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Autorenporträt
Daniel Jonah Goldhagen unterrichtete viele Jahre Politologie in Harvard, bis er sich entschloss, sich ausschließlich der Forschung und dem Schreiben von Büchern zu widmen. Goldhagen ist Mitglied des Minda de Gunzburg Center for European Studies in Harvard.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2002

Jonah, der Wiedergutmacher
Daniel Goldhagens neues Buch als moralische Handlungsanleitung / Von Moshe Zimmermann
Daniel Jonah Goldhagen ist diesmal eindeutig eher Jonah als Daniel: Die erste Aufgabe, die er in seinem neuen Buch „Die katholische Kirche und der Holocaust” (künftig: G2) auf sich genommen hat, besteht darin, Sünder zur Buße aufzurufen wie seinerzeit der Prophet Jonah in Ninive. Schuld, Wiedergutmachung und Moral stehen im Mittelpunkt, nicht die historische Forschung wie noch im ersten Goldhagen-Buch „Hitlers willige Vollstrecker” (künftig: G1). Die zweite Aufgabe des Buches wäre dann, den Sündern ein Buß- und Wiedergutmachungsmenü anzubieten. Offeriert werden „ein Paradigma und eine Reihe von Verfahrensweisen, die auch auf andere Fälle anwendbar sind”. Die Katholiken wurden also nur „exemplarisch” als Zielscheibe gewählt. Wir im modernen Ninive sollen von Goldhagen erfahren, wie man mit Sünde und Wiedergutmachung umzugehen hat. „Wir haben das Recht zu urteilen”, fügt Goldhagen hinzu. Er will also urteilen, praktiziert dabei aber weniger Buße, dafür mehr Wiedergutmachung (für sich), Rückzieher und Vergeltung.
Zur Schuld der Deutschen: Bereits in G1, das sich mit dem „eliminatorischen Antisemitismus” der Deutschen seit Luther beschäftigte, sorgte eine Fußnote für einen partiellen Ablass: Die Generation nach 1945 wurde von der automatischen Teilnahme am „eliminatorischen Antisemitismus” rückwirkend entlastet. Mit der Wahl der Katholiken als Ziel des Angriffs von G2 können nun – vorübergehend – auch die nichtkatholischen Deutschen aufatmen. Mehr noch: Die besondere deutsche Last an der Schuld wurde – wenigstens andeutungsweise – relativiert: Schuldig gesprochen sind „gewöhnliche Deutsche und (!) Nichtdeutsche während des Holocaust”.
Gegen den Vorwurf der Kollektivschuld wehrt sich G2 mit Nachdruck, weil es „jegliche moralische Untersuchung” vermeidet. Richtig. Aber damit ist der Satz aus G1 außer Kraft gesetzt, nach dem die Last der Beweisführung nicht bei denjenigen liege, die den „eliminatorischen Antisemitismus” der Deutschen nachweisen wollen, sondern umgekehrt bei denen, die einige Deutsche von diesem automatischen, kollektiven Charakterzug entlasten möchten. Nun kommt in G2 ein weiterer Rückzieher: Goldhagen behauptet, wiederholt anerkannt zu haben: „Es gab durchaus Deutsche, deren Ansichten über den Juden mit der vorherrschenden antisemitischen Ansicht ihrer Kultur nicht übereinstimmten.” Auch heißt es: „Viele gewöhnliche Deutsche waren in der NS-Zeit Antisemiten”, also nicht alle, und nicht unbedingt vor dieser Zeit. Und diese Deutsche waren nicht allein: „Schweizer Banken (und Institutionen anderer Länder) haben die Opfer bestohlen. ” Um die dreifache Kombination zu ergänzen: „Einige führende deutsche Historiker haben dem NS-Regime gedient.” Nur Historiker?
Die Antwort hat wieder mit Schuld, Wiedergutmachung, aber noch mehr mit Vergeltung zu tun – die Rache Goldhagens. Denn der Satz geht weiter: „. ..und ihre Schüler, von denen einige zu den bedeutendsten Historikern des heutigen Deutschland gehören, haben es also die Kollaboration] vertuscht.” Wieder entschlüsselt die Fußnote (Nr. 17) den Sinn: Es handelt sich um Hans- Ulrich Wehler und Hans Mommsen, die Goldhagens Meinung nach „haltlose Schriften über den Holocaust” geschrieben haben. Mit „haltlosen Schriften” meint er sicher die Kritik an G1, nicht die Werke der beiden, die kein seriöser Historiker als haltlos bezeichnen wird. Die interne Debatte in der deutschen Historikerzunft um das Erbe Conzes & Co. verhalf Goldhagen zu einer eigenartigen privaten Wiedergutmachung. „Die” Deutschen sind teilweise entlastet, dafür rücken, außer den Schweizer Banken, „die deutschen Historiker”, die sich bekanntlich nicht für G1 begeisterten, ins Zentrum des Vollstreckertums.
