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Jaz und Lisa Matharu reisen mit ihrem autistischen Sohn in die kalifornische Mojave-Wüste, um dem New Yorker Alltag zu entfliehen und ihre Ehe zu retten. Doch bei einem Ausflug verschwindet der vierjährige Raj in der Nähe einer Felsformation, die die bizarre Landschaft prägt und seit jeher Objekt mythischer Vorstellungen ist. 1947 ließ sich an gleicher Stelle ein ehemaliger Flugzeugmechaniker namens Schmidt nieder, der in den Felsen eine natürliche Antenne sah, um Kontakt zu Außerirdischen aufzunehmen. Quellen zufolge war dort bereits 1778 dem Missionar Francesco Garcès ein Engel erschienen,…mehr

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Produktbeschreibung
Jaz und Lisa Matharu reisen mit ihrem autistischen Sohn in die kalifornische Mojave-Wüste, um dem New Yorker Alltag zu entfliehen und ihre Ehe zu retten. Doch bei einem Ausflug verschwindet der vierjährige Raj in der Nähe einer Felsformation, die die bizarre Landschaft prägt und seit jeher Objekt mythischer Vorstellungen ist. 1947 ließ sich an gleicher Stelle ein ehemaliger Flugzeugmechaniker namens Schmidt nieder, der in den Felsen eine natürliche Antenne sah, um Kontakt zu Außerirdischen aufzunehmen. Quellen zufolge war dort bereits 1778 dem Missionar Francesco Garcès ein Engel erschienen, in Menschengestalt, mit dem Kopf eines Löwen ... Alle Versuche der Polizei, Raj zu finden, scheitern, und es tauchen vermehrt Blogs und Tweets auf, in denen Jaz und Lisa verdächtigt werden, selbst für das Verschwinden ihres Kindes verantwortlich zu sein.Meisterhaft verknüpft Hari Kunzru eine Vielzahl von Schicksalen zu einem hellsichtigen, hochaktuellen Roman, der zugleich Gegenwartspanorama und Echokammer der Vergangenheit ist. Denn gestern wie heute ist das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen immer auch ein Kampf um Wahrheit und Macht.
Autorenporträt
Hari Kunzru, 1969 in London geboren, gehört zu den wichtigsten britischen Autoren seiner Generation. Für seinen Debütroman »The Impressionist« erhielt er 2003 u.a. den Betty Trask Award und den Somerset Maugham Award. Er wurde in die renommierte Granta-Liste aufgenommen und 2005 bei den British Book Awards als Autor des Jahres ausgezeichnet. Er veröffentlichte bislang fünf Romane, die in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden. 2016 war Hari Kunzru Fellow an der American Academy in Berlin, derzeit lebt und arbeitet er in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2020

Die Wahrheit ist irgendwo da draußen
Meister des Perspektivwechsels: In Hari Kunzrus Roman "Götter ohne Menschen" geht ganz Amerika auf Sinnsuche

"In der Wüste bin ich das wert, was meine Gottheiten wert sind", heißt es bei Antoine de Saint-Exupéry, der zum Ödland ein besonderes Verhältnis hatte. Als Pilot barg er mehrfach in der Wüste notgelandete Kollegen, bis er in der Nacht zum 30. Dezember 1935 beim Versuch eines Rekordflugs selbst in der ägyptischen Wüste eine Bruchlandung hinlegte. Er und sein Mechaniker kamen mit dem Leben davon, sie hatten aber noch die existentielle Erfahrung eines mehrtägigen Marschs durch Hitze und Sand vor sich, mit Halluzinationen und unzureichendem Trinkwasservorrat im Gepäck, bevor ein libyscher Beduine sie rettete. Und begegnet nicht der Erzähler von Saint-Exupérys berühmtesten Werk dem außerirdischen kleinen Prinzen, einem Sinnsucher vor dem Herrn, nach einer Notlandung ausgerechnet in der Sahara?

Hari Kunzrus Roman "Götter ohne Menschen", 2011 im englischen Original erschienen, weist durchaus Anknüpfungspunkte zu Saint-Exupéry auf. Er spielt erstens großenteils in der Wüste, und zweitens halten einige Figuren zu ganz unterschiedlichen Zeiten einen kleinen Jungen für ein extraterrestrisches Wesen, in einem Fall allerdings eher im Geiste von "Die Körperfresser kommen". Auf Sinnsuche sind sie fast alle. Der 1969 in London geborene Kunzru, der inzwischen in New York lebt, spielt mit dem Titel indes auf Balzacs "Eine Leidenschaft in der Wüste" an: "In der Wüste, sehen Sie, da ist alles, und da ist nichts. Da ist Gott ohne die Menschen." Bei Kunzru ist es die Mojave-Wüste, die Protagonisten und Leser in ihren Bann schlägt. Ihre Menschenleere, ihre Lebensfeindlichkeit wirkt anziehend: "eine Landschaft, die einen in Frieden ließ", eine "endlose, fast unmenschliche Leere", ein "Ort der Stille", einzig definiert durch die völlige "Abwesenheit menschlicher Existenz und jeder Form von erkennbarem Maßstab". Inmitten der Leere und gleichzeitig im Zentrum des Romans steht eine merkwürdige Felsformation: die Drei-Finger-Felsen der Pinnacles. Um sie kreisen die Figuren und Zeiten.

