Produktdetails
  • Verlag: Piper
  • Seitenzahl: 151
  • Abmessung: 20mm x 122mm x 195mm
  • Gewicht: 256g
  • ISBN-13: 9783492040914
  • ISBN-10: 3492040918
  • Artikelnr.: 08530922
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2000

Virtuelle Baustelle
Berlin als Video-Clip: Ralf Bönts kleiner Roman "Gold"

In Berlin herrscht bekanntlich Aufbruchstimmung. Dazu paßt, daß in Ralf Bönts zweitem Roman ein dynamisches Kollektiv als Erzähler auftritt: "Uns die Stadt. Denn wir sind nicht ängstlich, und das Schönste am Krieg ist ja die Nachkriegszeit. Da wird alles gut, wie wir wissen, das ist sicher, es wird besser, sicher ist eh sicher, okay, alles geht vorwärts und dann, am Ende? wird es Gold." Merkwürdig nur, daß dieser Wir-Erzähler Zeit hat, sich ein ganzes Buch lang mit "einer orientierungslosen Gruppe" zu beschäftigen, mit einer Handvoll von Leuten, die mit ihren nächstliegenden Problemen, nämlich mit den Wirrungen der Sexualität beschäftigt sind. Hans aus Frankfurt liebt Anna aus Bernau, aber die betrügt ihn mit einem Sportler; der Berlin-Türke liebt Lotte, aber die betrügt ihn mit Hans. Außerdem mußte der Kater eingeschläfert werden. Da ist an Aufbruch und Bruttosozialprodukt nicht zu denken.

Die kleinen Schicksale werden als Video-Clip erzählt, mit schnellen Schnitten und assoziativen Überblendungen. Er wirkt aber wie in der Zimmer-Kopf-Welt gedreht. Berlin ist da nur eine Fototapete: ein Blick über den Kanal zum Dom oder die Spree hinunter zum Fernsehturm, eine Häuserflucht mit Sonnenuntergang, der Friedrichshain, eine Kneipe mit Tresen, das ist fast alles. Im Zimmer läuft der Fernseher, ein Quiz, in dem Carola sich anschickt, den Hauptgewinn davonzutragen. Nur von ferne und verworren dringen die Stimmen der Geschäftswelt in den Altbau. Was sie sagen, scheint auch der Wir-Erzähler nicht zu verstehen, oder er will es nicht verraten. Die Tochter des Vorstands jedenfalls treibt es zur Bluttat.

Berlin ist in dem Buch ein Versprechen, das garantiert nicht gehalten wird: "Alles neu, sagt Lotte, dachte ich, neue Stadt, Berlin dachte ich, sagt sie, neues Glück, vielleicht die Liebe. Lacht Lotte laut: Also, alles ganz klasse, sagt sie, super, wirklich ganz toll!" In jedem Fall aber ist Berlin "die Party". Der gelassene Wir-Erzähler, dessen Lieblingswort eine Übersetzung ist: "kühl", kann allen seinen Personen in den Kopf sehen, behauptet es mindestens. Er läßt sie in Fallen stolpern und Irrwege gehen, sich aufregen, weinen oder lachen, aber wenn es ihm einfällt, nimmt er alles wieder zurück, und die Gefühle sind für die Katz. Ein kleiner Gott des Cyberspace mit multipler Persönlichkeit. Auch mit der Stadt springt er um, wie es ihm beziehungsweise ihnen gefällt: "Wir reißen Berlin ab, bauen ein neues mit Denkmälern drin. Die, harmlose Kunst, erzählen vom Krieg und dann basta! Die Clips schalten wir wieder ein, zwischen die wichtigsten Szenen und wiederholen sie dauernd." Da ist das bißchen Lokalkolorit auch noch hinüber, und die "verkorksten Figuren" tappen im Leeren.

Ralf Bönt treibt ein virtuoses, passagenweise witziges Spiel mit sprachlichen und visuellen Klischees und bemüht sich erfolgreich, dem Ruf nach dem Hauptstadtroman nicht zu genügen. Der Unterhaltungswert ist mäßig, der Erkenntniswert wie bei Video-Clips noch geringer. Man erfährt nur, daß Berlin und das Leben virtuelle Baustellen sind. So ein Text, denkt der Leser, sollte mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet werden. Da ist es schon geschehen. Und das ist wirklich wahr, soweit wir wissen.

FRIEDMAR APEL

Ralf Bönt: "Gold". Roman. Piper Verlag, München 2000. 152 S., geb., 29,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obwohl Friedemar Apel dem Autor ein "virtuoses, passagenweise witziges Spiel mit sprachlichen und visuellen Klischees" bescheinigt, so kann er dem Buch summa summarum nur wenig abgewinnen. Weder findet er es unterhaltsam, noch kann er irgendeinen "Erkenntnisgewinn" aus der Lektüre ziehen. Vielmehr fühlt er sich an einen Video-Clip erinnert, bei dem sich schnelle Bilder aneinander reihen oder auch überschneiden, und auch das Hauptthema, von dem das Personal umgetrieben wird - nämlich Sexualität - kann den Rezensenten zumindest in dieser Form nicht vom Hocker hauen. Kein Wunder, dass ein solcher Text mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet worden ist, merkt der Rezensent abschließend etwas süffisant an.

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