»Mit 'Grand Hotel Europa' hat der Niederländer Ilja Leonard Pfeijffer einen europäischen Gesellschaftsroman geschrieben, voller Ironie und Witz.« Welt am Sonntag
Ein junger Page, Abdul, empfängt den Schriftsteller auf den Marmorstufen des Eingangsportals, über dem in goldenen Lettern der Name "Grand Hotel Europa" zu lesen ist. Sie rauchen eine erste Zigarette und kommen miteinander ins Gespräch. Der Schriftsteller spricht von Venedig und von Clio, seiner großen Liebe, die ihn verlassen hat. Nun ist er hier, bezieht sein Zimmer in diesem geheimnisvollen Hotel, und während er die eleganten Gäste kennenlernt, fragt er sich, wie er Clio zurückgewinnen kann. - "Grand Hotel Europa" erzählt von einem alten Kontinent, auf dem vor lauter Geschichte kein Raum für die Zukunft ist und die einzige Perspektive der Tourismus. Es ist ein Roman über unsere europäische Identität und die Nostalgie am Ende einer Ära.
»Das Werk ist eine Liebeserklärung und zugleich ein Untergangsbuch, das die mentale Verfasstheit Europas in einer packenden Erzählung zum Leben erweckt. Nach der Lektüre ist man stolz auf diesen Kontinent, aber auch ein bisschen besorgt, wie es weitergehen wird mit diesem Europa.« Süddeutsche Zeitung
»Man hat das Gefühl, an einem der Tische im Speisesaal des alten Grand Hotel Europa zu sitzen. Der Majordomus serviert soeben die Spezialität des Hauses, und man amüsiert sich gemeinsam mit diesem holländischen Schriftsteller im Maßanzug über die Eigenheiten der wenigen anderen Gäste, ist berührt von ihren Schicksalen und staunt über ihre Geschichten.« Thomas Loibl
»Ein europäischer Gesellschaftsroman voller Ironie und Witz« Welt am Sonntag
Ein junger Page, Abdul, empfängt den Schriftsteller auf den Marmorstufen des Eingangsportals, über dem in goldenen Lettern der Name "Grand Hotel Europa" zu lesen ist. Sie rauchen eine erste Zigarette und kommen miteinander ins Gespräch. Der Schriftsteller spricht von Venedig und von Clio, seiner großen Liebe, die ihn verlassen hat. Nun ist er hier, bezieht sein Zimmer in diesem geheimnisvollen Hotel, und während er die eleganten Gäste kennenlernt, fragt er sich, wie er Clio zurückgewinnen kann. - "Grand Hotel Europa" erzählt von einem alten Kontinent, auf dem vor lauter Geschichte kein Raum für die Zukunft ist und die einzige Perspektive der Tourismus. Es ist ein Roman über unsere europäische Identität und die Nostalgie am Ende einer Ära.
»Das Werk ist eine Liebeserklärung und zugleich ein Untergangsbuch, das die mentale Verfasstheit Europas in einer packenden Erzählung zum Leben erweckt. Nach der Lektüre ist man stolz auf diesen Kontinent, aber auch ein bisschen besorgt, wie es weitergehen wird mit diesem Europa.« Süddeutsche Zeitung
»Man hat das Gefühl, an einem der Tische im Speisesaal des alten Grand Hotel Europa zu sitzen. Der Majordomus serviert soeben die Spezialität des Hauses, und man amüsiert sich gemeinsam mit diesem holländischen Schriftsteller im Maßanzug über die Eigenheiten der wenigen anderen Gäste, ist berührt von ihren Schicksalen und staunt über ihre Geschichten.« Thomas Loibl
»Ein europäischer Gesellschaftsroman voller Ironie und Witz« Welt am Sonntag
Grand Hotel Europa einen Sog entwickelt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Durch die unterschiedlichen Ebenen des Romans ist man als Leser*in nicht nur an der Liebesgeschichte zwischen Clio und Ilja interessiert, sondern auch an den Stammgästen des Grand Hotels und den unterschiedlichen geografischen Stationen wie Venedig, Skopje und Malta. Nicht zuletzt findet in dem Roman auch eine (fiktive) Jagd nach den letzten Kunsthistorischen Geheimnissen des Kontinents statt. lieschenradieschen-reist 20201112
Dem Rezensenten Gerd Busse zufolge führen beide Handlungsstränge dieses Romans - der um das Leben des Ich-Erzählers Ilja Leonard Pfeijffer im leicht verfallenen Grand Hotel Europa mit seinen skurrilen Dauergästen und dem Modernisierungswissen eines neuen Käufers und der um die verlorene Liebe des Erzählers zur reisenden Kunsthistorikerin Clio - gleichermaßen zum großen Thema des Buchs: "die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des europäischen Kontinents". Den Kritiker hat der Roman nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch beeindruckt: Mit seinen barocken und selbstironischen Anklängen ist er so klug wie unterhaltsam, lobt Busse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2020Ausverkauf
Was soll denn aus diesem alten Kontinent noch anderes werden als ein globaler Erlebnispark?
Ilja Leonard Pfeijffer rechnet in seinem lebensprallen, klugen Roman „Grand Hotel Europa“ mit dem Massentourismus ab
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Es gehörte zu den Bizarrerien des diesjährigen Sommers, dass für Orte wie Venedig die Parole ausgegeben wurde, sie seien jetzt ohne Touristenmassen zu erleben, im Marketing-Sprech: „pur“. Zur Beglaubigung dienten Fotos aus der Zeit des Lockdowns.
