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Produktdetails
  • List Taschenbücher 60144
  • Verlag: List TB.
  • Originaltitel: Gogols ansikte
  • Seitenzahl: 359
  • Deutsch
  • Abmessung: 22mm x 125mm x 187mm
  • Gewicht: 264g
  • ISBN-13: 9783548601441
  • ISBN-10: 3548601448
  • Artikelnr.: 09806115
Autorenporträt
Kjell Johansson, 1941 in Stockholm geboren, lebt auch heute noch in der schwedischen Hauptstadt, wo er Philosophie studierte und 1972 seinen ersten Roman schrieb. Seither hat er weitere Bücher für Kinder und Erwachsene verfasst und ist dafür mit namhaften Preisen ausgezeichnet worden. Der Autor gilt als einer der wichtigsten schwedischen Schriftsteller der Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2001

Die Welt mit Worten regieren
Sehr aufgeräumt: Mit Kjell Johansson in "Gogols Welt"

Kompliziert war der Einfluß, den Nikolai Gogol auf die Entwicklung der russischen Literatur ausübte. Noch komplizierter war seine Persönlichkeit, die manchen seiner Zeitgenossen kräftig auf die Nerven gegangen sein dürfte. Wer ein Faible für sensible Künstlernaturen hat, kann die eigene Belastbarkeit am fiktiv wiederbelebten Objekt erproben: Kjell Johansson, dessen Roman "Der Geschichtenmacher" im vorigen Jahr bei uns erschienen ist, fand vor einem guten Jahrzehnt Gefallen daran, sich in das reizbare Genie Gogol hineinzuversetzen und statt seiner die Autobiographie zu schreiben, die der lebensmüde Frühvollendete nicht mehr hinterlassen konnte. "Gogols Welt" nennt der deutsche Verlag die jetzt nachgereichte Übersetzung, vielleicht mit einem hoffnungsvollen Seitenblick auf den Erfolg von "Sofies Welt", mit deren norwegischem Erfinder der Schwede Johansson immerhin das Studium der Philosophie gemeinsam hat. "Gogols Gesicht" lautet der Titel im Original; das hätte in der deutschen Version einen hübschen Stabreim ergeben und vermittelt eine Ahnung von der weltabweisenden Egomanie, die den Romanhelden immer wieder dazu treibt, sich im Spiegel zu betrachten. Was er dort sieht, macht ihn freilich wenig froh: "Wäre es doch die Maske eines Narren, die man abnehmen kann!"

Wenn der Narr sich als veritabler Psychopath entpuppt, so ist das zwar traurig, muß aber nicht zwangsläufig auf die Leselaune drücken. Ein anderer Skandinavier, der in Hamburg lebende Norweger Ingvar Ambjörnsen, hat es in der Kunst, aus der Perspektive eines Verrückten zu erzählen, zu schwarzhumoristischer Meisterschaft gebracht. Das Vorbild, auf das Kjell Johansson direkt zurückgreifen konnte, trägt ebenfalls komische Züge: Gogols Erzählung "Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen", das Selbstporträt eines armen Beamten, der schleichendem Größenwahn anheimfällt, galt nicht nur dem damaligen Kritikerpapst Belinski als Beleg für die Gabe des Verfassers, ein "mit Bitternis durchsetztes Lachen" zu erzeugen.

Diese Chance hat Kjell Johansson bei seinem Versuch, in die Haut des seelisch labilen Nikolai Wassiljewitsch zu schlüpfen, leider verschenkt. Er läßt den Unglücklichen vom Ende her, aus dem letzten Stadium einer manisch-depressiven Gemütsstörung, auf sein Leben zurückschauen. So bleibt kein Spielraum, die fortschreitende Verzerrung des Blicks, die allmähliche Verschiebung der Trennlinie zwischen dem Normalen und dem Krankhaften, dem Realen und dem Absurden literarisch auszukosten, wie es Gogol bei seinem "Wahnsinnigen" tat. Wo eine adäquatere Darstellung den Dichter wohl als nervösen Grenzgänger zwischen Wahn und Wirklichkeit porträtiert hätte, der sich stufenweise der Selbstzerstörung nähert, erleben wir nur einen gleichmäßig überspannten Neurotiker, der mitleidheischend Bilanz zieht, bevor er den Griffel und den Löffel aus der Hand legt.

