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Es ist ein Coup: Die erste Biografie über den Geheimdiplomaten Graf Goertz, die auf bisher unbekannten Dokumenten basiert, ist eine historische Sensation.
Er saß mit Goethe am Frühstückstisch und erklärte Prinz Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach die Welt: Graf Johann Eustach von Goertz (1737-1821) war ein bedeutender Staatsmann am Weimarer Künstlerhof und in Potsdam. Der Historiker Norbert Leithold stößt 2003 in einem Antiquariat auf eine mysteriöse Fußnote, die ihn zu einem Schatz von historischer Bedeutung führt: Briefe, die der Globetrotter Goertz seiner Frau schrieb. Wie konnte ein…mehr

Produktbeschreibung
Es ist ein Coup: Die erste Biografie über den Geheimdiplomaten Graf Goertz, die auf bisher unbekannten Dokumenten basiert, ist eine historische Sensation.

Er saß mit Goethe am Frühstückstisch und erklärte Prinz Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach die Welt: Graf Johann Eustach von Goertz (1737-1821) war ein bedeutender Staatsmann am Weimarer Künstlerhof und in Potsdam. Der Historiker Norbert Leithold stößt 2003 in einem Antiquariat auf eine mysteriöse Fußnote, die ihn zu einem Schatz von historischer Bedeutung führt: Briefe, die der Globetrotter Goertz seiner Frau schrieb. Wie konnte ein Prinzenerzieher aus der Provinz zum wichtigsten Botschafter Friedrichs des Großen aufsteigen? Und wie muss man sich das Leben am Weimarer Hof vorstellen? Erlebte dieser nicht nur die geheime Liebesbeziehung zwischen Goethe und Charlotte von Stein, sondern sogar eine ménage à trois mit Anna Amalia?

Leithold ist ein grandioses kulturgeschichtliches Panorama gelungen. Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine unterhaltsame Entdeckungsreise in die Goethezeit.

Widerruf
In unserer Ankündigung des Buches von Norbert Leithold, „Graf Goertz. Der große Unbekannte. Eine Entdeckungsreise in die Goethezeit“, haben wir behauptet: „Die einzigartige Arbeit des Historikers Norbert Leithold überzeugte auch Jan Philipp Reemtsmas (…) ,Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur’. Der Grund: Leithold ist ein grandioses kulturgeschichtliches Panorama gelungen.“ Diese Behauptung ist falsch. Wir widerrufen sie hiermit.

Berlin, den 17. Februar 2010
Dr. Wolf-Rüdiger Osburg
Osburg Verlag GmbH
Autorenporträt
Norbert Leithold, geboren 1957, Schriftsteller und Historiker. Leithold forschte zu den Lebensborn-Heimen in der NS-Zeit und ist Kenner der politischen Verhältnisse am Weimarer Hof der frühen Goethezeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2010

