Francisco Goya (1746-1828) hat die Brüche und Abgründe der modernen Welt in geradezu prophetischer Weise in Bildern vorweggenommen. In seinen Gemälden und Graphiken leuchtet er Eros und Gewalt, Unterdrückung und Krieg, Hinterlist und Lüge so schonungslos aus wie keiner vor ihm. Werner Busch führt souverän in das Werk des Künstlers ein und erklärt dessen biographischen und politischen Kontext. Auf diese Weise macht er die Sprengkraft von Goyas Kunst, die bis heute spürbar ist, verständlich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2019Im Triebtheater des Lebens
Bilder eines Seelenforschers: Werner Busch führt auf knappem Raum durch Goyas Werk.
Die Zeit der monumentalen Künstler-Monographien scheint vorbei. Die Klassiker sind weidlich ausgeforscht. Die Ergebnisse haben sich so uferlos differenziert, dass ein zusammenfassender Blick kaum noch möglich ist. Man schaue nur in die trostlosen Fußnoten-Steppen der Fachliteratur. Willkommen sind heute Darstellungen in kleinerem Format, engagierte Analysen und inspirierte Essays, die die Klassiker dem Publikum suggestiv vergegenwärtigen. Werner Busch, Berliner Emeritus der Kunstgeschichte, hatte zuletzt vor drei Jahren ein durchaus noch schwergewichtiges, aber schon essayistisch geprägtes Menzel-Buch vorgelegt und statt eines nicht mehr fassbaren "Ganzen" Akzente gesetzt, pointiert Werkbeispiele gewählt und eigenwillige Durchblicke eröffnet.
Jetzt folgt eine schlanke und gut lesbare Studie zu Goya (1746 bis 1828), dessen Werk zu den bestbeackerten Terrains der Kunstgeschichte gehört. Wieder bewährt sich Buschs lockere und elegante Darstellungsgabe, die ohne Systematik, aber mit analytischer Präzision Sichtschneisen durch das malerische und graphische Werk eröffnet, Einzelwerke herausgreift oder anhand von Leitmotiven die dramatischen Kontroversen, die extremen Umschläge und Zuspitzungen dieses Werks verfolgt.
Gleich eingangs spürt Busch in Goyas höfischen Gruppenporträts Blickkontakten nach, um versteckte menschliche Beziehungen zu ergründen. Er erschließt aus Metaphern und Allegorien abgründige Triebstrukturen und ist der Dialektik und dem Überbietungswettbewerb zwischen Phantasie und Wirklichkeit auf der Spur. Goya wird früh affiziert, zugleich abgestoßen und aufgewühlt, von gesellschaftlichen Randgebieten, von den Greueln der spanischen Inquisition, von Folterkammern, Gefängnissen und Irrenhäusern. In diesen grausamen, genrehaft behandelten Szenenbildern antizipiert seine zweifellos gewaltaffine, womöglich sadistisch disponierte Phantasie - Busch erinnert dezent daran, dass Goya Zeitgenosse von de Sade und Füssli war - die Orgien des Bürgerkriegs im Zuge der napoleonischen Besetzung Spaniens. Die realen Erfahrungen enthemmen dann die Phantasie vollends. Sie geben im Spätwerk den Anstoß und die Lizenz für die allerschwärzesten Visionen einer entfesselten, vertierten, kannibalischen Menschheit, die aus allen Halterungen rutscht.
Kein zweites Werk zeigt solche gnadenlosen Abstürze von der höfisch ritualisierten Sonntagswelt des Rokoko, in der die Triebstrukturen noch gebändigt, verstellt und maskiert sind, zu solch finsteren Höllenwelten. Goya ist ein Verhaltens- und Seelenforscher, der mit Menschen experimentiert, wenn er Figuren gegeneinander ausspielt, sie sich quälen und bekämpfen lässt. Dabei agiert er in den vielfach mehrdeutigen Bildkommentaren seiner graphischen Zyklen als Vermittler, der sein Publikum zu einer zwiespältigen Teilnahme aufstachelt.