Der Erfolg der Kampagne übertraf alle Erwartungen. Wer aus nicht-touristischen Gründen genötigt war, sich etwa im August in der Stadt aufzuhalten, wurde Zeuge eines Auftriebs, der an den Karneval gemahnte. Zwar musste die halbe Welt, inklusive der vermarktungstechnisch substanziellen Chinesen, vorerst draußen bleiben, aber sie wurde würdig vertreten durch die endlose Armee der Tagesausflügler von den nahen Stränden oder vom Gardasee. Und niemand schien sich an den Zuständen zu stören. Manch ein Erstbesucher war gar überzeugt, dies sei „Venedig pur“. Womit er ja im Grunde recht hatte.
Dass der Niederländer Ilja Leonard Pfeijffer die Episode nicht mehr in seinen Roman „Grand Hotel Europa“ einbauen konnte, der großenteils in Venedig spielt, ist schade – einerseits. Andererseits ist es ein Segen, dass dieses lebenspralle, kluge und streckenweise boshafte Buch noch vor der Pandemie geschrieben, verlegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Denn mittlerweile könnte es Bedenken geben: Ist die Abrechnung mit dem Weltphänomen Massentourismus, die hier endlich eine pointierte literarische Form gefunden hat, noch wirtschaftspolitisch korrekt, wenn die davon sich nährenden Branchen gerade unter den Folgen einer anderen globalen Seuche ächzen?
In Deutschland wäre das Werk wohl schon aus literaturpolitischen Erwägungen gar nicht entstanden, weil es in keine Genre-Kategorie oder Zielgruppenschublade passt, nach gängigem Maßstab zu viele Themen behandelt, für leichte Unterhaltung zu komplex und für seriöse Gegenwartsprosa zu verspielt ist. Anderswo sieht man das lockerer, was sich zuweilen auszahlt: „Grand Hotel Europa“ führte in den Niederlanden monatelang die Bestsellerliste an. Ilja Leonard Pfeijffer, Jahrgang 1968, gehört dort längst zu den geschätztesten Autoren und arbeitet in allen literarischen Gattungen. Als öffentliche Erscheinung entspricht er vollkommen der buntschillernden Anmutung des Romans: ein barocker Typ mit Altrockermähne, dandyhaft elegantem Habitus und nachdenklich-melancholischer Ausstrahlung, der über Pindar promovierte und vor seiner Schriftstellerkarriere als Dozent für Klassische Sprachen an der Universität Leiden arbeitete; ein südsüchtiger Holländer, der sich vor über zehn Jahren die italienische Hafenstadt Genua als Wahlheimat aussuchte und dort seine große Liebe fand. Sein Genua-Epos „La Superba“, für das er 2014 den Libris-Preis erhielt, wurde ins Deutsche übersetzt, hieß dann aber etwas irreführend „Das schönste Mädchen von Genua“ und ging bei uns leider unter.
Der Titel „Grand Hotel Europa“ ist zum Glück international und somit übersetzungssicher. Er bedient zuverlässig nostalgische Gefühle und lässt doch Doppelbödiges durchschimmern. Ganz konkret, wie die Erfüllung eskapistischer Leseträume, steht er in Goldlettern über dem Portal des einst glanzvollen, dekorativ heruntergekommenen Hotelpalastes, in dem sich der Ich-Erzähler zu Beginn einmietet. Das Haus liegt irgendwo auf dem mediterranen Festland, am Ende einer platanengesäumten Auffahrt, zu der man per Taxi aus einem Wald gelangt – mithin an einem Nicht-Ort, der möglicherweise durch Dantes selva oscura vom Rest der Welt geschieden ist.
Der Ankömmling aber gibt sich als Alter Ego, später sogar als Namensvetter des Autors zu erkennen, und als solcher wird er fortan unbefangen zwischen Fiktion und autobiografischer Wirklichkeit hin- und herspringen. Sein erster Gesprächspartner, der junge Abdul, der aus der „Wüste“ kam und nun in historischer Livree den Pagendienst versieht, ist ein Bote der Gegenwartsrealität und verkörpert überdies die Zukunft, wie sich noch erweisen wird. Ilja Leonard Pfeijffer hat sein Grand Hotel Europa nicht nur als Hommage an den gealterten, mythisch aufgeladenen Kontinent konzipiert, sondern zugleich als Bühne und Debattenforum für die Widersprüche und Umbrüche unserer Zeit.
Der Zauberberg lässt grüßen, doch nur von fern. Das Hotel ist kein Sanatorium, und krank ist hier niemand, sieht man von dem schweren Liebeskummer ab, der den Ich-Helden bewogen hat, dieses Refugium aufzusuchen, um die Geschichte seines amourösen Scheiterns aufzuschreiben. Gewiss könnte man in dem soignierten Dauergast Patelski, mit dem er lange philosophisch-politische Gespräche führt, einen Wiedergänger Settembrinis sehen, aber das wäre literarische Erbsenzählerei. Die tiefgründigen bis amüsanten Dispute und Wechselreden, in denen es um die abendländische Kultur und die Identität Europas, den Sinn und Unsinn des Reisens, den Zusammenhang zwischen Tourismus und Migration, um Kunst und Dekadenz und hundert andere Dinge geht und die den Löwenanteil des Romans ausmachen, lässt Pfeijffer jedenfalls nicht nur im Hotel, sondern an allen möglichen Orten stattfinden. Seine liebevolle Schilderung der verwunschenen Herberge und ihrer exzentrischen Bewohner alterniert mit Rückblenden auf das, was zuvor geschah, von der ersten Begegnung mit der schönen Kunsthistorikerin Clio in Genua über die gemeinsamen Monate in Venedig bis zur Trennung in Abu Dhabi, wo die ebenso kapriziöse wie pragmatische Italienerin ihre schwächelnden europäischen Werte einer Karriere in der Louvre-Filiale des Scheichtums opfern will.