Die Kunst, immer dabei zu sein
Lückenhaft: Norbert Leitholds Biographie über den Grafen von Goertz, den Erzieher des Weimarer Herzogs Carl August
Wer war Graf Goertz, den uns eine Biographie von Norbert Leithold als den „großen Unbekannten” der Goethe-Zeit ankündigt? Er war kein ganz Großer und ist auch nicht völlig unbekannt. Er gehört zu den Heerscharen von Mithandelnden in der zweiten Reihe, denen die Geschichte das Gedächtnis zwar nicht entzieht, die aber in der Masse des Überlieferten zu Schatten verblassen. Biographien von solchen Gestalten stellen reizvolle Aufgaben dar, weil sie uns näher ans menschliche Normalmaß heranrücken als die Taten und Leiden der Genies und weil ihre Lebensbahn etwas Allgemeineres, Kultur und Gesellschaft vergangener Epochen, anschaulich machen kann. Man muss es beklagen, dass die Fachwissenschaft, endlos spezialisiert und verzettelt, ihren Adepten solche gut lösbaren Aufgaben so selten stellt. Daher werden sie oft von versierten Sachbuchautoren mit darstellerischem Ehrgeiz übernommen.
Das ist hier der Fall, und bereits die ersten Seiten nehmen für den Autor Leithold ein, der bisher mit zwei witzigen kleinen Bänden zu den Irrtümern über Friedrich den Großen hervorgetreten ist: Er kann schreiben, er versteht es, Neugier für seinen Stoff zu wecken. Bei Recherchen zu dem Preußenkönig stieß er auf einen antiquarischen Fund, nämlich Teile der Bibliothek von Johann Eustach Graf von Goertz, vor allem Bände mit Literatur des späten 18. Jahrhunderts, die ihr Besitzer reich mit Notizen versehen hatte. Handelt es sich dabei um „geheime” Memoiren zu den Arkana der spätabsolutistischen Kabinettspolitik? Wer war dieser Goertz überhaupt?
Nun, der 1737 im hessischen Schlitz geborene Graf war, und das wussten die Interessierten schon immer, seit 1762 Prinzenerzieher am herzoglich-weimarischen Hof, also bei dem kleinen, 1757 geborenen Carl August und dessen Bruder Constantin. In dieser Funktion war er 1772 an der Berufung Christoph Martin Wielands als weiteren Erziehers beteiligt, also hat er mitgewirkt an der Grundlegung der Weimarer Kulturblüte. Solche Erzieher unmündiger Herrscher – Carl Augusts Vater war bereits 1759 verstorben – konnten in der absolutistischen Zeit zu großer Macht aufsteigen, wenn ihre Zöglinge volljährig wurden und zur Regierung gelangten. Also weiß die Geschichte auch von Spannungen zwischen dem Grafen Goertz und der Herzoginmutter Anna Amalia kurz vor dem Thronwechsel 1774. Unmittelbar vor dem Regierungsantritt von Carl August wurde Goertz 1774 halbwegs ehrenvoll, aber abrupt entlassen und trat bald in preußische Dienste.
Zuvor hatte er freilich mit den Weimarer Prinzen eine große Kavalierstour nach Paris und an den Versailler Königshof unternommen. Diese Reise ist in vielerlei Hinsicht wichtig, nicht nur weil sie die jungen deutschen Fürsten ans Zentrum der damaligen Kultur führte – Audienzen beim König, bei den Prinzen von Geblüt, aber auch bei den Pariser Literaturstars waren im Programm –, sondern weil Carl August auf der Hinreise auch seine Ehefrau Louise von Hessen-Darmstadt und seinen Lebensfreund, den Frankfurter Dichter Goethe, fand. Graf Goertz immer dabei.
Leithold machte im Zuge seiner antiquarischen Forschungen auch das Familienarchiv der Grafen Goertz aus, das heute den Grafen Rechberg im württembergischen Donzdorf gehört. Ein naiver Leser könnte glauben, Leithold sei der erste gewesen, der die dort liegenden Schätze auswerte, vor allem eine vieltausendseitige Privatkorrespondenz zwischen Goertz und seiner Gattin Caroline – die Eheleute waren durch den Verlauf der diplomatischen Karriere des Grafen oft getrennt.
Doch das ist nicht der Fall, natürlich hat der ausführlichste Erzähler von Carl Augusts Jugend bis 1783, der Historiker Willy Andreas, die Goertzschen Hinterlassenschaften verwendet. In einer Vorstudie zur Kavaliersreise nach Paris, die 1952 im Archiv für Kulturgeschichte erschien, dankt Andreas ausdrücklich „Seiner Erlaucht dem Grafen von Rechberg und Rothenlöwen für die weitherzige Erlaubnis zur Archivbenutzung”.
Das muss man so pedantisch erwähnen, weil Leithold über seine eigene Archivbenutzung, die Gespräche mit dem Eigentümer und den Mitarbeiterinnen, ja seinen Austausch darüber mit der eigenen Tochter, ein großes, romanhaft anmutendes Gewese macht. Die Geduld des Lesers wird überhaupt viel zu viel mit derartigen handwerklichen Vorbereitungen strapaziert, auf die dann ein eher magerer Forschungsertrag folgt. Ja, Leithold zitiert ausführlich aus den Berichten, die der Graf Goertz aus Frankreich nach Hause sandte, allein wir erfahren daraus nicht mehr, als durch Willy Andreas längst bekannt war.
