Der Gottestitel des 'Poeten' des Nizänischen Glaubensbekenntnisses bezeichnet Wort und Werk des Schöpfers zugleich. Als 'Autor' und 'Poet' gibt Gott das verläßliche Wort. Sein Werk - als poiesis - ist die in Treue zugesagte Welt, durch die er uns anredet und sich verspricht. Daher ist seine poiesis eine Poesie des Versprechens. Sie läßt sich nicht im Sinne eines Einheitsprinzips verstehen, das zeit-, situationslos und allein in Aussagesätzen formuliert wird. Sie gibt vielmehr einen - durch den Widerspruch des Menschen gegen Gottes Poesie des Versprechens verschuldeten - Zeitenbruch als Verschränkung der Zeiten zu bedenken.Poietologische Theologie orientiert sich an nicht konstatierenden, sondern konstitutierenden Primärsätzen des Glaubens, an Sprach- und Lebensformen wie Lob und Klage sowie an 'Lebenstexten', etwa der Dichtung Kleppers oder Bobrowskis.Oswald Bayer eröffnet mit seinem Entwurf einen neuen Zugang zur Theologie, den er exemplarisch vor allem in Neubestimmungen schöpfungstheologischer, christologischer, trinitätstheologischer und eschatologischer Bereiche erkundet. In einem interdisziplinären Gespräch zwischen Theologie, Philosophie, Literatur-, Sprach- und Naturwissenschaft korrigiert er den gängigen Wahrheitsbegriff durch einen dreigliedrigen Wissenschaftsbegriff, der den rationalen Bereich von Philosophie und Wissenschaft gegenüber den Bereichen von Geschichte und Poesie nicht isoliert, sondern in den jeweiligen Zusammenhängen zur Geltung bringt. Damit läßt sich auch die grundlegende Bedeutung der Poesie für eine Ortsbestimmung der Theologie zwischen Metaphysik und Mythologie wahrnehmen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.1999Wir sind Bettler, das ist klingt wahr
Theologie für Diplombibliothekare: Wie jeder ungläubige Thomas zum Fischer von Menschen wird
An religiöser Prosa und Lyrik herrscht gegenwärtig kein Mangel. Fachleute sehen darin nicht etwa ein Ergebnis erfolgreicher Resakralisierung, sondern viel eher eine Folge fortschreitender Entkirchlichung und gelebter Glaubensfreiheit. Die Fülle lässt sich nicht mehr sinnvoll unter interpretierenden Vorgaben sammeln, wie das früher in Anthologien geschah, als in den sechziger und noch in den siebziger Jahren hin und wieder Titel wie "Gott im Gedicht" oder gar "Poeten beten" erschienen. Systematische Reflexionen zu einer "poietologischen Theologie" scheinen daher nötig, wie sie der evangelische Theologe Oswald Bayer aus Tübingen mit seiner Monografie "Gott als Autor" jetzt vorlegt.
Poietologie und Theologie beschäftigen sich beide mit sprachlichen Zeugnissen; sie unterscheiden sich aber darin, dass es die Theologie darüber hinaus mit einem Gegenstand zu tun hat, der von grundlegender Bedeutung für Sprache selbst ist. Das Gottesverhältnis, zumindest wie es christliche Theologie beschreibt, ist primär sprachlich vermittelt: Gott und Mensch existieren miteinander im Reden und Hören, im Zusagen und Beten. Im Wesentlichen spricht der Mensch nicht über Gott, sondern zu ihm. Christliche Überlieferung kann auf Grund dieser wesentlichen Sprachlichkeit ihres Inhalts das Gottesverhältnis als ein persönliches Miteinander von Schöpfer und Geschöpf beschreiben und nicht einfach nur als schematische Relation von Ursache und Wirkung. Sie überliefert keine metaphysischen Begründungsrelationen, sondern die Geschichte von Jesus Christus.
Poietologisch gilt, dass jede Geschichte von Veränderungen erzählt. Keine Erzählung lebt von der Unverrückbarkeit ihrer Verhältnisse und der Unveränderbarkeit ihrer Protagonisten. Nur wenn sich ein Mensch wandelt, hat er Geschichte und möglicherweise selbst etwas zu erzählen. Theologisch gilt nun, dass die Christusgeschichte nicht nur von der Veränderung im Leben eines Menschen erzählt, nicht nur von dessen Güte, sondern von einer Veränderung in Gott selbst - zugunsten des Menschen.
An einem protestantischen Paradigma, dem heute noch präsenten Lutherlied "Nun freut euch lieben Christen gmein", legt Bayer dies aus: Luther erzählt darin erst von der Verzweiflung des Menschen bis zu dem berühmten "zur Hölle musst ich sinken" und dann von einer persönlichen Regung in Gott selbst: "Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermassen". Gottesgeschichte wird hier als konkrete Heilszuwendung für diesen einen Menschen erzählt, in dem Luther die Sprachlichkeit dann noch in den trinitarischen Gottesbegriff selbst einzeichnet und es im Weiteren heißt: "Er sprach zu seinem lieben Sohn: ,Die Zeit ist hier zu erbarmen; fahr hin, meins Herzens werkte Kron, und sei das Heil dem Armen.'"