Clio, nach der Muse der Geschichtsschreibung benannt, ist ihrerseits eine der Spezialmischungen des Autors aus Realität und Fiktion, und die Liaison zwischen ihr und dem Schriftsteller Ilja, die ungefähr zu gleichen Teilen von romantischen Gefühlen, herzhaftem Sex und intellektuellen Auseinandersetzungen lebt, macht richtig Spaß. Dass die beiden dann noch in Dan-Brown-Manier auf die Jagd nach einem verschollenen Caravaggio-Gemälde gehen, wäre vielleicht entbehrlich gewesen, liefert aber den Anlass zu erhellenden Beobachtungen auf der Insel Malta, den Umgang mit Bootsflüchtlingen im Kontext der Tourismusindustrie betreffend. So wie alle Reisen in diesem höchst umtriebigen Roman dazu dienen, Material für die beiden Hauptthemen zu sammeln: Wie verändert sich die Welt und die menschliche Wahrnehmung unter dem Einfluss eines exzessiven Tourismus, der wiederum ein Symptom der globalisierten Marktwirtschaft ist? Und gibt es für das an Kulturschätzen überreiche Europa überhaupt eine andere Zukunftsperspektive als die, zum globalen Erlebnispark zu mutieren? Das typisch Niederländische an Ilja Leonard Pfeijffer ist die Unbekümmertheit, mit der er verschiedene Erzählhaltungen und Stilebenen unter einen Hut bringt, und das in einer Sprache, die völlig übergangslos sinnlich und nüchtern, sentimental und ironisch sein kann. Er scheut sich nicht, seitenweise Lehrbuchwissen zu rekapitulieren, und macht sich im nächsten Moment die eigenwilligsten Gedanken; er liefert großartige Beschreibungen und scharfe Analysen und suhlt sich dann wieder hemmungslos im Klischee. Ob in Venedig oder in Skopje, ob in den Cinque Terre oder im niederländischen Museumsdorf Giethoorn, einem stark chinesisch frequentierten „Venedig des Nordens“ (das man in Pfeijffers Darstellung für reine Satire halten könnte, das es aber wirklich gibt): Noch selten sind die Erscheinungsformen des ungezügelten Ausverkaufs von Landschaften, Städten, Lebensräumen so klarsichtig protokolliert worden, ohne dass die Ambivalenzen dieser Entwicklung dabei auf der Strecke blieben.
Der Autor, dessen fiktionaler Zwilling von seinem Verleger den Auftrag bekommen hat, einen Roman über den Tourismus zu schreiben, ist weder selbstgerecht, noch leugnet er, als Reisender ein Teil des Problems zu sein; auch ist seine soziale Empathie sehr ausgeprägt. Und doch gestattet er sich, immer wieder die eigene kulturelle Sozialisation zum Maßstab seines Urteils und seiner Befürchtungen zu machen, was ebenso gnadenlose Bestandsaufnahmen hervorbringen kann wie hochkomische Szenen.
Im weltentrückten Grand Hotel Europa stellt sich bald heraus, dass die geheimnisvolle alte Dame, die sich in einem unauffindbaren Zimmer verbarrikadiert, das Haus längst an einen Herrn Wang verkauft hat. Über die Maßnahmen, mit denen der Multimillionär aus China das Ambiente so umgestalten will, dass seine Landsleute es als wahrhaft „europäisch“ empfinden, mag man lachen oder weinen, aber sie sind in der real existierenden Hotellerie schon tausendfach zu sehen. Am Ende wird die ehemalige Besitzerin als Allegorie Europas in Anwesenheit des echten europäischen Hochadels zu Grabe getragen. Zuvor hat Pfeijffer übrigens leibhaftige Museumsleute und Kulturfunktionäre miteinander diskutieren lassen; sein Umgang mit Namen ist souverän und vermutlich juristisch abgesichert. Seine plakativen Hinweise auf die Marken seiner ausgesuchten Garderobe allerdings wären erklärungsbedürftig, wollte man sie nicht als Parodie verstehen, was zu ihm passen würde. Vieles wäre (außer dem Wunsch nach einem penibleren Lektorat) noch erwähnenswert: etwa Abduls poetische Fluchtgeschichte, die junge Amerikanerin Memphis als „Me Too“-Karikatur, das ewig brainstormende Filmteam aus Amsterdam, die Biennale-Inspektion in Venedig, die Selbstbefragung des Erzählers im dantesken Hotelwald. Doch das Vergnügen, das alles selbst zu lesen, bis zum verblüffenden Schluss, sollte man sich ohnehin nicht nehmen lassen.
Ilja Leonard Pfeijffer: Grand Hotel Europa. Roman. Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Piper Verlag, München 2020. 556 Seiten, 25 Euro.
