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F. W. Oelze war Gottfried Benns wichtigster Briefpartner - zum ersten Mal werden auch seine Briefe mit abgedruckt.Die Briefe an Friedrich Wilhelm Oelze waren für Gottfried Benn vor allem nach dem Publikationsverbot im Nationalsozialismus und in den frühen Nachkriegsjahren das zentrale Forum für poetologische, politische wie persönliche Reflexionen. Nicht nur für Benns Werk, sondern auch zeitgeschichtlich sind diese Briefe ein höchst aufschlussreiches Dokument einer fast 25jährigen Freundschaft. Dass Benn in der »unendlichen Depression« und »Versteinerung« des Dritten Reichs künstlerisch so…mehr

Produktbeschreibung
F. W. Oelze war Gottfried Benns wichtigster Briefpartner - zum ersten Mal werden auch seine Briefe mit abgedruckt.Die Briefe an Friedrich Wilhelm Oelze waren für Gottfried Benn vor allem nach dem Publikationsverbot im Nationalsozialismus und in den frühen Nachkriegsjahren das zentrale Forum für poetologische, politische wie persönliche Reflexionen. Nicht nur für Benns Werk, sondern auch zeitgeschichtlich sind diese Briefe ein höchst aufschlussreiches Dokument einer fast 25jährigen Freundschaft. Dass Benn in der »unendlichen Depression« und »Versteinerung« des Dritten Reichs künstlerisch so produktiv bleiben konnte, verdankt er zu einem wesentlichen Teil der Freundschaft mit dem weltgewandten und weitgereisten Bremer Kaufmann Oelze. Benn legte den Briefen immer wieder neue Gedichte bei und schrieb über manchen »Keim und Setzling« seiner Texte.Harald Steinhagen und Jürgen Schröder haben vor knapp 40 Jahren die Briefe von Benn an Oelze erstmals herausgegeben. Nun erscheint diese wichtigste Einzelkorrespondenz Gottfried Benns zusammen mit den überlieferten Gegenbriefen Oelzes und um einige Fehlstellen ergänzt in einer kommentierten Gesamtedition. Der stark erweiterte Kommentar berücksichtigt sowohl die seitdem neu erschienenen Quellen als auch die bislang nicht edierten Arbeitshefte und Tageskalender Benns.Die Edition erscheint im Gemeinschaftsverlag der Verlage Klett-Cotta und Wallstein.
Autorenporträt
Gottfried Benn (1886-1956) war einer der bedeutendsten deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Auch in seiner Prosa sowie seinen Essays,autobiographischen Schriften und Briefen ist er der 'Phänotyp' seiner Epoche. 1951 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Für Eberhard Geisler stellt der vorliegende Briefwechsel ein bedeutendes Stück deutscher Literatur des 20. Jahrhunderts dar, auch wenn Benns Briefpartner hier meist nur als wenngleich belesenes, kultiviertes Echo auftritt. Bestimmt lesenswert aber scheinen Geisler Benns Einlassungen zum Privaten, zur Erotik und zum Weltanschaulichen im aufziehenden Dritten Reich. Vor allem aber faszinieren Geisler Benns scharfe, wenngleich nicht immer gerechtfertigte literarische Urteile und die laut Rezensent deutliche Formulierung einer Ästhetik. So gesehen sind die Briefe für Geisler ein wichtiger Bestandteil des Werkes, in dem sich für ihn auch Benns Stilideal der äußerste Lakonie verwirklicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2016

Gerechtigkeit für Friedrich Wilhelm Oelze

Zwei Schreibgefährten sollt ihr sein: Wer war der Mann, der mehr als zwanzig Jahre mit Gottfried Benn Briefe wechselte und auch sonst alles für ihn tat? Die erste vollständige Ausgabe der Korrespondenz liefert Antworten.

Es war schon so gut wie vorbei. Zu Ostern 1936 kriegten sich die Brieffreunde dermaßen in die Haare, dass der Berühmtere der beiden schreibt: "Ich werde Sie sehr vermissen, aber es wird sein." Auslöser war ein Missverständnis, das auf einer Entdeckung Oelzes fußte. Er hatte sich beklagt, dass der Feuilletonist Friedrich Sieburg sich in seinem Buch über Robespierre bei Benns Selbstdarstellung "Lebensweg eines Intellektualisten" von 1934 bedient hatte - was den Bremer Kaufmann empörte. In einem Antwortbrief ermuntert Benn seinen Bewunderer, Sieburg zu schreiben und ihn mit seinem Vorwurf zu konfrontieren. Worauf Oelze brav erwidert, er wolle gern diesem Wunsch entsprechen.

