Ein Amerikaner auf der Suche nach seinem verschollenen Freund. Wer in Amerika ein mächtiger Mann ist, kann sich oft gar nicht vorstellen, dass es Gegenden in der Welt gibt, wo eine Handvoll Dollar und ein bisschen politischer Druck nicht augenblicklich die gewünschten Ergebnisse bringen. Aber Westafrika ist nun mal anders als der Mittlere Westen. Das jedenfalls muss Randall Killigan feststellen, als sein idealistischer Sohn Michael spurlos in Sierra Leone verschwindet. Da er selbst viel zu sehr damit beschäftigt ist, Geld zu verdienen, schickt er Michaels Freund Boone hinter dem jungen Mann her. Dieser ziemlich naive Glücksritter stolpert in einen wahren Dschungel von schwarzer Magie und politischer Korruption. Ein spannender Roman und eine herrliche Satire.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1996Dämonen im Busch
Richard Dooling schwinden die Sinne · Von Harald Jähner
Eine Urszene der Reiseliteratur besagt, eine wirklich weite Reise sei stets auch eine Fahrt zu sich selbst. Einen Weg durch die Wildnis gebahnt zu haben, immer tiefer hinein oder immer höher hinauf gekommen zu sein endet im idealtypischen Fall bei sich selbst.
Die selbstbezogene Dynamik auch der allerschönsten road movies findet dort jedoch ihre Grenze, wo die Fremde sich nicht mehr bewältigen läßt wie ein endloses Band von weißen Mittelstreifen, sondern dem Reisenden ihre eigene Dynamik entgegensetzt. Für den Reiseroman war dieser Punkt spätestens erreicht, als Joseph Conrad im Dschungel das Aushaken seiner Wahrnehmungskategorien erlebte und seine Leser ins "Herz der Finsternis" blicken ließ. Erst recht für das aktuelle Verständnis der Differenz zwischen den Kulturen ist die Fremde keine terra incognita mehr, die sich unseren Entdeckungslüsten zur Unterwerfung anbietet.
Der Reisende des sogenannten postkolonialen Romans begibt sich in Abhängigkeit von fremden Vorstellungswelten. Im "Grab des weißen Mannes" von Richard Dooling hat es einen jungen Amerikaner nach Sierra Leone in Westafrika verschlagen. Auch dieser Held, durch Roman und Afrika eher hindurchtölpend als zielstrebig reisend, schaut am Ende der Irrfahrt nicht sich selbst in die schöne Seele, sondern einem Huhn ins rote Auge. Eine ganze Runde sierraleonischer Dorfbewohner schaut zu, wie Huhn und Amerikaner sich gegenübersitzen. Boone Westfall muß die Zunge herausstrecken und einige Getreidekörner darauf legen. Mit offenem Mund wartet er darauf, wie das Geflügel reagiert. Pickt es die Körner aus seinem Rachen, haben die Ahnen ihm verziehen, bleibt eins übrig, muß sein afrikanischer Gastgeber noch mehr Opfer für ihn bringen. Der Amerikaner glaubt zwar an keines dieser Voodoo-Rituale, hat jedoch mit wachsendem Entsetzen feststellen müssen, daß sie hier in Sierra Leone besser funktionieren als seine eigenen Sinne.
Funktionieren aber muß dringend etwas, denn Boone Westfall ist nicht zum Spaß nach Afrika gekommen. Er sucht seinen Freund Michael Killigan, der in Sierra Leone spurlos verschwunden ist. Bevor er ihn am Ende in den Händen marodierender Kindersoldaten aufspürt, muß Boone Westfall tief hinein in das, was man summarisch "Busch" zu nennen pflegt. Aufklärung, angesichts des mythengesättigten Afrika noch von ideengeschichtlich emphatischer Bedeutung, hat auch einen ganz handfesten, detektivischen Kern. Denn in einer Region, in dem "jedes Gespräch einem Spaziergang durch den Urwald gleicht", ist keine Distanz linear zu verstehen, keine Aussage als einfacher Hinweis. Boone muß lernen, daß "Information" ein Begriff aus der "pu-mui-Welt" ist, eine Kategorie der weißen "Habmänner", die nur dort funktioniert, wo man Beziehungen "hat", statt in Beziehungen zu "sein". Die Frage "Wo ist mein Freund Killigan?" wird ihm stets in einer ganzen Fülle von Andeutungen, Gleichungen, Nebengeschichten und Fabeln beantwortet.
