Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 33,50 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Mit Goya beginnt die moderne Malerei. Diese Modernität wird in fesselnden Vergleichen zwischen Goya und Künstlern aus Vergangenheit und Moderne vor Augen geführt.
Dieses Buch stellt jene Aspekte von Goyas Kunst vor Augen, die ihn der modernen Kunst im allgemeinen und unserer Zeit im besonderen naherücken. Goya steht am Beginn der modernen Malerei. Man ahnt seinen Einfluß überall, ohne direkte Verbindungen herstellen zu können. Wenn El Greco der Maler der spanischen Spiritualität war und Velázquez der Maler der stolzen spanischen Würde, so war Goya der Maler von Spaniens leidenschaftlichem…mehr

Produktbeschreibung
Mit Goya beginnt die moderne Malerei. Diese Modernität wird in fesselnden Vergleichen zwischen Goya und Künstlern aus Vergangenheit und Moderne vor Augen geführt.
Dieses Buch stellt jene Aspekte von Goyas Kunst vor Augen, die ihn der modernen Kunst im allgemeinen und unserer Zeit im besonderen naherücken. Goya steht am Beginn der modernen Malerei. Man ahnt seinen Einfluß überall, ohne direkte Verbindungen herstellen zu können. Wenn El Greco der Maler der spanischen Spiritualität war und Velázquez der Maler der stolzen spanischen Würde, so war Goya der Maler von Spaniens leidenschaftlichem Individualismus. Die spanische Geschichte zur Zeit Goyas hatte mit der Gegenwart vieles gemein: Sie war eine Epoche der Revolution und damit eine Zeit radikalen Umbruchs. Die Auswirkungen einer solchen Zeitenwende sind uns Heutigen gut bekannt: Orientierungslosigkeit, Entfremdung, Werteverlust und eine immer wieder in Verzweiflung umschlagende Hoffnung. Darum erlebt man in der Begegnung mit Goya einen tiefen Schock des Wiedererkennens. Der Autor hat es verstanden, dem Leser diese Aspekte in fesselnden Vergleichen mit Künstlern zurückliegender Epochen und der Moderne vor Augen zu führen. Dank seiner erhellenden Ausführungen stehen wir in einem lebendigen geschichtlichen Zusammenhang und erleben mit Goya die Geburt der Moderne.
Autorenporträt
Fred Licht, 1928 geboren, ist Kurator an der Peggy Guggenheim Sammlung von Venedig. Als Lehrbeauftragter an der Universität von Princeton und Brown verfaßte er mehrere Studien über Goya und Canova und zahlreiche Aufsätze über die Moderne Kunst, die in Art in America und Arts Magazine veröffentlicht wurden. Federführender Herausgeber und Koordinator von Ausstellungskatalogen wie etwa "Tauromaquia-Goya y Picasso" (1985) und "William Congdon 1912 - 1998. La mirada de un testigo del siglo XX" (1998).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Im Traum, im Fieber
Im Gespräch mit Toren: Fred Lichts Goya / Von Werner Hofmann

Schiere Augenfreude, ein Buch zum Flanieren, eine überwältigende Pracht! So einhellig wird das Publikum über den riesigen, 34 mal 28 Zentimeter messenden Goya des Hirmer Verlages urteilen. In den Beifall einstimmend, möchte der Rezensent gleichwohl anmerken, daß diese opulente Farbenschau auch einen Verfasser hat, somit ein Lesebuch inmitten des Bilderbuchs enthält, einen eminent klugen und fesselnd geschriebenen Text. Die Rede ist von einem Kunstbuch, das zu den herausragenden Beispielen der internationalen Koproduktion zählt. Sofern dieses Verfahren Kosten spart, verhilft es aufwendigen Projekten zu relativ erschwinglichen Preisen. Wenn die Herstellung, wie zumeist, von einer erfahrenen Reproduktionsanstalt besorgt wird, ist das hohe Niveau der Farbwiedergabe garantiert. Da die internationale Produktion die Bücher in Layout und Umfang standardisiert, halten sich nationale Abweichungen in der Regel in Grenzen. Man kann sie etwa den Umschlagvarianten oder der Titelformulierung entnehmen.

