Es gibt Bilder, die nichts anderes als ein Ereignis sind - Bilder, die beim Betrachter einen Sturz in die tiefste Erinnerung auslösen, die Erinnerung an den erschütternden Traum, den man hatte und eben verliert; Bilder, die einer Offenbarung gleichkommen, uns in einen Zustand der Beteiligung versetzen, der mit Erleuchtung, mit Liebe zu tun hat. Francisco Goya hat viele dieser Art Bilder gemalt. Aus welchem Stoff ist ein Künstler gemacht, der solches vermag? Paul Nizon, »der Verzauberer« (Le Monde), erzählt Goyas Leben: als Magier der Maskerade und Meister der Entlarvung, als Schwarzmaler und schönheitstrunkener Hellseher. Und in seinen ebenso verblüffenden wie berückenden Bildbeschreibungen zeigt Nizon, wie dieser »Fürst der Schöpfung, der alles, was seine Hand berührte, zum Leben erweckte«, zuletzt reine Existenz, reine Essenz auf die Leinwand bannte: »ein Donnerhall der Ewigkeit in der Schwindsucht der Gegenwart«.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2011Abteilung Dekoration
Paul Nizons luzider Goya-Essay endlich auf Deutsch
Die Damen halten eine gespannte Decke in den Händen, auf der eine ausgestopfte Puppe unfreiwillige Luftsprünge vollführt. Sie machen sich lustig über den Popanz von Kavalier, den sie nach ihrem Willen tanzen und zappeln lassen, und ergötzen sich an seinen verrenkten Gliedmaßen, die einen grausig-komischen Kontrast bilden zu den geschminkten roten Bäckchen, dem Kussmund und dem blödsinnig romantisch zum Himmel erhobenen Blick.
„Der Hampelmann“ nannte Francisco de Goya (1746-1828) sein Gemälde, das den Mann als Spielball der Frauen zeigt, als närrischen Liebhaber. Goya, der viel übrig hatte für Frauen, wusste, was er da malte, aber er wusste es eben nicht nur als Mann, sondern auch als wacher Zeitgenosse und scharfer Beobachter der Gesellschaft. Schenkt man nämlich dem höfischen Kontext, den das schlossartige Gebilde im Hintergrund andeutet, Beachtung, vor allem aber der Entstehungszeit des Gemäldes, erschließt sich eine zweite Bedeutungsebene hinter dem scheinbar so pläsierlichen Geplänkel.
In den Jahren 1791-92, als das Bild entstand, hatte Goya alles erreicht, was man als Künstler seiner Zeit erreichen konnte. Seit 1786 ist er Hofmaler, doch schon zwei Jahre später herrschen wieder die reaktionären Kräfte in Spanien und machen dem liberalen Klima ein Ende. Die aufgeklärten Geister, mit denen Goya verkehrt, werden vom Hof entfernt, verhaftet oder verbannt. Er selbst arrangiert sich mit der Macht, lernt zu lavieren und kann seine Karriere bruchlos fortsetzen, erst Jahre später wird er in Ungnade fallen. Doch seine Kunst versteht Goya fortan als „innere Biographie“, schreibt der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon in seinem glänzenden Essay „Goya“, der in französischer Sprache bereits 1991 erschienen ist und nun in einem gediegenen Bändchen der Insel-Bücherei auf Deutsch vorliegt.
Nizon, 1929 in Bern geboren, ist studierter Kunsthistoriker. Er promovierte über van Gogh und war Kunstredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, bevor er sich 1962 für die Schriftstellerei entschied. Francisco de Goya gehört zu Nizons Hausgöttern, und wenn er schreibt: „Goya ist ein allein dastehender Künstler. Er kommt aus keiner Schule und hat keine Schule gemacht“, so begrüßt er den Einzelgänger Goya als einen Geistesverwandten. Zum Pathos des Erratischen, das Nizon als Erzähler und Essayist pflegt, gehört die Unableitbarkeit des Werkes aus dem Leben, wie es bei Goya der Fall ist, der nie offen aufbegehrte und doch das Verhältnis von Sein und Schein in vielen Porträts zum eigentlichen Thema machte, bis an die Grenze zur Farce. Dieses Verhältnis ist Nizon zufolge, „eigentlich fast immer unharmonisch, in höchstem Maße gestört, denn der Putz und der Flitter überdecken dermaßen das Wenige an Antlitz und Ausdruck, an Menschlichkeit, dass der Eindruck des Monströsen oder noch etwas Grausameres entstehen kann“.
Goyas Modelle sind Schauspieler, die verkleidet auf einer Bühne stehen und eine Rolle spielen, Darsteller, die Karnevalsmasken tragen und um so puppenhafter wirken, als das Stoffliche des Kostüms ungleich lebendiger gemalt ist als das Fleisch, „man könnte sogar behaupten, der tote Stoff sei bei ihm beseelt, während der Kopf oft larvenhaft erscheint“. Sein Gruppenbild der Familie Karls IV. hält einer dem Untergang geweihten Monarchie den Zerrspiegel vor, indem Goya eine hohle Inszenierung von Herrschaftlichkeit zeigt; die Rollen sind hier bis zur Lächerlichkeit falsch gespielt und die Köpfe schweben wie eine „Kolonie von Glühwürmchen oder Lampions“ über den gestellhaften Prachtgewändern. Den jungen König Ferdinand VII. malt er gar als Usurpator, als Kretin in einer monarchischen Maskerade.