Literaturkenntnis – Leithold zitiert die maßgeblichen Arbeiten allesamt nicht – hätte nicht nur hier vor Neuentdeckungen schützen können. Auch bei Goertzens nächster Station war das Meiste, aber eben vor allem in älterer Literatur, bekannt. Graf Goertz bewog im Auftrag des Preußischen Königs 1778 den Erben des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, gegen dessen Plan, die bayerischen Erblande an Österreich gegen andere Länder und viel Geld zu verkaufen, Widerspruch einzulegen. Damit war ein Rechtsgrund für den sogenannten „Bayerischen Erbfolgekrieg” geschaffen, in dem Bayerns Selbständigkeit gegen Österreich verteidigt wurde. Später wurde aus diesen diplomatischen Aktionen der „Deutsche Fürstenbund”, in dem sich kleinere deutsche Landesherren mit Preußen zusammenschlossen, vor allem gegen habsburgische Hegemoniebestrebungen.
Dass dieser Fürstenbund ursprünglich sogar eine Weimarer Idee war, möglicherweise von Goethe mitkonzipiert, und dass er auf eine Balance zwischen den beiden Großmächten Preußen und Österreich berechnet war – auch das ist bestens erforscht, von Schülern des schon genannten Willy Andreas wie Ulrich Crämer und Hans Tümmler. Auch ihre Namen sucht man in Leitholds Literaturverzeichnis vergebens. Dabei hat Leithold, vielleicht ohne sich über die Tragweite ganz bewusst zu sein, einen ziemlich genialen Einfall: Könnte Goethes überraschender Entschluss, Anfang September 1786 seine lang erwogene Italienreise zu unternehmen, auch einen politischen Hintergrund haben? Zwei Wochen davor war Friedrich der Große gestorben, und Goethe, der den unberechenbaren Preußenkönig fürchtete, mag seine Weimarer Welt und ihren oft schwankenden Herzog nun in Sicherheit gesehen haben. Dazu müsste man aber neue Nachforschungen bei Goethe anstellen, den Leithold offenbar nicht mag.
Stattdessen rührt er ein weiteres Mal ebenso ausführlich wie am Ende ergebnislos in der alten Frage, wie nahe Goethe der Herzoginmutter Anna Amalia eigentlich gekommen sei. War es, zusammen mit Charlotte von Stein, eine „Liebe zu dritt”? Wir werden es vermutlich nie erfahren, und die Wiedergabe gereizter Wortwechsel mit den Fachleuten des „Goethe-Schiller-Archivs” über die Frage, ob Briefe der Herzogin an Goethe vernichtet worden seien, ersetzen keine Beweise. Warum sollte die lebenslustige, gar nicht alte Fürstin nicht auch Gefallen an dem jungen Genie gefunden haben? Dass die Schlangen des Hofes, vor allem eine Gräfin Gianini, die mit der abgemeldeten Gräfin Goertz über den Tratsch korrespondierte, derlei erwogen, sagt für sich genommen gar nichts.
Die späteren Stationen der diplomatischen Laufbahn in preußischen Diensten führten den Grafen Goertz an den Hof der Zarin Katharina II. in St. Petersburg, nach Holland, an den Reichstag in Regensburg und von dort auch zum Rastatter Kongress, auf dem um 1800 die ersten Schritte zur Auflösung des Alten Reichs eingeleitet wurden. Beachtliche Momente, die Leithold allerdings nur noch kursorisch, vor allem unter Einsatz drastischer Anekdotik zum Liebesleben der Zarin, behandelt. Dass Graf Goertz, der 1821 in Regensburg starb, im Alter noch etliche Werke zu Zeitfragen schrieb, erfährt der Leser nicht. Dabei wäre es durchaus interessant zu hören, was Goertz im Jahre 1810 über die polnischen Teilungen zu sagen hatte – jenes völkerrechtliche Staatsverbrechen, das allen napoleonischen Gewalttaten bei der Umwandlung der europäischen Landkarte die Vorlage geliefert hatte.
Gerade, weil Johann Eustach von Goertz kein ganz Großer war, sondern ein intelligenter Zeitgenosse unter vielen anderen, wäre aus seinem Leben noch mehr über die Ideenwelt der kosmopolitischen Diplomatie zwischen Ancien Régime und Revolution zu erfahren gewesen. Leithold, der so gut schreiben kann, unterliegt der Nemesis des Dilettantismus, partikulare Funde zu überschätzen, ältere Kenntnisse nicht aufzunehmen und die Lücken mit Verschwörungstheorien zu füllen. Warum gibt es keine Lektorate, die begabte Autoren vor solchen offenkundigen Unfällen bewahren?
GUSTAV SEIBT
NORBERT LEITHOLD: Graf Goertz. Der große Unbekannte. Eine Entdeckungsreise in die Goethezeit. Osburg Verlag, Berlin 2010. 336 Seiten, 24,90 Euro.
Erzieher unmündiger Herrscher konnten zu großer Macht aufsteigen
Wie nahe kam Goethe der Herzoginmutter Anna Amalia?
Johann Eustach Graf von Goertz (links), 1737 in Schlitz geboren, 1821 in Regensburg gestorben, gehörte nicht zu den Großen der Epoche. Aber er war seit 1762 in Weimar Erzieher des jungen Herzog Carl August (oben), der bis 1775 unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna Amalia stand. 1774, kurz vor Carl Augusts Thronbesteigung, ging Graf Goertz von Weimar nach Preußen. Foto: oh, AKG (oben)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2010

