Das neue Buch des Friedenspreisträgers - ein beeindruckender Einblick in das heutige China
»Der Gott in den schäbigen Bergstraßen ist rot. In den kühlen Höhen Yunnans. Wenn man betrunken ist. Wenn man außer sich ist vor Freude, dass es einen nicht umgebracht hat. Wenn Sonnenstrahlen, golden wie Schafe, über die Gipfel springen.« Liao Yiwu
Der Friedenspreisträger Liao Yiwu reiste in die entlegensten Bergdörfer Chinas, um dort Menschen zu treffen, die seit vielen Generationen und allen Widrigkeiten zum Trotz an ihrem christlichen Glauben festhalten. Er erzählt zahlreiche außergewöhnliche Lebensgeschichten, angefangen bei der 100-jährigen Nonne bis hin zum blinden Straßenmusiker.
Ein ebenso seltener wie beeindruckender Einblick in das Leben im Untergrund der größten verfolgten Minderheit Chinas, die es offiziell gar nicht gibt.
»Liaos Texte über die Christen lassen die Wahrheit im Dunkeln leuchten; das macht die Schönheit seines Schreibens aus.« Liu Xiaobo, Friedensnobelpreisträger 2010
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
»Der Gott in den schäbigen Bergstraßen ist rot. In den kühlen Höhen Yunnans. Wenn man betrunken ist. Wenn man außer sich ist vor Freude, dass es einen nicht umgebracht hat. Wenn Sonnenstrahlen, golden wie Schafe, über die Gipfel springen.« Liao Yiwu
Der Friedenspreisträger Liao Yiwu reiste in die entlegensten Bergdörfer Chinas, um dort Menschen zu treffen, die seit vielen Generationen und allen Widrigkeiten zum Trotz an ihrem christlichen Glauben festhalten. Er erzählt zahlreiche außergewöhnliche Lebensgeschichten, angefangen bei der 100-jährigen Nonne bis hin zum blinden Straßenmusiker.
Ein ebenso seltener wie beeindruckender Einblick in das Leben im Untergrund der größten verfolgten Minderheit Chinas, die es offiziell gar nicht gibt.
»Liaos Texte über die Christen lassen die Wahrheit im Dunkeln leuchten; das macht die Schönheit seines Schreibens aus.« Liu Xiaobo, Friedensnobelpreisträger 2010
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein ebenso erschütterndes wie besonderes Buch hat Rezensentin Raphaela Schmid mit Liao Yiwus "Gott ist rot", das die Situation der Christen in China beschreibt, gelesen. Umso enttäuschender findet die Kritikerin die nachlässig deutsche Übersetzung, die ganze Passagen unterschlage. Dieses Buch hätte größte editorische Sorgfalt verdient, etwa auch eine Zeittafel, ein Glossar und einen informativen Fußnotenapparat, vermerkt Schmid, die Yiwus Arbeit sehr bewundert: Als Dissident aufgrund eines Gedichtes zu vier Jahren Haft verurteilt, schließt sich der Autor nach Misshandlungen, Selbstmordversuchen und Alkoholsucht dem christlichen Arzt Dr. Sun an, begleitet ihn auf seinen Reisen, etwa nach Yunan, und führt die in diesem Buch versammelten Gespräche mit chinesischen Christen, die von Isolationshaft, Quälereien und unaufhörlichen Schikanen berichten. Fasziniert liest die Rezensentin auch Yiwus wortgewaltige Einführungen und Epiloge zu den Gesprächen. Und so richtet sich ihre abschließende Kritik einzig und allein gegen den deutschen Verlag, der diesem wichtigen Buch nicht gerecht wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2014Tätscheln ist etwas anderes als segnen
Liao Yiwu legt einen Bericht über Chinas verfolgte Christen vor, doch die deutsche Ausgabe wird dem Buch nicht gerecht
Die Geschichte des modernen China ist Liao Yiwu auf den Leib geschrieben. 1958 in die große Hungersnot hineingeboren, sein Vater ein "Gegenrevolutionär", und dennoch brachte Liao es zum "Staatsschriftsteller". Bis er am Tag der Niederschlagung der Studentenproteste am Tiananmen-Platz das Gedicht "Massaker" verfasste. Das kostete ihn alles, was er bis dahin erreicht hatte. Es folgten vier Jahre Haft, schwere Misshandlungen, zwei Selbstmordversuche. Nach der Entlassung schlug er sich als Straßenmusiker durch, nahm auf seinen Reisen Interviews auf, ein "nicht sonderlich anständiger" Autor, "vom Bodensatz der Gesellschaft" im Gespräch mit Tagelöhnern, Herumtreibern, Süchtigen, Bettlern, Prostituierten, Menschen, mit denen er "ganz natürlich" zu tun hatte.
