When Julie Summers' car breaks down in a sleazy street, a young Arab garage mechanic comes to her rescue. Out of this meeting develops a friendship that turns to love. But soon, despite his attempts to make the most of Julie's wealthy connections, Abdu is deported from South Africa and Julie insists on going too - but the couple must marry to make the relationship legitimate in the traditional village which is to be their home. Here, whilst Abdu is dedicated to escaping back to the life he has discovered, Julie finds herself slowly drawn in by the charm of her surroundings and new family, creating an unexpected gulf between them 'As gripping as a thriller and as felt as a love song' IRISH TIMES
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.02.2002Julie von Arabien
Nadine Gordimer featuring „The clash of cultures”: Die südafrikanische Nobelpreisträgerin scheitert mit ihrem Roman „Ein Mann von der Straße” auf der Wüstenpiste
Julie Summers stammt aus der südafrikanischen Oberschicht, sieht sich aber eher als progressive Bohémienne. Sie arbeitet als PR-Frau in einem Kommunikationsunternehmen, frequentiert das Hipster-Café „L. A.” und fährt ein papafinanziertes Auto. Letzteres bricht eines Tages nach den Tüv- geprüften Gesetzmäßigkeiten stereotyper Prosadramaturgie auf offener Straße zusammen. Szenenwechsel. In einer Kfz-Werkstatt kriecht der arabische Schwarzarbeiter und illegale Einwanderer Abdu unter einem Auto hervor, und Julie verliebt sich ohne Startschwierigkeiten in den ölverschmierten „Prinzen aus dem Morgenland”.
Von nun an läuft der bemüht zusammengeschraubte Konfliktstoff wie geschmiert. Das übersättigte Wohlstandskind führt den ehrgeizigen Zuwanderer in ihre Luxuswelt ein, wobei Nadine Gordimer alle Szenen sozialbewegter Prosa abhakt: Multikulturelle Bettszenen, Abdus Einführung in Julies Freundeskreis samt Instant-Karikaturen der wohlgenährten Oberschicht-Bohème und psychologischen Scherenschnitten, Vorstellung des armen Illegalen bei der internationalen Hochfinanz am Rande von Papas Swimmingpool, erniedrigende Behördengänge, und, und, und. Nach halber Romanstrecke folgt eine technische Plotwende, und der illegale Abdu wird ausgewiesen. Julie heiratet schnell ihr männliches Aschenbrödel und folgt dem neuen Gatten in sein Heimatdorf in einem muslimischen Drittweltland, wo Abdu sich als Ibrahim ibn Musa zu erkennen gibt. Zuhause ist die Identität wieder echt, dafür aber das Stromnetz schlechter.
Staubige Seife, täglich
Auch am muslimischen Rande aller Zivilisation hakt Nadine Gordimer wieder alle möglichen Szenen aus dem Bilderbuch der sozialkritischen Einfühlsamkeit ab: Julie mit und ohne Tschador, mit und ohne aufreizendes Dekolleté, Julie unter den langsam immer wärmer werdenden Blicken der arabischen Großfamilie, Julie bei praktizierender Entwicklungshilfe, und, und, und. In Arabisch macht die Weiße schnell Fortschritte, doch Abdu fühlt sich im Kokon seiner Großfamilie ebenso eingepfercht wie Julie im dekadenten Kreis ihrer superreichen Eltern. Abdu wandert schließlich in die USA aus, während Julie bei seiner Familie bleibt und das Wüstendorf sprachlich kolonialisiert, indem sie allen Bewohnern Englisch beibringt. Die legale Nestflüchterin funktioniert sogar als Katalysator für gute Familienverhältnisse: unter ihrem heilsamen Einfluss finden gar die Verstoßenen wieder zurück in den heiligen Kral der Blutsbande. Am flirrenden Rande der uralten Wüste findet die PR-Dame zu staubiger, aber existentieller Eigentlichkeit.
Hier beginnt endlich das wahre Leben mit Sandsturm, Ramadan und Patriarchat. Fazit: Im Islam muss die Frau zwar verschleiert Zwiebeln schälen, vertrocknet dafür aber mit sechzig nicht in einer trostlosen Altersresidenz im Speckgürtel einer Millionenmetropole. Auch wenn sie so zurückgezogen leben müssen wie die lichtkranke Hannelore Kohl selig, haben die muslimischen Frauen eigentlich erstaunlich viel zu melden. Die Scheidungsrate in der Wüste ist ebenfalls spürbar niedriger als in den noblen Villenvororten von Südkalifornien oder Johannisburg.