Fred Lichts großer Goya-Text wurde von einem Madrider Verlag in die verführerische Hülle eines Farbtafelbandes eingekleidet, was der internationalen Vermarktung entgegenkam. Die spanische Ausgabe trägt den Titel "Tradición y modernidad", die französische nennt nur den Familiennamen, die deutsche Fassung fügt erläuternd "Die Geburt der Moderne" hinzu. Damit greift sie auf die bescheidene, 1979 in New York erschienene amerikanische Erstausgabe des nun erheblich erweiterten Textes zurück, denn schon damals wurden im Untertitel "The Origins of the Modern Temper in Art" angekündigt. Das handliche Buch begnügte sich mit 136 Schwarzweißabbildungen, die neue Fassung enthält mehr als doppelt so viele in Farbe. Etwa ein Drittel stammt von anderen Künstlern, zu denen der Autor Bezüge herstellt.

Um an Goya die Geburt der Moderne nachzuweisen, schien dem deutschen Verlag (wie auch dem französischen) das letzte Kapitel entbehrlich, das den Maler in die spanische Tradition stellt und so den Untertitel der Madrider Ausgabe rechtfertigt. Kostengründe mögen diesen Verzicht erklären, der dennoch zu bedauern ist, denn er schneidet Goyas Bruch mit der Vergangenheit von jeglichem Rückbezug ab, so daß der Revolutionär die Kontinuität einbüßt, in der er steht. Dadurch bekommen die Argumente, die ihn zu einer einmaligen kunstgeschichtlichen Zäsur erklären, das Übergewicht. Gerade nicht-spanische Leser hätten im letzten Kapitel viel über eine Kunstlandschaft erfahren, die, auf das übrige Europa bezogen, eine Eigensprachlichkeit aufweist, in der immer wieder anarchische Widersetzlichkeiten und Regelverstöße zum Vorschein kommen.

"Das vorliegende Buch ist keine Monographie, sondern beinhaltet eine Reihe von Untersuchungen über jene Aspekte von Goyas Kunst, die ihn unserer Zeit besonders nahe rücken." Dank dieser Einschränkung von der lückenlosen Berichterstattung dispensiert, traf Licht eine Auswahl von Schwerpunktkapiteln. Darin behandelt er sowohl herausragende Werke wie die beiden Majas, den 2. und 3. Mai 1808 und die Schwarzen Gemälde als auch Goyas Bildgattungen: die religiöse Malerei, Gruppenporträts, Einzelporträts und "volkstümliche Gemälde", die in der französischen Ausgabe richtiger "peintures prolétariennes" heißen. Eine geschickte und überzeugende Themengliederung, in der bloß das Kapitel "Gelegenheitsbilder" überrascht. Man vermutet einen Kehraus mit Arbeiten, die sich nirgendwo einfügen ließen und folglich nicht zu der Kategorie gehören, in der sich für den Autor "die Quintessenz von Goyas Kunst und Leben" kristallisiert. Das ist jedoch nicht der Fall. Zu den "Gelegenheitsbildern" zählen zentrale Topoi wie die Irrenhäuser und Gefängnisse, Kannibalenszenen, Pestkranke, Zigeuner und das "Begräbnis der Sardine" - Menschen also, zu denen der Künstler, selber an den gefährdeten Rand der Gesellschaft geraten, eine gewisse Solidarität verspürt haben dürfte. Überraschend kommt auch die "Vorstandssitzung der Philippinischen Kompanie" in dieses Kapitel: Goyas größtes Format (327 mal 415 Zentimeter), das Licht ausführlich analysiert, weil er es - man staune! - für ein "absolutes Meisterstück" und obendrein für Goyas "revolutionärstes Gemälde" hält. Am Ende des Kapitels über die Gruppenporträts nähme sich das Bild besser aus.

