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Er war Arzt. Und er war einer der bedeutendsten Dichter seiner Zeit. Als Gottfried Benn 1912 mit seinen expressionistischen Morgue-Gedichten an die Öffentlichkeit trat, war dies wie ein literarischer Paukenschlag ... Fritz J. Raddatz, »der letzte deutsche Expressionist« (Der Tagesspiegel) hat sich auf das Abenteuer eingelassen, die so rätselhafte wie geniale Persönlichkeit Gottfried Benns zu ergründen. Mit analytischer Schärfe gelingt es ihm, ein temperamentvolles, facettenreiches und auch kritisches Porträt des in Leben und Werk so widersprüchlichen Dichters zu zeichnen.

Produktbeschreibung
Er war Arzt. Und er war einer der bedeutendsten Dichter seiner Zeit. Als Gottfried Benn 1912 mit seinen expressionistischen Morgue-Gedichten an die Öffentlichkeit trat, war dies wie ein literarischer Paukenschlag ... Fritz J. Raddatz, »der letzte deutsche Expressionist« (Der Tagesspiegel) hat sich auf das Abenteuer eingelassen, die so rätselhafte wie geniale Persönlichkeit Gottfried Benns zu ergründen. Mit analytischer Schärfe gelingt es ihm, ein temperamentvolles, facettenreiches und auch kritisches Porträt des in Leben und Werk so widersprüchlichen Dichters zu zeichnen.

Autorenporträt
Raddatz, Fritz J.Fritz J. Raddatz , geboren 1931 in Berlin. 1960-69 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlags, 1977-85 Feuilletonchef der ZEIT, seit 1969 Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Stiftung, Autor mehrerer Romane und eines umfangreichen biographisch-essayistischen Werks, zuletzt einer vielbeachteten Heine-Biographie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Schwärme nachtschwarzer Wortfische
Die beiden sensationiert eben das Wort: Raddatz über Benn / Von Rolf Hochhuth

Rätsel Benn. Wunder Gottfried Benn. Da lebt einer zwischen Kasino-Besäufnissen und Kaffeehaus-Amouren, zwischen Schoppen-Dämmer, Bierabend, Vorortausflug und Kaserne, in einem Wrasen aus Spießigkeit und Schneidigkeit und Patou, mal bei den schnieken Adligen, mal bei ondulierten Kellnerinnen; und dann geht er nach Hause, Kaffee, Zigaretten - und schreibt so schöne Gedichte, wie sie kaum einer der deutschen Sprache abgerungen hat."

Dies der Stil des geborenen Berliners Raddatz, dessen Wörterfülle sich sehen lassen kann neben der des Wahlberliners Benn. Raddatz mußte mich belehren, was Patou heißt: ein Parfum, das Benn besonders gern seinem nie abreißenden Reigen von Freundinnen schenkte. Auch "ferventer" Verächter, wie Raddatz den "Dichter und Geiferer" Benn nennt, konnte ich nicht übersetzen; er spricht auch vom "Wutschaum" des "Schimpfgenies" - und tatsächlich muß man dauernd lachen, da Raddatz belegt, welcher Niederträchtigkeiten Benn fähig war; ferventer ist im Altfranzösischen ein Vorläufer von inbrünstig. Benn sind Breitseiten geglückt, die noch nach sechzig Jahren so kränkend - doch den Leser belustigend - einschlagen, wie sie gemeint waren. Doch nötig, ja, zur Selbstbehauptung existenzrettend werden ab 1934 seine natürlich geheimen, immer barocken, wörterüberladenen Schmähreden in Briefen. Wir heute können uns gar nicht mehr vorstellen, wie lebensgefährlich für Benn es war, wenn ihn 1934 der Balladen-Barde von Münchhausen öffentlich als "fast reinblütigen Juden" denunzierte! Benn schreibt dem Freund Oelze - öffentlich darf er sich nicht wehren: "Es giebt nur 2 Dinge: dreckige Menschheit u. einsames schweigendes Leiden - keine Grenzverschiebungen! Hassenswertes, dummes, kindererzeugendes, Wohnung suchendes, omnibusbesteigendes, aufbauendes, weibersichzuwedelndes, plauderndes, gebildetes, ehrbar strebendes, redliches, meinungsäusserndes, mädchenengagierendes, ferienverbringendes, ostseefrohes, Sachzusammenhänge erörterndes Geschmeiss von Bremen bis Villach u. Domodossola bis Kurische Nehrung."

Raddatz zählt einige der Namhaften auf, die erst mit Hitler als Autoren oben aufkamen. Folgert, die seien Benn "nicht einmal das Stäubchen Asche wert, das man vom Revers pustet. Eine Metzelzunge war er ohnehin stets." So schont Raddatz auch ihn nicht: "1933. Aus der Feder Benns kommt eine Replik von unüberbietbarer Infamie. Es ist sein vielleicht ruchlosester Text je: Blitzend vor Bosheit und glitzernd im Irrwitz seiner Verblendung, eine Devotionalienstunde zum höheren Ruhme der braunen Barbarei. Die Stunde, in der er seine ,Antwort an die literarischen Emigranten am 24. Mai 1933 über den Berliner Rundfunk sprach . . . , ist die Stunde der Schande eines der bedeutendsten deutschen Lyriker seiner Zeit."