Nadine Gordimer hat 1991 den Nobelpreis für Bahnhofsliteratur bekommen. Ihr Roman „Ein Mann von der Straße” changiert zwischen einfallsloser Sozialsatire und kitschiger Selbstfindungsodyssee mit Paris-Dakar-Appeal. In der ersten Hälfte des Textes kolportiert die Autorin unter konventionellstem Einsatz aller klassischen Dramaturgiekniffe, was so alles in Südafrika nicht rund läuft. Man ahnt: Rassismus ist im Spiel. Aber auch die Stichworte „westliche Überflußgesellschaft” und „Migrationsströme” finden ein wortreiches Echo. Der zweite Teil des Romans liefert Impressionen zur islamischen Gesellschaftsstruktur aus der Perspektive einer freiwilligen Einwanderin.
Der Inhalt dieses Romans wird in jeder Reportage aus den betreffenden Ländern informativer abgehandelt, die mechanisch klappernde Form findet in jeder Daily Soap mindestens ebenso einfühlsam und effektheischend Verwendung. Die Figurinenaufstellung mit ihren stereotypen Kontrasten ist so starr wie beim Tischfußball. Auf jeden arabischen Papa kommt ein westliches Familienoberhaupt, jede muslimische Matrone findet ihr dekadentes Pendant an einem kalifornischen Pool. Was Abdus Autohändler-Onkel in der arabischen Wüste, ist Julies Frauenarzt-Onkel in der südafrikanischen Metropole.
Die Nobelpreisträgerin strukturiert ihren Text wie eine Musterschülerin aus einem Creative-Writing-Seminar, die mit naiver Begeisterung die abgegriffenen Figurenschemata klassischer Märchen entdeckt. Jeder Charakter wird mit vollständiger Gebrauchsanweisung geliefert. Verglichen mit Gordimers Karikaturen aus der südafrikanischen Oberschicht und der südafrikanischen „Tafelrunde” der jugendlichen Kaffeehaus-Bohémiens sind Frodos Gefährten aus dem „Herrn der Ringe” von Proustscher Feinpsychologie. Ein einziger Grundkonflikt wird über den gesamten Text hin wiedergekäut: die Scham über die eigene soziale Herkunft und die Angst vor dem urteilenden Blick des Anderen.
Der Migrant Abdu ist schlicht als egoistischer, charakterloser Wirtschaftsflüchtling gezeichnet, der Julie nur zur Verwirklichung seiner Karriereträume benutzt. Der „arme Teufel” kennt nur ein Begehr: wirtschaftsflüchten. Sein miserables Sein bestimmt sein bedauernswertes Bewusstsein, Zärtlichkeit darf er nicht zulassen, denn sie bedeutet nur Ballast auf seiner Jagd nach der Golden Visa Card. Existenzangst essen Liebe auf. Abdus Charakter ist so variationsreich wie das Veranstaltungsprogramm der Sahara. Es bleibt unklar, warum sich die junge Frau gerade von diesem eiskalten Materialisten angezogen fühlt, wo sie doch so sehr auf der Suche nach den wahren Werten ist; – allein sein sparsam dosiertes und machiavellistisch eingesetztes Lächeln kann es nicht sein: „Er hatte inzwischen erkannt, welche Macht sein besonderes Lächeln besaß, sie hatte es ihm bewusst gemacht, so dass etwas Unbewusstes, das den Impuls des Lächelns begleitete, inzwischen zur Taktik geworden war, die er einsetzte.” Die Wunderwaffe des Wüstensohnes.
Abdu aka Ibrahim ibn Linden
Warum Julie aus ihrem glitzernden Oberschichtkorsett in die archaisch-arabische Großfamilienhaft flüchtet, bleibt ein weiteres psychologisches Rätsel, dem nachzugehen man nach knapp dreihundert unmotiviert zusammengeschraubten Seiten keine Lust mehr verspürt. Die Eröffnungsszene dieses Textes in einer Kfz-Werkstatt ist symbolisch für seine Machart: Der Roman ist ein wackeliges Gesellenstück liebloser Plot-Mechanik.
Einzig Nadine Gordimers schnörkelloser, fast protokollarischer Stil könnte ihrem Text noch einen gewissen Reiz von sandgestrahlter Kargheit verleihen, der noch recht gut zur Wüstenszenerie zu passen scheint. Doch das überall durchschimmernde Schnittmuster konventioneller Konstruktion, die nach den Gesetzen eines öden Realismus unbeholfen das echte Leben abbilden will, verleidet einem schnell wieder jedes aufkommende Lesevergnügen.