So konkret aber hatte Benn das wiederum nicht gemeint, weswegen er Oelze scharf zur Ordnung ruft und ihm die Freundschaft, die erst drei Jahre währte, kündigt: "Ich erkläre Ihnen hiermit ausdrücklich, dass ich nicht wünschte, dass Sie an Herrn S. schreiben." Er sei immer in der Lage gewesen, seine "Angelegenheiten alleine in Ordnung zu bringen". Neun Tage leidet Oelze stumm, dann hält er es nicht mehr aus. Am 1. Mai schreibt er: "Ich hatte es mir zu leicht gemacht, kindlich geglaubt Ihre Freundschaft schon unverlierbar zu besitzen. Heute sehe ich, wie weit der Weg ist, den ich noch zu Ihnen zurückzulegen habe." Benn hält die Rolle der drama queen noch ein wenig länger durch, erst am 8. Mai lässt er sich zu zwei knappen Sätzen hinreißen.

Der lange und ausdauernd begangene Weg Friedrich Wilhelm Oelzes in diese ungewöhnliche Brieffreundschaft hatte Ende 1932 begonnen, als der Geschäftsmann dem Dichter und Arzt Gottfried Benn seine Bewunderung für dessen Aufsatz "Goethe und die Naturwissenschaften" zu Füßen legte. Und Goethe wird auch im Fortgang des Briefwechsels immer wieder der Prüfstein der beiden Geister sein. Zunächst aber ist Benn gar nicht beeindruckt und lässt die Fanpost ziemlich lässig abperlen. "Ich sage nicht mehr, als in meinen Büchern steht."

Oelze gibt nicht auf und erobert eine Herzkammer Benns, wenn auch nicht gleich dessen ganzes Herz. Er geht dabei stets überaus höflich, fallweise auch devot vor, preist ein ums andere Mal den Genius des Dichters, besteht aber nur, weil er seine Huldigungen mit exquisiter Textkenntnis, Weltläufigkeit und den Früchten seiner großen Belesenheit unterfüttert. Auch teilt man Hausgötter: Es ist die Epoche, die noch auf Goethe, Nietzsche oder Schopenhauer schwört. Ihr spendiert Benn seine Gedichte, als Dienst am "Gegen-Glück", am Geist.

Und Oelze ist häufig der Erste, der diese Meisterwerke zu lesen bekommt, der sie kommentieren darf, der sie in Abschriften verwahrt. Man hat bei der Lektüre dieser Briefe immer den Eindruck, hier sprächen zwei Ebenbürtige miteinander; nur die Rollen in der Briefbeziehung sind ungleich verteilt. Auch wenn Benn in einem Brief an Tilly Wedekind vom 1. Februar 1936 einräumt: "Mein einziger Schreibgefährte ist Herr Oelze. Mit dem ist wirklich so eine Art Freundschaft entstanden, die mir wertvoll ist u. anregend. Ich muss ihm dankbar sein, daß er meine Eisbarriere manchmal durch seine Boten u Rufe durchbricht."

Dass Benn sich anno 1936 nicht wirklich von Oelze löst, hat auch einen ganz pragmatischen Grund: Er kann gerade jede Art von Unterstützung gebrauchen, weil ihn ein anonymer Artikel in der SS-Wochenzeitung "Das Schwarze Korps", der dann auch noch im "Völkischen Beobachter" nachgedruckt wurde, in arge Bedrängnis bringt. Darin wird sein Gedicht "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke" als "drastische Schweinerei" denunziert, obendrein gibt es Andeutungen, die ihn in die Nähe von "widernatürlichen Schweinereien" rücken - gemeint war Homosexualität. Sein Verbleib als Oberstabsarzt in der Wehrmacht scheint gefährdet und damit seine materielle Basis insgesamt. Obendrein muss Benn mitansehen, wie seine Schriftstellerkollegen unverdrossen das Lied der braunen Machthaber singen: "Nur einen Millimeter der Stirn möchte ich besitzen, den diese Burschen alle haben. Es ist ihr Hauptorgan. Darunter sitzt nichts."