Und den kleinen Don Manuel, den jüngsten Sohn des Grafen von Altamira, porträtiert er als trauriges Zirkuskind, wobei die Katzen, die mit hypnotischen Blicken die Elster verfolgen, die der Knabe an einer Leine führt, unschwer als Inbild der intriganten Hofschranzen zu identifizieren sind, die den kleinen Mann bald ebenso verschlingen werden wie die Katzen den Vogel. In Goyas „Nackter Maja“ schließlich liegt die Provokation weniger in der Freizügigkeit der Darstellung als in dem wächsernen, in seiner Leblosigkeit pervers anmutenden Inkarnat, durch das Goya seine Antipathie gegenüber dieser Kokotte und ihrer karrieristischen Weiblichkeit bekundete.
Als Hofmaler, so Nizon, „gehörte man zum höheren Gesinde, zum Ausstattungspersonal, Abteilung Dekoration“. Das Heikle dieser Position, ihre Gefährdungen hat Goya in dem Gemälde „Der Hampelmann“ reflektiert, das sich als Kommentar auf die Rolle des Künstlers am Hofe verstehen lässt. Die Macht der Frauen hat er dort nicht nur erotisch, sondern auch politisch zu spüren bekommen. Wobei das eine vom anderen wohl nicht zu trennen war. Auch davon spricht das Bild. CHRISTOPHER SCHMIDT
PAUL NIZON: Goya. Mit zahlreichen farbigen Abbildungen. Insel-Bücherei 1340, Insel Verlag, Berlin 2011. 78 Seiten, 12,90 Euro.
„Als Hofmaler gehörte man
zum höheren Gesinde, zum
Ausstattungspersonal“
Die Picknick-Decke sieht zwar aus wie ein Sprungtuch der Feuerwehr, dient jedoch dem entgegengesetzten Zweck. Sie soll nicht denjenigen rettend auffangen, der sich aus einem brennenden Haus stürzt, sondern schleudert wie ein Trampolin einen in die Lüfte, der offenkundig bereits lichterloh in Flammen steht, in Liebe entbrannt. „Der Hampelmann“ nannte Goya sein Gemälde aus den Jahren 1791-92, das den Mann als Spielball der Frauen zeigt, als einen, der sich zum Narren macht und hier ganz buchstäblich zappeln gelassen wird.
Foto: Joseph S. Martin/Artothek
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Paul Nizons luzider Goya-Essay endlich auf Deutsch
Die Damen halten eine gespannte Decke in den Händen, auf der eine ausgestopfte Puppe unfreiwillige Luftsprünge vollführt. Sie machen sich lustig über den Popanz von Kavalier, den sie nach ihrem Willen tanzen und zappeln lassen, und ergötzen sich an seinen verrenkten Gliedmaßen, die einen grausig-komischen Kontrast bilden zu den geschminkten roten Bäckchen, dem Kussmund und dem blödsinnig romantisch zum Himmel erhobenen Blick.
„Der Hampelmann“ nannte Francisco de Goya (1746-1828) sein Gemälde, das den Mann als Spielball der Frauen zeigt, als närrischen Liebhaber. Goya, der viel übrig hatte für Frauen, wusste, was er da malte, aber er wusste es eben nicht nur als Mann, sondern auch als wacher Zeitgenosse und scharfer Beobachter der Gesellschaft. Schenkt man nämlich dem höfischen Kontext, den das schlossartige Gebilde im Hintergrund andeutet, Beachtung, vor allem aber der Entstehungszeit des Gemäldes, erschließt sich eine zweite Bedeutungsebene hinter dem scheinbar so pläsierlichen Geplänkel.
In den Jahren 1791-92, als das Bild entstand, hatte Goya alles erreicht, was man als Künstler seiner Zeit erreichen konnte. Seit 1786 ist er Hofmaler, doch schon zwei Jahre später herrschen wieder die reaktionären Kräfte in Spanien und machen dem liberalen Klima ein Ende. Die aufgeklärten Geister, mit denen Goya verkehrt, werden vom Hof entfernt, verhaftet oder verbannt. Er selbst arrangiert sich mit der Macht, lernt zu lavieren und kann seine Karriere bruchlos fortsetzen, erst Jahre später wird er in Ungnade fallen. Doch seine Kunst versteht Goya fortan als „innere Biographie“, schreibt der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon in seinem glänzenden Essay „Goya“, der in französischer Sprache bereits 1991 erschienen ist und nun in einem gediegenen Bändchen der Insel-Bücherei auf Deutsch vorliegt.