Dooling, der sieben Monate in Sierra Leone lebte, schildert mit komödiantischem Witz, wie in einer echten Fremde Ankommen zum schier unabschließbaren Vorgang wird. Es ist ein Weg in ein anderes Denken. Räumliche Endstation ist vorerst Ndevehun, ein Dorf nahe der Provinzstadt Bo, wo hauptsächlich Angehörige der westafrikanischen Mende in traditioneller Weise leben. Hier, wo Michael Killigan zuletzt gelebt hat, integriert in ein Geflecht angenommener, teils leibhaftiger, teils transzendenter afrikanischer Ahnen, darf auch Boone sich der Fürsorge der Dorfgemeinde nicht erwehren. Wohl bei weitem nicht so einsichtig wie sein "zum Afrikaner konvertierter" Freund, durchsteht Westfall Lektion für Lektion, am Ende aus purem Überlebenswillen. Er muß lernen, sich nicht einzumischen, wenn längst gesättigte Säuglinge bis zur drohenden Erstickung gestopft werden. Er muß darauf verzichten, sich als Gutmensch aufzuführen, der seine Taschen selber trägt, will er nicht als Geizhals dastehen. Am schwersten fällt der Verzicht auf jegliche Intimsphäre. In einem Land, das wohl mehr Tabus als Verkehrsschilder kennt, bleibt weder der Durchfall noch der Beischlaf verschont, Gegenstand von Dorfwitzen und öffentlichen Neckereien zu werden.
Nur die Latrine, auf der er Tage und Nächte verweilt, garantiert ihm Abgeschiedenheit und wird, trotz Krämpfen und Fieberwahn, trotz Spinnen, Kakerlaken und Gestank, traulichster Ort in ganz Sierra Leone. Hier gibt er sich im Dämmerzustand hingebungsvoll der "Erforschung der dunklen Inkontinenz hin", entdeckt gar jenes fast unhörbare Vibrieren, das vom unablässigen Verwesen und Verfaulen stammt. Während Würmer und Viren in und unter ihm ihre Claims abstecken, greift er zu der umfangreichen Bibliothek eines zivilisationsflüchtigen Weißen, der sie in der Latrine aufgestapelt und einem letzten elementaren Zweck gespendet hat. Seite für Seite werden sie nun als Klosettpapier in den gärenden Bottich gegeben. Ob Rilke, Kierkegaard oder Pynchon - hier unterscheiden sie sich durch ihre elementaren Qualitäten Glätte, Härte und Saugfähigkeit. Dieser Einfall bietet Dooling willkommene Gelegenheit, nicht nur Lévi-Strauss' "Traurige Tropen" zu zitieren, sondern auch fundamentale ethnologische Erkenntnisse über das gastgebende Volk der Mende im platzsparenden O-Ton einzufügen.
Die auf dem Klo empfangenen Einsichten in den Voodoo-Kult geben dem Leser wissenschaftliches Zeugnis genug, um den haarsträubenden Vorgängen zu folgen, mit denen ein sogenannter Hexenfinder im Gegensatz zu Boones Methoden Erkenntnis gewinnen und Licht ins Dunkel bringen will. Die Aufklärung auf afrikanisch beginnt.
Mit Hilfe psychokinetischer Wundergaben zaubert der Heiler einen leibhaftigen Gecko aus Boones Kehle oder schneidet sich selbst, zum Entsetzen der Zuschauer, die Gedärme aus dem Bauch, um sie anschließend wieder unversehrt hineinzustopfen. In einer dreitägigen Prozedur, in der Hunderte von "verbotenen Medizinen", Fetischen, "Hexengewehren" und Verwünschungsapparaturen aufgespürt und in einem brodelnden Bottich auf dem Dorfplatz verkocht werden, gelingt es ihm, das durch Intrigen und Verleumdungen in Panik versetzte Dorf psychohygienisch zu befrieden - ein Supervisor westlicher Prägung könnte nur den Hut ziehen. Es ist zwar nicht nachzuvollziehen, funktioniert aber trotzdem - schlimmer als von allen Darmparasiten wird Boone vom Versagen seiner Erklärungsmuster geschüttelt.