Benns Briefe an Oelze sind seit bald vierzig Jahren bekannt, nun liegen endlich auch die Botschaften von "Oe." vor. Harald Steinhagen, seinerzeit Herausgeber der Briefe, rundet sein editorisches Lebenswerk zusammen mit Stephan Kraft und Holger Hof von der Universität Würzburg in einer bei Wallstein und Klett-Cotta verlegten Gemeinschaftsausgabe ab. Vier dicke Bände versammeln und kommentieren alle 1349 bekannten Briefe und Karten. Möglich wurde dies, weil die im Deutschen Literaturarchiv Marbach liegenden Bestände von der Familie Oelzes zum Abdruck freigegeben wurden.

Das ist zu begrüßen, denn die vorliegende Ausgabe ist ein Fest für Benn-Leser, und sie schafft ausgleichende Gerechtigkeit für Friedrich Wilhelm Oelze, dessen Beitrag als geistiger Anreger und materieller Unterstützer des Bennschen Werks nun in vollem Umfang zutage treten kann. Auch wenn Oelze kein lyrischer Geburtshelfer im engeren Sinn ist - einen solchen hatte Benn nicht nötig -, so hilft er ihm doch mit unverbrüchlicher Zuneigung durch die Jahre der Hitler-Diktatur, die Benn kurz, aber heftig begrüßt hatte, um sich dann entschieden von diesem "Dreck" abzuwenden. Als es nach 1945 darum geht, die Isolation zu durchbrechen, ist Oelze zur Stelle und hilft, den wegen seiner Entgleisung ungeliebten Dichter wieder im Betrieb zu verankern.

Wer war Oelze wirklich? Vor fünfzehn Jahren hat davon Hans Dieter Schäfer mit dem Bändchen "Herr Oelze aus Bremen" in den "Göttinger Sudelblättern" eine erste Ahnung vermittelt - er durfte aus den gesperrten Briefen "sparsam" zitieren. Jetzt sieht man klarer: Oelze war nicht nur der weltläufige, mehrsprachige, weitgereiste, belesene, mit Rudolf Borchardt befreundete Philanthrop, der Benns Werk zu seinem Evangelium erkor. Fünf Jahre jünger als Benn, verkörperte Oelze den Bildungsbürger in seiner reifsten Form. Gut aussehend, in britischer Lebensart erzogen, Leser der "Times", Promotion in Jura, Kunstkenner, Musikliebhaber, als Patrizier der Hanse im Handel mit Kolonialwaren und Getreide erfolgreich. Seine Frau Charlotte stammte ebenfalls aus wohlhabender Familie, sein einziger Sohn fiel im Alter von zweiundzwanzig Jahren an der Ostfront.

Wie das Nachwort ausführt, war Oelze entgegen seiner äußeren Erscheinung von Unsicherheit, Selbstzweifel und großer Scheu gegenüber den Mitmenschen geprägt. Seine formvollendeten Briefe zeigen ihn als einen, der selbst das Zeug zum Schriftsteller hat - ohne es sich selbst einzugestehen. Lieber nimmt er sich im Dienste Benns zurück: Oelze schickt Nelken, Zigaretten, Fresspakete, Rum, Kaffee, und in seinen Briefen importiert er die weite Welt für den Arzt, der sich in seinem "Doppelleben" eingegraben hat, weil man ihm öffentliche Auftritte untersagt hatte.