In jedem der zwölf Kapitel wird die Leitfrage nach Goyas Modernität neu gestellt und unterschiedlich beantwortet. Bereits in den Teppichkartons entledige sich seine Malerei der ornamentalen Funktion: "Leere und Hohlheit beginnen sich in das Paradies des achtzehnten Jahrhunderts einzuschleichen." In den religiösen Auftragswerken vollziehe Goya noch radikaler den Bruch mit der Tradition von Barock und Rokoko. Er demonstriere, daß der Glaube, mit dem ein Tiepolo ein schwereloses Reich geheiligter Schönheit schuf, "sich in dem neuen Zeitalter nicht aufrechterhalten ließ". In seinen Gruppenporträts beraube Goya das Bildnis erstmals "seiner magisch transzendenten Eigenschaft". Für Fred Licht steht die Familie Karls IV. - eine "drastische Bankrotterklärung" des Königshauses - "am Anfang des Verfalls der Porträtkunst in der Moderne". Neu daran ist, worauf er die Entwicklung der modernen Malerei beruhen sieht: die Wiedergabe nackter Tatsachen, also der Verzicht auf Aura. In dem Maße, in dem das Gruppenporträt Kontaktlosigkeit und Entfremdung signalisiert, löst es sich als Bildgattung auf. Auch die Einzelporträts, da sie die Einsamkeit und Unsicherheit der Modelle hervorkehren, leiten das Absterben der Gattung ein. In einer säkularisierten Welt zeigen die beiden Majas die Natur der modernen Liebe und der diabolischen Animalität auf. Der Goya der "Caprichos" erweist sich als der erste Sprecher einer modernen Weltanschauung, der an der intellektuellen Kapazität des Menschen verzweifelt. Modern sind die dabei verwendeten Kunstgriffe: Lichtregie und Räume ohne perspektivische Koordinaten desorientieren und machen das Geschehen mehrsinnig.

1814 widmete Goya dem Maiaufstand von 1808 zwei riesige Gedenkbilder. Der Straßenkampf und besonders die Erschießung am 3. Mai stehen "am Beginn der Annalen der modernen Kunst". Zwar geht das Sterben der anonymen Opfer auf die Ikonographie der christlichen Märtyrer zurück, doch enthält es keinen Gottesbeweis, keine Katharsis, keine Transsubstantiation des Geschehens. Mit den radierten "Schrecken des Krieges" läßt Licht die moderne Graphik beginnen. Wir verspüren keinen moralischen Appell, wir vermissen jegliche kompositorische Hierarchie. Die Sinnlosigkeit dieser Opfertode kann indes nur dann als Fazit gelten, wenn wir, wie der Autor, den patriotischen Mut der Agostina Aragon, der Heldin von Saragossa, übergehen und die Botschaft der beiden letzten Blätter - "die beiden schwächsten der gesamten Serie" (!) - nicht wahrhaben wollen. Sie zeigen den Tod der Wahrheit und deren Wiedererweckung in Gestalt einer jungen Bäuerin.

In den Schwarzen Gemälden, die Goya für die Wände seines Landhauses schuf, sieht Licht den Bruch mit der Auffassung von Kunst als einem Mittel der Kommunikation. Gemalter Exorzismus, sind sie für ihn jedoch kein Ritual, sondern ein "ganzheitliches Mysterium", das sich freilich, wie auch die gleichzeitigen "Disparates", "dem intellektuellen Begreifen entzieht". Darin trifft sich der Betrachter mit dem Künstler, von dem der Verfasser annimmt, er habe "selbst den seelischen Aufruhr und die Triebkräfte aus dem Unbewußten nicht verstanden", unter deren Zwang er arbeitete.

Schon oft ist Goya als Türöffner der Moderne angesprochen worden. Zwei erprobte Grundmuster dieser Brückenschläge tauchen bei Fred Licht auf und stehen merkwürdig unverbunden nebeneinander. Da ist Goya als Maler der Entfremdung des modernen Menschen und der "heillosen Nacht", in der ihn schon Malraux herumirren sah. Ohne Malraux zu erwähnen, setzt Licht diese Deutung fort. In einer sinnlosen, zum Untergang bestimmten Welt wahrt demnach ein Künstler von Goyas Rang "der Menschheit Würde". Malraux sah in Goyas sperriger, verhärteter Formensprache das Indiz des "Widersinns des Menschseins". Mit der formalen Desintegration hat sich noch genauer Theodor Hetzer beschäftigt. Die von ihm skizzierte Morphologie der Desolation wurde von Licht vertieft und mit neuen, präzisen Akzenten versehen. Im Grunde meint seine "Geburt der Moderne" zwei Modernitäten: kunstsprachliche Innovation und weltanschauliche Entfremdung. Beide treffen in Goyas Werk und Leben zusammen. Leider schieben sich Komplikationen in diesen einfachen Sachverhalt. Der Spanier muß seine Vaterschaft mit einem französischen Zeitgenossen teilen. Goya und David begegnen uns an mehreren Stellen in Vergleichen, die ihrer wechselseitigen Erhellung dienen. Sie leuchten ein, indes die Gewichtung der beiden Lebenswerke Rätsel aufgibt. Einmal vermutet der Autor, die theoretisch-spekulative, ästhetische Entwicklung der westlichen Welt könnte sich unmittelbarer von David als von Goya ableiten (läßt aber auch Gegenargumente zu), um dann David zu entmündigen: Selten habe er neue Probleme entworfen und neue Lösungen gefunden. Dennoch werden Goya und David letztendlich als "Begründer der modernen Kunst" gepriesen.