Ein eleganter Rückzug
Zum eliminatorischen Antisemitismus: In G1 war dieser Begriff Goldhagens Steckenpferd. In G2 findet er nur auf sieben Seiten Erwähnung und verschwindet praktisch hinter der „eliminatorischen Verfolgung”. Zwar ist unter „eliminatorisch”, wie in G1, eigentlich jede Einstellung (auch die der Liberalen) gegenüber Juden zu verstehen, aber „eliminatorische Verfolgung” ist plausibler als „eliminatorischer Antisemitismus”. Ein eleganter indirekter Rückzieher.
Zur Beziehung zwischen Antisemitismus und Antizionismus: Goldhagen nimmt sich diesmal eine detaillierte Definition des Antisemitismus vor und schafft als Nebenprodukt eine politische Wiedergutmachung. Anders als in G1 schenkt er Israel und dem Zionismus seine Aufmerksamkeit. Darüber wird man sich in Israel freuen. Er betrachtet Israel als Wiedergutmachung für die zerstörten jüdischen Gemeinschaften und wagt den nächsten Schritt: Wer Juden das Recht auf einen Nationalstaat absprechen will, ist nicht nur Antizionist, sondern Antisemit. Den heutigen Antizionismus hält er für eine „radikale und extreme Spielart des politischen Antisemitismus”.
Doch die Freude der Möllemann-Gegner oder der Vertreter der israelischen Regierungspolitik darf sich in Grenzen halten: Goldhagen gibt zu, dass „Israel und die Israelis sich nicht wenige strafrechtliche, politische und moralische Verfehlungen zu Schulden kommen lassen”. Darüber hinaus „wären alle, die Juden politische Wiedergutmachung schulden, verpflichtet, solchen Entwicklungen oder Maßnahmen entgegenzuwirken”! Wiedergutmachung gegenüber Juden schließt also die Unterstützung eines Palästinenserstaates keineswegs aus.
G2 ist aber auch sonst aus nahöstlicher Perspektive willkommen: Goldhagen lehrt uns mit seinem Paradigma, dass die Folgerungen, die „hinsichtlich Schuld und Wiedergutmachung gezogen werden, grundsätzlich auf alle anderen Verbrechen übertragen (werden können), gleichgültig, von welchen Institutionen oder Menschen sie an anderen Menschen in Vergangenheit oder Gegenwart begangen wurden oder werden”. Goldhagen deutet ja nicht nur auf serbische oder südafrikanische Untaten hin, sondern auch auf amerikanische. Wenn das Paradigma im Ernst allgemeine Gültigkeit erhalten soll, muss man auch das Beispiel Israels unter die Lupe nehmen. Das wird Grund genug sein, G2 – wie bereits G1 – in Israel nicht zu thematisieren.
Konstruktiv scheint auch Goldhagens Beobachtung zu sein, dass „viele Angehörige der akademischen Gemeinschaft sich ihrer Verpflichtung entziehen, auf moralische Fragen überhaupt einzugehen”. Allerdings ist daran nicht nur die akademische Gemeinde schuld. Als sich in Israel Akademiker gegen den herrschenden rechtsorientierten Strom in Sachen Krieg, Intifada, Wehrdienstverweigerung etc. zu Wort meldeten, waren es nicht nur die Verfechter der „wissenschaftlichen Unparteilichkeit”, sondern gerade die Stimmen außerhalb des Elfenbeinturms, die sich erbost distanzierten. Nimmt man Goldhagen beim Wort, so ist der Akademiker, der die G2-Paradigmata der Wiedergutmachung akzeptiert, sogar verpflichtet, Jonah im modernen nahöstlichen Ninive nachzuahmen. War die deklarierte Absicht von G1, „den Deutschen wieder zu ihrem Menschsein zu verhelfen”, so könnte die latente Absicht von G2 womöglich sein, unter anderem Israelis auf einen ähnlichen Weg zu helfen.
Der Autor lehrt Geschichte an der Hebräischen Universität von Jerusalem.
(Siehe auch Seite 15)
Kreuz unterm Hakenkreuz: Krönungsfeier des Berliner Bischofs Bares im Sportpalast 1934.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Dostojewski nahm es mit Schuld und Sühne genauer
Reizfigur Pius XII.: Hätte Daniel Goldhagen nur José Sánchez gelesen, wäre Goldhagen II nicht passiert / Von Konrad Repgen

