"Gott sei Dank, Gott existiert nicht. Wenn aber, was Gott verhüten möge, Gott doch existiert?" Darauf sucht Manfred Lütz Antwort. Der Bestseller-Autor von "Lebenslust" findet: "Das ist die wichtigste Frage der Welt." Zu ihrer Beantwortung macht er - wie es bei einem "echten Lütz" nicht anders zu erwarten ist - einige höchst amüsante Umwege. Er nimmt Elton Johns Auftritt auf der Trauerfeier für Lady Di ebenso unter die Lupe wie die Argumente "der besten Atheisten der Welt" oder die Debatten um Evolutionstheorie und Hirnforschung. Er analysiert, wie die Psychologen Gott auf die Couch gelegt haben, und fragt nach dem Gott der Kinder, Lehrer, Wissenschaftler und Philosophen. Immer wieder unterbricht Lütz seine eigensinnige Reflexion mit hinreißenden Geschichten über Menschen, die es mit dem lieben Gott aufnahmen. Atheisten, findet Lütz, leben manchmal so, als ob es Gott doch ein bisschen gäbe - und Gläubige so, als gäbe es ihn nicht. Nach der Lektüre legt man ein reiches, kluges Buch aus der Hand - und fühlt sich bestens unterhalten. Mit Gott.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2007Wofür Prinzessin Diana und Mutter Teresa heute so alles herhalten sollen
Hoppla, jetzt komm' ich und mach' euch mit ein paar Bildungshäppchen den Katholizismus schmackhaft: Manfred Lütz stapft durchs geistige Unterholz seiner Religion
"Es wird seinen Weg machen", sagten früher die Lehrer etwas resigniert von einem Kind, das zwar ihren Erziehungsbemühungen erfolgreich widerstand, dafür aber früh eine natürliche Lebenstüchtigkeit erkennen ließ. So ist es auch mit dem neuesten Werk von Manfred Lütz: Es wird ohne Zweifel seinen Weg machen.
Zweifelsohne: Die Mischung, die der studierte Theologe und praktizierende Arzt anrührt, scheint zu stimmen. Religion und Gottesfrage liegen im Trend. Eine - in diesem Fall hochgebildete - Distanz zum Intellekt ist in Deutschland immer mehrheitsfähig. Und der liberale, papsttreue Katholizismus, den Lütz vertritt, kriegt noch jedes kantige Dogma klein. "Der liebe Gott ist gar nicht so", stellte schon Kardinal Frings fest. Eng und fundamentalistisch sind schlimmstenfalls die Protestanten. Der römische Katechismus kann nicht auf dem Schreibtisch des Verfassers gelegen haben, wie etwa die Ausführungen zu Maria zeigen.
Die Aufgabe, die das Buch sich stellt, ist in klassischer Weise apologetisch: Es mustert wichtige Ansätze und Stationen in der (im Wesentlichen abendländischen) Auseinandersetzung mit dem Gottesgedanken durch, um das Scheitern nicht nur der atheistischen Position zu zeigen und auf den christlichen Gott zu verweisen, der sich dem Forschen und Denken weitgehend entzieht. Gottesdienst und Beichtstuhl, Gebet und Nächstenliebe, Kunst und Musik - so zeigt sich der Gott, den Lütz meint. Ein bisschen Ethik darf es auch sein, denn Kirchen sind "ethosbildende Verbände" (Wolfgang Kluxen).
Das ist das Paradox, das der Autor den Lesern über dreihundert Seiten zumutet: Wer sich denkend mit Gott auseinandersetzt, vergeudet im Grunde ein bisschen seine Zeit.
So weit, so wahr
"Theologie ist eine Krücke, eine Dienstleistung für Leute, denen das hilft." Denn: Der biblisch-christliche Glaube "ist vergleichsweise einfach": Der Jude Jesus "ist ein ganz normaler Mensch, lebt, lehrt, dass Gott die Liebe ist", und steht nach seiner Kreuzigung vom Tod auf. Nun, im Neuen Testament steht noch etwas mehr. Die Einsichten der neueren Bibelexegese interessieren Lütz dabei übrigens offenbar gar nicht.