Einige dieser Texte konnte er in "bereinigter" Form in China veröffentlichen. Das Buch wurde kurz bejubelt, schnell verboten und erschien 2009 auf Deutsch als "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. Chinas Gesellschaft von unten". Als Liaos Gefängnisbericht "Ein Lied und hundert Lieder" 2011 in Deutschland erscheinen sollte, stand er vor der Wahl, die Publikation abzusagen oder erneut verhaftet zu werden. Die Ausreise wurde ihm verweigert, also watete er mit seiner Flöte und den Aufnahmen von dreihundert Interviews im Rucksack durch den Grenzfluss nach Vietnam. Heute lebt er in Berlin.
Ein "halbes Leben und alle Leidenschaft" habe er solchen Geschichten gewidmet, erzählt Liao im Vorwort zu "Gott ist rot". Liu Xiaobo, der seit 2009 inhaftierte Nobelpreisträger, hatte ihn angespornt, "mit den toten Seelen zu tanzen". Aber dieser Tanz sei für ihn "traurig" und "hoffnungslos" geblieben. Er trank, gelegentlich auch mit den Polizisten in Zivil, die ihn kontinuierlich überwachten. Trank, bis er irgendwann aus dem ersten Stock eines Hauses fiel.
Dann war die Zeit gekommen, "der alte Gott konnte nicht mehr mitansehen wie ich immer weiter verkam, und schickte mir einen christlichen Arzt". Dr. Sun hatte nach der Taufe seine Führungsposition in einem staatlichen Krankenhaus aufgegeben. "War der Glaube ein Hindernis?", fragte Liao. Suns Antwort: "Das einfache Gewissen." Und weiter: "Das Wesen der Bibel ist Ehrfurcht, ist Liebe, und in China fehlte all das", denn "für den kleinsten persönlichen Vorteil war man bereit, alles zu tun". Niemand hätte ihn gezwungen, zum "Wandermönch" zu werden, das habe sich so ergeben. "Mein Vorbild ist Mutter Teresa." Mit deren Biographie im Gepäck brachte er seither medizinische Hilfe dorthin, wo es keine Krankenhäuser gab.
Liao schloss sich dem Arzt an und reiste mit ihm in entlegene Bergdörfer von Yunnan. Vor hundertfünfzig Jahren hatten Missionare das Christentum dorthin gebracht, von woher war bald vergessen. Der Glaube wurde in vielen Familien allen Widrigkeiten zum Trotz über Generationen bewahrt. Die Gespräche, die Liao hier führte, bezeugen Zyklen von Schikanen, von der kommunistischen Machtübernahme über die Kulturrevolution bis zum heutigen China, in dem unkontrollierte Religiosität immer noch als Bedrohung für die "harmonische Gesellschaft" gilt.
In den ersten Jahren unter Mao war es oft der Grad von Bereitschaft zur Kollaboration, der über das Schicksal eines Christen entschied. Die Kulturrevolution hingegen machte kaum Unterschiede. Zwei der Christen berichten von monatelanger Isolationshaft in fensterlosen "Meterzellen", Gruften von zwei Quadratmetern, ohne sich waschen zu können oder aufrecht zu stehen. Ein Sohn beschreibt seinen Vater, der Gemeindevorsteher war, verfilzt und von Läusen zerfressen, ohne Muskeln an den Unterschenkeln, nur gestützt des Gehens fähig und nahezu erblindet. Aus eigener Erfahrung berichtet Liao, solche Kleinzellen gäbe es immer noch, speziell für Verstöße wie die "Verbreitung reaktionären Gedankenguts". Die Litanei der Schikanen unterscheidet die Christen nicht von anderen Dissidenten. Was Liao faszinierte und über Jahre hinweg immer wieder in die Berge von Yunnan zurückbrachte, war, dass er diese Menschen und ihren Umgang mit dem Leid als anders empfand. Wo Liao Bitterkeit erwartete, wurde ihm gesagt: "Als Christen verzeihen wir und schauen nach vorne."
Liao war kein Christ und ist auch heute keiner, sagt aber: "Nur dieses ewige Licht, das von der älteren Generation der Gläubigen ausging, hat mich von diesem selbstmörderischen Impuls eines Säufers, der ab und zu von ganz unten auftaucht, befreit." Auch bei den Jüngeren fühlte er sich wohl. Die Sprache des Betens erschien ihm "wie das Essen, warm und leicht". In seiner Sehnsucht, das "Glück des Glaubens" auch als Skeptiker zu verspüren, versuchte Liao vom Christentum zunächst die Sprache für sich aus. "Amen", warf er gelegentlich ein, "es werde Licht", bis er schließlich selbst, "immer noch ohne eigenen Glauben (...), aber aufrichtig", ein Gebet sprach.