Hitlers Judenmord und Pius XII." - das alte, emotionsgeladene Thema hat in den Vereinigten Staaten wieder Konjunktur. Zwei einschlägige Neuerscheinungen dieses Jahres erreichen jetzt in Übersetzung Deutschland. Sie unterscheiden sich nach Umfang und Preis schon sehr; nach Fragestellung, Vorgehensweise und Ergebnis sind sie wie Feuer und Wasser.

Goldhagen ist kein Unbekannter. Vor sechs Jahren erschien sein Wälzer "Hitlers willige Vollstrecker" mit der Zentralthese, daß die Deutschen, von Ausnahmen abgesehen, mit dem Judenmord einverstanden gewesen seien. Dieser These haben die Fachhistoriker fast unisono widersprochen, während das Buch ein Bestseller wurde und der junge Autor zum Medienstar aufstieg. Wird Goldhagen II an den Erfolg von 1996 anknüpfen? Am bewährten Marketing mangelt es nicht. Die deutsche Version erscheint sogar zeitgleich mit der New Yorker Originalausgabe (bei Alfred A. Knopf). Daher ist die Zuverlässigkeit der Übersetzung noch nicht überprüfbar. Sie macht keinen schlechten Eindruck. Ob auch diesmal, wie bei Goldhagen I, gewisse Abmilderungen vorgenommen worden sind, bleibt abzuwarten.

Goldhagen II bietet jedoch nicht, wie der Titel behauptet, eine "Untersuchung", sondern ist ein Plädoyer. Der Autor will mit seinem umfangreichen Buch, das viele Aspekte berücksichtigt, eine Verurteilung begründen, um Wiedergutmachung wegen des Holocaust, der die Folge des kirchlichen Antijudaismus gewesen sei, zu verlangen: materielle (unter acht Millionen Dollar), politische (Abschaffung des Vatikanstaates) und moralische (Eliminierung von 450 Judenfeindschaft verursachenden oder begünstigenden Versen der Evangelien und der Apostelgeschichte). Dabei ergeht er sich in ermüdenden Wiederholungen. So werden problematische Hypothesen zum Reichskonkordat von 1933 allein an sieben verschiedenen Stellen des Buches wiederholt.

Dem Plädoyer entspricht auch Goldhagens mitunter hämmernder Argumentationsstil, der drei, vier, fünf rhetorische Fragen suggestiv aneinanderreiht. Gibt es darauf keine befriedigende Antwort (oder kennt der Autor sie nicht), so ist "bewiesen", daß Schuld vorliege, die Wiedergutmachung erfordere. Der junge Politikwissenschaftler Goldhagen aus Harvard schreibt sein zweites Buch nicht wie ein Historiker, sondern wie ein Anwalt oder Ankläger in einem Wiedergutmachungsprozeß.

Die fundierte Kritik der Fachleute an Methode und Resultat von Goldhagen I ist an dem Autor abgeprallt. Er wiederholt seine Thesen von 1996 und hält an deren Gültigkeit unvermindert fest. Dort galt als Leitbegriff zur Erklärung der Massenmord-Aktionen der Jahre 1941/1945 die in Deutschland angeblich allgemein verbreitete Mentalität eines "eliminatorischen Antisemitismus". Der ziemlich nahtlose Übergang vom Verdrängen zum Vernichten verstand sich für ihn fast von selbst. "Töten ist nur eines von zahlreichen Mitteln der Ausschaltung", heißt es auch jetzt lapidar. In Goldhagen II geht es aber nicht mehr, wie 1996, um "die Deutschen", sondern um "die katholische Kirche". Damit meint er den Papst, die Bischöfe und den Seelsorgeklerus, nicht die Laien.