Die verwunschene Herberge
wird Bühne und Forum für die
Widersprüche der Gegenwart
Sie begegnen einander in
Genua, leben in Venedig,
trennen sich in Abu Dhabi
Die geheimnisvolle Dame hat
sich in einem unauffindbaren
Zimmer verbarrikadiert
Altphilologe und
Bestsellerautor:
Ilja Leonard Pfeijffer.
Foto: picture alliance / ANP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Was soll denn aus diesem alten Kontinent noch anderes werden als ein globaler Erlebnispark?
Ilja Leonard Pfeijffer rechnet in seinem lebensprallen, klugen Roman „Grand Hotel Europa“ mit dem Massentourismus ab
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Es gehörte zu den Bizarrerien des diesjährigen Sommers, dass für Orte wie Venedig die Parole ausgegeben wurde, sie seien jetzt ohne Touristenmassen zu erleben, im Marketing-Sprech: „pur“. Zur Beglaubigung dienten Fotos aus der Zeit des Lockdowns.
Der Erfolg der Kampagne übertraf alle Erwartungen. Wer aus nicht-touristischen Gründen genötigt war, sich etwa im August in der Stadt aufzuhalten, wurde Zeuge eines Auftriebs, der an den Karneval gemahnte. Zwar musste die halbe Welt, inklusive der vermarktungstechnisch substanziellen Chinesen, vorerst draußen bleiben, aber sie wurde würdig vertreten durch die endlose Armee der Tagesausflügler von den nahen Stränden oder vom Gardasee. Und niemand schien sich an den Zuständen zu stören. Manch ein Erstbesucher war gar überzeugt, dies sei „Venedig pur“. Womit er ja im Grunde recht hatte.
Dass der Niederländer Ilja Leonard Pfeijffer die Episode nicht mehr in seinen Roman „Grand Hotel Europa“ einbauen konnte, der großenteils in Venedig spielt, ist schade – einerseits. Andererseits ist es ein Segen, dass dieses lebenspralle, kluge und streckenweise boshafte Buch noch vor der Pandemie geschrieben, verlegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Denn mittlerweile könnte es Bedenken geben: Ist die Abrechnung mit dem Weltphänomen Massentourismus, die hier endlich eine pointierte literarische Form gefunden hat, noch wirtschaftspolitisch korrekt, wenn die davon sich nährenden Branchen gerade unter den Folgen einer anderen globalen Seuche ächzen?
In Deutschland wäre das Werk wohl schon aus literaturpolitischen Erwägungen gar nicht entstanden, weil es in keine Genre-Kategorie oder Zielgruppenschublade passt, nach gängigem Maßstab zu viele Themen behandelt, für leichte Unterhaltung zu komplex und für seriöse Gegenwartsprosa zu verspielt ist. Anderswo sieht man das lockerer, was sich zuweilen auszahlt: „Grand Hotel Europa“ führte in den Niederlanden monatelang die Bestsellerliste an. Ilja Leonard Pfeijffer, Jahrgang 1968, gehört dort längst zu den geschätztesten Autoren und arbeitet in allen literarischen Gattungen. Als öffentliche Erscheinung entspricht er vollkommen der buntschillernden Anmutung des Romans: ein barocker Typ mit Altrockermähne, dandyhaft elegantem Habitus und nachdenklich-melancholischer Ausstrahlung, der über Pindar promovierte und vor seiner Schriftstellerkarriere als Dozent für Klassische Sprachen an der Universität Leiden arbeitete; ein südsüchtiger Holländer, der sich vor über zehn Jahren die italienische Hafenstadt Genua als Wahlheimat aussuchte und dort seine große Liebe fand. Sein Genua-Epos „La Superba“, für das er 2014 den Libris-Preis erhielt, wurde ins Deutsche übersetzt, hieß dann aber etwas irreführend „Das schönste Mädchen von Genua“ und ging bei uns leider unter.
Der Titel „Grand Hotel Europa“ ist zum Glück international und somit übersetzungssicher. Er bedient zuverlässig nostalgische Gefühle und lässt doch Doppelbödiges durchschimmern. Ganz konkret, wie die Erfüllung eskapistischer Leseträume, steht er in Goldlettern über dem Portal des einst glanzvollen, dekorativ heruntergekommenen Hotelpalastes, in dem sich der Ich-Erzähler zu Beginn einmietet. Das Haus liegt irgendwo auf dem mediterranen Festland, am Ende einer platanengesäumten Auffahrt, zu der man per Taxi aus einem Wald gelangt – mithin an einem Nicht-Ort, der möglicherweise durch Dantes selva oscura vom Rest der Welt geschieden ist.
Der Ankömmling aber gibt sich als Alter Ego, später sogar als Namensvetter des Autors zu erkennen, und als solcher wird er fortan unbefangen zwischen Fiktion und autobiografischer Wirklichkeit hin- und herspringen. Sein erster Gesprächspartner, der junge Abdul, der aus der „Wüste“ kam und nun in historischer Livree den Pagendienst versieht, ist ein Bote der Gegenwartsrealität und verkörpert überdies die Zukunft, wie sich noch erweisen wird. Ilja Leonard Pfeijffer hat sein Grand Hotel Europa nicht nur als Hommage an den gealterten, mythisch aufgeladenen Kontinent konzipiert, sondern zugleich als Bühne und Debattenforum für die Widersprüche und Umbrüche unserer Zeit.