Popstar Goethe zwischen Mond und Sonne

Trüffeljagd zwischen bibliothekarischen Grenzschützern: Norbert Leithold beleuchtet den Weimarer Musenhof aus der Lebensgeschichte von Graf Goertz.

In einem Hamburger Antiquariat fing alles an. Hier fand Norbert Leithold in einer seltenen Broschur den Hinweis, dass ein gewisser Graf Goertz im Umfeld Friedrichs des Großen seine Memoiren als Marginalien in eigenen Büchern führte. In der Goetheforschung ist dieser Mann indes kein ganz Unbekannter: Anna Amalia holt Johann Eustach Graf von Goertz als Prinzenerzieher aus Hannover nach Weimar. Zusammen mit Karl Ludwig von Knebel begleitet er Karl August und seinen Bruder Konstantin auf eine Bildungsreise in den Südwesten. 1774 führt das in Frankfurt zu der folgenreichen Begegnung mit dem Verfasser des "Werther". Goertz fädelt Goethes Berufung nach Weimar also mit ein. Schließlich ist sein eigentliches Metier die Politik. Schon unter dem Deckmantel eines reisenden Hofmeisters hält er seine Augen und Ohren für Friedrich den Großen offen, dem er bald als Geheimdiplomat und Gesandter in St. Petersburg und später beim Reichstag in Regensburg dient. Im politisch gespaltenen Weimar schlägt er sich aber mit seiner Frau auf die Seite der aristokratischen Gegner Goethes und der Herzogin Mutter. Diese Opposition formiert sich um Herzogin Luise, die Frau des regierenden Karl August, sowie ihre Hofmeisterin, die klatschsüchtige Gräfin Gianini.