Wie reimt sich das zusammen? Es scheint, daß Licht zwei Modernitäten im Auge hat: eine radikal anarchische und eine gesetzgeberische, die neue Systemzwänge errichtet; eine fragende, verunsichernde und eine, die mit kodifizierten Behauptungen überzeugen will. Für jene steht Goya, für diese David. In dem Maße, in dem Goya "Fragen stellt, auf die er keine Antworten gibt", sind wir aufgefordert, die Fragen als Antworten zu lesen. Wem das gelingt, der erfährt die Bilanz von Goyas Modernität nicht als eine Reihe von Defiziten und Rückzügen, sondern als einen Vorstoß in die Terra incognita der menschlichen Existenz. Goya, das ist die Quintessenz dieses Buches, behauptet niemals, vor den Torheiten, die er geißelt, gefeit zu sein, seine Kunst will weder bessern noch belehren, sie steht deshalb auch nicht im Dienst der Aufklärung, für die sie immer wieder reklamiert wird.

Ihr Schöpfer steht unter dem zwanghaften Druck, "Vorstellungen festzuhalten, die bis heute als die schrecklichsten Visionen menschlicher Qualen gelten". Für einen solchen peintre engagé kann die formale Innovation nicht Selbstzweck sein. Mithin betritt er Dimensionen, denen "die Methoden der Kunstgeschichte fremd sind". Der mit Blickschärfe und Gedankentiefe versehene Kunsthistoriker bezieht mit diesem Einbekenntnis eine Position, die sein Rezensent zu respektieren hat. Er muß sich fragen, ob es ausreicht, an diese Untersuchung die selbstgewissen Meßlatten der Kunstgeschichte zu legen, denn Lichts Analysen lassen die Koordinaten hinter sich, in denen sich unser Metier eingerichtet hat. Was besagt dieses Bezugssystem angesichts einer Weltsicht, für die kein Kunstwollen zuständig ist! Nicht eine Demission wird hiermit vorgenommen, sondern die Einsicht in die Grenzen unserer Wissenschaftlichkeit. Wie wir Dostojewski und Nietzsche nicht nach ihren formalen Innovationen beurteilen, sollten wir auch Goya die Aussage jenseits der selbstbezüglichen Kategorie der Moderne zubilligen. Das legt dieses Buch nahe.

Fred Licht: "Goya". Die Geburt der Moderne. Aus dem Spanischen von Ingrid Hacker-Klier. Hirmer Verlag, München 2001. 360 S., 250 Farb-Abb., geb., 198,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2002