Vermutlich auch, um nicht als Ethnofreak zu erscheinen, hat der Jurist und Mediziner Dooling mit einem aufwendigen Kunstgriff die Hälfte seines Romans nicht der Gegend um Ndevehun gewidmet, sondern dem Bundesstaat Illinois. Reißverschlußartig montiert, wechselt der Fokus vom jungen Westfall im afrikanischen Busch zu einem wirklich mächtigen Vertreter der westlichen Welt, Michaels Vater Randall Killigan, der von zu Hause aus seine Art der Suche organisiert. Killigan ist der beste Konkursanwalt in ganz Indianapolis, ein wahrer troubleshooter und damit dramaturgisch die schlüssige Kontrastfigur zum Hexenfinder. Er ist ein Abziehbild des Amerikanischen, rabaukischer Workaholic mit nur einer Schwäche: einer hypochondrischen Angst vor Krebs. Wie andere Kollegen Geliebte, verbraucht Killigan Radiologen. Sein Medizinerkonsum gibt Dooling die Chance, die grotesken Seiten der afrikanischen Problemlösungen mit den Grotesken Amerikas zu konterkarieren. Satirisch überspitzt kontrastiert er die ganz auf die Beeinflussung der Außenwelt gerichtete afrikanische Medizin und unsere "westliche" Diagnostik, welche die bösen Geister ausschließlich im Inneren zu verorten pflegt. Gemeinsam ist beiden die Rätselhaftigkeit ihrer Terminologie. Besagen Befunde wie Enzephalitis, Läsionen oder Kraniopharyngeome wirklich mehr als die bofimas, honeis und ndiles der sierraleonischen hale-Medizin? Der Positronemissionstomograph unter Killigans Hirnschale entdeckt ohnehin nichts anderes als ein UHO, ein unidentifiziertes helles Objekt, das willkommenen Anlaß für weitere diagnostische Spekulationen bietet.
Weil es in den modernen Industriestaaten mehr Apotheken als Bäckereien gebe, sehen viele Vertreter der Dritten Welt im Westen das größere Unglück angesiedelt. Das ist ein bedenkenswertes, aber auch bedenklich leichtfertiges Argument. Sicher hat Dooling recht mit dem Verweis auf den qualitativen Sprung in neues Leid, der getan war, als die Aufklärung rigoros die Teufel aus der Realität vertrieb und zu einer bloß seelischen Dimension machte. "In Afrika wohnen die Dämonen im Busch", heißt es dort, vereinfachend den ganzen Kontinent mit seinen traditionellen Gesellschaften gleichsetzend, "in Amerika wohnen sie im Kopf." Wo sie schlimmer wüten, drinnen oder draußen, ist eine angesichts des übermächtigen Geschichtsprozesses müßige Fragestellung - Richard Dooling gestaltet sie deshalb als interkulturelle Comédie humaine.
Richard Dooling: "Das Grab des weißen Mannes". Roman. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1996. 480 S., geb., 45,- DM.
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Richard Dooling schwinden die Sinne · Von Harald Jähner
Eine Urszene der Reiseliteratur besagt, eine wirklich weite Reise sei stets auch eine Fahrt zu sich selbst. Einen Weg durch die Wildnis gebahnt zu haben, immer tiefer hinein oder immer höher hinauf gekommen zu sein endet im idealtypischen Fall bei sich selbst.
Die selbstbezogene Dynamik auch der allerschönsten road movies findet dort jedoch ihre Grenze, wo die Fremde sich nicht mehr bewältigen läßt wie ein endloses Band von weißen Mittelstreifen, sondern dem Reisenden ihre eigene Dynamik entgegensetzt. Für den Reiseroman war dieser Punkt spätestens erreicht, als Joseph Conrad im Dschungel das Aushaken seiner Wahrnehmungskategorien erlebte und seine Leser ins "Herz der Finsternis" blicken ließ. Erst recht für das aktuelle Verständnis der Differenz zwischen den Kulturen ist die Fremde keine terra incognita mehr, die sich unseren Entdeckungslüsten zur Unterwerfung anbietet.
Der Reisende des sogenannten postkolonialen Romans begibt sich in Abhängigkeit von fremden Vorstellungswelten. Im "Grab des weißen Mannes" von Richard Dooling hat es einen jungen Amerikaner nach Sierra Leone in Westafrika verschlagen. Auch dieser Held, durch Roman und Afrika eher hindurchtölpend als zielstrebig reisend, schaut am Ende der Irrfahrt nicht sich selbst in die schöne Seele, sondern einem Huhn ins rote Auge. Eine ganze Runde sierraleonischer Dorfbewohner schaut zu, wie Huhn und Amerikaner sich gegenübersitzen. Boone Westfall muß die Zunge herausstrecken und einige Getreidekörner darauf legen. Mit offenem Mund wartet er darauf, wie das Geflügel reagiert. Pickt es die Körner aus seinem Rachen, haben die Ahnen ihm verziehen, bleibt eins übrig, muß sein afrikanischer Gastgeber noch mehr Opfer für ihn bringen. Der Amerikaner glaubt zwar an keines dieser Voodoo-Rituale, hat jedoch mit wachsendem Entsetzen feststellen müssen, daß sie hier in Sierra Leone besser funktionieren als seine eigenen Sinne.