Damit konnte sich Gogols postumer Ghostwriter die Mühe ersparen, die verschiedenen Stilebenen zu erproben, die der Schöpfer der "Toten Seelen" so virtuos beherrschte, und er brauchte auch nicht zu berücksichtigen, daß jener der Überlieferung zufolge ein Meister der Verstellung und Selbstinszenierung war: Es genügte, einen hochfahrenden Ton anzuschlagen und ihn mal larmoyant, mal schwärmerisch einzufärben. Mit diesem beschränkten Instrumentarium ließ sich jedenfalls eine Fülle von Fakten und Vermutungen, Folklore und Phantastik rund um den hypochondrischen Sonderling erfassen, der zeitlebens davon träumte, "den Schriftsteller mit dem Verkünder zu vereinigen".

Gogol erinnert sich, schön chronologisch, zuerst an die behütete Kindheit auf dem ukrainischen Gut Wassiljewka, an die Geschichten des Vaters und die religiösen Eingebungen der Mutter, an den Tod des geliebten Bruders, aber auch an die eigenen Allmachtswünsche und die früh erwachte Sehnsucht, "die Welt mit Worten zu regieren". Die Eltern versichern dem Sohn, er sei ein Auserwählter, der "eine große Aufgabe und ein großes Opfer" vor sich habe, doch unter seinen Mitschülern am Gymnasium von Neshin fühlt sich der Knabe Nikolai "klein und ängstlich, häßlich, böse und seltsam" und wird als "mystischer Zwerg" verspottet. Aha, denkt der Leser und wundert sich fortan über gar nichts mehr, was dem Spannungsaufbau, von dem ja auch biographische Romane leben, nicht eben zuträglich ist.

Einiges Geschick beweist der Autor hingegen darin, die geistigen und politischen Auseinandersetzungen, die Rußlands Intelligenzija in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bewegten und spalteten, auf einfache Begriffe zu bringen und mit ausgewählten Strecken der weiteren Laufbahn Gogols so zu verbinden, daß eine schwungvoll schulfunkgerechte Mischung aus Dichterleben und Epochenpanorama entsteht. Schade ist es dabei um die grotesken Episoden, erfunden oder verbürgt, die durch das nie erlahmende Pathos des Ich-Erzählers ihr satirisches Potential einbüßen, etwa Gogols erste Begegnung mit Puschkin, seine Erlebnisse in Rom oder die Frustration, die er als Schreiber im Petersburger Besoldungsamt erfährt.

"Wegen Gesäßbeschwerden" konnte der krisengeschüttelte Künstler und leidenschaftliche Reisende seinem Land nicht dauerhaft als Beamter dienen - zum Segen der Literatur. Von ihr ist in Johanssons Porträt eher wenig die Rede, dafür um so mehr von Gogols religiösen Visionen, die gegen Ende seines Lebens immer bedrängender wurden. Was es mit seiner Hinwendung zum Christentum auf sich hatte, mit seinen restaurativen Gesellschaftsutopien und seinem messianischen Drang, die russische Seele zu ergründen und zu veredeln, liest man indes besser in Gogols Essays nach, die bei aller Exaltation doch immer noch von hohem intellektuellen Anspruch künden. Den aber darf getrost an der Garderobe abgeben, wer "Gogols Welt" an der Hand von Kjell Johansson betritt.

KRISTINA MAIDT-ZINKE

Kjell Johansson: "Gogols Welt". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Alken Bruns. Claassen Verlag, München 2000. 360 S., geb., 39,90 DM.

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