Richard Gärtner ist 78 Jahre alt sowie körperlich und geistig vollkommen gesund, dennoch möchte er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Allerdings wird ihm die Bitte um ein tödliches Medikament versagt, denn Mediziner, Juristen, Ethiker, Politiker und Teile der Gesellschaft zweifeln
weiterhin, ob Ärzte ihm bei seinem Suizid helfen dürfen, auch wenn der entsprechende verbietende…mehrRichard Gärtner ist 78 Jahre alt sowie körperlich und geistig vollkommen gesund, dennoch möchte er nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Allerdings wird ihm die Bitte um ein tödliches Medikament versagt, denn Mediziner, Juristen, Ethiker, Politiker und Teile der Gesellschaft zweifeln weiterhin, ob Ärzte ihm bei seinem Suizid helfen dürfen, auch wenn der entsprechende verbietende Paragraf im Februar 2020 abgeschafft wurde. Nun wird sein Fall vor der Ethikkommission mitsamt des Für und Widers diskutiert.
Nach "Terror", welches zu den weltweit erfolgreichsten Dramen unserer Zeit avancierte, hat Ferdinand von Schirach mit "GOTT" nun ein weiteres großartiges, pointiertes wie überlegtes Theaterstück vorgelegt, das ich in einem Rutsch verschlungen habe. Stand die Frage nach der Antastbarkeit der Menschenwürde im Falle eines terroristischen Aktes in seinem vorherigen Werk im Mittelpunkt, so dreht sich die Handlung nun um das Sterben des Menschen und die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod.
Das in zwei Akte separierte Stück spielt sich allerdings nicht vor Gericht, sondern in einem Saal des Deutschen Ethikrates ab, wo selbiger tagt, um darüber zu diskutieren, ob es ethisch vertretbar ist, dass ein vollkommen gesunder Mensch ärztliche Beihilfe zum Suizid erhält. Zu Wort kommen neben dem Mann mit Sterbenswunsch, seiner Hausärztin sowie der Vorsitzenden des Rates dreierlei Sachverständige, welche stellvertretend die ethische, medizinische und geistliche Sichtweise beleuchten. Basierend auf ihrem fachlichen Hintergrundwissen stellen sie sich den Fragen des Ethikrates sowie des Rechtanwaltes von Herrn Gärtner.
Obwohl der Schauplatz nicht der Gerichtssaal ist, so entsteht doch der Eindruck die einzelnen Sachverständigen befänden sich im Kreuzverhör des Rechtsanwaltes, welcher zielgerichtet die Schwachstellen der einzelnen Argumentationen findet und den ein oder anderen anhand seiner Borniertheit und der altertümlichen Denkweise außerordentlich fundiert und redegewandt vorführt.
Die etwaige Verletzung der Integrität ihrer Profession inklusive des Vertrauensverlustes seitens des Patienten durch das Auftreten des Arztes als "Todesengel" im Gegensatz zur gewünschten Autonomie findet genauso Anklang wie die Zukunftsängste bezüglich einer zunehmenden Sittenlosigkeit der Gesellschaft sowie die ablehnende Haltung der Kirche zum selbstbestimmten Tod, welche diese als Betrug an Gott sieht.
Am Ende obliegt es dem Leser, das Gehörte abzuwägen, erneut zu durchdenken und ein Urteil zu fällen, was eindrücklich vor Augen führt, dass es eben keine klare universal übertragbare Antwort auf diese sensible Fragestellung gibt. Zur Vertiefung der eigenen Überlegungen schließen sich dem Theaterstück drei Essays namhafter Wissenschaftler an, welche das Thema der ärztlichen Suizidbegleitung aus medizinethischer, juristischer und theologisch-philosophischer Perspektive anschaulich beleuchten, für weitere Gedankenanstöße sorgen und nachdenklich stimmen.
"GOTT" ist ein grandioses, kurzweiliges aber zugleich unglaublich gehaltvolles und nachdenklich stimmendes Theaterstück, welches für all diejenigen ein absolutes Muss ist, die ihren moralischen Kompass zum Thema ethische Richtigkeit ärztlicher Suizidbegleitung und der Bedeutung des Sterbens anhand faktisch fundierter, präzise auf den Punkt gebrachter Argumente kalibrieren möchten.