Diese Konstellation im finanziell klammen und durch die Machtspannungen zwischen Anna Amalia und ihrem Sohn politisch heterogenen Kleinstaat rekonstruiert Leithold nicht zuletzt aus Briefen der Eheleute Goertz und der Gräfin Gianini. Sie finden sich in Goertz' Nachlass, vor allem im Gräflich Rechbergschen Archiv in Württemberg. Eine Entdeckung ist das nicht, die Quellen wurden von Klassikforschern und Historikern des bayerischen Erbfolgekriegs schon lange genutzt und in Auszügen gedruckt. Leithold, der sich unter seinem Geburtsnamen Norbert Bleisch als Prosaschriftsteller und Skandalfilmer nicht durchsetzen konnte, übergeht solche Vorarbeiten. Mehr Redlichkeit hätte indes den Wert dieser ersten Biographie keineswegs geschmälert. Leithold verarbeitet nämlich mit schwungvoller Feder reichlich neues Material: Genauer als je zuvor erschließt er den Nachlass, der in einem eigenen Band ediert werden soll. Außerdem vermochte er in einem Schweriner Antiquariat einen bemerkenswerten Teilbestand von Goertz' großer Bibliothek aufzuspüren, der aufgrund der besagten Marginalien und der ramponierten Einbände von sogenannten "Experten" glücklich verschmäht wurde. Doch wo ist der Rest?

Leithold verschränkt nun die Lebensgeschichte von Goertz mit der Erzählung seiner eigenen Spurensuche. Man muss nicht unbedingt durch Byatt, Eco oder Lodge im fiktiven Genre detektivischer Buchjagden verwöhnt sein, um einige dieser realen Trüffeleien etwas umständlich und langwierig zu finden. Je mehr sie aber dem inszenierten Höhepunkt der Biographie zustreben, desto stärker tragen sie zur Spannung bei. Hier soll es um das schon immer von Spekulationen umwobene Verhältnis zwischen Goethe und Anna Amalia gehen. Archivare in Weimar reagieren darauf äußerst schmallippig, zumal wenn die Sprache auf die auch von Fachleuten wiederholt vermutete Quellensäuberung um das Jahr 1885 kommt. Wie können aber heutige Bibliotheksangestellte, die Leitholds Dialogprotokollen zufolge wie ehemalige Grenzschützer auftreten, das mit Bestimmtheit ausschließen?

Die Stimmung in dieser Frage ist gereizt, seit Ettore Ghibellino mit der Behauptung von der "verbotenen Liebe" zwischen Goethe und Anna Amalia ab 2003 große Erfolge auf dem Buchmarkt erzielte. In der Fachwelt fielen seine sogenannten Beweise durch, nicht wegen möglicher Tabubrüche, sondern aufgrund fehlender methodischer und faktischer Evidenz. Leithold schlägt jetzt in die gleiche Kerbe wie Ghibellino und übernimmt von ihm auch noch fatale Fehlübersetzungen französischer Briefe. Während bei seinem Vorgänger Frau von Stein aber lediglich als Deckadresse Goethes dient, bezieht Leithold sie in eine "Ménage à trois" zwischen Dichter und Herzogin Mutter ein. Seine "Methode" besteht in einem Abgleich von Brief- und Tagebuchstellen sowie einer Strichliste, wie oft er bei der einen oder anderen war. Der Manöverbeobachter Goertz geht dabei weitgehend auf Tauchstation, dunkle Briefandeutungen dürften sich vor allem der Fraktionsbildung verdanken. "Popstar" Goethe bespielt hier das Feld fast allein mit seiner Besuchsstatistik: Häufig ist er bei Anna Amalia, die er im Tagebuch mit dem Mondsymbol umschreibt ([zunehmender Mond] oder [abnehmender Mond]), am gleichen oder nächsten Tag dann auch bei Frau von Stein, seiner Sonne ([Sonne]). Die Balance zwischen den beiden Frauen wird mit geradezu zwanghafter Akribie gewahrt.

