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Hoechst - der Chemiegigant aus dem gleichnamigen Stadtteil im Westen Frankfurts gehörte einst zu den Flaggschiffen der Großchemie in Deutschland. Die Rotfabriker, wie sie im Volksmund genannt wurden, waren Anfang der 1980er Jahre auch das größte Pharmaunternehmen der Welt - ehe ab etwa Mitte der 1990er Jahre ein durch unübersehbare Managementfehler bedingter Niedergang einsetzte, der letztlich zur Zerschlagung des früheren Weltkonzerns führte. Karl-Gerhard Seifert, von 1988 bis 1997 selbst Mitglied im Vorstand der Hoechst AG, blickt in seinen Erinnerungen auf die Vorgänge zurück, die…mehr

Produktbeschreibung
Hoechst - der Chemiegigant aus dem gleichnamigen Stadtteil im Westen Frankfurts gehörte einst zu den Flaggschiffen der Großchemie in Deutschland. Die Rotfabriker, wie sie im Volksmund genannt wurden, waren Anfang der 1980er Jahre auch das größte Pharmaunternehmen der Welt - ehe ab etwa Mitte der 1990er Jahre ein durch unübersehbare Managementfehler bedingter Niedergang einsetzte, der letztlich zur Zerschlagung des früheren Weltkonzerns führte. Karl-Gerhard Seifert, von 1988 bis 1997 selbst Mitglied im Vorstand der Hoechst AG, blickt in seinen Erinnerungen auf die Vorgänge zurück, die maßgeblich waren für die Fusion mit Rhône-Poulenc zu Aventis. Viele Geschehnisse erschienen ihm so unglaublich, dass er ab dem Jahr 2000 begann, das Erlebte aufzuschreiben. Seine Protokolle, Dokumente und Aufzeichnungen der Gespräche mit Kollegen aus Vorstand und Aufsichtsrat beginnen aber viel früher und bilden die Grundlage für dieses Buch, das ein wesentliches Kapitel der jüngeren deutschen Industriegeschichte nachzeichnet.
Autorenporträt
Karl-Gerhard Seifert begann seine berufliche Laufbahn 1973 bei der Hoechst AG, die ihn 1988 bis in den Vorstand führte. Er war verantwortlich für die Bereiche Landwirtschaft, Pharma, Kosmetik und Spezialchemikalien. Er unterstützte die von dem Vorstandsvorsitzenden Jürgen Dormann ab 1996 verfolgte Strategie nicht, weil das für ihn das Ende der Hoechst AG bedeutete. Deshalb verließ er 1997 die Hoechst AG und übernahm die Leitung der Schweizer Chemiegesellschaft Clariant. Nach einer kurzen Zeit bei der Deutschen Bank erwarb er 2001 unter dem Namen AllessaChemie die ehemaligen Hoechst - Cassella Chemiewerke in Frankfurt-Fechenheim und Offenbach, um sie vor der Stilllegung zu bewahren. Er verkaufte diese Aktivitäten 2013 und ist seit dieser Zeit Geschäftsführer der Cassella GmbH.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2019

Lehren aus Hoechst
Die aktuelle Relevanz eines alten Debakels

Fragt man Leute unter 40, was sie mit der Hoechst AG verbinden, so erntet man meist ein Kopfschütteln. Anders sieht es bei älteren Jahrgängen aus: "War das nicht eine der größten Chemie- und Pharmafirmen der Welt?" In der Tat. Noch 1990 erreichte Hoechst mit 45 Milliarden DM einen ähnlichen Umsatz wie die BASF mit 47 und Bayer mit 42 Milliarden DM.

Was aus Hoechst geworden ist, beschreibt Karl-Gerhard Seifert in seinem Buch "Goodbye Hoechst". Es ist kein gewöhnliches Buch zum Niedergang einer einstigen Perle der deutschen Wirtschaft. Der Autor ist einer von den "Könnern, Spielern und Scharlatanen" aus dem Untertitel. Er war von 1988 bis 1997 Vorstand der Hoechst AG. Seifert liefert ein minutiöses Protokoll des Niederganges, unterlegt durch zahlreiche interne Dokumente. Für mich las sich das Buch wie ein Krimi. Vom Inhalt fühlte ich mich persönlich betroffen. Diese Betroffenheit rührt daher, dass ich Hoechst über gut zwei Jahrzehnte als Weiterbilder oberster Führungskräfte, als Berater und als Redner bei Managementkonferenzen begleitete. Es dürfte nicht viele Außenstehende geben, die bei Hoechst ähnlich nahe dran waren.

Seifert benennt Jürgen Dormann als Hauptschuldigen für den Untergang von Hoechst. Dormann leitete zunächst die einflussreiche Zentrale Direktionsabteilung. Von dort wurde er 1984 in den Vorstand berufen, ohne operative oder Auslandserfahrung zu besitzen. Von 1994 bis 2003 war er Vorstandsvorsitzender von Hoechst und dann von Aventis, in die der Rest von Hoechst aufging. Für die Wahl Dormanns zum "Manager des Jahres 1995" war ich, als Jurymitglied, mitverantwortlich, und noch 1996 lobte ich in einem Vortrag vor Hoechst-Führungskräften seine Amerika-Strategie.