Goya ist kein distanzierter Moralist. Er mischt sich ausdrücklich in seine Gruppenbilder und ins Triebtheater des Lebens ein. Seine schwarze Phantasie macht ihn zum Mitwisser, vielleicht sogar zum potentiellen Anstifter. So drang er, erschrocken und zugleich fasziniert, immer tiefer ein ins grausig-fesselnde Schauspiel des Zeitgeschehens, in seelische Komplikationen und immer wüstere Abenteuer. Die späten Wandbilder der "Quinta del Sordo" sind sein finsteres Vermächtnis. Die Triebnatur, so Goyas Erfahrung, macht alle Menschen gleich. Der Maler erkannte im König den Krüppel und Gewaltmenschen und entdeckte im elenden Außenseiter die Seele. Die Menschennatur verkoppelt Opfer und Täter, sie ebnet ein und verwandelt die Gesellschaft in eine Wüste und Wildnis. Das ist Goyas Interpretation moderner Gleichheit und Brüderlichkeit.
Mit alledem wird Goya gerne als Prophet des Jahrhunderts der Moderne aufgerufen. Doch der Spanier war weit mehr als ein Vorläufer und Wegbereiter. Er ist der umfassende Repräsentant und Schöpfer einer zerrissenen, zwischen Aufklärung und Bestialität taumelnden Epoche im Augenblick ihres Anbruchs. Alle, die nach ihm kamen, von Géricault und Delacroix bis Manet und zwischen Dix und Dali, erscheinen als Spezialisten von Teilwirklichkeiten seines Werks. Picasso, der große Egozentriker, zeugt trotz "Guernica" immer zuallererst von sich selbst. Goya wühlt drastischer, verzweifelter und umfassender auf, was uns gerade heute wieder moralisch, gesellschaftlich und psychisch belastet und umtreibt. Werner Busch erkundet behutsam die Haupt- und Nebenwege dieses Seelendschungels. Der Kunsthistoriker richtet dabei sein besonderes Augenmerk auch auf Goyas künstlerische Rückversicherung, die Verarbeitung und Umformung von Bildtraditionen bei der Formulierung des Ungeheuerlichen.
EDUARD BEAUCAMP
Werner Busch: "Goya".
Verlag C. H. Beck, München. 2018. 128 S., Abb., br., 9,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bilder eines Seelenforschers: Werner Busch führt auf knappem Raum durch Goyas Werk.
Die Zeit der monumentalen Künstler-Monographien scheint vorbei. Die Klassiker sind weidlich ausgeforscht. Die Ergebnisse haben sich so uferlos differenziert, dass ein zusammenfassender Blick kaum noch möglich ist. Man schaue nur in die trostlosen Fußnoten-Steppen der Fachliteratur. Willkommen sind heute Darstellungen in kleinerem Format, engagierte Analysen und inspirierte Essays, die die Klassiker dem Publikum suggestiv vergegenwärtigen. Werner Busch, Berliner Emeritus der Kunstgeschichte, hatte zuletzt vor drei Jahren ein durchaus noch schwergewichtiges, aber schon essayistisch geprägtes Menzel-Buch vorgelegt und statt eines nicht mehr fassbaren "Ganzen" Akzente gesetzt, pointiert Werkbeispiele gewählt und eigenwillige Durchblicke eröffnet.
Jetzt folgt eine schlanke und gut lesbare Studie zu Goya (1746 bis 1828), dessen Werk zu den bestbeackerten Terrains der Kunstgeschichte gehört. Wieder bewährt sich Buschs lockere und elegante Darstellungsgabe, die ohne Systematik, aber mit analytischer Präzision Sichtschneisen durch das malerische und graphische Werk eröffnet, Einzelwerke herausgreift oder anhand von Leitmotiven die dramatischen Kontroversen, die extremen Umschläge und Zuspitzungen dieses Werks verfolgt.
Gleich eingangs spürt Busch in Goyas höfischen Gruppenporträts Blickkontakten nach, um versteckte menschliche Beziehungen zu ergründen. Er erschließt aus Metaphern und Allegorien abgründige Triebstrukturen und ist der Dialektik und dem Überbietungswettbewerb zwischen Phantasie und Wirklichkeit auf der Spur. Goya wird früh affiziert, zugleich abgestoßen und aufgewühlt, von gesellschaftlichen Randgebieten, von den Greueln der spanischen Inquisition, von Folterkammern, Gefängnissen und Irrenhäusern. In diesen grausamen, genrehaft behandelten Szenenbildern antizipiert seine zweifellos gewaltaffine, womöglich sadistisch disponierte Phantasie - Busch erinnert dezent daran, dass Goya Zeitgenosse von de Sade und Füssli war - die Orgien des Bürgerkriegs im Zuge der napoleonischen Besetzung Spaniens. Die realen Erfahrungen enthemmen dann die Phantasie vollends. Sie geben im Spätwerk den Anstoß und die Lizenz für die allerschwärzesten Visionen einer entfesselten, vertierten, kannibalischen Menschheit, die aus allen Halterungen rutscht.
