution erlebte das Herzogtum Studentenunruhen, einen Aufstand von Textilarbeitern, Spitzelwesen und Repressionen. Bürger, die gelegentlich Revolutionskokarden trugen, stellten vehemente Forderungen an Herzog Carl August. Professoren und Schriftsteller wurden eingeschüchtert, die Autonomie der Universität Jena ausgehöhlt. Teile des einfachen Volkes sahen die französischen Truppen, die Eisenach zu besetzen drohten, nicht als Eroberer, sondern als Befreier von der absolutistischen Herrschaft des Herzogs an. Auf der anderen Seite standen viele Bürger, die zum Krieg gegen Frankreich mit freiwilligen Spenden beitrugen. Die Edition dokumentiert in einer Vielfalt von bisher meist unveröffentlichten Texten - von Bauern, Bürgern und Studenten bis zu Professoren, Schriftstellern, Beamten, Ministern und dem Herzog und der Herzogin - das Spektrum der politischen Auseinandersetzungen. Über den Geheimrat Goethe werden 45 bisher unveröffentlichte Gesprächsberichte geboten, andere neue Dokumente betreffen Schiller, Wieland, Herder, Knebel und Charlotte von Stein.
Autorenporträt
Wilson, W. Daniel
Promotion Cornell University, 1978 (nach Studienaufenthalten in Berlin und Göttingen), seit 1983 Professor am Department of German, University of California/Berkeley. Forschungs- bzw. Verwaltungsaufenthalten in Hamburg 1989-1990, Göttingen 1994-1996, Freiburg 2001-2002. Zahlreiche Publikationen zur Literatur und Geschichte des 18. und frühen 18. Jahrhunderts, u.a.: Geheimräte gegen Geheimbünde: Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars (1991)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2005

Der Geheimrat und die Guillotine
W. Daniel Wilson macht Stimmung gegen die Weimarer Reaktion

Der kalifornische Germanist W. Daniel Wilson läßt nicht locker. Nachdem er das Goethe-Jahr 1999 dazu genutzt hatte, mit schrillem Kampf- und Verdächtigungsvokabular die "liberale" Fassade des "klassischen Weimar" niederzureißen, legt er nun einen umfänglichen Aktenband nach, um die Erinnerung an "Das Goethe-Tabu" (F.A.Z. vom 1. April 1999) aufzufrischen, ein allerdings schwerverdauliches Supplement für das Publikum, das sich seinerzeit, bis hin zum Bundespräsidenten, verblüffen ließ von der archivalischen Mühsal und also doch Akribie, die der unerschrockene Enthüller für sich geltend zu machen wußte.

Nun also Teile des einschlägigen Materials, zumeist aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar: gut sechshundert Seiten Dokumente zu den "Krisenjahren" 1792 und 1793, insgesamt 572 Stücke, davon werden 361 erstmals publiziert. Den interessantesten Quellenbestand bildet dabei der Briefwechsel der Weimarer Räte mit dem größtenteils abwesenden Herzog Carl August - der agierte, von Goethe begleitet, in den Feldzügen der Koalition gegen die Revolution und schuf damit eine gute Quellensituation. Um eine "neue Goethe-Edition", wie der Verlag signalisiert, handelt es sich freilich nicht oder doch nur zum geringsten Teil. Für die "Begegnungen und Gespräche Goethes" fällt wenig Neues ab, "eher Alltägliches", wie Wilson selbst sagt. Er legt allerdings Wert darauf, daß doch eine Reihe von "amtlichen" Tätigkeiten erstmals dokumentiert würden. Darunter übrigens, etwas überraschend, die Rolle Goethes als "Militärexperte" - die er sich durch eine Äußerung just über die Qualität der päpstlichen Streitkräfte verdient.

Doch das ist Beiwerk. Wilson weiß, was er will. Eine umfängliche Einleitung legt dar und fest, was die Dokumentenflut lehren soll, was ihn also bei der Auswahl geleitet hat. Und da tauchen nun die alten vorwurfsvollen Topoi nahezu vollzählig wieder auf. Der Generaltenor: Weimar war keine Insel des Friedens, sondern durchfurcht von den "tiefgreifenden Auswirkungen der Französischen Revolution". "Machtvoll" greife die Revolution in "die Meinungen, aber auch in die Handlungen der Untertanen" ein; "aufmüpfige Bauern, hungernde Textilarbeiter, randalierende Studenten, eingeschüchterte Professoren oder kritische Intellektuelle" sorgen für "Konflikte zwischen Herrschaft und Untertanen", denen Wilson nur mit Mühe das Etikett Klassenkampf vorenthalten mag; eine "dynamische politische Kultur" komme so zu Gesicht, eine "Protestkultur".