Die Schuldzuweisung Seiferts bestreite ich nicht. Seiferts Rolle sehe ich allerdings kritischer als er selbst. Wiederholt habe ich mich bei der Lektüre des Buches gefragt, warum Seifert nicht wirkungsvoller interveniert hat, obwohl er Fehler erkannte. Letztlich muss man ihm mangelnde Durchsetzungskraft attestieren. Diese Schwäche schien auch in seinen späteren Stationen als Vorstandsvorsitzender der schweizerischen Clariant, in die die Hoechst-Spezialitätenchemie aufging, sowie der Alessa, die er als Investor übernahm, auf. Dennoch stelle ich Seiferts Leistung nicht grundsätzlich in Frage.

Als entscheidende Ursache des Desasters sieht Seifert die "Shareholder Value"-Orientierung Dormanns. Dieses Urteil teile ich nicht. Was Dormann anrichtete, war das Gegenteil von Shareholder Value. Seifert hadert zudem mit Bewertungen und verdrängt, dass bei Fusionen und Übernahmen der Börsenwert zählt. Im Kapitalismus ist Wert das, was der Markt zahlt, nicht das, was ein Chemiker dafür hält. Die Lehren, die im Hoechst-Fall stecken, sind bis heute für deutsche Unternehmen "hoechst" relevant. Sie sind das Interessante an dieser Geschichte. Was sind diese Lehren?

Überkomplexität vermeiden: Ich sehe die Wurzel des Hoechst-Niedergangs - anders als Seifert - deutlich früher in der nicht bewältigbaren Komplexität. Diese entstand bereits mit der Zerschlagung der IG-Farben nach dem Zweiten Weltkrieg. Hoechst erhielt ein weit diversifizierteres Portfolio als BASF und Bayer. Diese Komplexität wurde unter dem ersten Vorstandsvorsitzenden Winnacker und dessen Nachfolger Sammet durch Zukäufe und Joint Ventures weiter erhöht. Als ich Hoechst Mitte der siebziger Jahre kennenlernte, umfasste der Konzern rund 400 Firmen mit einer Unzahl von Standorten. Für das Produktportfolio mag es aus reiner Chemieperspektive eine gewisse Rechtfertigung gegeben haben. Die bedienten Märkte jedoch waren völlig disjunkt, ein Problem, das manche Hoechster bis heute nicht verstehen. In manchen Beteiligungen fehlte zudem der Durchgriff. Beispiele sind die französische Tochter Roussel-Uclaf oder 50:50-Gemeinschaftsunternehmen. Hoechst war ein abschreckendes Beispiel für Überkomplexität. Die generelle Lehre: Unternehmen sollten sich vor übertriebener Diversifikation hüten und Manager sich nicht der Illusion hingeben, alles beherrschen zu können. Siemens und Bayer erwiesen sich diesbezüglich als klüger.

Anforderungen an Top-Positionen verschärfen: Seifert liefert unzählige Belege zu Schwächen, die sich über die Jahre im Management einschlichen. Diese Fehlentwicklung gehe, so ehemalige Hoechster, bis auf Winnacker zurück, der eher Jasager tolerierte. Über manche Verhaltensweisen kann man sich nur wundern. Bei einem großen Chemieunfall im Werk Griesheim im Jahre 1993 kehrte der Vorstandsvorsitzende Hilger erst nach zehn Tagen aus dem Winterurlaub zurück. Da fehlt einem jedes Verständnis.

Internationale Kompetenz verbessern: Hoechst-Manager erwiesen sich machtmäßig-politisch Amerikanern, Franzosen und Schweizern unterlegen. Das ist kein Hoechst-spezifisches Thema. Mannesmann-Vodafone lässt grüßen. Klingt hier das NS-Trauma nach? Ist die mangelnde Beherrschung der englischen Sprache ein Problem? Französische Manager spielen ihre politischen Beziehungen gnadenlos aus. Wer in Harvard, Oxford oder an der ENA studiert hat, verfügt über ein Netzwerk, das deutschen Managern in aller Regel fehlt.

Börsenbewertung ernst nehmen: Die niedrige Bewertung deutscher Unternehmen bildet bis heute ein Damoklesschwert. Das hat sich seit Hoechst-Zeiten nicht grundlegend verändert. Man denke nur an den aktuellen Fall Linde. Guter Rat ist hier allerdings teuer.

Aufsichtsrat muss kontrollieren, nicht abnicken: Auch die Rolle von Aufsichtsrat und Mitbestimmung gibt einem zu denken. Wie kann es sein, dass niemand Dormann gestoppt hat? Erhard Bouillon, den ich persönlich sehr schätze, wurde nach Jahren als Personalvorstand Aufsichtsratsvorsitzender. Damit war er überfordert. Selbst die Arbeitnehmervertreter billigten das Vorgehen Dormanns, wahrlich kein Ruhmesblatt für die deutsche Mitbestimmung.

Diese Lehren besitzen aktuelle Relevanz. Wir sollten Seifert dankbar sein, dass er diese Fallstudie vorlegt. Sie hat zumindest eine positive Seite. Aus den gemachten Fehlern können und sollten deutsche Unternehmen und Manager lernen.

HERMANN SIMON

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