Warum nun gerade der hierarchische und klerikale Antijudaismus religiöser Art den Schlüssel für die Massenmorde von Babi Jar und Auschwitz bieten soll, erklärt Goldhagen II nicht, obwohl er gut weiß, daß "Antisemitismus allein kein Programm des systematischen Massenmordes hervorbringt". Einen angemessenen Zugang zur Lösung dieses Problems verstellt er sich jedoch mit Pauschalurteilen wie etwa: "Die Kirche, der Papst, die nationalen Kirchen, die Bischöfe und die Priester haben während des Holocaust insgesamt gefehlt." Auch wer dieses Urteil sich zu eigen machen wollte, hätte noch zu begründen, wie gerade dieses Fehlverhalten die Massenmord-Aktionen verursacht habe. Dazu müßte man sich allerdings auf viele Quellen einlassen und nicht, wie Goldhagen II, mit fleißigen, aber flüchtigen Exzerpten aus der Sekundärliteratur begnügen.

Nur wenn man, wie er, den (kirchlichen) Antijudaismus und den NS-Antisemitismus zu dicht zusammenrückt, kann der wüste Kirchenhasser Julius Streicher, dessen "Stürmer" in Artikeln und Karikaturen gleichermaßen gegen Juden wie gegen "Pfaffen" hetzte und den Kardinalstaatssekretär Pacelli als Kumpan des "Weltjudentums" attackierte, kann ausgerechnet Streicher als Zeuge für eine judenfeindliche Verwandtschaft zwischen Kirche und Nationalsozialismus figurieren. Dies ist eine ähnlich abwegige Konstruktion wie die These, daß das Reichskonkordat dem Regime das "Recht" zugestanden habe, "seine unverhüllt militaristischen, imperialistischen und rassistischen Ziele zu verfolgen".

Im Vertrag von 1933 steht das Gegenteil. Denn dort wird dem Klerus die "pflichtmäßige Verkündigung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche" ausdrücklich vorbehalten. Gehörten etwa Militarismus, Imperialismus und Rassismus im Jahre 1933 zum Dogma der katholischen Kirche? Plakativ, freilich ohne Beleg, wird im Text von des Papstes "Begeisterung für den deutschen Eroberungsfeldzug im Osten" gesprochen; dagegen steht nur irgendwo im Anmerkungskeller, daß der Vatikansender (am 21. Januar 1940) den Nationalsozialismus für schlimmer als den Kommunismus erklärt habe. Jongliert ein seriöser Historiker derart mit Behauptungen und Fakten?

Für einen Historiker mit wissenschaftlichem Anspruch eine befremdliche Maxime: "Da dieses Buch keine Übung in Geschichtsschreibung ist, begebe ich mich nicht in eine laufende Diskussion mit Ansichten dieser oder jener Autoren, die von den meinen abweichen mögen. Leser, die ihre Kenntnisse über diese Fragen zu vertiefen wünschen, können sich ihre Bücher und die anderer Autoren, die das Material anders deuten, ohne weiteres beschaffen." Das könnte man höchstens als freundlichen Aufruf zur Absatzförderung historischer Literatur gelten lassen; aber so wird Geschichte zum Steinbruch, dem für abstrakte Thesen über Schuld und Sühne Belege entnommen werden, die nicht begründen, sondern illustrieren. Auf deutschsprachige Texte bezieht er sich selten, auf lateinische, französische und italienische noch weniger und auf die Sprachen der Bibel schon gar nicht.

Es liegt nahe, daß bei dieser Vorgehensweise der Historie auf Schritt und Tritt Gewalt angetan wird. Ich will aber nicht die lange Litanei seiner groben Fehler und kleineren Schnitzer weiter ausbreiten. Ich möchte jedoch daran zweifeln, daß Goldhagens exegetische Kompetenz ausreicht, um ein überzeugendes Programm für die Eliminierung von 450 unbequemen Bibelstellen, wie es ihm vorschwebt, zu begründen.