Funktionieren aber muß dringend etwas, denn Boone Westfall ist nicht zum Spaß nach Afrika gekommen. Er sucht seinen Freund Michael Killigan, der in Sierra Leone spurlos verschwunden ist. Bevor er ihn am Ende in den Händen marodierender Kindersoldaten aufspürt, muß Boone Westfall tief hinein in das, was man summarisch "Busch" zu nennen pflegt. Aufklärung, angesichts des mythengesättigten Afrika noch von ideengeschichtlich emphatischer Bedeutung, hat auch einen ganz handfesten, detektivischen Kern. Denn in einer Region, in dem "jedes Gespräch einem Spaziergang durch den Urwald gleicht", ist keine Distanz linear zu verstehen, keine Aussage als einfacher Hinweis. Boone muß lernen, daß "Information" ein Begriff aus der "pu-mui-Welt" ist, eine Kategorie der weißen "Habmänner", die nur dort funktioniert, wo man Beziehungen "hat", statt in Beziehungen zu "sein". Die Frage "Wo ist mein Freund Killigan?" wird ihm stets in einer ganzen Fülle von Andeutungen, Gleichungen, Nebengeschichten und Fabeln beantwortet.
Dooling, der sieben Monate in Sierra Leone lebte, schildert mit komödiantischem Witz, wie in einer echten Fremde Ankommen zum schier unabschließbaren Vorgang wird. Es ist ein Weg in ein anderes Denken. Räumliche Endstation ist vorerst Ndevehun, ein Dorf nahe der Provinzstadt Bo, wo hauptsächlich Angehörige der westafrikanischen Mende in traditioneller Weise leben. Hier, wo Michael Killigan zuletzt gelebt hat, integriert in ein Geflecht angenommener, teils leibhaftiger, teils transzendenter afrikanischer Ahnen, darf auch Boone sich der Fürsorge der Dorfgemeinde nicht erwehren. Wohl bei weitem nicht so einsichtig wie sein "zum Afrikaner konvertierter" Freund, durchsteht Westfall Lektion für Lektion, am Ende aus purem Überlebenswillen. Er muß lernen, sich nicht einzumischen, wenn längst gesättigte Säuglinge bis zur drohenden Erstickung gestopft werden. Er muß darauf verzichten, sich als Gutmensch aufzuführen, der seine Taschen selber trägt, will er nicht als Geizhals dastehen. Am schwersten fällt der Verzicht auf jegliche Intimsphäre. In einem Land, das wohl mehr Tabus als Verkehrsschilder kennt, bleibt weder der Durchfall noch der Beischlaf verschont, Gegenstand von Dorfwitzen und öffentlichen Neckereien zu werden.
Nur die Latrine, auf der er Tage und Nächte verweilt, garantiert ihm Abgeschiedenheit und wird, trotz Krämpfen und Fieberwahn, trotz Spinnen, Kakerlaken und Gestank, traulichster Ort in ganz Sierra Leone. Hier gibt er sich im Dämmerzustand hingebungsvoll der "Erforschung der dunklen Inkontinenz hin", entdeckt gar jenes fast unhörbare Vibrieren, das vom unablässigen Verwesen und Verfaulen stammt. Während Würmer und Viren in und unter ihm ihre Claims abstecken, greift er zu der umfangreichen Bibliothek eines zivilisationsflüchtigen Weißen, der sie in der Latrine aufgestapelt und einem letzten elementaren Zweck gespendet hat. Seite für Seite werden sie nun als Klosettpapier in den gärenden Bottich gegeben. Ob Rilke, Kierkegaard oder Pynchon - hier unterscheiden sie sich durch ihre elementaren Qualitäten Glätte, Härte und Saugfähigkeit. Dieser Einfall bietet Dooling willkommene Gelegenheit, nicht nur Lévi-Strauss' "Traurige Tropen" zu zitieren, sondern auch fundamentale ethnologische Erkenntnisse über das gastgebende Volk der Mende im platzsparenden O-Ton einzufügen.