Einmal mehr drängt sich der Verdacht auf, die schwedische Nobelakademie würfe jährlich mit königlich gefiederten Dart-Pfeilen auf eine aktuelle Weltkarte, um anschließend im Touristenbüro des markierten Landstrichs einen engagierten Praktikanten nach einem interessanten Lesetip mit Lokalkolorit zu fragen.
Unter den zahllosen Scheinidentitäten, mit denen der Migranten- Prototypen Abdu aka Ibrahim ibn Musa ausgestattet ist, verbirgt sich eine sehr traurige Wahrheit: Er ist ein Mann von der Lindenstraße.
STEPHAN MAUS
NADINE GORDIMER: Ein Mann von der Straße. Roman. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Berlin Verlag, Berlin 2001. 271 Seiten, 20,35 Euro.
Hier beginnt endlich das wahre Leben mit Sandsturm, Ramadan und Patriarchat: Landschaft in der Kalahari.
FOTO Charles
O-Rear/CORBIS
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Nadine Gordimer featuring „The clash of cultures”: Die südafrikanische Nobelpreisträgerin scheitert mit ihrem Roman „Ein Mann von der Straße” auf der Wüstenpiste
Julie Summers stammt aus der südafrikanischen Oberschicht, sieht sich aber eher als progressive Bohémienne. Sie arbeitet als PR-Frau in einem Kommunikationsunternehmen, frequentiert das Hipster-Café „L. A.” und fährt ein papafinanziertes Auto. Letzteres bricht eines Tages nach den Tüv- geprüften Gesetzmäßigkeiten stereotyper Prosadramaturgie auf offener Straße zusammen. Szenenwechsel. In einer Kfz-Werkstatt kriecht der arabische Schwarzarbeiter und illegale Einwanderer Abdu unter einem Auto hervor, und Julie verliebt sich ohne Startschwierigkeiten in den ölverschmierten „Prinzen aus dem Morgenland”.
Von nun an läuft der bemüht zusammengeschraubte Konfliktstoff wie geschmiert. Das übersättigte Wohlstandskind führt den ehrgeizigen Zuwanderer in ihre Luxuswelt ein, wobei Nadine Gordimer alle Szenen sozialbewegter Prosa abhakt: Multikulturelle Bettszenen, Abdus Einführung in Julies Freundeskreis samt Instant-Karikaturen der wohlgenährten Oberschicht-Bohème und psychologischen Scherenschnitten, Vorstellung des armen Illegalen bei der internationalen Hochfinanz am Rande von Papas Swimmingpool, erniedrigende Behördengänge, und, und, und. Nach halber Romanstrecke folgt eine technische Plotwende, und der illegale Abdu wird ausgewiesen. Julie heiratet schnell ihr männliches Aschenbrödel und folgt dem neuen Gatten in sein Heimatdorf in einem muslimischen Drittweltland, wo Abdu sich als Ibrahim ibn Musa zu erkennen gibt. Zuhause ist die Identität wieder echt, dafür aber das Stromnetz schlechter.
Staubige Seife, täglich
Auch am muslimischen Rande aller Zivilisation hakt Nadine Gordimer wieder alle möglichen Szenen aus dem Bilderbuch der sozialkritischen Einfühlsamkeit ab: Julie mit und ohne Tschador, mit und ohne aufreizendes Dekolleté, Julie unter den langsam immer wärmer werdenden Blicken der arabischen Großfamilie, Julie bei praktizierender Entwicklungshilfe, und, und, und. In Arabisch macht die Weiße schnell Fortschritte, doch Abdu fühlt sich im Kokon seiner Großfamilie ebenso eingepfercht wie Julie im dekadenten Kreis ihrer superreichen Eltern. Abdu wandert schließlich in die USA aus, während Julie bei seiner Familie bleibt und das Wüstendorf sprachlich kolonialisiert, indem sie allen Bewohnern Englisch beibringt. Die legale Nestflüchterin funktioniert sogar als Katalysator für gute Familienverhältnisse: unter ihrem heilsamen Einfluss finden gar die Verstoßenen wieder zurück in den heiligen Kral der Blutsbande. Am flirrenden Rande der uralten Wüste findet die PR-Dame zu staubiger, aber existentieller Eigentlichkeit.
Hier beginnt endlich das wahre Leben mit Sandsturm, Ramadan und Patriarchat. Fazit: Im Islam muss die Frau zwar verschleiert Zwiebeln schälen, vertrocknet dafür aber mit sechzig nicht in einer trostlosen Altersresidenz im Speckgürtel einer Millionenmetropole. Auch wenn sie so zurückgezogen leben müssen wie die lichtkranke Hannelore Kohl selig, haben die muslimischen Frauen eigentlich erstaunlich viel zu melden. Die Scheidungsrate in der Wüste ist ebenfalls spürbar niedriger als in den noblen Villenvororten von Südkalifornien oder Johannisburg.