Der Zauberberg lässt grüßen, doch nur von fern. Das Hotel ist kein Sanatorium, und krank ist hier niemand, sieht man von dem schweren Liebeskummer ab, der den Ich-Helden bewogen hat, dieses Refugium aufzusuchen, um die Geschichte seines amourösen Scheiterns aufzuschreiben. Gewiss könnte man in dem soignierten Dauergast Patelski, mit dem er lange philosophisch-politische Gespräche führt, einen Wiedergänger Settembrinis sehen, aber das wäre literarische Erbsenzählerei. Die tiefgründigen bis amüsanten Dispute und Wechselreden, in denen es um die abendländische Kultur und die Identität Europas, den Sinn und Unsinn des Reisens, den Zusammenhang zwischen Tourismus und Migration, um Kunst und Dekadenz und hundert andere Dinge geht und die den Löwenanteil des Romans ausmachen, lässt Pfeijffer jedenfalls nicht nur im Hotel, sondern an allen möglichen Orten stattfinden. Seine liebevolle Schilderung der verwunschenen Herberge und ihrer exzentrischen Bewohner alterniert mit Rückblenden auf das, was zuvor geschah, von der ersten Begegnung mit der schönen Kunsthistorikerin Clio in Genua über die gemeinsamen Monate in Venedig bis zur Trennung in Abu Dhabi, wo die ebenso kapriziöse wie pragmatische Italienerin ihre schwächelnden europäischen Werte einer Karriere in der Louvre-Filiale des Scheichtums opfern will.
Clio, nach der Muse der Geschichtsschreibung benannt, ist ihrerseits eine der Spezialmischungen des Autors aus Realität und Fiktion, und die Liaison zwischen ihr und dem Schriftsteller Ilja, die ungefähr zu gleichen Teilen von romantischen Gefühlen, herzhaftem Sex und intellektuellen Auseinandersetzungen lebt, macht richtig Spaß. Dass die beiden dann noch in Dan-Brown-Manier auf die Jagd nach einem verschollenen Caravaggio-Gemälde gehen, wäre vielleicht entbehrlich gewesen, liefert aber den Anlass zu erhellenden Beobachtungen auf der Insel Malta, den Umgang mit Bootsflüchtlingen im Kontext der Tourismusindustrie betreffend. So wie alle Reisen in diesem höchst umtriebigen Roman dazu dienen, Material für die beiden Hauptthemen zu sammeln: Wie verändert sich die Welt und die menschliche Wahrnehmung unter dem Einfluss eines exzessiven Tourismus, der wiederum ein Symptom der globalisierten Marktwirtschaft ist? Und gibt es für das an Kulturschätzen überreiche Europa überhaupt eine andere Zukunftsperspektive als die, zum globalen Erlebnispark zu mutieren? Das typisch Niederländische an Ilja Leonard Pfeijffer ist die Unbekümmertheit, mit der er verschiedene Erzählhaltungen und Stilebenen unter einen Hut bringt, und das in einer Sprache, die völlig übergangslos sinnlich und nüchtern, sentimental und ironisch sein kann. Er scheut sich nicht, seitenweise Lehrbuchwissen zu rekapitulieren, und macht sich im nächsten Moment die eigenwilligsten Gedanken; er liefert großartige Beschreibungen und scharfe Analysen und suhlt sich dann wieder hemmungslos im Klischee. Ob in Venedig oder in Skopje, ob in den Cinque Terre oder im niederländischen Museumsdorf Giethoorn, einem stark chinesisch frequentierten „Venedig des Nordens“ (das man in Pfeijffers Darstellung für reine Satire halten könnte, das es aber wirklich gibt): Noch selten sind die Erscheinungsformen des ungezügelten Ausverkaufs von Landschaften, Städten, Lebensräumen so klarsichtig protokolliert worden, ohne dass die Ambivalenzen dieser Entwicklung dabei auf der Strecke blieben.
Der Autor, dessen fiktionaler Zwilling von seinem Verleger den Auftrag bekommen hat, einen Roman über den Tourismus zu schreiben, ist weder selbstgerecht, noch leugnet er, als Reisender ein Teil des Problems zu sein; auch ist seine soziale Empathie sehr ausgeprägt. Und doch gestattet er sich, immer wieder die eigene kulturelle Sozialisation zum Maßstab seines Urteils und seiner Befürchtungen zu machen, was ebenso gnadenlose Bestandsaufnahmen hervorbringen kann wie hochkomische Szenen.
Im weltentrückten Grand Hotel Europa stellt sich bald heraus, dass die geheimnisvolle alte Dame, die sich in einem unauffindbaren Zimmer verbarrikadiert, das Haus längst an einen Herrn Wang verkauft hat. Über die Maßnahmen, mit denen der Multimillionär aus China das Ambiente so umgestalten will, dass seine Landsleute es als wahrhaft „europäisch“ empfinden, mag man lachen oder weinen, aber sie sind in der real existierenden Hotellerie schon tausendfach zu sehen. Am Ende wird die ehemalige Besitzerin als Allegorie Europas in Anwesenheit des echten europäischen Hochadels zu Grabe getragen. Zuvor hat Pfeijffer übrigens leibhaftige Museumsleute und Kulturfunktionäre miteinander diskutieren lassen; sein Umgang mit Namen ist souverän und vermutlich juristisch abgesichert. Seine plakativen Hinweise auf die Marken seiner ausgesuchten Garderobe allerdings wären erklärungsbedürftig, wollte man sie nicht als Parodie verstehen, was zu ihm passen würde. Vieles wäre (außer dem Wunsch nach einem penibleren Lektorat) noch erwähnenswert: etwa Abduls poetische Fluchtgeschichte, die junge Amerikanerin Memphis als „Me Too“-Karikatur, das ewig brainstormende Filmteam aus Amsterdam, die Biennale-Inspektion in Venedig, die Selbstbefragung des Erzählers im dantesken Hotelwald. Doch das Vergnügen, das alles selbst zu lesen, bis zum verblüffenden Schluss, sollte man sich ohnehin nicht nehmen lassen.