Nizon, 1929 in Bern geboren, ist studierter Kunsthistoriker. Er promovierte über van Gogh und war Kunstredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, bevor er sich 1962 für die Schriftstellerei entschied. Francisco de Goya gehört zu Nizons Hausgöttern, und wenn er schreibt: „Goya ist ein allein dastehender Künstler. Er kommt aus keiner Schule und hat keine Schule gemacht“, so begrüßt er den Einzelgänger Goya als einen Geistesverwandten. Zum Pathos des Erratischen, das Nizon als Erzähler und Essayist pflegt, gehört die Unableitbarkeit des Werkes aus dem Leben, wie es bei Goya der Fall ist, der nie offen aufbegehrte und doch das Verhältnis von Sein und Schein in vielen Porträts zum eigentlichen Thema machte, bis an die Grenze zur Farce. Dieses Verhältnis ist Nizon zufolge, „eigentlich fast immer unharmonisch, in höchstem Maße gestört, denn der Putz und der Flitter überdecken dermaßen das Wenige an Antlitz und Ausdruck, an Menschlichkeit, dass der Eindruck des Monströsen oder noch etwas Grausameres entstehen kann“.
Goyas Modelle sind Schauspieler, die verkleidet auf einer Bühne stehen und eine Rolle spielen, Darsteller, die Karnevalsmasken tragen und um so puppenhafter wirken, als das Stoffliche des Kostüms ungleich lebendiger gemalt ist als das Fleisch, „man könnte sogar behaupten, der tote Stoff sei bei ihm beseelt, während der Kopf oft larvenhaft erscheint“. Sein Gruppenbild der Familie Karls IV. hält einer dem Untergang geweihten Monarchie den Zerrspiegel vor, indem Goya eine hohle Inszenierung von Herrschaftlichkeit zeigt; die Rollen sind hier bis zur Lächerlichkeit falsch gespielt und die Köpfe schweben wie eine „Kolonie von Glühwürmchen oder Lampions“ über den gestellhaften Prachtgewändern. Den jungen König Ferdinand VII. malt er gar als Usurpator, als Kretin in einer monarchischen Maskerade.
Und den kleinen Don Manuel, den jüngsten Sohn des Grafen von Altamira, porträtiert er als trauriges Zirkuskind, wobei die Katzen, die mit hypnotischen Blicken die Elster verfolgen, die der Knabe an einer Leine führt, unschwer als Inbild der intriganten Hofschranzen zu identifizieren sind, die den kleinen Mann bald ebenso verschlingen werden wie die Katzen den Vogel. In Goyas „Nackter Maja“ schließlich liegt die Provokation weniger in der Freizügigkeit der Darstellung als in dem wächsernen, in seiner Leblosigkeit pervers anmutenden Inkarnat, durch das Goya seine Antipathie gegenüber dieser Kokotte und ihrer karrieristischen Weiblichkeit bekundete.
Als Hofmaler, so Nizon, „gehörte man zum höheren Gesinde, zum Ausstattungspersonal, Abteilung Dekoration“. Das Heikle dieser Position, ihre Gefährdungen hat Goya in dem Gemälde „Der Hampelmann“ reflektiert, das sich als Kommentar auf die Rolle des Künstlers am Hofe verstehen lässt. Die Macht der Frauen hat er dort nicht nur erotisch, sondern auch politisch zu spüren bekommen. Wobei das eine vom anderen wohl nicht zu trennen war. Auch davon spricht das Bild. CHRISTOPHER SCHMIDT
PAUL NIZON: Goya. Mit zahlreichen farbigen Abbildungen. Insel-Bücherei 1340, Insel Verlag, Berlin 2011. 78 Seiten, 12,90 Euro.
„Als Hofmaler gehörte man
zum höheren Gesinde, zum
Ausstattungspersonal“
Die Picknick-Decke sieht zwar aus wie ein Sprungtuch der Feuerwehr, dient jedoch dem entgegengesetzten Zweck. Sie soll nicht denjenigen rettend auffangen, der sich aus einem brennenden Haus stürzt, sondern schleudert wie ein Trampolin einen in die Lüfte, der offenkundig bereits lichterloh in Flammen steht, in Liebe entbrannt. „Der Hampelmann“ nannte Goya sein Gemälde aus den Jahren 1791-92, das den Mann als Spielball der Frauen zeigt, als einen, der sich zum Narren macht und hier ganz buchstäblich zappeln gelassen wird.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christopher Schmidt freut es, dass der Goya-Essay, den der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon bereits 1991 auf Französisch veröffentlichte, nun in einem schönen Insel-Bändchen vorliegt. Der Rezensent sieht gar eine innere Verwandtschaft zwischen dem spanischen Hofmaler, der in seinen Texten als solitäre Erscheinung das Hofleben darstellte und zugleich karikierte, mit dem Autor, der ebenfalls ein erratisches Pathos pflegt, wie der Rezensent findet. Beide interessiert in ihrer Arbeit das "Verhältnis zwischen Sein und Schein", meint Schmidt, der Nizons Interpretation von Goyas Werk als Reflexion über die Rolle des Künstlers in einer untergehenden Monarchie sehr erhellend findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine luzide Annäherung an Goyas Künstlertum und speziell an den Porträtisten darin stellt Paul Nizons Essay dar, der ... endlich als schönes Bändchen aus der Insel-Bücherei mit zahlreichen vorzüglich reproduzierten Abbildungen auch hier zu haben ist.«