Nadine Gordimer hat 1991 den Nobelpreis für Bahnhofsliteratur bekommen. Ihr Roman „Ein Mann von der Straße” changiert zwischen einfallsloser Sozialsatire und kitschiger Selbstfindungsodyssee mit Paris-Dakar-Appeal. In der ersten Hälfte des Textes kolportiert die Autorin unter konventionellstem Einsatz aller klassischen Dramaturgiekniffe, was so alles in Südafrika nicht rund läuft. Man ahnt: Rassismus ist im Spiel. Aber auch die Stichworte „westliche Überflußgesellschaft” und „Migrationsströme” finden ein wortreiches Echo. Der zweite Teil des Romans liefert Impressionen zur islamischen Gesellschaftsstruktur aus der Perspektive einer freiwilligen Einwanderin.
Der Inhalt dieses Romans wird in jeder Reportage aus den betreffenden Ländern informativer abgehandelt, die mechanisch klappernde Form findet in jeder Daily Soap mindestens ebenso einfühlsam und effektheischend Verwendung. Die Figurinenaufstellung mit ihren stereotypen Kontrasten ist so starr wie beim Tischfußball. Auf jeden arabischen Papa kommt ein westliches Familienoberhaupt, jede muslimische Matrone findet ihr dekadentes Pendant an einem kalifornischen Pool. Was Abdus Autohändler-Onkel in der arabischen Wüste, ist Julies Frauenarzt-Onkel in der südafrikanischen Metropole.
Die Nobelpreisträgerin strukturiert ihren Text wie eine Musterschülerin aus einem Creative-Writing-Seminar, die mit naiver Begeisterung die abgegriffenen Figurenschemata klassischer Märchen entdeckt. Jeder Charakter wird mit vollständiger Gebrauchsanweisung geliefert. Verglichen mit Gordimers Karikaturen aus der südafrikanischen Oberschicht und der südafrikanischen „Tafelrunde” der jugendlichen Kaffeehaus-Bohémiens sind Frodos Gefährten aus dem „Herrn der Ringe” von Proustscher Feinpsychologie. Ein einziger Grundkonflikt wird über den gesamten Text hin wiedergekäut: die Scham über die eigene soziale Herkunft und die Angst vor dem urteilenden Blick des Anderen.
Der Migrant Abdu ist schlicht als egoistischer, charakterloser Wirtschaftsflüchtling gezeichnet, der Julie nur zur Verwirklichung seiner Karriereträume benutzt. Der „arme Teufel” kennt nur ein Begehr: wirtschaftsflüchten. Sein miserables Sein bestimmt sein bedauernswertes Bewusstsein, Zärtlichkeit darf er nicht zulassen, denn sie bedeutet nur Ballast auf seiner Jagd nach der Golden Visa Card. Existenzangst essen Liebe auf. Abdus Charakter ist so variationsreich wie das Veranstaltungsprogramm der Sahara. Es bleibt unklar, warum sich die junge Frau gerade von diesem eiskalten Materialisten angezogen fühlt, wo sie doch so sehr auf der Suche nach den wahren Werten ist; – allein sein sparsam dosiertes und machiavellistisch eingesetztes Lächeln kann es nicht sein: „Er hatte inzwischen erkannt, welche Macht sein besonderes Lächeln besaß, sie hatte es ihm bewusst gemacht, so dass etwas Unbewusstes, das den Impuls des Lächelns begleitete, inzwischen zur Taktik geworden war, die er einsetzte.” Die Wunderwaffe des Wüstensohnes.
Abdu aka Ibrahim ibn Linden
Warum Julie aus ihrem glitzernden Oberschichtkorsett in die archaisch-arabische Großfamilienhaft flüchtet, bleibt ein weiteres psychologisches Rätsel, dem nachzugehen man nach knapp dreihundert unmotiviert zusammengeschraubten Seiten keine Lust mehr verspürt. Die Eröffnungsszene dieses Textes in einer Kfz-Werkstatt ist symbolisch für seine Machart: Der Roman ist ein wackeliges Gesellenstück liebloser Plot-Mechanik.
Einzig Nadine Gordimers schnörkelloser, fast protokollarischer Stil könnte ihrem Text noch einen gewissen Reiz von sandgestrahlter Kargheit verleihen, der noch recht gut zur Wüstenszenerie zu passen scheint. Doch das überall durchschimmernde Schnittmuster konventioneller Konstruktion, die nach den Gesetzen eines öden Realismus unbeholfen das echte Leben abbilden will, verleidet einem schnell wieder jedes aufkommende Lesevergnügen.