Die auf dem Klo empfangenen Einsichten in den Voodoo-Kult geben dem Leser wissenschaftliches Zeugnis genug, um den haarsträubenden Vorgängen zu folgen, mit denen ein sogenannter Hexenfinder im Gegensatz zu Boones Methoden Erkenntnis gewinnen und Licht ins Dunkel bringen will. Die Aufklärung auf afrikanisch beginnt.
Mit Hilfe psychokinetischer Wundergaben zaubert der Heiler einen leibhaftigen Gecko aus Boones Kehle oder schneidet sich selbst, zum Entsetzen der Zuschauer, die Gedärme aus dem Bauch, um sie anschließend wieder unversehrt hineinzustopfen. In einer dreitägigen Prozedur, in der Hunderte von "verbotenen Medizinen", Fetischen, "Hexengewehren" und Verwünschungsapparaturen aufgespürt und in einem brodelnden Bottich auf dem Dorfplatz verkocht werden, gelingt es ihm, das durch Intrigen und Verleumdungen in Panik versetzte Dorf psychohygienisch zu befrieden - ein Supervisor westlicher Prägung könnte nur den Hut ziehen. Es ist zwar nicht nachzuvollziehen, funktioniert aber trotzdem - schlimmer als von allen Darmparasiten wird Boone vom Versagen seiner Erklärungsmuster geschüttelt.
Vermutlich auch, um nicht als Ethnofreak zu erscheinen, hat der Jurist und Mediziner Dooling mit einem aufwendigen Kunstgriff die Hälfte seines Romans nicht der Gegend um Ndevehun gewidmet, sondern dem Bundesstaat Illinois. Reißverschlußartig montiert, wechselt der Fokus vom jungen Westfall im afrikanischen Busch zu einem wirklich mächtigen Vertreter der westlichen Welt, Michaels Vater Randall Killigan, der von zu Hause aus seine Art der Suche organisiert. Killigan ist der beste Konkursanwalt in ganz Indianapolis, ein wahrer troubleshooter und damit dramaturgisch die schlüssige Kontrastfigur zum Hexenfinder. Er ist ein Abziehbild des Amerikanischen, rabaukischer Workaholic mit nur einer Schwäche: einer hypochondrischen Angst vor Krebs. Wie andere Kollegen Geliebte, verbraucht Killigan Radiologen. Sein Medizinerkonsum gibt Dooling die Chance, die grotesken Seiten der afrikanischen Problemlösungen mit den Grotesken Amerikas zu konterkarieren. Satirisch überspitzt kontrastiert er die ganz auf die Beeinflussung der Außenwelt gerichtete afrikanische Medizin und unsere "westliche" Diagnostik, welche die bösen Geister ausschließlich im Inneren zu verorten pflegt. Gemeinsam ist beiden die Rätselhaftigkeit ihrer Terminologie. Besagen Befunde wie Enzephalitis, Läsionen oder Kraniopharyngeome wirklich mehr als die bofimas, honeis und ndiles der sierraleonischen hale-Medizin? Der Positronemissionstomograph unter Killigans Hirnschale entdeckt ohnehin nichts anderes als ein UHO, ein unidentifiziertes helles Objekt, das willkommenen Anlaß für weitere diagnostische Spekulationen bietet.
Weil es in den modernen Industriestaaten mehr Apotheken als Bäckereien gebe, sehen viele Vertreter der Dritten Welt im Westen das größere Unglück angesiedelt. Das ist ein bedenkenswertes, aber auch bedenklich leichtfertiges Argument. Sicher hat Dooling recht mit dem Verweis auf den qualitativen Sprung in neues Leid, der getan war, als die Aufklärung rigoros die Teufel aus der Realität vertrieb und zu einer bloß seelischen Dimension machte. "In Afrika wohnen die Dämonen im Busch", heißt es dort, vereinfachend den ganzen Kontinent mit seinen traditionellen Gesellschaften gleichsetzend, "in Amerika wohnen sie im Kopf." Wo sie schlimmer wüten, drinnen oder draußen, ist eine angesichts des übermächtigen Geschichtsprozesses müßige Fragestellung - Richard Dooling gestaltet sie deshalb als interkulturelle Comédie humaine.
Richard Dooling: "Das Grab des weißen Mannes". Roman. Carl Hanser Verlag, München und Wien 1996. 480 S., geb., 45,- DM.
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