Liaos sprachmächtige Stimme gibt seinem Buch Halt. In Einführungen und Epilogen beschreibt er, wie es zu den Gesprächen kam und welchen Einfluss sie auf ihn hatten. Eine hundertjährige Nonne ist "kregel und erdig wie eine frisch ausgegrabene Ginsengwurzel", ein Lied der Yi ertönt, "jede Note eine Träne, glitschig wie ein Regenwurm", und immer wieder die Farbe Rot: "Jedes Stück Lehm ist rot, glänzt unter der Sonne, blutgetränkt."
Die Dokumentarfilme von Hu Jie und Wang Yoquins Sammlung von Geschichten der Opfer der Kulturrevolution werden längst als wichtige Alternative zur offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung eingestuft. "Gott ist rot" hätte es genauso verdient, vom Verlag als Sachbuch ernst genommen zu werden. Ohne Glossar und Zeittafel bleibt vieles unklar; und um der komplexen Situation von Christen in China gerecht zu werden, wäre ein religionsgeschichtlich informierender Fußnotenapparat angebracht.
Auch die Übersetzung enttäuscht. Pastor Wang Ziming wurde nach einem Schauprozess 1973 hingerichtet und ist als Märtyrer an der Fassade der Westminster Abbey verewigt. Sein Sohn erzählte Liao von der letzten Begegnung des zum Tode Verurteilten mit seiner Frau, von der er sich, in der 2012 erschienenen englischen Übersetzung, mit einem Segen verabschiedete: Er berührte ihre Stirn, Brust und Schultern. Auf Deutsch bleibt davon "er tätschelte sie", als könne der Leser mit der Geste des Bekreuzigens so wenig anfangen wie die chinesische Miliz, die damals die Szene überwachte. Liaos abschließende Frage an den Sohn, ob er Bitterkeit verspüre, samt der Antwort über das Verzeihen sind gänzlich aus dem Text verschwunden.
Einem Text, der mit so vielen persönlichen Opfern erkauft wurde, gebührt eine bessere Behandlung. Nicht nur Liao Yiwu hat einen hohen Preis bezahlt. Aus der englischen Ausgabe geht hervor, dass Dr. Sun der medizinische Dienst in Yunnan untersagt und nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr nach China verweigert wurde.
"Westler" waren Liao auf der Suche nach den Gräbern von Missionaren begegnet, und er zweifelte: "Die Gräber aufgerissen, die Leichen gepeitscht. Hass und ein Meer von Blut. Revolution und Konterrevolution. Würden die Ausländer mit ihren bunten Augen dieses Vokabular, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, verstehen?" Immerhin: "Sie waren hier, genau wie ich." Mit "Gott ist rot" können wir zuhören, genau wie er.
RAPHAELA SCHMID
Liao Yiwu: "Gott ist rot". Geschichten aus dem Untergrund. Verfolgte Christen in China. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 352 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liao Yiwu legt einen Bericht über Chinas verfolgte Christen vor, doch die deutsche Ausgabe wird dem Buch nicht gerecht
Die Geschichte des modernen China ist Liao Yiwu auf den Leib geschrieben. 1958 in die große Hungersnot hineingeboren, sein Vater ein "Gegenrevolutionär", und dennoch brachte Liao es zum "Staatsschriftsteller". Bis er am Tag der Niederschlagung der Studentenproteste am Tiananmen-Platz das Gedicht "Massaker" verfasste. Das kostete ihn alles, was er bis dahin erreicht hatte. Es folgten vier Jahre Haft, schwere Misshandlungen, zwei Selbstmordversuche. Nach der Entlassung schlug er sich als Straßenmusiker durch, nahm auf seinen Reisen Interviews auf, ein "nicht sonderlich anständiger" Autor, "vom Bodensatz der Gesellschaft" im Gespräch mit Tagelöhnern, Herumtreibern, Süchtigen, Bettlern, Prostituierten, Menschen, mit denen er "ganz natürlich" zu tun hatte.
Einige dieser Texte konnte er in "bereinigter" Form in China veröffentlichen. Das Buch wurde kurz bejubelt, schnell verboten und erschien 2009 auf Deutsch als "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. Chinas Gesellschaft von unten". Als Liaos Gefängnisbericht "Ein Lied und hundert Lieder" 2011 in Deutschland erscheinen sollte, stand er vor der Wahl, die Publikation abzusagen oder erneut verhaftet zu werden. Die Ausreise wurde ihm verweigert, also watete er mit seiner Flöte und den Aufnahmen von dreihundert Interviews im Rucksack durch den Grenzfluss nach Vietnam. Heute lebt er in Berlin.
Ein "halbes Leben und alle Leidenschaft" habe er solchen Geschichten gewidmet, erzählt Liao im Vorwort zu "Gott ist rot". Liu Xiaobo, der seit 2009 inhaftierte Nobelpreisträger, hatte ihn angespornt, "mit den toten Seelen zu tanzen". Aber dieser Tanz sei für ihn "traurig" und "hoffnungslos" geblieben. Er trank, gelegentlich auch mit den Polizisten in Zivil, die ihn kontinuierlich überwachten. Trank, bis er irgendwann aus dem ersten Stock eines Hauses fiel.