In Umfang, Preis und Anspruch präsentiert sich die von Schöningh betreute Sánchez-Studie sehr viel bescheidener. Auch ist José M. Sánchez, Professor an der Jesuitenuniversität von St. Louis/Mo., bisher in Deutschland unbekannt. Das könnte sich nun ändern. Denn was er in betont ruhigem Duktus über die Anatomie der aktuellen Pius-XII.-Debatte geschrieben hat, bringt die Geschichtswissenschaft tatsächlich voran und öffnet dem breiteren, zeitgeschichtlich interessierten Publikum den Weg zu eigenem Urteil. Er will den Leser weder überreden noch emotionalisieren, sondern ihm eigenes Urteilen ermöglichen. Seine Schneise durch den Dschungel der neuesten Literatur über Pius XII. im Zweiten Weltkrieg ist dafür eine Hilfe.

Sánchez hält sich an die erprobten historischen Methoden und fragt in zwölf kurzen Kapiteln jeweils drei Dinge: Was möchten wir wissen? Welche Quellen haben wir dafür? Welche Antworten lassen sich darauf begründen sowie - sehr wichtig - welche Antworten nicht. Denn der Historiker ist nicht das Weltgericht und weiß nicht alles. Aber er vermittelt Einsicht, indem er den Leser nie darüber im unklaren läßt, was er eigentlich weiß und was nicht, wie weit sein Blick reicht, wie sicher seine Aussagen die Probe durch die Evidenz der Logik und der Quellen bestehen können. Sánchez erörtert die Probleme, während er die primären Quellen prüft, und bildet sich daraus eine eigene Meinung. Deshalb macht seine Lektüre wirklich klüger. Außerdem findet man bequem beisammen, was zum jeweiligen Punkt der Debatte die Kritiker des Papstes (wie John Cornwell, Suzan Zuccotti und Michael Phayer), seine Verteidiger (wie Margherita Marchione und Ronald Rychlak) oder ein Historiker, der einen Mittelweg sucht wie Giovanni Miccoli (Triest), geschrieben haben.

Etwas zu bedauern ist freilich, daß Sánchez in seinen Überblick nicht auch die große, vor zwei Jahren erschienene Studie von Hans Jansen, früher katholischer Priester, jetzt reformierter Pfarrer und Professor an der Freien Universität Brüssel, einbezogen hat. Auf 850 Seiten eines sehr materialreichen, allerdings niederländisch geschriebenen Buches, das "den Protest Pius XII. und seiner Mitarbeiter gegen die Judenverfolgung in Europa" behandelt, arbeitet Jansen einen Katalog von nicht weniger als vierzig "Protesten" des Papstes zugunsten der Juden heraus. Denn einfach "geschwiegen" hat Pius XII. bekanntlich nicht; aber er war im Zweiten Weltkrieg, wie Sánchez im Schlußteil überzeugend formuliert, eine zugleich "bemitleidenswerte und beeindruckende Gestalt". Die ständige Güterabwägung zwischen den beiden Amtspflichten, Stellvertreter Christi und Oberhaupt der Kirche zu sein, war nach des Papstes eigenen Worten "schmerzvoll schwer". Die Späteren, die in der Welt von heute leben, verstehen eine solche Problematik kaum noch unmittelbar. Sánchez erleichtert es ihnen; denn er will "einige der Legenden, die sich um das Rätsel ,Pius XII. und der Holocaust' ranken", begraben. Das ist ihm gelungen. So hebt er die Erinnerung an Persönlichkeit und Wirken des Pacelli-Papstes über Anklage und Verteidigung hinaus.

Daniel Jonah Goldhagen: "Die katholische Kirche und der Holocaust". Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese. Siedler Verlag, Berlin 2002. 480 S., 24 S/W-Abb., geb., 24,90 [Euro].

José M. Sánchez: "Pius XII. und der Holocaust". Anatomie einer Debatte. Aus dem Amerikanischen von Karl Nicolai. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 182 S., br., 13,90 [Euro].

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