Zum Beispiel Lisa und Jaswinder "Jaz" Matharu mit dem autistischen Sohn Raj, dessen Entwicklungsstörung ihre interkulturelle Ehe belastet wie ein Fluch. Jaz unterstützt im Jahr 2008 den financial engineer Cy Bachmann bei der Entwicklung des sogenannten Walter-Programms, eines globalen Analystenmodells, das alles mit allem verbindet, aus bruchstückhaften Informationen ein Ganzes schafft und Honduras in eine Staatskrise stürzt. Dabei ist Cy doch nur auf der Suche nach dem Gesicht Gottes. Da ist der abgehalfterte britische Rockstar Nicky Capaldi, der wieder klar denken und "irgendwie mit der Wüste kommunizieren" will; nach einer zufälligen Begegnung mit Raj gerät er kurzzeitig unter Verdacht, dem Jungen etwas angetan zu haben. Laila wiederum, aus dem Irak in die Vereinigten Staaten geflohen, nachdem ihr Vater ermordet worden war, soll in einer Art militärischem Rollenspiel amerikanischen Soldaten beibringen, was alles bei einem Einsatz in ihrer früheren Heimat passieren könnte. Gleichwohl wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ein echtes amerikanisches Mädchen zu sein, das Arcade Fire hört.

Das ist ein Teil der Figuren, die die Handlung zu Beginn des 21. Jahrhunderts prägen. Im achtzehnten Jahrhundert sind außerdem christliche Missionare zugange, im ausgehenden neunzehnten grassiert der Silberbergbau, zu Beginn des zwanzigsten die Eifersucht, die zu einer mörderischen Hetzjagd auf einen Indianer führt. Alsdann kommen Ufo-Gläubige, Hippies und ein Crystal-Meth-Koch. Immer wieder verschwindet ein Kind und taucht später wieder auf. Immer wieder kommt es zu unerklärlichen Erscheinungen dessen, was zunächst für ein "göttliches Luftschiff" gehalten wird. Später dann sollen es Abgesandte des Ashtar Galactic Command sein, gekommen, um die Welt vor der atomaren Vernichtung zu bewahren und die Menschheit in ein galaktisches Zeitalter zu führen. So wie laut Arthur C. Clarke jede hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie nicht zu unterscheiden ist, sind auch Engel und Außerirdische nur schwer voneinander zu trennen. Es kommt auf die Perspektive an. Und Kunzru ist ein Meister des Perspektivwechsels.

Jedes Kapitel stellt eine andere Figur in den Mittelpunkt, ein anderes Genre und eine andere Zeit; chronologisch geht Kunzru nicht vor, und die Verbindungen zwischen den einzelnen Geschichten finden sich oft in marginalen Motiven, in einem fiktiven indianischen Mythos oder einer obskuren Schallplattenaufnahme. Das größte erzählerische Verdienst in "Götter ohne Menschen" ist jedoch, dem Unerklärlichen Raum zu geben, ohne es zu erklären. Auch den historischen Hintergründen - der Finanzkrise oder dem Irak-Krieg - stülpt Kunzru keine letztgültige Interpretation über. Selbst für jene, die in sie verstrickt sind, bleiben sie nebulös.

Und noch etwas ist bemerkenswert an diesem großartigen Roman, der süchtig macht wie ein Zauberwürfel und in seiner Weitverzweigtheit und dem Raffinement entsprechend schwer zu knacken ist: Er ergründet das amerikanische Wesen, das stets danach strebt, die Leere zu füllen - geographisch, esoterisch, religiös, militärisch, durch Zahlenmagie, wissenschaftlichen oder technischen Fortschritt und die beständige imperialistische Neudefinition einer last frontier. Der britisch-indische Schriftsteller Hari Kunzru hat somit eine "Great American Novel" geschrieben. Ein Akt der kulturellen Aneignung, wie er ihn in seinem bösen Lehrstück "White Tears" sechs Jahre später profund auf die Schippe nehmen sollte. Es wäre ja auch noch schöner, wenn nur noch Italiener Spaghetti kochen dürften. Kunzrus "Götter ohne Menschen" misst unterdessen den Wert der amerikanischen Götter. Nur in der Wüste dürfen wir sie gelegentlich schauen. Doch sie zeigen uns die kalte Schulter.

ALEXANDER MÜLLER

Hari Kunzru: "Götter ohne Menschen". Roman.

Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Liebeskind Verlag, München 2020. 414 S., geb., 24,- [Euro].

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