Schade nur, daß auch Wilson da ebensowenig wie in den anderen deutschen Territorien ein "revolutionäres Potential" ausmachen kann, nicht einmal ein paar neue deutsche Jakobiner, die sich "nicht durch die geschäftige Guillotine" abschrecken ließen, hat er dingfest machen können. Schrumpft so das Revolutionäre zum "Aufmüpfigen", dann muß sich der Wille zur Kritik an der Einschwärzung der "Herrschenden" abarbeiten. Daß sie, also der Herzog und seine Geheimräte, Goethe immer eingeschlossen, die Revolution ablehnten und bekämpften, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Verwunderlich auch nicht, daß sie Druck ausübten, ihre Position selbstbewußt verteidigten, gegen vermeintlich revolutionäre Tendenzen Front machten. Natürlich gefällt Wilson die ganze Richtung nicht. Er sucht deshalb nach den kleinen oder größeren Infamien, an denen es Gegenrevolutionäre doch nicht fehlen lassen können.

Vertieft man sich tatsächlich in die Dokumente, dann erlebt man freilich eine große Überraschung. Angesichts der Masse und der Kontextbildung der Zeugnisse verliert die angekündigte Empörung bald ihren Schwung. Zu sehen ist vielmehr, wie die Räte ihre Verantwortung wahrnehmen und ihres Amtes walten. Insbesondere Christian Gottlieb Voigt, den man den "eigentlichen Minister des klassischen Weimar" genannt hat und der deshalb hier auch am häufigsten zu Wort kommt, macht eine ausgesprochen gute Figur. Das gleiche gilt für den Herzog. Grobe oder schlampige Willkürherrschaft jedenfalls sieht anders aus. Und man bemerkt: Wilsons zugespitztes Vokabular, oftmals ins politisch Korrekte modernisiert, kommt den Personen und Tatbeständen nicht recht bei. "Reaktion", "Revolten der Untertanen", "Berufsverbot", "Solidarität", "schmutziges Geschäft", "Knebelung", "Einschüchterung", "Blamage" und dergleichen Pathosformeln mehr bemühen sich um eine Empörungssemantik, die die Beobachtung mehr behindert denn fördert.

Woran es hapert, ist Augenmaß. Das beginnt schon mit der eigentümlichen Marotte, die Verfasser der Dokumente stets mit ihren Dienstnamen anzuführen. "Brief von Oberkonsistorialvizepräsident Herder und Caroline Herder an Geheimrat von Goethe", "Brief von Professor Schiller an C. G. Körner" - das soll, wie der bei Wilson allgegenwärtige Titel "Geheimräte", irgendwie die Zugehörigkeit zum System und damit eine strukturelle Verstrickung signalisieren, wirkt aber nur pedantisch. Nicht weniger albern sind Kurzeinträge, die ihre Urheber ins schiefe Licht rücken sollen: "Trost des kranken Schiller für die kranke Charlotte von Stein"; "Goethes Wohlbefinden nach der Belagerung von Mainz", "Bestellung eines Briefes von Schiller". Seltsam nehmen sich auch die Mitteilungen über den "Selbstmord eines Jenaer Studenten", über "Zunehmende Wahnsinnsfälle in Weimar" und "Wahnsinnige in Weimar" aus - man soll das wohl als Auswirkung der (unterdrückten) Revolution verstehen?

Blicken wir auf die Proportionen, und halten wir uns an ein Beispiel. Gut die Hälfte des Materials, auf nahezu dreihundert Seiten, hat es mit studentischen Unruhen in Jena zu tun. Wir sollen lernen: Die Studentenrevolte in Jena bildet offenbar das Großereignis des Jahres 1792, womöglich gar einen revolutionären Anlauf, der den Repressalien der "Herrschenden" zum Opfer fiel. Mit Verve jedenfalls und in überbordender Ausführlichkeit übernimmt Wilson die Rolle des Anwalts der "aufmüpfigen" Studenten. Mißlich nur, daß sich die Tumulte, die schließlich zum Auszug einiger hundert Studenten aus Jena führten, just an der Frage des Duells und der "konservativen" Studentenorden entzündeten, mit der Französischen Revolution also ideologisch nicht das mindeste, allenfalls den Aktionismus, ein paar "symbolische Merkmale" oder eine "metaphorische Parallele" gemein hatten.