Ilja Leonard Pfeijffer: Grand Hotel Europa. Roman. Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Piper Verlag, München 2020. 556 Seiten, 25 Euro.
Die verwunschene Herberge
wird Bühne und Forum für die
Widersprüche der Gegenwart
Sie begegnen einander in
Genua, leben in Venedig,
trennen sich in Abu Dhabi
Die geheimnisvolle Dame hat
sich in einem unauffindbaren
Zimmer verbarrikadiert
Altphilologe und
Bestsellerautor:
Ilja Leonard Pfeijffer.
Foto: picture alliance / ANP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2020Wer zu klug ist, hat zum Küssen keine Zeit
Diskurs kann zum Bumerang werden: Ilja Leonard Pfeijffers Roman wandelt auf den Spuren von Thomas Manns "Zauberberg", doch es fehlt die Trittsicherheit
Dieser Roman hat ein deutliches Feindbild: die Touristen. Nicht zufällig lebt der Ich-Erzähler eine Zeitlang in jener Stadt, in der man dem Hass auf den Massentourismus wohl am besten Futter geben kann: in Venedig. Einmal wirft er in seiner Wut sogar einen Deutschen in einen Kanal, der doch bloß die eigene Frau fotografieren wollte. Wegen der Bildgestaltung ist er ein paar Schritte zurückgetreten: weniger Ehefrau, mehr Panorama. Dabei ist er rücklings mit Herrn Pfeijffer kollidiert.
Kein Irrtum - die Hauptfigur des Romans trägt denselben Namen wie der Autor: Ilja Leonard Pfeijffer. Das bedeutet aber nicht, dass wir es mit einem autobiographischen Bekenntnis zu tun haben, sondern dass der 1968 in den Niederlanden geborene Autor metafiktionale Spiegelfechtereien liebt: Der Roman "Grand Hotel Europa" handelt von seiner eigenen Entstehung, und der fiktive Erzähler gleicht dem realen Autor offenbar bis aufs wallende Haar und die Markenkrawatte.
Er präsentiert sich im Buch als Erfolgsschriftsteller (tatsächlich stand "Grand Hotel Europa" in den Niederlanden ein halbes Jahr an der Spitze der Bestsellerliste) und mit einer phänomenalen Geliebten an seiner Seite, der ebenso schönen wie klugen Kunsthistorikerin Clio Chiavari Cattaneo della Volta - alter markgräflicher Adel. In Venedig hat er zusammen mit Clio gelebt. Hat. Denn zu Beginn des Romans ist ihre exquisite Liebe bereits gescheitert; warum, erfahren wir erst ganz am Ende. Der Ich-Erzähler hat sich zurückgezogen ins Grand Hotel Europa, einen zeit- und raumenthobenen Ort, um sich dort in gediegener Atmosphäre dem Schmerz hinzugeben und seine Passion noch einmal literarisch zu rekapitulieren. Sein entstehender Roman soll zudem von einem Dokumentarfilm-Projekt über die "Schattenseiten der Reiselust" begleitet sein. Wobei es der niederländischen Film-Crew vor allem darum geht, EU-Fördermittel abzuschöpfen. Nicht nur hier zeigt der Roman eine unterhaltsame Neigung zum Satirischen und Burlesken.
Es gibt noch weitere Handlungsstränge, etwa die gemeinsam mit Clio betriebene Suche nach einem verschollenen Caravaggio-Gemälde, die allerdings ein etwas fades Dan-Brown-Aroma hat. Überhaupt ist die oft oberflächliche und fadenscheinige Handlung nicht das, was den Reiz der Lektüre ausmacht. Dieser Reiz besteht vielmehr in der überschäumenden Lust an Rhetorik und Reflexion. Die Figuren halten sich sozusagen ständig gegenseitig Vorträge. Clio etwa erläutert ausführlich Kunstwerke, und der Ich-Erzähler bemerkt zwischendurch: "Ich war beeindruckt. Ich wollte sie küssen, aber die Vorlesung war noch nicht zu Ende."
Viele Themen werden auf diese Weise abgehandelt, böser Spott richtet sich auf die Globetrotter, die mit ihrem "Rucksack voll stinkender Unterwäsche" auf unerschlossenen Wegen unterwegs sind und sich dabei noch einbilden, sie wären etwas Besseres als die Pauschalreisenden, die sich wenigstens dort aufhalten, wo Touristen hingehören. Es ist eine düstere Aussicht, die der Roman, ungeachtet seines heiteren Grundtons, an die Wand malt. Das überalterte Europa verliere alles, was einmal seine Bedeutung ausmachte: Jugend, Erfindergeist, ökonomische Potenz, Schlüsselindustrien, militärische Macht sowie die Kraft und das Charisma, der Welt seine Deutungsmuster aufzuerlegen. Kurz: "Europa hat der Welt nur noch seine Vergangenheit zu bieten."
