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Der Schauspieler, Regisseur und Schauspiel-Dozent Raphael-Maria Goldstein entdeckt, er stamme nicht aus der gutbürgerlichen Duisburger Unternehmerfamilie, vielmehr sei er als Kind adoptiert worden. Seine Mutter, die Auschwitz-Überlebende Esther Goldstein, verrät ihm nur zögerlich, wer sein Vater ist: Otto Frank, der Vater von Anne Frank. Er entschließt sich nicht nur über die Odyssee um seine Herkunft, sondern auch über sein bewegtes berufliches Leben in der Welt von Theater und Film zu schreiben. Als er das Manuskript beendet hat, stirbt er. Eine Freundin seiner Witwe übernimmt das…mehr

Produktbeschreibung
Der Schauspieler, Regisseur und Schauspiel-Dozent Raphael-Maria Goldstein entdeckt, er stamme nicht aus der gutbürgerlichen Duisburger Unternehmerfamilie, vielmehr sei er als Kind adoptiert worden. Seine Mutter, die Auschwitz-Überlebende Esther Goldstein, verrät ihm nur zögerlich, wer sein Vater ist: Otto Frank, der Vater von Anne Frank. Er entschließt sich nicht nur über die Odyssee um seine Herkunft, sondern auch über sein bewegtes berufliches Leben in der Welt von Theater und Film zu schreiben. Als er das Manuskript beendet hat, stirbt er. Eine Freundin seiner Witwe übernimmt das Manuskript, prüft seine Dokumente, spricht mit Weggenoss:innen, recherchiert. Und nach und nach offenbart sich ihr das Ausmaß dieser unglaublichen Lebensgeschichte. Nichts ist, wie es scheint, aber vieles scheint, als ob es so gewesen sein könnte. "Er war der wohl rätselhafteste Mensch, den ich je kennengelernt habe." Ruth Schweikert (Schriftstellerin)
Autorenporträt
Anja Scherz, in Unna/Westfalen geboren, ist Redakteurin und Autorin. Sie absolvierte ihre journalistische Ausbildung in Bonn. Von dort führte ihr Weg sie beruflich und privat nach München, wo sie heute freiberuflich arbeitet. "Goldstein - ein phantastisches Leben" ist ihre erste literarische Recherche.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2024

Hochstapler statt Halbbruder
Die Münchner Autorin Anja Scherz hat die Geschichte von Norbert Hans Burger
recherchiert, der vorgab, mit Anne Frank verwandt zu sein.
VON JUTTA CZEGUHN
Auf Seite 86 von Anja Scherz’ „Goldstein – ein phantastisches Leben“ angekommen, verspürt man den intensiven Drang, handgreiflich zu werden, das Buch mit einem wütenden „Jetzt reicht’s“ zuzuklappen. Als man der Autorin beim Treffen in einem Münchner Café von diesem Lese-Ausraster erzählt, zeigt sie Verständnis. Ihr selbst sei es nicht anders ergangen, da sei eine „Grenze überschritten“. Überhaupt habe sie bei der Recherche zu ihrem Erstling „ein ständiges Wechselbad der Gefühle“ erlebt, über die ganzen zwei Jahre hinweg, die sie an dem Buch über Raffael Maria Goldstein gearbeitet hat, erzählt die Journalistin, die lange in der Öffentlichkeitsarbeit des Münchner Stadtmuseums tätig war.
Was also passiert auf Seite 86? Scherz zitiert dort aus Goldsteins autobiografischen Aufzeichnungen. Der Mann, der von sich behauptet hat, der Halbbruder von Anne Frank zu sein, tritt da in Brief-Korrespondenz zu seiner weltberühmten angeblichen „kleinen Schwester“ und erdreistet sich – eine unerträgliche Anmaßung, zudem wüster Kitsch –, in Annes Namen zu antworten: „Es war immer mein Wunsch, einen Bruder zu haben, einen großen Bruder...“. Absenderadresse: Westerbork. Jenes sogenannte Durchgangslager, von dem aus die Familie Frank in Viehwaggons ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, nachdem die Gestapo die Untergetauchten am 4. August 1944 im Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht verhaftet hatte.
Diesen Raffael Maria Goldstein hat es wirklich gegeben, und dann auch wieder nicht. Als Anja Scherz ihn kennenlernt, kann sie nicht ahnen, dass der charmante, zurückhaltende Mann ihrer Schulfreundin sich selbst eine Biografie erfunden hat. Eine „phantastische“ Existenz, zusammengebastelt aus Büchern und Lebensgeschichten anderer. Mit noch nicht einmal allzu großer Raffinesse, doch offenbar mit einer Lust am Spiel, oder aus innerer Not heraus. In jedem Fall eine Familiengeschichte, zu unglaublich, um wahr zu sein – und vielleicht gerade deshalb von kaum jemandem hinterfragt. Dieser Mann, der erwiesenermaßen nicht Anne Franks Stiefbruder war, sondern ein gewisser Norbert Hans Burger, Jahrgang 1949, aus Duisburg, starb nach schwerer Krankheit am 4. August 2021 in Köln. Das Datum, der 4. August: ein Zufall.