Von Affären hält das Benn nicht ab, er hat einen Schlag bei den Frauen, und er hat seine Maximen: "Wenn man gleich an den Beginn einer Beziehung den coitus setzt, gibt es keine Neurosen." So mache man das, nicht wie der sexuell gestörte Nietzsche, verfügt Benn. Bald wird Oelze in diese Frauengeschichten eingeweiht, und er erweist sich auch diesbezüglich als Meister der Diskretion. Seine eigenen homoerotischen Begierden deutet er nur an, aber Benn war wohl auch in diesem Punkt nichts Menschliches fremd. Oelze machte sich intellektuell kleiner, als er war, Benn sich im Umkehrschluss gesellschaftlich. Oelze war für ihn ein "Citymann" und "vornehmer Aristokrat", während er sich in seiner Berliner Wohnung als gepfändete "Wanze aus der Bozenerstraße" stilisierte. Persönliche Treffen waren die Ausnahme, Benn bestand auf Voranmeldung, trickste und täuschte, man blieb zeitlebens beim Sie. Es war nicht der einzige Ausdruck von Distanz, den beide wahrten. "Welche Vorstellung, daß wir gestiegen statt gefallen sein könnten! Diese schauerliche Entwicklungs- und Aufstiegshypothese des 19. Jahrhunderts beweist ja nur, wie zeitgebunden jedes Denken ist", schreibt Oelze Anfang 1949 an Benn. Da war dieser schon mittendrin, seinen Wiederaufstieg zu organisieren. Maßgeblichen Anteil daran hatte der mutige Wiesbadener Limes-Verleger Max Niedermayer, der sich traute, wovor Peter Suhrkamp, Ernst Rowohlt oder Eugen Claassen zurückschreckten - Benn wieder zu verlegen. Es sind dies auch die Jahre, in denen die meisten Briefe hin- und hergehen: 1949 und 1950 belegen mit 280 Briefen den intensivsten Austausch, an dritter Stelle steht das Jahr 1936 mit 136, danach flacht die Kurve stark ab, wohl auch aus politischer Vorsicht, wirklich sicher konnte sich Benn nicht mehr fühlen.

Zweiundzwanzig Jahre überlebt Oelze seinen Abgott, kümmert sich als Nachlassverwalter um das Werk, forscht, hilft mit Geld aus. 1978, schon auf dem Krankenbett, deutet er in einem Telefonat mit Harald Steinhagen an, er sähe nun keinen Grund mehr für das Publikationsverbot seiner Briefe. Ob er dabei an die Karte dachte, die Benn ihm Mitte Juni 1956, drei Wochen vor seinem Tod, aus dem hessischen Kurort Schlangenbad schrieb? In der er, auf Mephisto in Goethes "Faust" anspielend, noch einmal Gegenposition zu Oelze bezieht: "Jene Stunde.. wird keine Schrecken haben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen wir werden steigen." Es waren Gottfried Benns Abschiedsworte an seinen treuesten Freund.

HANNES HINTERMEIER

Harald Steinhagen, Stephan Kraft und Holger Hof (Hrsg.): "Gottfried Benn - Friedrich Wilhelm Oelze". Briefwechsel 1932-1956.

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 4 Bd., zus. 2334 S., 181 Abb., geb., 199,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die vierbändige Ausgabe, die die Verlage Klett-Cotta und Wallstein gemeinsam verantworten, ist ein Beispiel für moderne Editionsarbeit.« (Florian Illies, Der SPIEGEL, 12.03.2016) »Endlich können wir nicht bloß den Dichter lesen, sondern den Dialog.« (Gisela Trahms, Literarische Welt, 12.03.2016) »eines der bedeutendsten dichterischen Selbstzeugnisse des 20. Jahrhunderts« (Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung, 11.04.2016) »Der Briefwechsel gehört zu den bedeutendsten Dokumenten der deutschen Literaturgeschichte.« (Jörg Magenau, Deutschlandradio Kultur, 07.04.2016) »eine Jahrhunderterzählung im Dialog« (Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel, 24.04.2016) »eine fabelhafte Edition, die einem den Atem verschlägt. Ganz großes Tennis!« (Helmut Lethen, Die Zeit, 28.04.2016) »ein großes Leseerlebnis« (Martin Weichelt, Sinn und Form, Januar/Februar 2016) »ein Fest für Benn-Leser« (Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2016) »Oelzes Korrespondenz mit Benn zählt zu den wichtigsten Dokumenten der jüngeren deutschen Literaturgeschichte.« (Hendrik Werner, Weser Kurier, 17.07.2016) »Der Briefwechsel in seiner vervollständigten Form ist ein Zentralgestirn für die Bennforschung, das biographische, werkgenetische und poetologische Fragen beantworten kann.« (Michael Braun, literaturkritik.de, 05.05.2016) »Ein bedeutendes Stück deutscher Literatur des 20. Jahrhunderts.« (Eberhard Geisler, taz. die tageszeitung, 11.08.2016) »ein faszinierendes Zeitzeugnis« (Manfred Papst, NZZ am Sonntag, 28.08.2016) »Der besondere Reiz dieses Briefwechsels ergibt sich aus der Interaktion, die sich jetzt minutiös nachverfolgen lässt« (Torsten Hoffmann, Arbitrium 2017; 35(2))…mehr