Die zu Asche gewordene Welt
In seiner Biografie über Goya entwirft Fred Licht ein hoffnungslos düsteres Krankheitsbild der Moderne
Der Mensch ist ein Abgrund, heißt es in Büchners Woyzeck. Goya ist der erste unter den Malern des Abendlandes, der in die Dunkelheiten dieser Abgründe hinabtauchte, ohne uns tröstende Worte mit auf den Weg zu geben, sagt Fred Licht in seiner Biografie über Goya – eine Biografie, die mit Leidenschaft und Schauder vor Goya und dessen dunklen Visionen vom Menschen geschrieben ist.
Trotz gelegentlicher Ausflüge zu Dali, Picasso und Marc Rothko verhehlt Licht nicht, dass er mit der Moderne vor allem Nihilismus und kaltes Licht verbindet. Sein Buch ist eine profunde Darstellung der Kunst von Goya und zugleich ein trauriges, ein tief pessimistisches Buch. Auschwitz und Hiroshima bleiben gedankliche Ecksteine dieser unkonventionellen Biografie, deren wohl größter Vorzug darin liegt, dass sie ohne theoretische Kopflastigkeit und mit großer Kennerschaft geschrieben ist.
Trügerische Neutralität
Goya ist von allen Lagern der Kunstgeschichte vereinnahmt worden: mit seinen frühen Fresken in der Kapelle San Antonio de la Florida in Madrid als gedanklicher Vorläufer von Courbet; durch seine zunehmend rauhe, oft nur roh hingeworfene Pinselführung als künstlerischer Wegbereiter des Impressionismus; mit seinem schonungslos hässlichen Gruppenbildnis der spanischen Königsfamilie als Kritiker des späten spanischen Feudalismus; in seiner nächtlichen „Erschießung der Aufständischen” von 1803 als politischer Rebell. Fred Licht mag in seinen Ausführungen mitunter unnötig weitschweifig sein: man muss, auch bei übergreifenden Darstellungen schwieriger Umbruchsepochen, nicht – wie hier – mit den alten Ägyptern beginnen. Er vermeidet es aber fast durchgehend, Goya für irgendeine kunsthistorische oder gar politische Schule zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er unterstreicht den Pragmatismus und die politische Unberechenbarkeit dieses Charakters, der im Jahr der Französischen Revolution zum Hofmaler des spanischen Hofes ernannt wurde und im Exil in Bordeaux gestorben ist.
Indes: Goya ist einer der wenigen Maler der Neuzeit, die kaum eine parteilose Betrachtung zulassen. Fred Licht entgeht zwar der kunsthistorischen, nicht aber der philosophischen Vereinnahmung Goyas. Diese mündet bei ihm, manchmal zu stark dosiert, im Existentialismus Heideggers und Sartres. Sein Angelpunkt bleibt dabei ein kluges, wohlfundiertes Argument: Nur durch die Verwurzelung Goyas in der spanischen Malerei, in ihrer traditionellen Neigung zur schroffen, ungeschminkten, Gegenstände und Figuren voneinander isolierenden Darstellung alles Dinglichen konnte die besondere Genialität Goyas zum Durchbruch gelangen.
Geworfensein des Lachs
Fred Licht versucht, die wachsende Verdinglichung, die mythologische und sakrale Entzauberung alles Körperlichen in Goyas Kunst, die zunehmende Entfremdung der Figur von sich selbst und vom sie umgebenden Raum, den schließlichen Verlust jeden Bezugs von Raum und Figur nachzuzeichnen. Hinter diesem kunsthistorisch prägnanten Argument aber steht der seit Robert Rosenblum und Reinhard Koselleck geläufige geistesgeschichtliche Ansatz des Epochenbruches, des Zusammenbruchs des ordnenden christlichen Weltbildes, der sich im Laufe des 18. Jahrhunderts auch in der Malerei vollzogen hat.
Goya kam nicht aus dem Nichts. Nur fällt es bei keinem anderen Künstler so schwer, ihn ohne überzeichnende Kontraste aus seiner Epoche heraus zu erklären. Ob Boucher oder David, Hogarth oder Chodowiecki, überall gerät der Vergleich mit Goya nur zu leicht aus der Balance und endet in greller Kontrastmalerei. Auch Fred Licht entgeht nicht durchweg dieser Gefahr. Um die Gebundenheit in seiner Epoche freizulegen, gleichzeitig die zunehmende Entfremdung Goyas von Rokoko und Aufklärung zu veranschaulichen, werden in sehr luziden Vergleichen Brücken zu Pieter Brueghel und Velazquez geschlagen, wie auch nach Frankreich, zur Malerei Bouchers und insbesondere zu David.
Die geographisch exzentrische Perspektive von Spanien auf die europäische Malerei nutzt Fred Licht zu einem erstaunlich unkonventionellen Blick auf die führenden Meister des französischen Rokoko; selbst der traditionell ungeliebte, schwer zugängliche Klassizismus in der Porträtmalerei von David gewinnt im Vergleich mit Goya. Wo es darum geht, wie man das Schockierende in Goyas von der Inquisition beschlagnahmter „Nackter Maja” gegenüber Bouchers nicht weniger nackten Schönheiten fassen könne, sind die Einsichten sogar erstaunlich: hier scheinen so unvergleichbare Künstler wie Boucher, David und Goya im Vergleich nicht zu verlieren, sondern aneinander zu wachsen.