Goldsteins Frau, die nichts von der falschen Identität ihres Mannes wusste, hatte ihm versprochen, sie werde nach seinem Tod für die Veröffentlichung seiner Biografie sorgen. Da lag das Manuskript bereits bei der Münchner Stroux edition, einem kleinen Verlag mit dem Schwerpunkt autofiktionaler und biografischer Literatur, den Anja Scherz selbst Goldstein empfohlen hatte. Doch Verlegerin Annette Stroux hatte einige Zweifel an der Halbbruder-Geschichte. Kein seriöser Verlag veröffentlicht schließlich ungeprüft eine Biografie mit einer derart kolossalen Behauptung. Da sich die Witwe emotional selbst außerstande dazu sah, die Unterlagen ihres verstorbenen Mannes durchzusehen, bat sie nun Anja Scherz um Hilfe.
Diese Suche nach Dokumenten, die Goldsteins Geschichte belegen sollen, führt dann zur Enttarnung einer Lebenslüge. Doch Raffael-Maria Goldstein hat seine Biografie bekommen, wenn auch eine andere, als er es sich vorgestellt haben dürfte.
Die Auszüge aus seinem Manuskript sind im Buch in einem anderen Schrifttypus gesetzt: Norbert Burger beginnt das Narrativ seines Goldstein-Lebens 1978, mit dem Erwachen aus dem Koma nach einem Unfall. Er wundert sich darüber, dass seine Eltern nicht als Blutspender infrage kommen, forscht nach und findet heraus, dass er adoptiert ist. „Mir wird klar, warum ich mich in meiner Familie immer fremd gefühlt habe.“ Unterlagen geben den Namen seiner wahren Mutter preis. Esther Goldstein, jüdische Auschwitz-Überlebende, wohnhaft Amsterdam, sein ursprünglicher Name: Raffael-Maria Goldstein.
Er nimmt Kontakt zur Mutter auf, Briefe gehen hin und her. Schließlich das erste Treffen in Amsterdam, das er immens detailreich schildert. Esther verrät ihm nach anfänglichem Zögern auch den Namen seines wahren Vaters: Otto Frank. Auch ihm, Anne Franks Vater, schreibt Raffael Goldstein nun Briefe. Den Besuch bei dem alten Mann 1980 wenige Monate vor dessen Tod wird im Manuskript geradezu theatralisch inszeniert. Otto Frank, der von seiner misstrauischen zweiten Frau Elfriede abgeschirmt wird, steckt dem Sohn an der Haustür einen 2000-Franken-Scheck zu.
In Goldsteins Arbeitszimmer in Köln wird Anja Scherz keinerlei Belege für diese Behauptungen und Begegnungen finden. Keine Briefe, Urkunden, Fotos – nichts. Auch ihre Recherchen über die Existenz Esther Goldsteins in Amsterdam laufen ins Leere. Sie kann ausschließen, dass es sich um jene Esther Goldstein handeln könnte, die 1961 als Zeugin bei dem Jerusalemer Eichmann-Prozess ausgesagt hat. Was ihr noch auffällt: Offensichtlich hat Burger/Goldstein jeden Kontakt zu seinen Duisburger Adoptivgeschwistern, zu seinen früheren Ehefrauen und seiner Tochter abgebrochen. Bestätigt werden ihr hingegen später seine Versuche, als Otto Franks angeblicher Sohn einen Sitz im Stiftungsrat des Anne Frank Fonds in Basel zu bekommen.
Das Kartenhaus von Norbert Burgers Goldstein-Inszenierung fällt in sich zusammen, als Scherz auf seine Geburtsurkunde stößt, die eine Adoption ausschließt. Man folgt ihr nun dabei, wie sie – zwischen Empathie und Verstörung hin- und hergerissen – einen Zeugen nach dem anderen ausfindig macht: Burgers ältere Schwester, die sich an seine Geburt erinnert, einen Schulfreund, die 2023 verstorbene Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert, die von ihm sagt: „Er war der wohl rätselhafteste Mensch, den ich je kennengelernt habe.“ Dann ist da Jacqueline van Maarsen, Anne Franks beste Freundin, die ihm geglaubt hat. Und eine seriöse niederländische Zeitung mit Widerstandsvergangenheit, die seine Geschichte fasziniert, aber insgesamt zweifelnd aufgreift, gar einen DNA-Abgleich finanziert, mit einer Briefmarke, die angeblich Otto Frank abgeleckt haben soll. 70-prozentige Übereinstimmung des Erbmaterials. Kein Beweis.