Einmal mehr drängt sich der Verdacht auf, die schwedische Nobelakademie würfe jährlich mit königlich gefiederten Dart-Pfeilen auf eine aktuelle Weltkarte, um anschließend im Touristenbüro des markierten Landstrichs einen engagierten Praktikanten nach einem interessanten Lesetip mit Lokalkolorit zu fragen.
Unter den zahllosen Scheinidentitäten, mit denen der Migranten- Prototypen Abdu aka Ibrahim ibn Musa ausgestattet ist, verbirgt sich eine sehr traurige Wahrheit: Er ist ein Mann von der Lindenstraße.
STEPHAN MAUS
NADINE GORDIMER: Ein Mann von der Straße. Roman. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Berlin Verlag, Berlin 2001. 271 Seiten, 20,35 Euro.
Hier beginnt endlich das wahre Leben mit Sandsturm, Ramadan und Patriarchat: Landschaft in der Kalahari.
FOTO Charles
O-Rear/CORBIS
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2001Wo bleibt der Sandsturm?
Wüstenschatten: Nadine Gordimer packt die Koffer
Der heiße Sturmwind hat den Himmel "wie mit Sandpapier abgeschliffen". Jetzt herrscht Stille und vollkommene Klarheit. Die Wüste hat in ihrer Unermeßlichkeit "den Häusern, den Menschen Einhalt geboten: hier geht es nicht weiter mit euren stinkenden Autos, euren trüben Laternen ... und dem Geschwätz eurer Radios; hier enden eure Ziele und Hoffnungen."
Das wichtigste und erste für all ihre Geschichten sei stets deren Schauplatz, hat Nadine Gordimer einmal erklärt. Weltgegenden, die durch große Wüsten von der internationalen Megakultur abgeschirmt seien, hieß es in ihrer Nobelpreisrede vor zehn Jahren, bieten Mythen eine Heimstatt. Mit dem neuen Roman, ihrem fünfzehnten, wagt die südafrikanische Autorin nun, einen solchen Ort erzählerisch zu erkunden.
Dabei wird kein einziger Schauplatz des Romans jemals benannt. Von jenem randständigen Wüstenland, wo der zweite und wichtigere Teil der Handlung spielt, erfahren wir bloß, daß es beim Abzug irgendeiner Kolonialmacht übriggeblieben, islamisch und arabisch ist. Und die im ersten Teil sehr schemenhaft gezeigte Metropole, in der Erste und Dritte Welt nebeneinander leben, sieht ganz so aus wie das heutige Johannesburg, doch auch diese Stadt bleibt ungenannt. Namen gelten immer nur den anderen Orten, den entfernten Ländern, wohin die Figuren so hoffnungsvoll wie sehnsüchtig aufbrechen. Nach Australien, Kanada, Amerika - nur fort aus seinem rückständigen Wüstendorf will der eine. Ins Weite einer fremden Gegenwelt, nur raus aus der Enge des behüteten Vorstadtwohlstands die andere. Der Roman entwirft so eine Topographie aus Wünschen und Mythen, bei der zuletzt auch der Leser hofft, daß doch alles anders wäre.
Alles beginnt mit einer Autopanne. Julie, eine junge weiße Frau aus gutem Hause, sucht in zweifelhafter Gegend bei einer Werkstatt Hilfe. Aus der Zufallsbekanntschaft mit dem Monteur Abdu, der ihr den Wagen repariert, wird erst eine Affäre, die ihre liberale Abenteuerlust bedient, dann die große Liebe, die ihr Leben ändert. Abdu lebt ohne feste Adresse, Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung. Als sein illegaler Status auffliegt und ihn das Land, wo er sein Glück gesucht hat, ausweist, geht Julie mit in sein entlegenes Heimatdorf, das ihm längst fremd geworden ist. Dort kehren sich zunächst die Rollen um, denn nun ist sie es, die den Zugang zur Sprache und den Ritualen der Familie erst mühsam suchen muß. Doch dann findet sie die Wüste, mythisch, weit und unbeeindruckt von den Wechselfällen der Geschichte. Hier sieht sie schon bald einen Zielort ihrer Hoffnungen. Abdu aber bricht erneut auf, diesmal in die Neue Welt: er bleibt weiter unterwegs. Wie der deutsche Titel sagt, ist er ein "Mann von der Straße".
Mit dem Ende der Apartheid, so ist oft behauptet worden, sei Gordimer ihr Thema abhanden gekommen. Derartigen Befürchtungen tritt dieser Roman souverän entgegen. Auch wo rassistische Trennung zwischen Hautfarben nicht länger Staatsdoktrin ist, birgt die Bürgergesellschaft tiefe Gräben und zieht Trennlinien, um ihre Zugehörigen durch Ausschluß anderer zu markieren. Sozialprestige und materielle Gütermehrung, so erfahren wir, bauen weiterhin darauf, daß nebenan ausreichend Dienstboten und schlecht bezahlte Arbeiter dafür bereitstehen, den Karren bei Bedarf aus dem Dreck zu ziehen. Migrantenschicksale und die durch Abschiebung zerstörten Lebenshoffnungen werden hier als Kehrseite der neuen Mobilität gezeigt. Statt ganz andere Themen und Konstellationen zu erfinden, erzählt Gordimer erneut ihre altbekannten Geschichten und überprüft sie auf ihre Tauglichkeit unter den veränderten Bedingungen.
Im ersten Teil hat beispielsweise der schwarze Staranwalt, der im letzten Roman "Die Hauswaffe" eine zentrale Rolle spielte, einen Gastauftritt, und der Kriminalfall, der dort eingehend verhandelt wurde, ist jetzt Gegenstand von Party-Konversationen. Der zweite Teil dann unternimmt es, ein Szenario unter umgekehrten Vorzeichen wieder durchzuspielen, das Gordimer vor zwanzig Jahren in "Julys Leute" einst entwarf. Damals führte sie der internationalen Leserschaft vor Augen, wie ein revolutionärer Umsturz in Südafrika die weiße Mittelklasse in Identitätsverlust stürzen müsse, wenn sie sich fassungslos in einem fremden Land entdeckte, wo alle eingefleischten Gewißheiten unversehens versandeten. Diesmal führt sie ihre Heldin Julie wirklich in ein Wüstenland, dessen Existenz und Lebensweise außerhalb des vertrauten Horizonts liegen. Wieder steht hier alles Leben unter einem Vorbehalt des Vorläufigen, des Übergangs in einer "Zwischenzeit". Diesmal aber will uns die Autorin glauben machen, daß die Heldin dieses Provisorium überwindet, indem sie sich selbst neu entdeckt. Julie will Oasen schaffen und in Reisanbau investieren, anstatt wie Abdu auf das nächste Visum warten und die Koffer packen. Sie wird in der Fremde heimisch.
Doch solch einer berückenden Vision scheint selbst die Erzählerin nicht ganz zu trauen. Sie will die kulturverbindenden Erfolge feiern und erinnert uns zugleich an "englische Scharaden in der Wüste" und kostümierten Imperialismus, "der mit äußerster Herablassung den Menschen in der Wüste die Ehre erwies, so sein zu wollen wie sie". Schon oft ist so das Unbehagen am saturierten Zivilstandsleben durch Aufbruch ins entlegene Abenteuer abgeschüttelt worden. Gordimers Geschichte müht sich, ihre Heldin gegen diesen Verdacht zu schützen und die Einweisung ins geheimnisvolle andere, statt durch exotische Verlockungen, mit tastenden und vorsichtigen Gesten vorzuführen. Der koloniale Schatten aber bleibt.
Nicht weniger vereinnahmend und problematisch ist der große Gestus der allwissenden Überschau, den die Autorin wählt. Selbstbewußt öffnet sie den Zauberkasten des Erzählens, durchleuchtet nach Belieben das Bewußtsein der Figuren und teilt uns viel mehr daraus mit, als wir womöglich wissen wollen. Die stärksten Szenen sind jene, in denen Gordimer eine Situation nur sparsam kommentiert, aus der Distanz beobachtet und darauf vertraut, die Dinge sprechen zu lassen. Zumal Gordimers Sprache, jedenfalls in dieser Übersetzung, an gestelzten Formulierungen so reich wie an Klischees ist. Immerfort "wallen" die Busen und "blitzen" die schwarzen Augen. Da "lächelt" ein Mann "von einem inneren Podest auf die Zeremonie herab", und die Familie, lesen wir, sei "ein Baum nicht der Abstammung, sondern der Komplexität gegenwärtiger Umstände". Das verstehe, wer kann. Man muß dem Roman zugute halten, daß er sich solchen Komplexitäten immerhin mutig stellt. Die weltweiten Migrationsströme, bei denen die Metropolen statt Wahlheimat zu Durchgangsstationen werden, bieten der Gegenwartsliteratur nicht nur aus Aktualitätsgründen ein drängendes und großes Thema, das Gordimers bewährte Gabe zum Moralischen herausfordert. Gerade deshalb muß man allerdings bedauern, daß sie hier zu oft dem Druck des vordergründig Versöhnlichen, der spürbar auf ihrer Geschichte lastet, nachgibt.
Julie "bot ihm anerkennend alles, was sie hatte: ihren Körper. Er war in ihrem Körper er selbst, dort gehörte er niemandem, sie war das Land, in das er ausgewandert war." Wenn man solche Sätze liest, wünscht man sich einen neuen Sandsturm, der für Klarheit und für Stille sorgt.
TOBIAS DÖRING
Nadine Gordimer: "Ein Mann von der Straße". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2001. 272 S., geb., 39, 80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wüstenschatten: Nadine Gordimer packt die Koffer
Der heiße Sturmwind hat den Himmel "wie mit Sandpapier abgeschliffen". Jetzt herrscht Stille und vollkommene Klarheit. Die Wüste hat in ihrer Unermeßlichkeit "den Häusern, den Menschen Einhalt geboten: hier geht es nicht weiter mit euren stinkenden Autos, euren trüben Laternen ... und dem Geschwätz eurer Radios; hier enden eure Ziele und Hoffnungen."
Das wichtigste und erste für all ihre Geschichten sei stets deren Schauplatz, hat Nadine Gordimer einmal erklärt. Weltgegenden, die durch große Wüsten von der internationalen Megakultur abgeschirmt seien, hieß es in ihrer Nobelpreisrede vor zehn Jahren, bieten Mythen eine Heimstatt. Mit dem neuen Roman, ihrem fünfzehnten, wagt die südafrikanische Autorin nun, einen solchen Ort erzählerisch zu erkunden.
Dabei wird kein einziger Schauplatz des Romans jemals benannt. Von jenem randständigen Wüstenland, wo der zweite und wichtigere Teil der Handlung spielt, erfahren wir bloß, daß es beim Abzug irgendeiner Kolonialmacht übriggeblieben, islamisch und arabisch ist. Und die im ersten Teil sehr schemenhaft gezeigte Metropole, in der Erste und Dritte Welt nebeneinander leben, sieht ganz so aus wie das heutige Johannesburg, doch auch diese Stadt bleibt ungenannt. Namen gelten immer nur den anderen Orten, den entfernten Ländern, wohin die Figuren so hoffnungsvoll wie sehnsüchtig aufbrechen. Nach Australien, Kanada, Amerika - nur fort aus seinem rückständigen Wüstendorf will der eine. Ins Weite einer fremden Gegenwelt, nur raus aus der Enge des behüteten Vorstadtwohlstands die andere. Der Roman entwirft so eine Topographie aus Wünschen und Mythen, bei der zuletzt auch der Leser hofft, daß doch alles anders wäre.
Alles beginnt mit einer Autopanne. Julie, eine junge weiße Frau aus gutem Hause, sucht in zweifelhafter Gegend bei einer Werkstatt Hilfe. Aus der Zufallsbekanntschaft mit dem Monteur Abdu, der ihr den Wagen repariert, wird erst eine Affäre, die ihre liberale Abenteuerlust bedient, dann die große Liebe, die ihr Leben ändert. Abdu lebt ohne feste Adresse, Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung. Als sein illegaler Status auffliegt und ihn das Land, wo er sein Glück gesucht hat, ausweist, geht Julie mit in sein entlegenes Heimatdorf, das ihm längst fremd geworden ist. Dort kehren sich zunächst die Rollen um, denn nun ist sie es, die den Zugang zur Sprache und den Ritualen der Familie erst mühsam suchen muß. Doch dann findet sie die Wüste, mythisch, weit und unbeeindruckt von den Wechselfällen der Geschichte. Hier sieht sie schon bald einen Zielort ihrer Hoffnungen. Abdu aber bricht erneut auf, diesmal in die Neue Welt: er bleibt weiter unterwegs. Wie der deutsche Titel sagt, ist er ein "Mann von der Straße".
Mit dem Ende der Apartheid, so ist oft behauptet worden, sei Gordimer ihr Thema abhanden gekommen. Derartigen Befürchtungen tritt dieser Roman souverän entgegen. Auch wo rassistische Trennung zwischen Hautfarben nicht länger Staatsdoktrin ist, birgt die Bürgergesellschaft tiefe Gräben und zieht Trennlinien, um ihre Zugehörigen durch Ausschluß anderer zu markieren. Sozialprestige und materielle Gütermehrung, so erfahren wir, bauen weiterhin darauf, daß nebenan ausreichend Dienstboten und schlecht bezahlte Arbeiter dafür bereitstehen, den Karren bei Bedarf aus dem Dreck zu ziehen. Migrantenschicksale und die durch Abschiebung zerstörten Lebenshoffnungen werden hier als Kehrseite der neuen Mobilität gezeigt. Statt ganz andere Themen und Konstellationen zu erfinden, erzählt Gordimer erneut ihre altbekannten Geschichten und überprüft sie auf ihre Tauglichkeit unter den veränderten Bedingungen.
Im ersten Teil hat beispielsweise der schwarze Staranwalt, der im letzten Roman "Die Hauswaffe" eine zentrale Rolle spielte, einen Gastauftritt, und der Kriminalfall, der dort eingehend verhandelt wurde, ist jetzt Gegenstand von Party-Konversationen. Der zweite Teil dann unternimmt es, ein Szenario unter umgekehrten Vorzeichen wieder durchzuspielen, das Gordimer vor zwanzig Jahren in "Julys Leute" einst entwarf. Damals führte sie der internationalen Leserschaft vor Augen, wie ein revolutionärer Umsturz in Südafrika die weiße Mittelklasse in Identitätsverlust stürzen müsse, wenn sie sich fassungslos in einem fremden Land entdeckte, wo alle eingefleischten Gewißheiten unversehens versandeten. Diesmal führt sie ihre Heldin Julie wirklich in ein Wüstenland, dessen Existenz und Lebensweise außerhalb des vertrauten Horizonts liegen. Wieder steht hier alles Leben unter einem Vorbehalt des Vorläufigen, des Übergangs in einer "Zwischenzeit". Diesmal aber will uns die Autorin glauben machen, daß die Heldin dieses Provisorium überwindet, indem sie sich selbst neu entdeckt. Julie will Oasen schaffen und in Reisanbau investieren, anstatt wie Abdu auf das nächste Visum warten und die Koffer packen. Sie wird in der Fremde heimisch.
Doch solch einer berückenden Vision scheint selbst die Erzählerin nicht ganz zu trauen. Sie will die kulturverbindenden Erfolge feiern und erinnert uns zugleich an "englische Scharaden in der Wüste" und kostümierten Imperialismus, "der mit äußerster Herablassung den Menschen in der Wüste die Ehre erwies, so sein zu wollen wie sie". Schon oft ist so das Unbehagen am saturierten Zivilstandsleben durch Aufbruch ins entlegene Abenteuer abgeschüttelt worden. Gordimers Geschichte müht sich, ihre Heldin gegen diesen Verdacht zu schützen und die Einweisung ins geheimnisvolle andere, statt durch exotische Verlockungen, mit tastenden und vorsichtigen Gesten vorzuführen. Der koloniale Schatten aber bleibt.
Nicht weniger vereinnahmend und problematisch ist der große Gestus der allwissenden Überschau, den die Autorin wählt. Selbstbewußt öffnet sie den Zauberkasten des Erzählens, durchleuchtet nach Belieben das Bewußtsein der Figuren und teilt uns viel mehr daraus mit, als wir womöglich wissen wollen. Die stärksten Szenen sind jene, in denen Gordimer eine Situation nur sparsam kommentiert, aus der Distanz beobachtet und darauf vertraut, die Dinge sprechen zu lassen. Zumal Gordimers Sprache, jedenfalls in dieser Übersetzung, an gestelzten Formulierungen so reich wie an Klischees ist. Immerfort "wallen" die Busen und "blitzen" die schwarzen Augen. Da "lächelt" ein Mann "von einem inneren Podest auf die Zeremonie herab", und die Familie, lesen wir, sei "ein Baum nicht der Abstammung, sondern der Komplexität gegenwärtiger Umstände". Das verstehe, wer kann. Man muß dem Roman zugute halten, daß er sich solchen Komplexitäten immerhin mutig stellt. Die weltweiten Migrationsströme, bei denen die Metropolen statt Wahlheimat zu Durchgangsstationen werden, bieten der Gegenwartsliteratur nicht nur aus Aktualitätsgründen ein drängendes und großes Thema, das Gordimers bewährte Gabe zum Moralischen herausfordert. Gerade deshalb muß man allerdings bedauern, daß sie hier zu oft dem Druck des vordergründig Versöhnlichen, der spürbar auf ihrer Geschichte lastet, nachgibt.
Julie "bot ihm anerkennend alles, was sie hatte: ihren Körper. Er war in ihrem Körper er selbst, dort gehörte er niemandem, sie war das Land, in das er ausgewandert war." Wenn man solche Sätze liest, wünscht man sich einen neuen Sandsturm, der für Klarheit und für Stille sorgt.
TOBIAS DÖRING
Nadine Gordimer: "Ein Mann von der Straße". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2001. 272 S., geb., 39, 80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'A majestic and deeply moving saga profound and startling' DAILY MAIL