Gott spricht zu sich selbst. Poietologische Theologie beschreibt mit dem Gottesverhältnis also nicht nur dessen Verhalten zum Menschen, sondern zugleich zu sich selbst. Gottesverhältnis ist a priori göttliches Selbstverhältnis und a posteriori Beziehung des Menschen zu Gott. Die Veränderung Gottes für ihn, das göttliche Erbarmen, wird dem Menschen im Glauben zuteil. Insofern ist der Glaube bei aller Lebensveränderung zuerst immer vita passiva und keine logische, sondern die historische Voraussetzung christlicher Existenz. Er beschreibt die existenziellen Grenzen und Möglichkeiten des konkreten Individuums, dem er zuteil wurde. In ihm bestätigt und betätigt sich die Autorenschaft Gottes für das persönliche Leben. Bayer schreibt dazu eindrücklich: "Er spricht mich nicht nur so an, dass ich dabei vorausgesetzt wäre, sondern er spricht mich an, in dem ich mein Sein erst empfange, in dem er mich anspricht. Er erzählt mich, er schreibt meine Lebensgeschichte und rezensiert sie auch - als der letzte Richter. Die Frage ,Wer bin ich?' kann angemessen und zutreffend nur beantwortet werden, in dem ich von Gott als dem Autor meiner Lebens- und Weltgeschichte rede."
Die hermeneutische Grundbeziehung des Menschen zu Gott entfaltet Bayer in einer abschließenden Interpretation von Luthers letzter schriftlicher Lebensäußerung: "Wir sind Bettler." Mit diesen Worten hatte der Reformator, kurz vor seinem Tod in Eisleben, seine Gedanken zum Übersetzen, Verstehen und Begreifen von Texten aus ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen beendet und damit noch einmal festhalten wollen, dass wir beim Verstehen auf eine Bedingung angewiesen sind, die jenseits unseres Verstehens und unserer Vernunft liegt, die aber ihrerseits keineswegs unverständlich und unvernünftig sein muss. Verstehen ist eine Gabe, an der die aposteriorische Existenz des Menschen sinnfällig wird. Diese Einsicht erlaubt Bayer auch den Zugang zu Texten moderner Literatur, wie etwa Tilman Mosers "Gottesvergiftung" oder Paul Celans Gedicht "Mandorla", die sich um ihrer Authentizität willen dem faden Schein eines heilen Ganzen verweigern.
Gerade der offene Zugang zur Literatur macht das Buch auch für denjenigen lesenswert und spannend, der sich bisweilen über theologische Bemühungen um poetische Texte geärgert haben mag, weil er hier allzu deutlich die Bemühung solcher Texte für theologisierendes Meinen erkannt hatte. Für die Frage nach der sachgerechten theologischen Hermeneutik literarischer Texte bedeuten die Ausführungen Bayers aber, dass die Interpretation die Sprachlichkeit ernst nehmen muss und den Zugang zu der religiösen Dimension der Texte nicht durch die Suche nach dogmatischen Inhalten erschweren darf.
FRIEDRICH SEVE
Oswald Bayer: "Gott als Autor". Zu einer poietologischen Theologie. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1999. 333 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Theologie für Diplombibliothekare: Wie jeder ungläubige Thomas zum Fischer von Menschen wird
An religiöser Prosa und Lyrik herrscht gegenwärtig kein Mangel. Fachleute sehen darin nicht etwa ein Ergebnis erfolgreicher Resakralisierung, sondern viel eher eine Folge fortschreitender Entkirchlichung und gelebter Glaubensfreiheit. Die Fülle lässt sich nicht mehr sinnvoll unter interpretierenden Vorgaben sammeln, wie das früher in Anthologien geschah, als in den sechziger und noch in den siebziger Jahren hin und wieder Titel wie "Gott im Gedicht" oder gar "Poeten beten" erschienen. Systematische Reflexionen zu einer "poietologischen Theologie" scheinen daher nötig, wie sie der evangelische Theologe Oswald Bayer aus Tübingen mit seiner Monografie "Gott als Autor" jetzt vorlegt.
Poietologie und Theologie beschäftigen sich beide mit sprachlichen Zeugnissen; sie unterscheiden sich aber darin, dass es die Theologie darüber hinaus mit einem Gegenstand zu tun hat, der von grundlegender Bedeutung für Sprache selbst ist. Das Gottesverhältnis, zumindest wie es christliche Theologie beschreibt, ist primär sprachlich vermittelt: Gott und Mensch existieren miteinander im Reden und Hören, im Zusagen und Beten. Im Wesentlichen spricht der Mensch nicht über Gott, sondern zu ihm. Christliche Überlieferung kann auf Grund dieser wesentlichen Sprachlichkeit ihres Inhalts das Gottesverhältnis als ein persönliches Miteinander von Schöpfer und Geschöpf beschreiben und nicht einfach nur als schematische Relation von Ursache und Wirkung. Sie überliefert keine metaphysischen Begründungsrelationen, sondern die Geschichte von Jesus Christus.