Die Gegenüberstellung Goyas mit jenen englischen und deutschen Künstlern, in deren Werk sich aufklärerische Ideen vom leitenden Prinzip der Vernunft für jede geistige Vervollkommnung besonders klar formulieren - Chodowiecki und Hogarth – gerät dagegen schwieriger. So unumgänglich der Blick in das friderizianische Berlin und nach London Goyas auch ist: Die Risiken einer Gegenüberstellung derart Ungleicher liegt darin, dass sich der Blick leicht verzerrt und selbst Hogarth und Chodowiecki Goya gegenüber rasch wie guterzogene Sonntagsschüler wirken, wenn man Blätter wie „The Rakes Progress” oder den „Moralischen Kalender” Goyas erbarmungslosen Radierungszyklen von Gehängten, Geschundener und Erschießungen gegenüberstellt.
In großen Ellipsen kehrt Fred Licht zum eigentlichen Argument zurück: Ob es um Goya, den fast linkischen Entwerfer von königlichen Teppichen im Stil des Rokoko geht, um den teils schlechten, nie aber schmeichelnden Portraitmaler oder den spät berufenen Meister der Stilllebenmalerei: Fred Licht spürt überall die Einsamkeit einer sinnlos gewordenen Existenz. Selbst der häufig eklatante Mangel an handwerklicher Routine in der Malerei von Goya trägt für ihn die Handschrift des bedrohlich Ungefügen.
So schwer es fällt, sich bei den bedrückenden Fresken der Schwarzen Bilder im Hause Goyas der Sichtweise des Autors zu entziehen: die Vehemenz, mit der sich Fred Lichts Blick über Goya legt, grenzt manchmal an Wunschdenken und lässt sich bei vielen Porträts oder Stillleben nicht nachvollziehen. Oft scheint die Intensität der Interpretation sich zu forciert über die Bilder zu legen. Ob das dunkel leuchtende, späte Stillleben mit Lachs wirklich zu einer an Sartre gemahnenden Entfremdung des Objekts von sich selbst gerät? Ob das vieldiskutierte, schockierend hässliche Bildnis der königlichen Familie Karls des Vierten von Spanien wirklich die Schatten eines existentialistischen Geworfenseins vorauswirft?
Darüber hinaus gerät die Beschäftigung mit Goya in diesem sonst klugen Buch zu einer stellenweise verblüffend oberflächlichen Kritik der Moderne nach 1945. Sätze wie jener von „einer Welt, die unbekümmert Buddhismus, Wünschelrutengänger, Christentum und neu entstandene Sekten über einen Kamm schert, diesen zu Kopf steigenden Cocktail trinkt und sich dann mit ihrer Toleranz in religiösen Dingen brüstet”, gehen weit über den gesteckten Rahmen hinaus und schaden der Darstellung.
Zum Schluss bleibt zwar kein Zweifel an der überragenden Größe dieses Einzelgängers. Aber wirklich befriedigt ist man nicht. Es entsteht der Eindruck, als wäre weder Goya noch der Moderne, als deren Kronzeuge Fred Licht Goya nicht zu Unrecht in Anspruch nimmt, wirklich vollkommen Genüge getan, wenn man beide nur noch ex negativo definieren kann: als das Ende der klassischen Portraitmalerei, das Ende eines moralisch kanonischen Wertesystems, das Ende einer Epoche, die in den apotheotisch Gott verklärenden Fresken von Tiepolo ihren Höhepunkt gefunden hatte. Fred Lichts Buch wird zur dornigen Hommage an Goya, zum zerrissenen Abgesang auf die klassische abendländische Malerei,der, zumindest in diesem Buch, unumkehrbar und hoffnungslos ihre existentiellen Inhalte verloren gehen.
HANS JAKOB MEIER
FRED LICHT: Goya. Die Geburt der Moderne. Hirmer Verlag München 2001. 360 Seiten, 102 Euro.
Goya kannte den „Blocksberg” genau, als er ihn malte: Die Hexen waren die Musen seiner Träume.
Foto: Hirmer Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Hirmer Verlag hat mit diesem Band über Francisco de Goya, den der amerikanische Kunsthistoriker Fred Licht zusammengestellt hat, den "seit langem schönsten" Bildband herausgebracht, schwärmt Rezensentin Petra Kipphoff. Allerdings mag sie der Grundthese des Autors, Goya sei ein Anarchist gewesen, nicht ganz zustimmen. Zwar fänden sich durchaus anarchistische Züge im Werk des Malers, doch sei es ihm Zeit seines Lebens nicht um die künstlerische Umsetzung einer Ideologie, sondern um die Realität in all ihren Widersprüchen gegangen, denkt Kipphoff. Ihre Kritik beeinträchtigt aber keineswegs ihr großes Lob für die zahlreichen, in diesem Band präsentierten "hervorragenden Reproduktionen" der Bilder des großen Künstlers.

© Perlentaucher Medien GmbH