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Spätestens seit der Veröffentlichung seines "Wallenstein" gilt Golo Mann - der Wanderer zwischen den Welten und Liebhaber schöner Literatur - als einer der wichtigsten deutschen Historiker des 20.Jahrhunderts. Dieses Buch bildet die erste umfassende Biographie des bedeutenden Historikers und politischen Publizisten. Es stützt sich nicht nur auf das wissenschaftliche und journalistische Hauptwerk, sondern auch auf den Nachlass Golo Manns, der sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern befindet. Alle Lebensabschnitte der vielschichtigen Persönlichkeit werden eingehend dargestellt: Kindheit…mehr

Produktbeschreibung
Spätestens seit der Veröffentlichung seines "Wallenstein" gilt Golo Mann - der Wanderer zwischen den Welten und Liebhaber schöner Literatur - als einer der wichtigsten deutschen Historiker des 20.Jahrhunderts. Dieses Buch bildet die erste umfassende Biographie des bedeutenden Historikers und politischen Publizisten. Es stützt sich nicht nur auf das wissenschaftliche und journalistische Hauptwerk, sondern auch auf den Nachlass Golo Manns, der sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern befindet.
Alle Lebensabschnitte der vielschichtigen Persönlichkeit werden eingehend dargestellt: Kindheit und Jugend im Haus des berühmten Schriftstellers Thomas Mann, das Exil in den USA und die Rückkehr als amerikanischer Soldat nach Deutschland, die Jahre in Kilchberg bei Zürich, wo er bis kurz vor seinem Tod wohnte und unter anderem die Belange der Familie Mann verwaltete.
Neben dieser bewegten Lebensgeschichte tritt eine zugänglich geschriebene Interpretation des historischen Werks, insbesondere der "Deutschen Geschichte" und des "Wallenstein". Auch das politische Engagement Golo Manns, das den parteipolitisch unabhängigen Publizisten sowohl für Willy Brandts Ostpolitik als auch für Franz Josef Strauß eintreten ließ, erfährt eine sachkundige Würdigung.
Autorenporträt
Urs Bitterli, geboren 1935, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

War nicht auch Helmut Schmidt musisch begabt?
Ein Stück Altväterei: Urs Bitterlis Biographie des Historikers Golo Mann / Von Andreas Kilb

Die Biographie eines großen Biographen zu schreiben kann eine undankbare Sache sein. Unmöglich, den Porträtierten zu übertreffen in der Kunst der Prosazeichnung, der Komposition, der Wahl des sprechenden Details. Höchstens könnte man ihn einholen, eher noch: ihn plagiieren. Denn je mehr man gelesen hat von dem, den man abbildet, desto stärker bildet dessen Schreiben sich im eigenen ab. Golo Mann kannte alle Briefe von und an Albrecht von Wallenstein; die Archaismen und Wortneubildungen, deren man seinen "Wallenstein", als er erschien, törichterweise zieh, das "Periclitieren" und die "Exulanten", sind der Widerhall seiner Lektüre. Urs Bitterli, der Biograph Golo Manns, hat dessen gesamten Nachlaß durchgearbeitet, die Tagebücher, Zeitungsartikel, Reden, Entwürfe, die Korrespondenz und sämtliche Bücher; und nun wartet man, siebenhundert Seiten lang, auf ein Echo. Aber es kommt nicht.

Dabei ist Golo Mann ein dankbarer Gegenstand für eine Biographie. Er hatte eine komplizierte Kindheit, entfaltete sein Talent im Exil, schrieb in Kalifornien ein Buch über den antinapoleonischen Diplomaten Friedrich von Gentz und kehrte mit einer "Deutschen Geschichte" nach Deutschland zurück; er war Professor in Claremont und Stuttgart, aber verachtete die Professorenzunft, er unterstützte die Westpolitik Konrad Adenauers, die Ostpolitik Willy Brandts und den Kandidaten Franz Josef Strauß, er litt unter seinem berühmten Vater und nahm doch dessen Arbeitszimmer, allerdings halbherzig, in Besitz. Am Ende ließ er sich in Kilchberg beerdigen, aber weit weg vom Familiengrab, am anderen Ende des Friedhofs. Golo Mann war, mit anderen Worten, "ein Nest von Widersprüchen", wie er selbst über Wallenstein sagt, und in dieses Nest müßte eine Biographie mutig hineingreifen - nicht, um die Widersprüche zu glätten, sondern um sie zu einem Charakterbild zusammenzufügen, das auch ein Bild der Epoche wäre, zerrissen, schwierig, unversöhnt wie sie.

Urs Bitterli hat es nicht getan. Denn Bitterli ist offensichtlich ein Feind von Widersprüchen, dafür ein treuer Freund von Ordnung im halben wie im ganzen Historikerleben. "Historie und Politik lassen sich im Schaffen Golo Manns nicht so säuberlich trennen, wie es hier, der guten Ordnung halber, geschieht." So beginnt ein Kapitel von Bitterlis Biographie; es heißt "Der politische Publizist" und folgt auf das Kapitel "Der Historiker". Eine Ordnung, die Historisches und Politisches bei Golo Mann auseinandersortiert, kann keine gute sein, das muß auch Bitterli geahnt haben. Also fügt er einen halb entschuldigenden Satz ein, behält aber die "gute Ordnung" bei. So ist es mit vielem in diesem Buch: Eine Gliederung, eine Perspektive, eine Argumentation werden vorgestellt, die ihrem Gegenstand ganz unangemessen sind - und dann, mit gewissem Bedauern, an ihm exekutiert.