Wie einer gelebt hat, zeige sich daran, wie er stirbt, sagt man. So bildet die Erinnerung an zwei Trauerfeiern des Jahres 1997 - diejenige für Prinzessin Diana in London und die für Mutter Teresa in Kalkutta - den konzeptionellen Rahmen. Dort eine säkulare "Totenklage ohne Gott", hier eine Andacht, die im Blick über den Tod hinaus ihren Trost fand. Aber immerhin sang jemand in London. Solches memento mori bestimmt das ganze Buch. Es gilt, keine Lebenszeit zu vergeuden. Wer nicht glaubt, sollte es konsequent tun - und wer glaubt, auch. Auf dem Totenbett liegt man ganz allein; und dass die "Tagesschau" mich überlebt, ist kein Trost im Leben und Sterben. So weit, so wahr. Menschenkenntnis und psychologisches Einfühlungsvermögen wird man dem Autor nicht absprechen, und vielleicht hätte er sich auf diesen Blickpunkt auf die Gottesfrage beschränken sollen.
Gewiss, etwas Psychologie (Freud, C. G. Jung, Frankl) kommt auch sonst vor. Es gibt manches Bedenkenswerte zum Verhältnis von Psychotherapie und Seelsorge oder zum Verschwinden der Schuld in unserer Gesellschaft zu lesen. Man spürt, dass hier ein Mann der Praxis mit Erfahrung und Herz und Humor schreibt, den es gelegentlich reizt zu provozieren. Aber das ist ja leider nicht alles. Neben die Psychologie und die Erfahrung der eigenen Profession treten Philosophie - viel ist hier aus der "Geschichte des Atheismus" von Georges Minois geschöpft - sowie Naturwissenschaften und auch ein bisschen Theologie.
Zu billig erworben
Das ist natürlich zu viel. Gewiss, der Leser erfährt manches, und gravierende Schnitzer unterlaufen dem Verfasser kaum. Wichtige Namen tauchen wieder auf, die früher einmal Teil des allgemeinen Bildungsgutes waren. Meist sind es aber die, von denen man schon im Religionsunterricht hörte; eine neue und andere Geschichte des Gottesgedankens entsteht nicht. Vor allem der Philosophie wird viel Beachtung geschenkt; Feuerbach und besonders Nietzsche erfahren eine faire Erwähnung und eine hohe Wertschätzung. Hier ringt der Autor, wie er durchblicken lässt, mit dem eigenen früheren Denken. Anderen, wie Voltaire oder Galilei, ergeht es schlechter: Dubiose Persönlichkeiten!
Das Buch liebt (neben den Kalauern und den Superlativen) die Schlagzeilen - und die haben bekanntlich Nebenwirkungen für das Denken. Die Entdeckung des Indeterminismus in der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts wird als "Super-GAU des real existierenden Atheismus" gefeiert. Die Debatte um die Ergebnisse der Hirnforschung ist mit dem Stichwort "Kategorienfehler" schnell erledigt. Die Bildungshappen, die Anekdoten, die eingestreuten frommen Zitate und vor allem die vielen autobiographischen Reminiszenzen, mit denen ausgerüstet der Autor durchs geistige Unterholz stapft - all diese Versatzstücke eines reflektierten Lebens sind aber keine wirkliche Einladung zum Mitdenken, zum Nachfragen oder zum Selberlesen. Es bleibt beim geistigen Fast Food, bei den idées reçues eines mild-konservativen Katholizismus.
Was heute wirklich in den verschiedenen Disziplinen gedacht und erforscht wird, erfährt man in Wahrheit viel zu wenig. Damit aber sprechen auch die gläubigen Affirmationen des Bandes ins Leere. Das Ganze ist damit zuletzt weder informierend noch bildend; der christliche Glaube ist zu billig erworben. Popularisierung von Wissenschaft - eine legitime und wichtige Aufgabe! - ist etwas anderes.