An einer Stelle vergleicht Pfeijffer seinen Roman mit Thomas Manns "Zauberberg", und einige niederländische Kritiker sind ihm in dieser Einschätzung gefolgt. Natürlich spielt der "Zauberberg" in einer anderen Liga; richtig ist aber, dass beide Werke Diskursromane sind, in denen die Handlung zugunsten von Gesprächen und Debatten reduziert ist. Und der Einwand, den manche Kritiker seinerzeit gegen den "Zauberberg" erhoben haben, dass die Figuren bloß "wandelnde Allegorien" seien - auf "Hotel Europa", dessen titelgebender Schauplatz bereits im allegorischen Irgendwo angesiedelt ist, trifft er wirklich zu.
Abdul zum Beispiel, der Piccolo des kürzlich von einem chinesischen Multimillionär übernommenen Hotels, ist eine Allegorie der Flüchtlingskrise. In den Feuilletons waren seit 2015 viele Artikel zu lesen, die uns erklärten, dass die große europäische Literatur voller mythischer Fluchtgeschichten sei - mit dem Subtext, dass man nicht einerseits diese Werke hochschätzen und sich andererseits ablehnend gegenüber Flüchtlingen als den heutigen realen Protagonisten solcher Dramen verhalten könne. Pfeijffer gewinnt aus dieser Moral die Bauanleitung für seine Figur. Abdul erzählt seine Fluchtgeschichte bereits selbst mit vielen Anleihen aus klassischen Texten wie der "Aeneis". Die Polizei ist über solche "Intertextualität" keineswegs erfreut und zieht den Schriftsteller als Gutachter zu Rate.
Die vogelscheuchenhafte französische Dichterin Albane wiederum ist eine Comedy-Allegorie des männerhassenden Feminismus. Sie wohnt ebenfalls im Hotel und wirft dem Erzähler regelmäßig "geballtes sexistisches Machogehabe" vor. So baut Pfeijffer zugleich der Gender-Kritik an den vielen schwülen Sex-Szenen seines Romans vor. Dass dem Erzähler junge, attraktive Frauenkörper gefallen, liegt in der Natur der Sache, doch deren Beschreibungen lassen eher an die Schwitzigkeit erotischer Stapelware als an den "Zauberberg" denken. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass sie dem Erzähler selbst auffällt: "Ich fühlte mich wie eine unglaubwürdige Figur in einem äußerst mittelmäßigen Roman."
"Die Welt von gestern" lautet ein berühmter Titel von Stefan Zweig. Er kommt einem bei der Lektüre von "Grand Hotel Europa" auch unweigerlich in den Sinn. Das Lamento über die Touristeninvasion liest man nun parallel zu den Panikmeldungen der Hoteliers und Gastronomen, die vor einer riesigen Pleitewelle stehen, weil die Touristen ausbleiben. Die Corona-Bremsung hat dieses Buch, das so aktuell wie möglich sein wollte, im Handumdrehen zum historischen Roman gemacht. Jetzt, wo die Flugzeuge am Boden bleiben und die schwimmenden Kreuzfahrtburgen vor Anker liegen, ist es eine anregende Besinnungslektüre für die touristische Zwangspause.
WOLFGANG SCHNEIDER
Ilja Leonard Pfeijffer: "Grand Hotel Europa".
Roman.
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Piper Verlag, München 2020. 556 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diskurs kann zum Bumerang werden: Ilja Leonard Pfeijffers Roman wandelt auf den Spuren von Thomas Manns "Zauberberg", doch es fehlt die Trittsicherheit
Dieser Roman hat ein deutliches Feindbild: die Touristen. Nicht zufällig lebt der Ich-Erzähler eine Zeitlang in jener Stadt, in der man dem Hass auf den Massentourismus wohl am besten Futter geben kann: in Venedig. Einmal wirft er in seiner Wut sogar einen Deutschen in einen Kanal, der doch bloß die eigene Frau fotografieren wollte. Wegen der Bildgestaltung ist er ein paar Schritte zurückgetreten: weniger Ehefrau, mehr Panorama. Dabei ist er rücklings mit Herrn Pfeijffer kollidiert.
Kein Irrtum - die Hauptfigur des Romans trägt denselben Namen wie der Autor: Ilja Leonard Pfeijffer. Das bedeutet aber nicht, dass wir es mit einem autobiographischen Bekenntnis zu tun haben, sondern dass der 1968 in den Niederlanden geborene Autor metafiktionale Spiegelfechtereien liebt: Der Roman "Grand Hotel Europa" handelt von seiner eigenen Entstehung, und der fiktive Erzähler gleicht dem realen Autor offenbar bis aufs wallende Haar und die Markenkrawatte.
Er präsentiert sich im Buch als Erfolgsschriftsteller (tatsächlich stand "Grand Hotel Europa" in den Niederlanden ein halbes Jahr an der Spitze der Bestsellerliste) und mit einer phänomenalen Geliebten an seiner Seite, der ebenso schönen wie klugen Kunsthistorikerin Clio Chiavari Cattaneo della Volta - alter markgräflicher Adel. In Venedig hat er zusammen mit Clio gelebt. Hat. Denn zu Beginn des Romans ist ihre exquisite Liebe bereits gescheitert; warum, erfahren wir erst ganz am Ende. Der Ich-Erzähler hat sich zurückgezogen ins Grand Hotel Europa, einen zeit- und raumenthobenen Ort, um sich dort in gediegener Atmosphäre dem Schmerz hinzugeben und seine Passion noch einmal literarisch zu rekapitulieren. Sein entstehender Roman soll zudem von einem Dokumentarfilm-Projekt über die "Schattenseiten der Reiselust" begleitet sein. Wobei es der niederländischen Film-Crew vor allem darum geht, EU-Fördermittel abzuschöpfen. Nicht nur hier zeigt der Roman eine unterhaltsame Neigung zum Satirischen und Burlesken.