Golo Manns Einschätzung des Attentats vom 20. Juli 1944 etwa wird von Bitterli im Zusammenhang mit dem Streit um Hannah Arendts Buch "Eichmann in Jerusalem" behandelt. Arendt habe, "nicht zu Unrecht", die Moral der Attentäter in Zweifel gezogen, woran Golo Mann "großen Anstoß" genommen habe. "Der gute Genius der Nation", zitiert Bitterli den Historiker, "hatte sich im Kampf gegen das Ungeheuer zusammengerafft." Dies sei aber, so unser Biograph, "eine merkwürdige Argumentation". Denn: "Jeroen Koch hat zu Recht kritisch bemerkt, daß hier Vorstellungen von individueller und kollektiver Ethik vermischt würden." Kochs Buch über Golo Mann erschien 1998, die "Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert" 1958. Wenn wir heute schlauer sind als Golo Mann vor über vierzig Jahren, dürfen wir ihn dann "merkwürdig" nennen? Und hat der Autor nicht vom "Genius" statt vom Ethos der Nation gesprochen, hat er sein Leben lang - was auch Bitterli nicht unvermerkt läßt - das moralische Individuum gegen die Amoral der Kollektive verteidigt?

Es ist nicht das einzige Mal in diesem Band, daß man Golo Mann vor seinem Biographen in Schutz nehmen möchte. An anderer Stelle wägt Bitterli Manns Engagement für den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl von 1980: "Mochte es auch so sein, daß Strauß über mehr Phantasie und Humor verfügte - aber, so mußten sich die Staatsbürger fragen, gehören Phantasie und Humor tatsächlich zu den auszeichnenden Eigenschaften des bedeutenden Staatsmannes? Besaß nicht auch Helmut Schmidt eine unter Politikern seltene musische Begabung und sehr beachtliches Rednertalent?" Gehören Besserwisserei und Oberlehrertum tatsächlich zu den auszeichnenden Eigenschaften eines bedeutenden Biographen? Bitterli jedenfalls scheint es zu glauben, wenn er Golo Mann weiter unten für die Kälte tadelt, mit der dieser stets von seinem Vater sprach. Der Filius habe "allzu leicht vergessen, was alles er seinem Vater verdankte: Verbindungen mit interessanten Persönlichkeiten in der Jugend, erhebliche finanzielle Einkünfte im Alter, einen Namen, der in der Nachkriegszeit nicht wenig zu des Sohnes Prominenz beitrug". Das ist nicht nur altklug, sondern auch falsch.

Denn Golo Mann hat nichts von alledem jemals vergessen, so wenig, wie er alles andere vergaß, das Thomas Mann ihm angedeihen ließ: den Spott über das "unreinliche, verlogene" Kind, die "problematische Natur", das gönnerhafte Aushalten und Protegieren des Sohnes im Exil. Von allen Kindern der Familie Mann hat Golo als einziger das schriftstellerische Genie seines Vaters geerbt, aber ohne das Talent zur Revolte, das seiner Lage angemessen gewesen wäre. Er haderte, statt zu rebellieren; noch die kitschigen Alpenlandschaften, mit denen er das Arbeitszimmer Thomas Manns in Kilchberg ausstaffierte, waren Protest und Unterwerfungsgeste zugleich. Immer, so erzählt Golo Mann augenzwinkernd in seinen "Erinnerungen und Gedanken", habe er es mit der Obrigkeit gehalten. Das eigene Elternhaus gehörte dazu. Im ersten Band seiner Autobiographie gibt es nur zwei Personen, deren Namen er durch Initialen abkürzt: TM und GM, Thomas und Golo Mann. Im zweiten Band kommt das Kürzel "A.H." hinzu: Adolf Hitler. Ein längeres Kindheitskapitel der "Erinnerungen und Gedanken" handelt von der Geisterfurcht des Knaben. Sie ist dem Erwachsenen geblieben: Das Unaussprechliche bannte er in Großbuchstaben.

Es hätte nahegelegen, Person und Werk Golo Manns aus seiner Beziehung zu seinem Vater zu entwickeln. Urs Bitterli hat darauf verzichtet, ohne einen anderen, vielleicht besseren Schlüssel zum Verständnis dieses Historikerlebens vorzulegen. Die Wahrheit dürfte darin liegen, daß es keinen besseren Schlüssel gibt. Golo Mann war ein brillanter Historiker, ein bedeutender Essayist und politischer Kommentator, aber zur Figur der Zeitgeschichte wurde er, weil er außerdem der Sohn Thomas Manns war. Wie sich der Stil seines Schreibens und Lebens, der Ton der Briefe und Tagebücher, die Haltung zur Geschichte wie zur Gegenwart aus dem Oppositionsverhältnis zu seinem Vater entwickelte, ist oft angedeutet, aber nie umfassend beschrieben worden. Urs Bitterlis Biographie hätte diese Lücke schließen können, doch der Autor weigert sich beharrlich, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So macht er sie noch schmerzlicher fühlbar: als Fehlen eines Leitgedankens, der die Kapitel des Bandes von innen her, jenseits der aufgezwungenen "guten Ordnung", zusammenhielte.