HERMUT LÖHR
Manfred Lütz: "Gott". Eine kleine Geschichte des Größten. Pattloch Verlag, München 2007. 287 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hoppla, jetzt komm' ich und mach' euch mit ein paar Bildungshäppchen den Katholizismus schmackhaft: Manfred Lütz stapft durchs geistige Unterholz seiner Religion
"Es wird seinen Weg machen", sagten früher die Lehrer etwas resigniert von einem Kind, das zwar ihren Erziehungsbemühungen erfolgreich widerstand, dafür aber früh eine natürliche Lebenstüchtigkeit erkennen ließ. So ist es auch mit dem neuesten Werk von Manfred Lütz: Es wird ohne Zweifel seinen Weg machen.
Zweifelsohne: Die Mischung, die der studierte Theologe und praktizierende Arzt anrührt, scheint zu stimmen. Religion und Gottesfrage liegen im Trend. Eine - in diesem Fall hochgebildete - Distanz zum Intellekt ist in Deutschland immer mehrheitsfähig. Und der liberale, papsttreue Katholizismus, den Lütz vertritt, kriegt noch jedes kantige Dogma klein. "Der liebe Gott ist gar nicht so", stellte schon Kardinal Frings fest. Eng und fundamentalistisch sind schlimmstenfalls die Protestanten. Der römische Katechismus kann nicht auf dem Schreibtisch des Verfassers gelegen haben, wie etwa die Ausführungen zu Maria zeigen.
Die Aufgabe, die das Buch sich stellt, ist in klassischer Weise apologetisch: Es mustert wichtige Ansätze und Stationen in der (im Wesentlichen abendländischen) Auseinandersetzung mit dem Gottesgedanken durch, um das Scheitern nicht nur der atheistischen Position zu zeigen und auf den christlichen Gott zu verweisen, der sich dem Forschen und Denken weitgehend entzieht. Gottesdienst und Beichtstuhl, Gebet und Nächstenliebe, Kunst und Musik - so zeigt sich der Gott, den Lütz meint. Ein bisschen Ethik darf es auch sein, denn Kirchen sind "ethosbildende Verbände" (Wolfgang Kluxen).
Das ist das Paradox, das der Autor den Lesern über dreihundert Seiten zumutet: Wer sich denkend mit Gott auseinandersetzt, vergeudet im Grunde ein bisschen seine Zeit.
So weit, so wahr
"Theologie ist eine Krücke, eine Dienstleistung für Leute, denen das hilft." Denn: Der biblisch-christliche Glaube "ist vergleichsweise einfach": Der Jude Jesus "ist ein ganz normaler Mensch, lebt, lehrt, dass Gott die Liebe ist", und steht nach seiner Kreuzigung vom Tod auf. Nun, im Neuen Testament steht noch etwas mehr. Die Einsichten der neueren Bibelexegese interessieren Lütz dabei übrigens offenbar gar nicht.
Wie einer gelebt hat, zeige sich daran, wie er stirbt, sagt man. So bildet die Erinnerung an zwei Trauerfeiern des Jahres 1997 - diejenige für Prinzessin Diana in London und die für Mutter Teresa in Kalkutta - den konzeptionellen Rahmen. Dort eine säkulare "Totenklage ohne Gott", hier eine Andacht, die im Blick über den Tod hinaus ihren Trost fand. Aber immerhin sang jemand in London. Solches memento mori bestimmt das ganze Buch. Es gilt, keine Lebenszeit zu vergeuden. Wer nicht glaubt, sollte es konsequent tun - und wer glaubt, auch. Auf dem Totenbett liegt man ganz allein; und dass die "Tagesschau" mich überlebt, ist kein Trost im Leben und Sterben. So weit, so wahr. Menschenkenntnis und psychologisches Einfühlungsvermögen wird man dem Autor nicht absprechen, und vielleicht hätte er sich auf diesen Blickpunkt auf die Gottesfrage beschränken sollen.
Gewiss, etwas Psychologie (Freud, C. G. Jung, Frankl) kommt auch sonst vor. Es gibt manches Bedenkenswerte zum Verhältnis von Psychotherapie und Seelsorge oder zum Verschwinden der Schuld in unserer Gesellschaft zu lesen. Man spürt, dass hier ein Mann der Praxis mit Erfahrung und Herz und Humor schreibt, den es gelegentlich reizt zu provozieren. Aber das ist ja leider nicht alles. Neben die Psychologie und die Erfahrung der eigenen Profession treten Philosophie - viel ist hier aus der "Geschichte des Atheismus" von Georges Minois geschöpft - sowie Naturwissenschaften und auch ein bisschen Theologie.