Es gibt noch weitere Handlungsstränge, etwa die gemeinsam mit Clio betriebene Suche nach einem verschollenen Caravaggio-Gemälde, die allerdings ein etwas fades Dan-Brown-Aroma hat. Überhaupt ist die oft oberflächliche und fadenscheinige Handlung nicht das, was den Reiz der Lektüre ausmacht. Dieser Reiz besteht vielmehr in der überschäumenden Lust an Rhetorik und Reflexion. Die Figuren halten sich sozusagen ständig gegenseitig Vorträge. Clio etwa erläutert ausführlich Kunstwerke, und der Ich-Erzähler bemerkt zwischendurch: "Ich war beeindruckt. Ich wollte sie küssen, aber die Vorlesung war noch nicht zu Ende."
Viele Themen werden auf diese Weise abgehandelt, böser Spott richtet sich auf die Globetrotter, die mit ihrem "Rucksack voll stinkender Unterwäsche" auf unerschlossenen Wegen unterwegs sind und sich dabei noch einbilden, sie wären etwas Besseres als die Pauschalreisenden, die sich wenigstens dort aufhalten, wo Touristen hingehören. Es ist eine düstere Aussicht, die der Roman, ungeachtet seines heiteren Grundtons, an die Wand malt. Das überalterte Europa verliere alles, was einmal seine Bedeutung ausmachte: Jugend, Erfindergeist, ökonomische Potenz, Schlüsselindustrien, militärische Macht sowie die Kraft und das Charisma, der Welt seine Deutungsmuster aufzuerlegen. Kurz: "Europa hat der Welt nur noch seine Vergangenheit zu bieten."
An einer Stelle vergleicht Pfeijffer seinen Roman mit Thomas Manns "Zauberberg", und einige niederländische Kritiker sind ihm in dieser Einschätzung gefolgt. Natürlich spielt der "Zauberberg" in einer anderen Liga; richtig ist aber, dass beide Werke Diskursromane sind, in denen die Handlung zugunsten von Gesprächen und Debatten reduziert ist. Und der Einwand, den manche Kritiker seinerzeit gegen den "Zauberberg" erhoben haben, dass die Figuren bloß "wandelnde Allegorien" seien - auf "Hotel Europa", dessen titelgebender Schauplatz bereits im allegorischen Irgendwo angesiedelt ist, trifft er wirklich zu.
Abdul zum Beispiel, der Piccolo des kürzlich von einem chinesischen Multimillionär übernommenen Hotels, ist eine Allegorie der Flüchtlingskrise. In den Feuilletons waren seit 2015 viele Artikel zu lesen, die uns erklärten, dass die große europäische Literatur voller mythischer Fluchtgeschichten sei - mit dem Subtext, dass man nicht einerseits diese Werke hochschätzen und sich andererseits ablehnend gegenüber Flüchtlingen als den heutigen realen Protagonisten solcher Dramen verhalten könne. Pfeijffer gewinnt aus dieser Moral die Bauanleitung für seine Figur. Abdul erzählt seine Fluchtgeschichte bereits selbst mit vielen Anleihen aus klassischen Texten wie der "Aeneis". Die Polizei ist über solche "Intertextualität" keineswegs erfreut und zieht den Schriftsteller als Gutachter zu Rate.
Die vogelscheuchenhafte französische Dichterin Albane wiederum ist eine Comedy-Allegorie des männerhassenden Feminismus. Sie wohnt ebenfalls im Hotel und wirft dem Erzähler regelmäßig "geballtes sexistisches Machogehabe" vor. So baut Pfeijffer zugleich der Gender-Kritik an den vielen schwülen Sex-Szenen seines Romans vor. Dass dem Erzähler junge, attraktive Frauenkörper gefallen, liegt in der Natur der Sache, doch deren Beschreibungen lassen eher an die Schwitzigkeit erotischer Stapelware als an den "Zauberberg" denken. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass sie dem Erzähler selbst auffällt: "Ich fühlte mich wie eine unglaubwürdige Figur in einem äußerst mittelmäßigen Roman."
"Die Welt von gestern" lautet ein berühmter Titel von Stefan Zweig. Er kommt einem bei der Lektüre von "Grand Hotel Europa" auch unweigerlich in den Sinn. Das Lamento über die Touristeninvasion liest man nun parallel zu den Panikmeldungen der Hoteliers und Gastronomen, die vor einer riesigen Pleitewelle stehen, weil die Touristen ausbleiben. Die Corona-Bremsung hat dieses Buch, das so aktuell wie möglich sein wollte, im Handumdrehen zum historischen Roman gemacht. Jetzt, wo die Flugzeuge am Boden bleiben und die schwimmenden Kreuzfahrtburgen vor Anker liegen, ist es eine anregende Besinnungslektüre für die touristische Zwangspause.
WOLFGANG SCHNEIDER
Ilja Leonard Pfeijffer: "Grand Hotel Europa".
Roman.
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Piper Verlag, München 2020. 556 S., geb., 25,- [Euro].
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