Dann war die Zeit gekommen, "der alte Gott konnte nicht mehr mitansehen wie ich immer weiter verkam, und schickte mir einen christlichen Arzt". Dr. Sun hatte nach der Taufe seine Führungsposition in einem staatlichen Krankenhaus aufgegeben. "War der Glaube ein Hindernis?", fragte Liao. Suns Antwort: "Das einfache Gewissen." Und weiter: "Das Wesen der Bibel ist Ehrfurcht, ist Liebe, und in China fehlte all das", denn "für den kleinsten persönlichen Vorteil war man bereit, alles zu tun". Niemand hätte ihn gezwungen, zum "Wandermönch" zu werden, das habe sich so ergeben. "Mein Vorbild ist Mutter Teresa." Mit deren Biographie im Gepäck brachte er seither medizinische Hilfe dorthin, wo es keine Krankenhäuser gab.
Liao schloss sich dem Arzt an und reiste mit ihm in entlegene Bergdörfer von Yunnan. Vor hundertfünfzig Jahren hatten Missionare das Christentum dorthin gebracht, von woher war bald vergessen. Der Glaube wurde in vielen Familien allen Widrigkeiten zum Trotz über Generationen bewahrt. Die Gespräche, die Liao hier führte, bezeugen Zyklen von Schikanen, von der kommunistischen Machtübernahme über die Kulturrevolution bis zum heutigen China, in dem unkontrollierte Religiosität immer noch als Bedrohung für die "harmonische Gesellschaft" gilt.
In den ersten Jahren unter Mao war es oft der Grad von Bereitschaft zur Kollaboration, der über das Schicksal eines Christen entschied. Die Kulturrevolution hingegen machte kaum Unterschiede. Zwei der Christen berichten von monatelanger Isolationshaft in fensterlosen "Meterzellen", Gruften von zwei Quadratmetern, ohne sich waschen zu können oder aufrecht zu stehen. Ein Sohn beschreibt seinen Vater, der Gemeindevorsteher war, verfilzt und von Läusen zerfressen, ohne Muskeln an den Unterschenkeln, nur gestützt des Gehens fähig und nahezu erblindet. Aus eigener Erfahrung berichtet Liao, solche Kleinzellen gäbe es immer noch, speziell für Verstöße wie die "Verbreitung reaktionären Gedankenguts". Die Litanei der Schikanen unterscheidet die Christen nicht von anderen Dissidenten. Was Liao faszinierte und über Jahre hinweg immer wieder in die Berge von Yunnan zurückbrachte, war, dass er diese Menschen und ihren Umgang mit dem Leid als anders empfand. Wo Liao Bitterkeit erwartete, wurde ihm gesagt: "Als Christen verzeihen wir und schauen nach vorne."
Liao war kein Christ und ist auch heute keiner, sagt aber: "Nur dieses ewige Licht, das von der älteren Generation der Gläubigen ausging, hat mich von diesem selbstmörderischen Impuls eines Säufers, der ab und zu von ganz unten auftaucht, befreit." Auch bei den Jüngeren fühlte er sich wohl. Die Sprache des Betens erschien ihm "wie das Essen, warm und leicht". In seiner Sehnsucht, das "Glück des Glaubens" auch als Skeptiker zu verspüren, versuchte Liao vom Christentum zunächst die Sprache für sich aus. "Amen", warf er gelegentlich ein, "es werde Licht", bis er schließlich selbst, "immer noch ohne eigenen Glauben (...), aber aufrichtig", ein Gebet sprach.
Liaos sprachmächtige Stimme gibt seinem Buch Halt. In Einführungen und Epilogen beschreibt er, wie es zu den Gesprächen kam und welchen Einfluss sie auf ihn hatten. Eine hundertjährige Nonne ist "kregel und erdig wie eine frisch ausgegrabene Ginsengwurzel", ein Lied der Yi ertönt, "jede Note eine Träne, glitschig wie ein Regenwurm", und immer wieder die Farbe Rot: "Jedes Stück Lehm ist rot, glänzt unter der Sonne, blutgetränkt."
Die Dokumentarfilme von Hu Jie und Wang Yoquins Sammlung von Geschichten der Opfer der Kulturrevolution werden längst als wichtige Alternative zur offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung eingestuft. "Gott ist rot" hätte es genauso verdient, vom Verlag als Sachbuch ernst genommen zu werden. Ohne Glossar und Zeittafel bleibt vieles unklar; und um der komplexen Situation von Christen in China gerecht zu werden, wäre ein religionsgeschichtlich informierender Fußnotenapparat angebracht.