Kein zweites Werk zeigt solche gnadenlosen Abstürze von der höfisch ritualisierten Sonntagswelt des Rokoko, in der die Triebstrukturen noch gebändigt, verstellt und maskiert sind, zu solch finsteren Höllenwelten. Goya ist ein Verhaltens- und Seelenforscher, der mit Menschen experimentiert, wenn er Figuren gegeneinander ausspielt, sie sich quälen und bekämpfen lässt. Dabei agiert er in den vielfach mehrdeutigen Bildkommentaren seiner graphischen Zyklen als Vermittler, der sein Publikum zu einer zwiespältigen Teilnahme aufstachelt.
Goya ist kein distanzierter Moralist. Er mischt sich ausdrücklich in seine Gruppenbilder und ins Triebtheater des Lebens ein. Seine schwarze Phantasie macht ihn zum Mitwisser, vielleicht sogar zum potentiellen Anstifter. So drang er, erschrocken und zugleich fasziniert, immer tiefer ein ins grausig-fesselnde Schauspiel des Zeitgeschehens, in seelische Komplikationen und immer wüstere Abenteuer. Die späten Wandbilder der "Quinta del Sordo" sind sein finsteres Vermächtnis. Die Triebnatur, so Goyas Erfahrung, macht alle Menschen gleich. Der Maler erkannte im König den Krüppel und Gewaltmenschen und entdeckte im elenden Außenseiter die Seele. Die Menschennatur verkoppelt Opfer und Täter, sie ebnet ein und verwandelt die Gesellschaft in eine Wüste und Wildnis. Das ist Goyas Interpretation moderner Gleichheit und Brüderlichkeit.
Mit alledem wird Goya gerne als Prophet des Jahrhunderts der Moderne aufgerufen. Doch der Spanier war weit mehr als ein Vorläufer und Wegbereiter. Er ist der umfassende Repräsentant und Schöpfer einer zerrissenen, zwischen Aufklärung und Bestialität taumelnden Epoche im Augenblick ihres Anbruchs. Alle, die nach ihm kamen, von Géricault und Delacroix bis Manet und zwischen Dix und Dali, erscheinen als Spezialisten von Teilwirklichkeiten seines Werks. Picasso, der große Egozentriker, zeugt trotz "Guernica" immer zuallererst von sich selbst. Goya wühlt drastischer, verzweifelter und umfassender auf, was uns gerade heute wieder moralisch, gesellschaftlich und psychisch belastet und umtreibt. Werner Busch erkundet behutsam die Haupt- und Nebenwege dieses Seelendschungels. Der Kunsthistoriker richtet dabei sein besonderes Augenmerk auch auf Goyas künstlerische Rückversicherung, die Verarbeitung und Umformung von Bildtraditionen bei der Formulierung des Ungeheuerlichen.
EDUARD BEAUCAMP
Werner Busch: "Goya".
Verlag C. H. Beck, München. 2018. 128 S., Abb., br., 9,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wieder bewährt sich Buschs lockere und elegante Darstellungsgabe, die ohne Systematik, aber mit analytischer Präzision Sichtschneisen durch das malerische und graphische Werk eröffnet."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Eduard Beaucamp
"Ein gedankenreicher und anregender Essay (...) man kann dieses kluge Buch über einen der bedeutendsten Künstler der frühen Moderne gar nicht warm genug empfehlen."
Portal Kunstgeschichte, Stefan Diebitz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Eduard Beaucamp
"Ein gedankenreicher und anregender Essay (...) man kann dieses kluge Buch über einen der bedeutendsten Künstler der frühen Moderne gar nicht warm genug empfehlen."
Portal Kunstgeschichte, Stefan Diebitz