Nach und nach entdeckt Scherz auch Ungereimtheiten und Lücken in Burgers Arbeitsbiografie – er war Schauspieler, Schauspieldozent und Regisseur. Von einer abenteuerlichen Stasi-Episode in Ost-Berlin etwa mit dem legendären Curt Bois, der in Wim Wenders’ „Himmel über Berlin“ über den brachen Potsdamer Platz schlurft oder als Taschendieb in „Casablanca“ auftritt, ist im Manuskript die Rede. Sie fragt sich, warum hat niemand, auch nicht seine Arbeitgeber, seine allzu schillernde Vita je nachgeprüft? „Wie eine analoge Fotografie sich in der Dunkelkammer peu à peu entwickelt, so setzt sich nach und nach ein Bild zusammen“, schreibt Anja Scherz. Zu den Puzzleteilen, die plötzlich Sinn ergeben, gehören auch die Bücher im Regal von Goldsteins Arbeitszimmer: Thomas Manns „Felix Krull“, Max Frischs „Stiller“, Ibsens „Peer Gynt“, Juan Morenos „Tausend Zeilen Lüge“ über die Fälschungen von Claas Relotius. Und Philip Roths „Der Ghostwriter“, in dem Anne Frank überlebt hat.
Doch wer war nun dieser Norbert Hans Burger alias Raffael-Maria Goldstein, der unbedingt Anne Franks Bruder sein wollte? Ein Fälscher, ein Betrüger, ein Spieler? Einer wie der Schweizer Binjamin Wilkomirski, der sich eine Opfer-Identität erfunden hat? Scherz nennt im Buch auch die Fälle des Journalisten Fabian Wolff oder der Bloggerin Marie Sophie Hingst, die „Fake-Juden“-Debatte. Handelt es sich um eine bewusste Täuschung, die Sucht nach Anerkennung oder eine Überidentifikation mit Anne, mit NS-Opfern? Und was sagt das über unsere Gesellschaft? Scherz zitiert auch den Rechtspsychologen Harald Merckelbach, der über „fantasy proness“ forscht. Ist auch Norbert Burger einer jener Menschen mit hoher Fantasieneigung, die am Ende ihre eigenen Geschichten glauben?
Anja Scherz möchte nicht darüber spekulieren, ob das bei Raffael-Maria Goldstein der Fall war. Immerhin, er war auch Schauspieler. Man merkt ihr an, dass dieses Buch für sie eine Tour de Force war. Um Distanz zu bekommen, schreibt sie über sich selbst in der dritten Person. Sie nennt das Buch einen Roman, weil es über diese eine Biografie hinausweise und viele Fragen nach Identität, nach Wahrheit und Formen des Erinnerns stelle. Und sich überdies spannend lese wie ein Thriller. Vielleicht sei es aber auch ein Hybrid, überlegt sie im Gespräch.
Scherz kann auch nachvollziehen, dass die Geschichte dieser Aneignung einer jüdischen Biografie, an der Raffael Goldstein bis zu seinem Ende festhielt, Leser vor den Kopf stößt. Den Wunsch, auf dem jüdischen Friedhof begraben zu werden, konnte ihm der Rabbiner von Köln nicht erfüllen. Doch der Rebbe hegte keinen Groll, er betete für ihn. Eine Weite und Großzügigkeit, die Scherz sehr rührte.
Anja Scherz, „Goldstein – ein phantastisches Leben“, Stroux Edition, München, 2024
Fehlende Dokumente
führten zur Enttarnung
einer Lebenslüge
Ist es eine bewusste
Täuschung
oder Überidentifikation?
Anne Frank, 1929 geboren, starb 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihr Vater Otto Frank – hier bei der Einweihung der Düsseldorfer Anne-Frank-Schule 1959 – brachte ihr Tagebuch heraus. Anja Scherz (u.) recherchierte zur Biografie Norbert Burgers. Foto: Ann Ronan Picture Library/imago images, United Archives International/imago images, Wolfgang Scherz
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Auch Anja Scherz möchte in ihrem Buch über Hans Burger, der gern Raphael Goldstein gewesen wäre, kein abschließendes Urteil fällen, so Rezensent Arno Orzessek. Burger, der behauptete, als jüdisches Waisenkind in einer nichtjüdischen Duisburger Familie aufgewachsen zu sein, wurde im Alter mangels passender Dokumente der Lüge überführt, woraufhin sich Anja Scherz, wie Orzessek es darstellt, für die Geschichte zu interessieren begann. Ihr Buch enthält, lesen wir, einerseits ihren eigenen Recherchebericht, andererseits greift sie Auszüge aus den gefälschten autobiografischen Schriften Burgers auf. Interessant ist an dieser Geschichte, so Orzessek, dass kaum jemand aus Burgers Umfeld ihm die Lüge übel nahm und von vielen Bekannten weiterhin als harmloser Hochstapler dargestellt wird. So oder so ist dieser falsche Raphael Goldstein jetzt Teil einer ausgesprochen deutschen Tradition des Fake-Judentums, meint der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH