Sie ist die wohl berühmteste fiktive Metropole der Gegenwart: Gotham City. Die Wirkungsstätte Batmans gilt heute weltweit als Sinnbild für die politische Krise in Permanenz, für die Herrschaft des Verbrechens, für unvorstellbares Staatsversagen, aber auch für eine unkonventionelle Zivilgesellschaft, für den Triumph eines republikanischen Heroismus. Daniel Damler unternimmt den Versuch, die Besonderheiten des Gotham'schen Notstands herauszuarbeiten und sie in historischer Perspektive rechtlich und politisch einzuordnen. Da es sich bei Gotham vornehmlich um ein visuelles Phänomen handelt, gerät die Filmarchitektur in den Blick. Der szenografischen Ausstattung kommt eine Schlüsselrolle zu bei der Verankerung im kollektiven Bewusstsein. Die Superhelden-Infrastruktur (Batcave, Wayne Manor) und andere kanonische Orte der Saga sind das visuelle Signet des Ausnahmezustands und konstituieren wirkungsmächtige Erinnerungsräume.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022Wahnsinn und Gesellschaft
Willkommen im Neo-Babylonismus: Daniel Damler unternimmt eine Reise in Batmans Heimat Gotham City und zeigt, warum die Metropole zum Sinnbild des permanenten Notstands geworden ist.
Von Kai Spanke
Seit achtzig Jahren verfügt die Polizei von Gotham City über einen besonderen Notruf. Er kommt immer dann zum Einsatz, wenn die sowieso schon ausufernde Kriminalität der Metropole nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist. Es handelt sich um einen Suchscheinwerfer, der eine stilisierte Fledermaus in den Nachthimmel projiziert. Im 1942 erschienenen, sechzigsten Band der "Detective Comics" feierte das Gerät Premiere. Am Ende von Tim Burtons erster Verfilmung des Stoffs aus dem Jahr 1989 wird es Gothams Bürgern offiziell vorgestellt. Wenn Terror und Chaos herrschen, so die Botschaft, rufen wir Batman mit diesem Signal herbei - und alles wird gut.
Das ist beruhigend und zugleich eine rechtsstaatliche Bankrotterklärung. Zum einen haben wir da einen Superhelden, der für die zivile Ordnung sein Leben riskiert. Zum anderen zeugt die Notwendigkeit seiner Interventionen von größter Verzweiflung. Per Knopfdruck entledigen sich Politik und Polizei von ihren Pflichten. Insofern ist es konsequent, dass Commissioner Gordon im zweiten Teil von Christopher Nolans Batman-Trilogie, "The Dark Knight" (2008), das Bat-Signal mit einer Axt zerstört. Man wird diesen grimmig vollzogenen Ikonoklasmus als Akt der Selbstbehauptung verstehen dürfen, schließlich kann die Stadt nur ohne Batman ihre Autonomie wiedererlangen.
Natürlich ist auch hier der Vigilant der größte Gegner des Vigilantismus. Aus diesem Paradox herauszufinden fällt nicht leicht. Gelingen könnte es dennoch, wenn man in Rechnung stellt, dass sich unter dem schwarzen Cape der Milliardär Bruce Wayne verbirgt, dessen Engagement für Gotham eine Art "republikanischen Heroismus" darstellt. Diese Form des Heldentums steht für den Juristen und Historiker Daniel Damler in einem Spannungsverhältnis zum "demokratischen Liberalismus mit seinen Allgemeinheits- und Gleichheitspostulaten". Wayne sei anders als alle anderen. Er habe sich nicht an gesellschaftliche Spielregeln zu halten, "wie auch in Rom Charisma und persönliche Tüchtigkeit wichtige Voraussetzungen waren, um als Diktator und Terroristenjäger zu reüssieren". Als Beispiel dient Cincinnatus, der im fünften Jahrhundert vor Christus zum Kurzzeitherrscher wurde, als Feinde das Römische Reich bedrohten. Nach sechzehn Tagen hatte er seine Gegner besiegt, anschließend legte er sein Amt nieder. Eine tugendhafte Führungsfigur.
Ist man bereit, Wayne einen solchen Sonderstatus zuzubilligen, erscheint die Intransparenz um seine Person akzeptabel, und das, obwohl gerade für ihn eine Überwachung des öffentlichen Lebens zum Tagesgeschäft gehört. Ein sogenannter "High Frequency Generator", mit dem er auf die Mobilfunkdaten aller Bürger zugreifen kann, macht in "The Dark Knight" deutlich, dass es hier nicht um das Ausmaß von Stärke und Einfluss geht, sondern um die charakterliche Eignung desjenigen, der beides besitzt. Was für Spiderman gilt, kann für Batman nicht verkehrt sein: "Aus großer Macht folgt große Verantwortung."
Wer sich für Welt- und Staatskrisen im 21. Jahrhundert interessiert, kommt Damler zufolge an der von Bob Kane und Bill Finger 1939 erdachten Batman-Figur nicht vorbei, denn ihre Heimat sei einem Milliardenpublikum bekannt und stehe für den "Ausnahmezustand in Permanenz". Die Stadt erstreckt sich über mehrere Inseln und wird nicht nur deswegen immer wieder als negativ überformte Version von New York betrachtet. In ihren Straßen ereignen sich Terroranschläge, sie soll mit Massenvernichtungswaffen zerstört werden und ist das Zuhause einer ganzen Riege von Wahnsinnigen. Die "Batman"-Filme, auf die sich der Autor unter Ausschluss der Comics konzentriert, verhandeln also zentrale Themen der politischen Philosophie und Staatstheorie. Deswegen begegnen in Damlers Abhandlung fortwährend Autoren wie Platon und Machiavelli. Letzterer empfahl übrigens, in Zeiten der Not einen fähigen Bürger auszuwählen, der - darin dem Westerner und Superhelden nicht unähnlich - tut, was getan werden muss.
Abgesehen von der geradezu absurden Dichte an Flüchtigkeitsfehlern, bereitet die Lektüre großes Vergnügen. Nicht zuletzt weil es dem Autor gelingt, eine kulturwissenschaftliche Einordnung der Verhältnisse in Gotham City zu liefern, die ästhetische Aspekte immer wieder zum Kern der Argumentation macht. Dabei umgeht er die Falle, das Batman-Universum als bloßes Belegmaterial für soziologische, juristische und philosophische Theorien heranzuziehen. Mit anderen Worten: Er erklärt nicht verschiedene Diskurse mit Gotham City, sondern Gotham City mit verschiedenen Diskursen. So zeigt er etwa, wie sich die historische Zeit (Erster Weltkrieg) in den ästhetischen Raum (expressionistischer Film) eingeschrieben hatte, wovon wiederum das Gotham bei Burton und, weniger offensichtlich, Nolan profitierte. Damler ist nicht der Erste, dem das auffällt, aber er verbindet den Blick auf die Szenographie souverän mit dem Charakteristikum eines andauernden Notstands.
In Gotham scheint "auf eine schwer zu definierende Art nichts, wie es sein sollte". Ob Fabriken, Häuserschluchten oder Straßen, alles ist aus der Form geraten. Burtons Produktdesigner Anton Furst sprach einst von einer "Anomalie der Stile", bestehend aus Anleihen bei Antoni Gaudí, Otto Wagner und Isambard Kingdom Brunel. In "Batman Returns" (1992) erinnert das Warenhaus des Millionärs Max Shreck - dessen Name eine Verbeugung vor dem Hauptdarsteller in Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) ist - an den Neuen Turm Babel aus Fritz Langs "Metropolis" (1927). Weitere Parallelen sind schnell gefunden: der Dom bei Lang und die Kathedrale in Burtons erstem "Batman"-Film, futuristische Apparaturen bei Lang und die Chemiefabrik "Axis Chemicals" bei Burton, eine seltsam schiefe Steinbrücke bei dem einen wie dem anderen.
Gut, könnte man sagen, das sind eben Referenzen, wie sie im Kino ständig vorkommen. Doch der Expressionismus gehört zum "Erbgut der Batman- und Gotham-Erzählung". Burton nutzt ihn, um die politische Ordnung zu kommentieren, und selbst Nolans Gotham, das auf den ersten Blick wie ein steriler Gegenentwurf erscheint, ist bei genauer Betrachtung durchaus verstörend. Obschon tatsächlich existierende Bauten die Kulisse bilden, handelt es sich um ein architektonisches Puzzle. Hier Gebäude aus Chicago und Los Angeles, dort welche aus London und New York. Hinzu kommen eigenwillige Kostüme und disharmonisch proportionierte Innenräume. Beispielsweise passt die geringe Höhe von Batmans Stützpunkt einfach nicht zu seiner enormen Fläche. Jubelt uns Nolan hier womöglich einen realistisch drapierten Expressionismus unter? Jedenfalls huldigten beide Regisseure einem "übersteigerten Neo-Babylonismus".
Damler zufolge führen zahllose Fäden von Weimar nach Hollywood, wobei die Regisseure neben der Filmarchitektur auch "etwas von der eigenartigen Atmosphäre der Zwischenkriegszeit, etwas von dem Wahnwitz einer psychisch entgleisten Gesellschaft" übernahmen. Man darf dabei ruhig an Siegfried Kracauers Theorie denken, wonach der Weimarer Film emotionale Dispositionen, wie sie in Deutschland zwischen 1918 und 1933 herrschten, zur Anschauung bringt. Aus gutem Grund spielt Arkham Asylum, die Psychiatrie Gothams, eine so wichtige Rolle in der Batman-Saga. Nicht zu vergessen, dass Bruce Wayne seelisch ja ebenfalls auf die schiefe Bahn geraten ist, als seine Eltern ermordet wurden. Nachts Rache an allen Verbrechern zu üben - das scheint seine Form der Therapie zu sein. Somit stellt sich die Frage nach dem Zustand eines Gemeinwesens, das von psychisch versehrten Repräsentanten zusammengehalten wird.
Weil Damler über so unterschiedliche Dinge wie Gewaltmonopole, Souveränität und künstlerischen Ausdruck nachdenkt, gibt er sich keine große Mühe, den Anschein eines systematischen Vorgehens zu erwecken. Vollständigkeit ist ebenso wenig sein Ziel, und schon gar nicht hat er eine Überblicksdarstellung für Fans im Sinn. Wenn seine Assoziationsketten mitunter etwas abenteuerlich geraten, ist das nie langatmig, dafür jedoch lehrreich. Unzählige Wege führen nach Gotham City. Daniel Damler ist nicht mit jedem vertraut, aber auf dem Pfad, den er einschlägt, folgt man ihm mit Gewinn.
Daniel Damler: "Gotham City". Architekturen des Ausnahmezustands.
Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York 2022. 198 S., Abb., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willkommen im Neo-Babylonismus: Daniel Damler unternimmt eine Reise in Batmans Heimat Gotham City und zeigt, warum die Metropole zum Sinnbild des permanenten Notstands geworden ist.
Von Kai Spanke
Seit achtzig Jahren verfügt die Polizei von Gotham City über einen besonderen Notruf. Er kommt immer dann zum Einsatz, wenn die sowieso schon ausufernde Kriminalität der Metropole nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist. Es handelt sich um einen Suchscheinwerfer, der eine stilisierte Fledermaus in den Nachthimmel projiziert. Im 1942 erschienenen, sechzigsten Band der "Detective Comics" feierte das Gerät Premiere. Am Ende von Tim Burtons erster Verfilmung des Stoffs aus dem Jahr 1989 wird es Gothams Bürgern offiziell vorgestellt. Wenn Terror und Chaos herrschen, so die Botschaft, rufen wir Batman mit diesem Signal herbei - und alles wird gut.
Das ist beruhigend und zugleich eine rechtsstaatliche Bankrotterklärung. Zum einen haben wir da einen Superhelden, der für die zivile Ordnung sein Leben riskiert. Zum anderen zeugt die Notwendigkeit seiner Interventionen von größter Verzweiflung. Per Knopfdruck entledigen sich Politik und Polizei von ihren Pflichten. Insofern ist es konsequent, dass Commissioner Gordon im zweiten Teil von Christopher Nolans Batman-Trilogie, "The Dark Knight" (2008), das Bat-Signal mit einer Axt zerstört. Man wird diesen grimmig vollzogenen Ikonoklasmus als Akt der Selbstbehauptung verstehen dürfen, schließlich kann die Stadt nur ohne Batman ihre Autonomie wiedererlangen.
Natürlich ist auch hier der Vigilant der größte Gegner des Vigilantismus. Aus diesem Paradox herauszufinden fällt nicht leicht. Gelingen könnte es dennoch, wenn man in Rechnung stellt, dass sich unter dem schwarzen Cape der Milliardär Bruce Wayne verbirgt, dessen Engagement für Gotham eine Art "republikanischen Heroismus" darstellt. Diese Form des Heldentums steht für den Juristen und Historiker Daniel Damler in einem Spannungsverhältnis zum "demokratischen Liberalismus mit seinen Allgemeinheits- und Gleichheitspostulaten". Wayne sei anders als alle anderen. Er habe sich nicht an gesellschaftliche Spielregeln zu halten, "wie auch in Rom Charisma und persönliche Tüchtigkeit wichtige Voraussetzungen waren, um als Diktator und Terroristenjäger zu reüssieren". Als Beispiel dient Cincinnatus, der im fünften Jahrhundert vor Christus zum Kurzzeitherrscher wurde, als Feinde das Römische Reich bedrohten. Nach sechzehn Tagen hatte er seine Gegner besiegt, anschließend legte er sein Amt nieder. Eine tugendhafte Führungsfigur.
Ist man bereit, Wayne einen solchen Sonderstatus zuzubilligen, erscheint die Intransparenz um seine Person akzeptabel, und das, obwohl gerade für ihn eine Überwachung des öffentlichen Lebens zum Tagesgeschäft gehört. Ein sogenannter "High Frequency Generator", mit dem er auf die Mobilfunkdaten aller Bürger zugreifen kann, macht in "The Dark Knight" deutlich, dass es hier nicht um das Ausmaß von Stärke und Einfluss geht, sondern um die charakterliche Eignung desjenigen, der beides besitzt. Was für Spiderman gilt, kann für Batman nicht verkehrt sein: "Aus großer Macht folgt große Verantwortung."
Wer sich für Welt- und Staatskrisen im 21. Jahrhundert interessiert, kommt Damler zufolge an der von Bob Kane und Bill Finger 1939 erdachten Batman-Figur nicht vorbei, denn ihre Heimat sei einem Milliardenpublikum bekannt und stehe für den "Ausnahmezustand in Permanenz". Die Stadt erstreckt sich über mehrere Inseln und wird nicht nur deswegen immer wieder als negativ überformte Version von New York betrachtet. In ihren Straßen ereignen sich Terroranschläge, sie soll mit Massenvernichtungswaffen zerstört werden und ist das Zuhause einer ganzen Riege von Wahnsinnigen. Die "Batman"-Filme, auf die sich der Autor unter Ausschluss der Comics konzentriert, verhandeln also zentrale Themen der politischen Philosophie und Staatstheorie. Deswegen begegnen in Damlers Abhandlung fortwährend Autoren wie Platon und Machiavelli. Letzterer empfahl übrigens, in Zeiten der Not einen fähigen Bürger auszuwählen, der - darin dem Westerner und Superhelden nicht unähnlich - tut, was getan werden muss.
Abgesehen von der geradezu absurden Dichte an Flüchtigkeitsfehlern, bereitet die Lektüre großes Vergnügen. Nicht zuletzt weil es dem Autor gelingt, eine kulturwissenschaftliche Einordnung der Verhältnisse in Gotham City zu liefern, die ästhetische Aspekte immer wieder zum Kern der Argumentation macht. Dabei umgeht er die Falle, das Batman-Universum als bloßes Belegmaterial für soziologische, juristische und philosophische Theorien heranzuziehen. Mit anderen Worten: Er erklärt nicht verschiedene Diskurse mit Gotham City, sondern Gotham City mit verschiedenen Diskursen. So zeigt er etwa, wie sich die historische Zeit (Erster Weltkrieg) in den ästhetischen Raum (expressionistischer Film) eingeschrieben hatte, wovon wiederum das Gotham bei Burton und, weniger offensichtlich, Nolan profitierte. Damler ist nicht der Erste, dem das auffällt, aber er verbindet den Blick auf die Szenographie souverän mit dem Charakteristikum eines andauernden Notstands.
In Gotham scheint "auf eine schwer zu definierende Art nichts, wie es sein sollte". Ob Fabriken, Häuserschluchten oder Straßen, alles ist aus der Form geraten. Burtons Produktdesigner Anton Furst sprach einst von einer "Anomalie der Stile", bestehend aus Anleihen bei Antoni Gaudí, Otto Wagner und Isambard Kingdom Brunel. In "Batman Returns" (1992) erinnert das Warenhaus des Millionärs Max Shreck - dessen Name eine Verbeugung vor dem Hauptdarsteller in Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) ist - an den Neuen Turm Babel aus Fritz Langs "Metropolis" (1927). Weitere Parallelen sind schnell gefunden: der Dom bei Lang und die Kathedrale in Burtons erstem "Batman"-Film, futuristische Apparaturen bei Lang und die Chemiefabrik "Axis Chemicals" bei Burton, eine seltsam schiefe Steinbrücke bei dem einen wie dem anderen.
Gut, könnte man sagen, das sind eben Referenzen, wie sie im Kino ständig vorkommen. Doch der Expressionismus gehört zum "Erbgut der Batman- und Gotham-Erzählung". Burton nutzt ihn, um die politische Ordnung zu kommentieren, und selbst Nolans Gotham, das auf den ersten Blick wie ein steriler Gegenentwurf erscheint, ist bei genauer Betrachtung durchaus verstörend. Obschon tatsächlich existierende Bauten die Kulisse bilden, handelt es sich um ein architektonisches Puzzle. Hier Gebäude aus Chicago und Los Angeles, dort welche aus London und New York. Hinzu kommen eigenwillige Kostüme und disharmonisch proportionierte Innenräume. Beispielsweise passt die geringe Höhe von Batmans Stützpunkt einfach nicht zu seiner enormen Fläche. Jubelt uns Nolan hier womöglich einen realistisch drapierten Expressionismus unter? Jedenfalls huldigten beide Regisseure einem "übersteigerten Neo-Babylonismus".
Damler zufolge führen zahllose Fäden von Weimar nach Hollywood, wobei die Regisseure neben der Filmarchitektur auch "etwas von der eigenartigen Atmosphäre der Zwischenkriegszeit, etwas von dem Wahnwitz einer psychisch entgleisten Gesellschaft" übernahmen. Man darf dabei ruhig an Siegfried Kracauers Theorie denken, wonach der Weimarer Film emotionale Dispositionen, wie sie in Deutschland zwischen 1918 und 1933 herrschten, zur Anschauung bringt. Aus gutem Grund spielt Arkham Asylum, die Psychiatrie Gothams, eine so wichtige Rolle in der Batman-Saga. Nicht zu vergessen, dass Bruce Wayne seelisch ja ebenfalls auf die schiefe Bahn geraten ist, als seine Eltern ermordet wurden. Nachts Rache an allen Verbrechern zu üben - das scheint seine Form der Therapie zu sein. Somit stellt sich die Frage nach dem Zustand eines Gemeinwesens, das von psychisch versehrten Repräsentanten zusammengehalten wird.
Weil Damler über so unterschiedliche Dinge wie Gewaltmonopole, Souveränität und künstlerischen Ausdruck nachdenkt, gibt er sich keine große Mühe, den Anschein eines systematischen Vorgehens zu erwecken. Vollständigkeit ist ebenso wenig sein Ziel, und schon gar nicht hat er eine Überblicksdarstellung für Fans im Sinn. Wenn seine Assoziationsketten mitunter etwas abenteuerlich geraten, ist das nie langatmig, dafür jedoch lehrreich. Unzählige Wege führen nach Gotham City. Daniel Damler ist nicht mit jedem vertraut, aber auf dem Pfad, den er einschlägt, folgt man ihm mit Gewinn.
Daniel Damler: "Gotham City". Architekturen des Ausnahmezustands.
Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York 2022. 198 S., Abb., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke folgt Daniel Damler mit Gewinn bei seiner Erkundung der Filmwelten, die der Batman-Comic hervorgebracht hat. Wie der Autor ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Systematik seinen Gedanken über die merkwürdig schrägen expressionistischen, "neo-babylonistischen" Bildwelten von Gotham City in den Filmen von Christopher Nolan und Tim Burton nachhängt, hält für Spanke so manche überraschende Erkenntnis bereit. Auch über die Einschreibung des Ersten Weltkriegs in den Raum hat der Autor laut Rezensent Erhellendes zu erzählen, und über die Spuren politischer Theorie und Philosophie von Platon bis Machiavelli klärt Damler Spanke außerdem lehrreich, unterhaltsam und vergnüglich auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Unzählige Wege führen nach Gottham City. Daniel Damler ist nicht mit jedem vertraut, aber auf dem Pfad, den er einschlägt, folgt man ihm mit Gewinn.« Kai Spanke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.2022»Bei 'Gotham City' handelt es sich um ein kurzweiliges, facettenreiches und vielschichtiges Buch für echte Film-Nerds.« Jannina Schäffer, JURios, 07.04.2022»[Das] Buch macht deutlich, wie sehr Gestaltung und Kunst, Vorstellungskraft und Kreativität zum Gelingen einer Zivilgesellschaft beitragen. Dass dieser Zuspruch über den Umweg Gotham City von einem Juristen kommt, macht diesen Essay so überraschend und ermutigend.« Daniel Völzke, Monopol, 28.04.2022»Das Buch ist insgesamt ein sehr lesbares, exkursfreudiges Buch über die Batman-Realverfilmungen, weitaus anspruchsvoller als etwa 'Batman and Philosophy: The Dark Knight of the Soul' (Hoboken: Wiley, 2008) von Mark D. White und Robert Arp. [...] Wer die Abschnitte über Hannah Arendt, Platon oder die nervengeschädigten Kriegszitterer ('Neuratheniker') in der Weimarer Republik nicht scheut, wird eine informative Lektüre vorfinden.« Gerrit Lungershausen, MEDIENwissenschaft 02/2023