Auch die Übersetzung enttäuscht. Pastor Wang Ziming wurde nach einem Schauprozess 1973 hingerichtet und ist als Märtyrer an der Fassade der Westminster Abbey verewigt. Sein Sohn erzählte Liao von der letzten Begegnung des zum Tode Verurteilten mit seiner Frau, von der er sich, in der 2012 erschienenen englischen Übersetzung, mit einem Segen verabschiedete: Er berührte ihre Stirn, Brust und Schultern. Auf Deutsch bleibt davon "er tätschelte sie", als könne der Leser mit der Geste des Bekreuzigens so wenig anfangen wie die chinesische Miliz, die damals die Szene überwachte. Liaos abschließende Frage an den Sohn, ob er Bitterkeit verspüre, samt der Antwort über das Verzeihen sind gänzlich aus dem Text verschwunden.
Einem Text, der mit so vielen persönlichen Opfern erkauft wurde, gebührt eine bessere Behandlung. Nicht nur Liao Yiwu hat einen hohen Preis bezahlt. Aus der englischen Ausgabe geht hervor, dass Dr. Sun der medizinische Dienst in Yunnan untersagt und nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr nach China verweigert wurde.
"Westler" waren Liao auf der Suche nach den Gräbern von Missionaren begegnet, und er zweifelte: "Die Gräber aufgerissen, die Leichen gepeitscht. Hass und ein Meer von Blut. Revolution und Konterrevolution. Würden die Ausländer mit ihren bunten Augen dieses Vokabular, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, verstehen?" Immerhin: "Sie waren hier, genau wie ich." Mit "Gott ist rot" können wir zuhören, genau wie er.
RAPHAELA SCHMID
Liao Yiwu: "Gott ist rot". Geschichten aus dem Untergrund. Verfolgte Christen in China. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 352 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
anschaulich und berührend Katharina Borchardt Neue Zürcher Zeitung 20141127
Tätscheln ist etwas anderes als segnen
Liao Yiwu legt einen Bericht über Chinas verfolgte Christen vor, doch die deutsche Ausgabe wird dem Buch nicht gerecht
Die Geschichte des modernen China ist Liao Yiwu auf den Leib geschrieben. 1958 in die große Hungersnot hineingeboren, sein Vater ein "Gegenrevolutionär", und dennoch brachte Liao es zum "Staatsschriftsteller". Bis er am Tag der Niederschlagung der Studentenproteste am Tiananmen-Platz das Gedicht "Massaker" verfasste. Das kostete ihn alles, was er bis dahin erreicht hatte. Es folgten vier Jahre Haft, schwere Misshandlungen, zwei Selbstmordversuche. Nach der Entlassung schlug er sich als Straßenmusiker durch, nahm auf seinen Reisen Interviews auf, ein "nicht sonderlich anständiger" Autor, "vom Bodensatz der Gesellschaft" im Gespräch mit Tagelöhnern, Herumtreibern, Süchtigen, Bettlern, Prostituierten, Menschen, mit denen er "ganz natürlich" zu tun hatte.
Einige dieser Texte konnte er in "bereinigter" Form in China veröffentlichen. Das Buch wurde kurz bejubelt, schnell verboten und erschien 2009 auf Deutsch als "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. Chinas Gesellschaft von unten". Als Liaos Gefängnisbericht "Ein Lied und hundert Lieder" 2011 in Deutschland erscheinen sollte, stand er vor der Wahl, die Publikation abzusagen oder erneut verhaftet zu werden. Die Ausreise wurde ihm verweigert, also watete er mit seiner Flöte und den Aufnahmen von dreihundert Interviews im Rucksack durch den Grenzfluss nach Vietnam. Heute lebt er in Berlin.
Ein "halbes Leben und alle Leidenschaft" habe er solchen Geschichten gewidmet, erzählt Liao im Vorwort zu "Gott ist rot". Liu Xiaobo, der seit 2009 inhaftierte Nobelpreisträger, hatte ihn angespornt, "mit den toten Seelen zu tanzen". Aber dieser Tanz sei für ihn "traurig" und "hoffnungslos" geblieben. Er trank, gelegentlich auch mit den Polizisten in Zivil, die ihn kontinuierlich überwachten. Trank, bis er irgendwann aus dem ersten Stock eines Hauses fiel.
Dann war die Zeit gekommen, "der alte Gott konnte nicht mehr mitansehen wie ich immer weiter verkam, und schickte mir einen christlichen Arzt". Dr. Sun hatte nach der Taufe seine Führungsposition in einem staatlichen Krankenhaus aufgegeben. "War der Glaube ein Hindernis?", fragte Liao. Suns Antwort: "Das einfache Gewissen." Und weiter: "Das Wesen der Bibel ist Ehrfurcht, ist Liebe, und in China fehlte all das", denn "für den kleinsten persönlichen Vorteil war man bereit, alles zu tun". Niemand hätte ihn gezwungen, zum "Wandermönch" zu werden, das habe sich so ergeben. "Mein Vorbild ist Mutter Teresa." Mit deren Biographie im Gepäck brachte er seither medizinische Hilfe dorthin, wo es keine Krankenhäuser gab.