War die "Feier der Irratio" (Raddatz) in Benn auch angelegt von Grund auf - seine an Nietzsche ("der größte Mann des elenden Abendlandes") "geschulte" Demokratie-, ja Menschenverachtung, zu der dann noch die Wut auf Versailles kam -, noch weniger als seine Preislieder auf Hitler verzeiht ihm sein Biograph, in der Akademie anstelle des "schamlos verdrängten" Heinrich Mann, dessen Amt als Vorsitzender der Sektion Dichtung übernommen zu haben, obgleich "fünfzehn der prominentesten Mitglieder (von einunddreißig) ausgeschlossen" wurden; zumeist in die Emigration gehetzt oder für die Vergasung "aufgehoben". Heinrich Mann war für Benn der Wegweisende gewesen, Benn hatte ihm "seine fast klappentext-hymnische Begeisterung" zum sechzigsten Geburtstag ausgedrückt, allerdings den Lübecker in seiner Rede "vollständig des Sozialen, des - horribile dictu - Politischen entkleidet". Das war Ende März 1931 gewesen - keine zwei Jahre später, am 15. Februar 1933, übernahm Benn das Amt Manns, der als erster aus der Akademie hinausgeworfen wurde, da er zu einer "Listenverbindung von SPD mit KPD" aufgerufen hatte, um Hitlers Kanzlerschaft zu verhindern.

Doch wie Klaus Mann es Benn prophezeite - wie rasch war auch er zum Verfolgten geworden, zum Verbotenen, der fluchtartig für neun Jahre in der Armee, der "aristokratischen Form der Emigration", abtauchen mußte: In Berlin hätten Künstler ihn ins KZ denunziert - tatsächlich konnte niemand sonst als Heinrich Himmler Benn retten; der "Reichsführer SS" persönlich warnt am 22. September 1937 einen Porträtzeichner, Benn "bis zur Vernichtung seiner Existenz zu verfolgen"!

Seit 1. April 1935 hatte Benn Schutz als Heeresarzt gefunden. Sofern man "Schutz" in einer Organisation finden kann, die dann auch drei Brüder von Benn und seine Frau umbringen wird - gefallen die Jungen auf dem Schlachtfeld, die zweite Frau Benns "kam 1945 im unmittelbaren Zusammenhang mit den Kriegshandlungen um", schreibt Benn. Sie gab sich eine tödliche Spritze, da sie ihren Mann für tot hielt, als die Russen einzogen.

Raddatz hat schon 1971 die Tragödie Erich Mühsams, den die Nazis im KZ gezwungen haben, sich in der Latrine zu erhängen - "selbst gerichtet", posaunten sie dann aus -, so geschrieben, daß sie bühnenfähig ist. Nun auch den Benn: Angereichert durch Benns Briefe, auch Essays, durch sein "Doppelleben", weniger durch die meist an der Politik vorbeigereimten Gedichte, ließe sich diese Vita mühelos zu einem Bühnenstück erweitern, natürlich auch verkürzen, sagen wir: komprimieren. Denn die Briefe Benns - immer auch Ersatz für das nicht geschriebene Tagebuch - sind ohne Frage die exemplarische Autobiographie, die ein Deutscher schrieb, der die zwei Weltkriege mitgemacht, doch überlebt hat; und der auch in den Stromschnellen der Innenpolitik nur um ein Haar dem Untergang entkam; und der noch nachhaltiger als selbst Nietzsche unsere Sprache angereichert hat durch Hereinnahme des spezifisch neuen Vokabulars des naturwissenschaftlichen Zeitalters sogar in die Lyrik: was Benns Mitlebende stärker fasziniert, auch empört hat als selbst seine Hinwendung zur "Krebsbaracke". So auch die große Ricarda Huch, die denn auch als Vizepräsidentin der Akademie, was Raddatz nicht erwähnt, ihren Protest 1931 gegen die Wahl Benns aus dessen Sprache begründete: " . . . wahr, daß unsere Sprache abgegriffen ist, aber man wird dieser Hemmung nicht dadurch Herr, daß man lauter ungewöhnliche, abseitige und auffallende Wörter gebraucht." Als ob Gedichte, formal das Konservative schlechthin, überhaupt neu, heutig sein könnten, wenn nicht neue, bisher von Gedichten nicht integrierte Wörter in sie hinein"organisiert" sind!

Benn hat erstmals neue Wörter, bisher als dem Gedicht "nicht standesgemäß" von konventionellen Poeten gemieden, sofern die überhaupt wußten von diesen Worten, in einer Fülle seinen Gedichten, ja Reimen einverleibt und damit die Lyrik revolutioniert wie keiner seiner Vorläufer seit Heine. "Mich sensationiert eben das Wort", zitiert ihn Raddatz und preist Benns Sprache: "Was die Schwärme seiner nachtschwarzen Wortfische so betörend macht."

Nicht unerwähnt bleiben darf der Skandal, daß Oelzes Briefe an Benn, sicher ungefähr achthundert, die zur Ergänzung der Chronik der Zeit, die Benns Briefe sind, dazugehörten, noch fünfundvierzig Jahre nach Benns Tod der Öffentlichkeit von jenem Mann vorenthalten werden, dem der Bremer Kaufmann Oelze sie vermacht hat in der arglistig getäuschten Zuversicht, der werde sie veröffentlichen! Was um so nötiger ist, als ja die Briefe, die Frauen an Benn geschrieben haben, ausnahmslos "dank" Benns drei Gattinnen "natürlich" vernichtet wurden.

Fritz J. Raddatz: "Gottfried Benn". Leben - niederer Wahn. Eine Biographie. Propyläen Verlag, Berlin 2001. 350 S., geb., Abb., 44,89 DM.

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