Zu billig erworben
Das ist natürlich zu viel. Gewiss, der Leser erfährt manches, und gravierende Schnitzer unterlaufen dem Verfasser kaum. Wichtige Namen tauchen wieder auf, die früher einmal Teil des allgemeinen Bildungsgutes waren. Meist sind es aber die, von denen man schon im Religionsunterricht hörte; eine neue und andere Geschichte des Gottesgedankens entsteht nicht. Vor allem der Philosophie wird viel Beachtung geschenkt; Feuerbach und besonders Nietzsche erfahren eine faire Erwähnung und eine hohe Wertschätzung. Hier ringt der Autor, wie er durchblicken lässt, mit dem eigenen früheren Denken. Anderen, wie Voltaire oder Galilei, ergeht es schlechter: Dubiose Persönlichkeiten!
Das Buch liebt (neben den Kalauern und den Superlativen) die Schlagzeilen - und die haben bekanntlich Nebenwirkungen für das Denken. Die Entdeckung des Indeterminismus in der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts wird als "Super-GAU des real existierenden Atheismus" gefeiert. Die Debatte um die Ergebnisse der Hirnforschung ist mit dem Stichwort "Kategorienfehler" schnell erledigt. Die Bildungshappen, die Anekdoten, die eingestreuten frommen Zitate und vor allem die vielen autobiographischen Reminiszenzen, mit denen ausgerüstet der Autor durchs geistige Unterholz stapft - all diese Versatzstücke eines reflektierten Lebens sind aber keine wirkliche Einladung zum Mitdenken, zum Nachfragen oder zum Selberlesen. Es bleibt beim geistigen Fast Food, bei den idées reçues eines mild-konservativen Katholizismus.
Was heute wirklich in den verschiedenen Disziplinen gedacht und erforscht wird, erfährt man in Wahrheit viel zu wenig. Damit aber sprechen auch die gläubigen Affirmationen des Bandes ins Leere. Das Ganze ist damit zuletzt weder informierend noch bildend; der christliche Glaube ist zu billig erworben. Popularisierung von Wissenschaft - eine legitime und wichtige Aufgabe! - ist etwas anderes.
HERMUT LÖHR
Manfred Lütz: "Gott". Eine kleine Geschichte des Größten. Pattloch Verlag, München 2007. 287 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Irgendwie ganz nett, aber letztlich nicht überzeugend scheint Rezensent Helmut Löhr diese "kleine Geschichte des Größten", die der studierte Theologe und praktizierende Arzt Manfred Lütz vorgelegt hat. Dabei hat er im Grunde nichts einzuwenden gegen dessen apologetisches Vorhaben, wichtige Positionen zum Gottesgedanken zu mustern, um das Scheitern des Atheismus aufzuzeigen. Auch bescheinigt er dem - einem liberalen, papsttreuen Katholizismus verpflichteten - Autor immer wieder bedenkenswerte Ansichten, etwa zum Verhältnis Psychotherapie und Seelsorge oder zum Verschwinden der Schuld in unserer Gesellschaft. Gerade spüre man, dass ein "Mann der Praxis"mit Erfahrung, "Herz und Humor" schreibe. Aber Löhrs Kritik überwiegt schließlich doch. Er hält Lütz vor, sich nicht für die Einsichten der neueren Bibelexegese zu interessieren. Zudem scheint ihm die Auseinandersetzung mit philosophischen, naturwissenschaftlichen und auch theologischen Positionen letztlich wenig substantiell und eher oberflächlich. Er fühlt sich durch die Bildungshappen, Anekdoten, eingestreuten frommen Zitate und autobiographischen Reminiszenzen des Autors nicht wirklich eingeladen, mitzudenken. So aber bleibe das Buch beim "geistigen Fast Food, bei den idees recues eines mild-konservativen Katholizismus".
© Perlentaucher Medien GmbH
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