Liao schloss sich dem Arzt an und reiste mit ihm in entlegene Bergdörfer von Yunnan. Vor hundertfünfzig Jahren hatten Missionare das Christentum dorthin gebracht, von woher war bald vergessen. Der Glaube wurde in vielen Familien allen Widrigkeiten zum Trotz über Generationen bewahrt. Die Gespräche, die Liao hier führte, bezeugen Zyklen von Schikanen, von der kommunistischen Machtübernahme über die Kulturrevolution bis zum heutigen China, in dem unkontrollierte Religiosität immer noch als Bedrohung für die "harmonische Gesellschaft" gilt.
In den ersten Jahren unter Mao war es oft der Grad von Bereitschaft zur Kollaboration, der über das Schicksal eines Christen entschied. Die Kulturrevolution hingegen machte kaum Unterschiede. Zwei der Christen berichten von monatelanger Isolationshaft in fensterlosen "Meterzellen", Gruften von zwei Quadratmetern, ohne sich waschen zu können oder aufrecht zu stehen. Ein Sohn beschreibt seinen Vater, der Gemeindevorsteher war, verfilzt und von Läusen zerfressen, ohne Muskeln an den Unterschenkeln, nur gestützt des Gehens fähig und nahezu erblindet. Aus eigener Erfahrung berichtet Liao, solche Kleinzellen gäbe es immer noch, speziell für Verstöße wie die "Verbreitung reaktionären Gedankenguts". Die Litanei der Schikanen unterscheidet die Christen nicht von anderen Dissidenten. Was Liao faszinierte und über Jahre hinweg immer wieder in die Berge von Yunnan zurückbrachte, war, dass er diese Menschen und ihren Umgang mit dem Leid als anders empfand. Wo Liao Bitterkeit erwartete, wurde ihm gesagt: "Als Christen verzeihen wir und schauen nach vorne."
Liao war kein Christ und ist auch heute keiner, sagt aber: "Nur dieses ewige Licht, das von der älteren Generation der Gläubigen ausging, hat mich von diesem selbstmörderischen Impuls eines Säufers, der ab und zu von ganz unten auftaucht, befreit." Auch bei den Jüngeren fühlte er sich wohl. Die Sprache des Betens erschien ihm "wie das Essen, warm und leicht". In seiner Sehnsucht, das "Glück des Glaubens" auch als Skeptiker zu verspüren, versuchte Liao vom Christentum zunächst die Sprache für sich aus. "Amen", warf er gelegentlich ein, "es werde Licht", bis er schließlich selbst, "immer noch ohne eigenen Glauben (...), aber aufrichtig", ein Gebet sprach.
Liaos sprachmächtige Stimme gibt seinem Buch Halt. In Einführungen und Epilogen beschreibt er, wie es zu den Gesprächen kam und welchen Einfluss sie auf ihn hatten. Eine hundertjährige Nonne ist "kregel und erdig wie eine frisch ausgegrabene Ginsengwurzel", ein Lied der Yi ertönt, "jede Note eine Träne, glitschig wie ein Regenwurm", und immer wieder die Farbe Rot: "Jedes Stück Lehm ist rot, glänzt unter der Sonne, blutgetränkt."
Die Dokumentarfilme von Hu Jie und Wang Yoquins Sammlung von Geschichten der Opfer der Kulturrevolution werden längst als wichtige Alternative zur offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung eingestuft. "Gott ist rot" hätte es genauso verdient, vom Verlag als Sachbuch ernst genommen zu werden. Ohne Glossar und Zeittafel bleibt vieles unklar; und um der komplexen Situation von Christen in China gerecht zu werden, wäre ein religionsgeschichtlich informierender Fußnotenapparat angebracht.
Auch die Übersetzung enttäuscht. Pastor Wang Ziming wurde nach einem Schauprozess 1973 hingerichtet und ist als Märtyrer an der Fassade der Westminster Abbey verewigt. Sein Sohn erzählte Liao von der letzten Begegnung des zum Tode Verurteilten mit seiner Frau, von der er sich, in der 2012 erschienenen englischen Übersetzung, mit einem Segen verabschiedete: Er berührte ihre Stirn, Brust und Schultern. Auf Deutsch bleibt davon "er tätschelte sie", als könne der Leser mit der Geste des Bekreuzigens so wenig anfangen wie die chinesische Miliz, die damals die Szene überwachte. Liaos abschließende Frage an den Sohn, ob er Bitterkeit verspüre, samt der Antwort über das Verzeihen sind gänzlich aus dem Text verschwunden.
Einem Text, der mit so vielen persönlichen Opfern erkauft wurde, gebührt eine bessere Behandlung. Nicht nur Liao Yiwu hat einen hohen Preis bezahlt. Aus der englischen Ausgabe geht hervor, dass Dr. Sun der medizinische Dienst in Yunnan untersagt und nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr nach China verweigert wurde.
"Westler" waren Liao auf der Suche nach den Gräbern von Missionaren begegnet, und er zweifelte: "Die Gräber aufgerissen, die Leichen gepeitscht. Hass und ein Meer von Blut. Revolution und Konterrevolution. Würden die Ausländer mit ihren bunten Augen dieses Vokabular, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, verstehen?" Immerhin: "Sie waren hier, genau wie ich." Mit "Gott ist rot" können wir zuhören, genau wie er.
RAPHAELA SCHMID
Liao Yiwu: "Gott ist rot". Geschichten aus dem Untergrund. Verfolgte Christen in China. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 352 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liao Yiwu legt einen Bericht über Chinas verfolgte Christen vor, doch die deutsche Ausgabe wird dem Buch nicht gerecht
Die Geschichte des modernen China ist Liao Yiwu auf den Leib geschrieben. 1958 in die große Hungersnot hineingeboren, sein Vater ein "Gegenrevolutionär", und dennoch brachte Liao es zum "Staatsschriftsteller". Bis er am Tag der Niederschlagung der Studentenproteste am Tiananmen-Platz das Gedicht "Massaker" verfasste. Das kostete ihn alles, was er bis dahin erreicht hatte. Es folgten vier Jahre Haft, schwere Misshandlungen, zwei Selbstmordversuche. Nach der Entlassung schlug er sich als Straßenmusiker durch, nahm auf seinen Reisen Interviews auf, ein "nicht sonderlich anständiger" Autor, "vom Bodensatz der Gesellschaft" im Gespräch mit Tagelöhnern, Herumtreibern, Süchtigen, Bettlern, Prostituierten, Menschen, mit denen er "ganz natürlich" zu tun hatte.
Einige dieser Texte konnte er in "bereinigter" Form in China veröffentlichen. Das Buch wurde kurz bejubelt, schnell verboten und erschien 2009 auf Deutsch als "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. Chinas Gesellschaft von unten". Als Liaos Gefängnisbericht "Ein Lied und hundert Lieder" 2011 in Deutschland erscheinen sollte, stand er vor der Wahl, die Publikation abzusagen oder erneut verhaftet zu werden. Die Ausreise wurde ihm verweigert, also watete er mit seiner Flöte und den Aufnahmen von dreihundert Interviews im Rucksack durch den Grenzfluss nach Vietnam. Heute lebt er in Berlin.
Ein "halbes Leben und alle Leidenschaft" habe er solchen Geschichten gewidmet, erzählt Liao im Vorwort zu "Gott ist rot". Liu Xiaobo, der seit 2009 inhaftierte Nobelpreisträger, hatte ihn angespornt, "mit den toten Seelen zu tanzen". Aber dieser Tanz sei für ihn "traurig" und "hoffnungslos" geblieben. Er trank, gelegentlich auch mit den Polizisten in Zivil, die ihn kontinuierlich überwachten. Trank, bis er irgendwann aus dem ersten Stock eines Hauses fiel.
Dann war die Zeit gekommen, "der alte Gott konnte nicht mehr mitansehen wie ich immer weiter verkam, und schickte mir einen christlichen Arzt". Dr. Sun hatte nach der Taufe seine Führungsposition in einem staatlichen Krankenhaus aufgegeben. "War der Glaube ein Hindernis?", fragte Liao. Suns Antwort: "Das einfache Gewissen." Und weiter: "Das Wesen der Bibel ist Ehrfurcht, ist Liebe, und in China fehlte all das", denn "für den kleinsten persönlichen Vorteil war man bereit, alles zu tun". Niemand hätte ihn gezwungen, zum "Wandermönch" zu werden, das habe sich so ergeben. "Mein Vorbild ist Mutter Teresa." Mit deren Biographie im Gepäck brachte er seither medizinische Hilfe dorthin, wo es keine Krankenhäuser gab.
Liao schloss sich dem Arzt an und reiste mit ihm in entlegene Bergdörfer von Yunnan. Vor hundertfünfzig Jahren hatten Missionare das Christentum dorthin gebracht, von woher war bald vergessen. Der Glaube wurde in vielen Familien allen Widrigkeiten zum Trotz über Generationen bewahrt. Die Gespräche, die Liao hier führte, bezeugen Zyklen von Schikanen, von der kommunistischen Machtübernahme über die Kulturrevolution bis zum heutigen China, in dem unkontrollierte Religiosität immer noch als Bedrohung für die "harmonische Gesellschaft" gilt.