Doch was folgt aus alldem? Aus zwei winzigen Einträgen im Jahre 1776: "Mit [zunehmender Mond] +." und "in [Sonne] Stube. Abends [zunehmender Mond] +." sowie dem auch bei Casanova oder de Sade üblichen Chiffriersystem für den Erfolg bei einem Schäferstündchen (+ oder -) reimt sich Leithold den sexuellen Eroberer Goethe zusammen, den der Psychoanalytiker K.R. Eissler in zwei dicken Bänden erst bei der römischen Faustina zum Zuge kommen lässt. Und was weiter? Getrost kann man sich da der gelassenen Einschätzung des Goethe-Biographen Nicholas Boyle anschließen, dass alle, die Goethe nicht hassten, ihn auf die eine oder andere Weise liebten. So auch Anna Amalia. Wie weit das konkret führte, mag ein pikantes Thema für die Sozialgeschichte sein, für die Kultur des Musenhofes Weimar oder die Wertschätzung von Goethes Dichtung ist es eher marginal.

Leithold tut sich mit diesem Sensationskapitel also keinen Gefallen. Skeptische Aufmerksamkeit mag er damit gewinnen, mit der Biographie des Grafen Goertz hat es aber nur bedingt zu tun. Das gilt auch für einen Exkurs zu dessen Gesandtenzeit in Russland: Hier erzählt Leithold etwa von dem legendären Erotikkabinett der Zarin Katharina, in dem - so Potemkin - der junge Alexander Lanskoi "bei der Sache" an Erschöpfung starb und dadurch eine Staatskrise auslöste. Sicher liefern solche Passagen einen bunten Hintergrund zu dem sonst eher spröden Diplomatenleben des Grafen Goertz. Zur historischen Stringenz tragen sie aber wenig bei. Interessanter als pikante Eskapaden wären weitere Aufschlüsse über die angekündigten Memoiren in Form von Marginalien gewesen. Und über den Verbleib von sieben unbekannten Briefen Anna Amalias an Goethe, die ein Berner Antiquar dem Verfasser im vergangenen Jahr anbot, hätte man auch gerne etwas erfahren. Gab es sie überhaupt, und enthielten sie irgendwelche Geheimnisse? Falls sie wirklich veräußert wurden, mag der neue Eigentümer darüber berichten. Bis dahin und bis zu der Goertz-Nachlassedition zeigt sich die Akte Goertz & Goethe noch recht verschlossen.

ALEXANDER KOSENINA.

Norbert Leithold: "Graf Goertz. Der große Unbekannte". Eine Entdeckungsreise in die Goethezeit. Osburg Verlag, Berlin 2010. 336 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gerade die Biografien von historischen Persönlichkeiten der "zweiten Reihe" bergen für Gustav Seibt den Reiz, mehr über die Normalität einer Gesellschaft jenseits der Genies zu erfahren. Umso bedauerlicher findet der Rezensent, dass diese Aufgabe so selten von der Fachwissenschaft aufgegriffen, sondern lieber ambitionierten Sachbuchautoren überlassen wird, wie auch im Fall des Erziehers der herzoglich-weimarischen Prinzen, Graf von Goertz. Anerkennend vermerkt Seibt, dass Norbert Leithold sein Handwerk versteht und es ihm gelingt, auf seinen Protagonisten neugierig zu machen. Etwas irritiert den Rezensenten allerdings, dass der Autor die - vor allem ältere - Forschungsliteratur nicht zitiert, und deshalb mit so manchem Rechercheschatz wuchert, der eigentlich längst gehoben war. Deshalb ist Seibt auch etwas genervt von Leitholds Ausführungen über sein Vorgehen als Biograf, denn er hätte seine Entdeckungen ja eigentlich bequem in der Bibliothek machen können, wie der Rezensent meint. Zudem handelt er den weiteren Lebensweg Goertz' nach dessen Entlassung als Erzieher am Weimarer Hof nur noch kursorisch beziehungsweise anekdotisch ab, verliert sich im Liebesleben von Katharina II. oder ergeht sich in Verschwörungstheorien. Und hier wird beim Rezensent der Ruf nach einem Lektorat laut, das "begabte" Sachbuchautoren wie Leithold von solchen Fehltritten abhielte.

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