Im Grunde ist Bitterlis Buch, das die Jugend, das Exil, das historische Werk, die politische und literarische Publizistik und die Greisenjahre Golo Manns schubfachweise neben- und hintereinanderlegt, die Verweigerung einer Biographie: ein Lebensabriß aus Splittern, die sich nicht zum Bild zusammenfügen. Was, zum Beispiel, hat Golo Manns berühmte Rom-Rede vom Feburar 1964, in der er den Deutschen die Aussöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei empfahl, mit dem Verzicht auf die Professorenstelle an der Technischen Hochschule Stuttgart im Monat zuvor zu tun? Wie spiegelt sich seine Abkehr von Willy Brandt, dessen Ostpolitik er lange Zeit gefördert hatte, in seinen politischen Kommentaren der frühen siebziger Jahre? Golo Mann war aus eigener, leidvoller Erfahrung hochempfindlich gegen Krisen und Umwälzungen aller Art. Als einer der ersten erkannte er die weltgeschichtliche Bedeutung der iranischen Revolution von 1979, der linke Terror der RAF machte ihm mehr Angst, als er öffentlich einzugestehen wagte, und die deutsche Wiedervereinigung betrachtete er ohne Hochgefühl.

Sein Biograph Bitterli dagegen scheint Mühe zu haben, derlei Emotionen nicht für Schrullen zu halten. Gern gibt er der Geschichte recht gegen den Geschichtserzähler, blickt mit Hans-Ulrich Wehler, dem Antipoden, auf die "Erinnerungen und Gedanken" und rügt milde die "altväterische Art" des "Wallenstein". Noch lieber aber wird er selbst altväterisch, etwa indem er erklärt, wer Schiller war: "Schillers höchste Begabung lag bekanntlich im Dramatischen." Oder Voltaire: "Der französische Historiker war auch das, was man später in seinem Lande den ,écrivain engagé' genannt hat." So könnte man seitenlang weiter zitieren, und so vergehen die Seiten dieses Buchs, in dem von Golo Mann zuwenig und von allem anderen zuviel die Rede ist.

Im Grunde sei er "ein verhinderter Erzähler", hat Golo Mann abschließend zu seinem Werk gesagt und auch den Hinderungsgrund genannt: "Es gab ja genügend Schriftsteller in der Familie." In diesem Satz steckt eine Partitur erstickter Gefühle. Ein Porträt dieses Historikers müßte sie alle zum Klingen bringen. Aber Urs Bitterli ist kein verhinderter Erzähler, er ist nur ein verhinderter Biograph. Sein Buch ist die erste umfassende Studie über Golo Mann. Es darf nicht die letzte bleiben.

Urs Bitterli: "Golo Mann". Instanz und Außenseiter. Kindler Verlag, Berlin 2004. 708 S., 20 S/W- Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"In keiner Weise überzeugt und sehr enttäuscht zeigt sich Rezensent Andreas Kilb von Urs Bitterlis Biografie des Historikers Golo Manns, zumal er den Sohn von Thomas Mann für einen überaus "dankbaren Gegenstand" für eine Biografie hält. Wie er ausführt, war Mann nach eigenem Bekunden ein "Nest von Widersprüchen" - ein Nest, in das ein Biograf "mutig hineingreifen" müsste, findet Kilb, nicht um die Widersprüche zu glätten, sondern um sie zu einem Charakterbild zusammenzufügen. Das aber hat Bitterli zu Kilbs Bedauern unterlassen, um stattdessen als "treuer Freund von Ordnung" Manns Leben in eine Ordnung, eine Gliederung, eine Perspektive, eine Argumentation zu stellen, die ihrem Gegenstand "ganz unangemessen" seien. Der Rezensent verspürt daher allenthalben das Bedürfnis, Mann vor seinem Biografen "in Schutz nehmen". Besonders auf die Nerven geht Kilb nicht nur die "Besserwisserei" und das "Oberlehrertum", sondern auch die "Altväterei" des Verfassers. Auch dass Bitterli darauf verzichtet - ein doch recht naheliegender Ansatz -, Person und Werk Golo Manns aus seiner komplizierten Beziehung zu seinem Vater zu entwickeln, ohne einen besseren Schlüssel zum Verständnis dieses Historikerlebens vorzuweisen, kann Kilb nicht akzeptieren. Letztlich sieht er in Bitterlis Buch die "Verweigerung einer Biografie: ein Lebensabriss in Splittern, die sich nicht zum Bild zusammenfügen".

© Perlentaucher Medien GmbH"
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