In den ersten Jahren unter Mao war es oft der Grad von Bereitschaft zur Kollaboration, der über das Schicksal eines Christen entschied. Die Kulturrevolution hingegen machte kaum Unterschiede. Zwei der Christen berichten von monatelanger Isolationshaft in fensterlosen "Meterzellen", Gruften von zwei Quadratmetern, ohne sich waschen zu können oder aufrecht zu stehen. Ein Sohn beschreibt seinen Vater, der Gemeindevorsteher war, verfilzt und von Läusen zerfressen, ohne Muskeln an den Unterschenkeln, nur gestützt des Gehens fähig und nahezu erblindet. Aus eigener Erfahrung berichtet Liao, solche Kleinzellen gäbe es immer noch, speziell für Verstöße wie die "Verbreitung reaktionären Gedankenguts". Die Litanei der Schikanen unterscheidet die Christen nicht von anderen Dissidenten. Was Liao faszinierte und über Jahre hinweg immer wieder in die Berge von Yunnan zurückbrachte, war, dass er diese Menschen und ihren Umgang mit dem Leid als anders empfand. Wo Liao Bitterkeit erwartete, wurde ihm gesagt: "Als Christen verzeihen wir und schauen nach vorne."
Liao war kein Christ und ist auch heute keiner, sagt aber: "Nur dieses ewige Licht, das von der älteren Generation der Gläubigen ausging, hat mich von diesem selbstmörderischen Impuls eines Säufers, der ab und zu von ganz unten auftaucht, befreit." Auch bei den Jüngeren fühlte er sich wohl. Die Sprache des Betens erschien ihm "wie das Essen, warm und leicht". In seiner Sehnsucht, das "Glück des Glaubens" auch als Skeptiker zu verspüren, versuchte Liao vom Christentum zunächst die Sprache für sich aus. "Amen", warf er gelegentlich ein, "es werde Licht", bis er schließlich selbst, "immer noch ohne eigenen Glauben (...), aber aufrichtig", ein Gebet sprach.
Liaos sprachmächtige Stimme gibt seinem Buch Halt. In Einführungen und Epilogen beschreibt er, wie es zu den Gesprächen kam und welchen Einfluss sie auf ihn hatten. Eine hundertjährige Nonne ist "kregel und erdig wie eine frisch ausgegrabene Ginsengwurzel", ein Lied der Yi ertönt, "jede Note eine Träne, glitschig wie ein Regenwurm", und immer wieder die Farbe Rot: "Jedes Stück Lehm ist rot, glänzt unter der Sonne, blutgetränkt."
Die Dokumentarfilme von Hu Jie und Wang Yoquins Sammlung von Geschichten der Opfer der Kulturrevolution werden längst als wichtige Alternative zur offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung eingestuft. "Gott ist rot" hätte es genauso verdient, vom Verlag als Sachbuch ernst genommen zu werden. Ohne Glossar und Zeittafel bleibt vieles unklar; und um der komplexen Situation von Christen in China gerecht zu werden, wäre ein religionsgeschichtlich informierender Fußnotenapparat angebracht.
Auch die Übersetzung enttäuscht. Pastor Wang Ziming wurde nach einem Schauprozess 1973 hingerichtet und ist als Märtyrer an der Fassade der Westminster Abbey verewigt. Sein Sohn erzählte Liao von der letzten Begegnung des zum Tode Verurteilten mit seiner Frau, von der er sich, in der 2012 erschienenen englischen Übersetzung, mit einem Segen verabschiedete: Er berührte ihre Stirn, Brust und Schultern. Auf Deutsch bleibt davon "er tätschelte sie", als könne der Leser mit der Geste des Bekreuzigens so wenig anfangen wie die chinesische Miliz, die damals die Szene überwachte. Liaos abschließende Frage an den Sohn, ob er Bitterkeit verspüre, samt der Antwort über das Verzeihen sind gänzlich aus dem Text verschwunden.
Einem Text, der mit so vielen persönlichen Opfern erkauft wurde, gebührt eine bessere Behandlung. Nicht nur Liao Yiwu hat einen hohen Preis bezahlt. Aus der englischen Ausgabe geht hervor, dass Dr. Sun der medizinische Dienst in Yunnan untersagt und nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr nach China verweigert wurde.
"Westler" waren Liao auf der Suche nach den Gräbern von Missionaren begegnet, und er zweifelte: "Die Gräber aufgerissen, die Leichen gepeitscht. Hass und ein Meer von Blut. Revolution und Konterrevolution. Würden die Ausländer mit ihren bunten Augen dieses Vokabular, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, verstehen?" Immerhin: "Sie waren hier, genau wie ich." Mit "Gott ist rot" können wir zuhören, genau wie er.
RAPHAELA SCHMID
Liao Yiwu: "Gott ist rot". Geschichten aus dem Untergrund. Verfolgte Christen in China. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 352 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main