Poietologisch gilt, dass jede Geschichte von Veränderungen erzählt. Keine Erzählung lebt von der Unverrückbarkeit ihrer Verhältnisse und der Unveränderbarkeit ihrer Protagonisten. Nur wenn sich ein Mensch wandelt, hat er Geschichte und möglicherweise selbst etwas zu erzählen. Theologisch gilt nun, dass die Christusgeschichte nicht nur von der Veränderung im Leben eines Menschen erzählt, nicht nur von dessen Güte, sondern von einer Veränderung in Gott selbst - zugunsten des Menschen.
An einem protestantischen Paradigma, dem heute noch präsenten Lutherlied "Nun freut euch lieben Christen gmein", legt Bayer dies aus: Luther erzählt darin erst von der Verzweiflung des Menschen bis zu dem berühmten "zur Hölle musst ich sinken" und dann von einer persönlichen Regung in Gott selbst: "Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermassen". Gottesgeschichte wird hier als konkrete Heilszuwendung für diesen einen Menschen erzählt, in dem Luther die Sprachlichkeit dann noch in den trinitarischen Gottesbegriff selbst einzeichnet und es im Weiteren heißt: "Er sprach zu seinem lieben Sohn: ,Die Zeit ist hier zu erbarmen; fahr hin, meins Herzens werkte Kron, und sei das Heil dem Armen.'"
Gott spricht zu sich selbst. Poietologische Theologie beschreibt mit dem Gottesverhältnis also nicht nur dessen Verhalten zum Menschen, sondern zugleich zu sich selbst. Gottesverhältnis ist a priori göttliches Selbstverhältnis und a posteriori Beziehung des Menschen zu Gott. Die Veränderung Gottes für ihn, das göttliche Erbarmen, wird dem Menschen im Glauben zuteil. Insofern ist der Glaube bei aller Lebensveränderung zuerst immer vita passiva und keine logische, sondern die historische Voraussetzung christlicher Existenz. Er beschreibt die existenziellen Grenzen und Möglichkeiten des konkreten Individuums, dem er zuteil wurde. In ihm bestätigt und betätigt sich die Autorenschaft Gottes für das persönliche Leben. Bayer schreibt dazu eindrücklich: "Er spricht mich nicht nur so an, dass ich dabei vorausgesetzt wäre, sondern er spricht mich an, in dem ich mein Sein erst empfange, in dem er mich anspricht. Er erzählt mich, er schreibt meine Lebensgeschichte und rezensiert sie auch - als der letzte Richter. Die Frage ,Wer bin ich?' kann angemessen und zutreffend nur beantwortet werden, in dem ich von Gott als dem Autor meiner Lebens- und Weltgeschichte rede."
Die hermeneutische Grundbeziehung des Menschen zu Gott entfaltet Bayer in einer abschließenden Interpretation von Luthers letzter schriftlicher Lebensäußerung: "Wir sind Bettler." Mit diesen Worten hatte der Reformator, kurz vor seinem Tod in Eisleben, seine Gedanken zum Übersetzen, Verstehen und Begreifen von Texten aus ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen beendet und damit noch einmal festhalten wollen, dass wir beim Verstehen auf eine Bedingung angewiesen sind, die jenseits unseres Verstehens und unserer Vernunft liegt, die aber ihrerseits keineswegs unverständlich und unvernünftig sein muss. Verstehen ist eine Gabe, an der die aposteriorische Existenz des Menschen sinnfällig wird. Diese Einsicht erlaubt Bayer auch den Zugang zu Texten moderner Literatur, wie etwa Tilman Mosers "Gottesvergiftung" oder Paul Celans Gedicht "Mandorla", die sich um ihrer Authentizität willen dem faden Schein eines heilen Ganzen verweigern.
Gerade der offene Zugang zur Literatur macht das Buch auch für denjenigen lesenswert und spannend, der sich bisweilen über theologische Bemühungen um poetische Texte geärgert haben mag, weil er hier allzu deutlich die Bemühung solcher Texte für theologisierendes Meinen erkannt hatte. Für die Frage nach der sachgerechten theologischen Hermeneutik literarischer Texte bedeuten die Ausführungen Bayers aber, dass die Interpretation die Sprachlichkeit ernst nehmen muss und den Zugang zu der religiösen Dimension der Texte nicht durch die Suche nach dogmatischen Inhalten erschweren darf.
FRIEDRICH SEVE
Oswald Bayer: "Gott als Autor". Zu einer poietologischen Theologie. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1999. 333 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main