So unbefriedigend das ist, zumindest das Verhalten der Weimarer Großen gibt Wilson Anlaß zur Erregung. Noch einmal rollt er den "Fall" Schiller auf. Hat der doch, von der Schiller-Forschung nicht bemerkt, einen Appell Jenaer Professoren mitunterschrieben, der den Herzog um Schutz, zur Not auch militärischen, gegen die "Roheit und Verwilderung" auf der Straße bittet. Nur nebenbei erfährt man, daß zuvor der Prorektor Ulrich "Gefahr lief, laternisirt zu werden, und meine armen Kinder in ihren Betten im ersten Schlummer von einem Steinregen getödtet zu sehen". Wichtiger und anstößiger ist Wilson, daß Schiller gegen die Studenten votierte, mehr noch, so glaubt er, daß Schiller sich ausgerechnet von den Ereignissen "vor der eigenen Haustür" und "um die Ecke" noch Jahre später zur Schilderung der entgleisten Französischen Revolution inspirieren ließ -- als hätte er nie von den Tuilerien- und Septembermorden und der "geschäftigen Guillotine" gehört.

Dem Freund Körner erklärt Schiller, er halte die Jenaer Unruhen für "gar zu erbärmlich", um davon zu schreiben. Man glaubt ihm gern. Eine Frage des Augenmaßes also. Schade übrigens, daß Wilson die Nachrichten aus Frankreich, wie sie die "Weimarischen Wöchentlichen Anzeigen" brachten (ganz abgesehen von den französischen Zeitungen, die man natürlich zur Kenntnis nahm), sporadisch in Fußnoten abdrängt. Gehören sie nicht zu den "Dokumenten", die viele Weimarer Reaktionen erst verständlich machen? Auf Nachrichten über die Erlaubnis, Hasen und Kaninchen in einem Garten zu erlegen, würde man statt dessen gern verzichten.

Auch Goethe bleibt in der studentischen Angelegenheit nicht ungeschoren. Denn auch er war kein Freund der "Aufmüpfigen". Man kann sogar nachlesen, wie er den Zug der Jenaer Studenten in Weimar beobachtete - sachlich berichtet er darüber: "Sie gingen alle still und man dürfte wohl sagen verdrüßlich, keinen Ausdruck von Frechheit oder Wildheit bemerkte ich." Wilsons Kommentar gibt sich diesmal lakonisch: "Er beobachtete die in Weimar ankommenden Studenten heimlich von einem Gartenhaus aus." Vielleicht erinnert man sich noch an die Skandalisierung dieses Vorgangs, die Wilson vor Jahren inszenierte: "Zum Dichten geboren, zum Spitzeln bestellt", hieß es damals. Davon bleibt jetzt nur noch das eingeschmuggelte Wörtchen "heimlich". Die Denunziation ist geplatzt, eigentlich wäre eine Entschuldigung fällig. Natürlich fehlt es auch diesmal nicht an "Spitzeln" in Sachsen-Weimar - agieren sie auf französischer Seite, dann heißen sie freilich "Agenten".

Schwer zu sagen, worin der Nutzen von Wilsons immenser Fleißarbeit besteht. Wilson hat gegen die Weimarer nachgelegt, aber das alte Feuer will nicht recht brennen. So mag denn die Lektüre dieses bleischweren Bandes als Bußübung für seinerzeit Leichtgläubige dienen.

HANS-JÜRGEN SCHINGS

W. Daniel Wilson (Hg.): "Goethes Weimar und die Französische Revolution". Dokumente der Krisenjahre. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2004. 741 S., geb., 74,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auch mit seinem jüngsten Buch will der kalifornische Germanist W. Daniel Wilson die "liberale Fassade des klassischen Weimar" niederreißen, stellt Hans-Jürgen Schings fest. Wie schon in einem Aufsatz von 1999, in dem er versucht hatte nachzuweisen, dass Goethe im Dienst des Herzogs Carl August gegen die Tendenzen der Französischen Revolution agierte und sich als Spitzel betätigte, legt er nun ein Konvolut von fast 600 Dokumenten vor, größtenteils aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar, die untermauern sollen, wie heftig Weimar von den Auswirkungen der Französischen Revolution erschüttert wurde, erklärt der Rezensent. Der Nachweis der "groben und schlampigen Willkürherrschaft", die der Autor in Weimar gern entdecken will, gelingt dem Autor nicht recht, meint Schings, und so verliere sich Wilsons "angekündigte Empörung" bald "ihren Schwung", so der Rezensent. Etwas hämisch weist Schings darauf hin, das die Studentenunruhen von Jena beispielsweise, in denen sich der Verfasser auf fast 300 Seiten und in "überbordender Ausführlichkeit" auf die Seite der Studenten schlägt, mit den ideologischen Inhalten der Französischen Revolution rein gar nichts zu tun hatten. Für ihn krankt das Buch vor allem an "fehlendem Augenmaß" und er findet es äußerst fraglich, wo der "Nutzen" dieser "immensen Fleißarbeit" liegen soll. Vielleicht ist dieser "bleischwere Band die Bußübung" für diejenigen, die Wilsons Vorwürfe seinerzeit allzu "leichtgläubig" geschluckt haben, mutmaßt Schings.

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