Dem Pariser Großraum stehen folgenreiche Veränderungen bevor: Auf staatliche Initiative soll das heutige Paris unter Einbeziehung der drei umliegenden Banlieue-Départements weit über sich selbst hinauswachsen. Das neue Paris wird viermal so viele Einwohner haben und die Stadtfläche wird sich versiebenfachen. Die Stadterweiterung ist schon seit mehr als hundert Jahren ein Thema. Damals war der Einbezug des roten Gürtels aus kommunistisch regierten Gemeinden vor allem eine linke Forderung: die Forderung nach Solidarität zwischen dem reichen Paris und der vernachlässigten Banlieue. Diese »Bedrohung« ist verschwunden, jetzt kann die Stadt ihr enges Korsett sprengen. Freilich geht es in erster Linie nicht mehr darum,Solidarität mit bedürftigen Banlieue-Siedlungen zu üben, sondern einen Spitzenplatz im Konkurrenzkampf der Weltstädte zu erringen. Wie wird das künftige Gesicht von Paris aussehen? Dieses Buch zeichnet den wechselhaften Entwicklungsprozess der Hauptstadt und ihrer Banlieue vom Zweiten Kaiserreich bis heute nach und dient zugleich als Führer für zwölf Exkursionen, etwa in das imperiale Paris Haussmanns, in die Défense mit ihren Wolkenkratzern, in die Gartenstadt von Stains, in die nördliche Banlieue usw.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2017REISEBUCH
Unterwegs auf
Abwegen
Ungewöhnliche Reiseführer aus
der Schweiz zu Zürich und Paris
Es ist mit Reiseführern ein wenig so wie mit Wein: Jeder möchte etwas Besonderes sein, verspricht spezielle Blicke auf und hinter die Kulissen. Aber so, wie eben doch die meisten Winzer Cabernet Sauvignon und Chardonnay anbauen und sich an geschmacklichen Standards orientieren, ist die Mehrzahl der Reiseführer einander in ihrer Funktionalität und in dem, was sie Touristen empfehlen, recht ähnlich. Wenn es um Massentauglichkeit geht, gibt es eben eine bewährte Erfolgsformel.
Dem klassischen Aufbau weicht auch Günter Liehr nicht aus, in einem Dutzend Exkursionen erkundet er Paris. Nur ist es, und das macht seinen Band „Grand Paris“ außergewöhnlich, nicht das Paris aus Notre Dame, Eiffelturm, Louvre und Montmartre. Durch Eingemeindungen und eine Verwaltungsreform hat sich das Stadtgebiet Anfang 2016 massiv erweitert, Umlandgemeinden und die Hauptstadt werden fortan überdies in einer Metropolregion gemeinsam verwaltet. Liehr hat sich an diese neuen Stadtränder, in diese neuen Außenbezirke begeben. Die bestehen keineswegs nur aus tristen Sozialsiedlungen. Auch der Seine-Abschnitt, in dem die Impressionisten viele ihrer bedeutenden Gemälde geschaffen haben, gehört nun zu Grand Paris. Wobei das dann schon wieder recht konventionell reiseführerhaft ist.
Spannend ist Liehrs Paris-Führer dort, wo es um rauere Viertel geht, um Gegenden im Umbruch, die das Bild der Stadt – das die Tourismuswerbung selbst gerne von Paris vermittelt – erst einmal nicht bestätigen. Und doch sind diese Areale nun Teil der Stadtplanung und Orte urbanistischer Großprojekte. Auf längere Sicht werden sie das Paris-Bild sichtbar mitgestalten. Der Band bietet mithin eine spannende Entdeckungsreise, die mitunter überraschend weit in die Vergangenheit der Stadt und ihres Umlands zurückreicht.
Ins Herz der Stadt Zürich führt dagegen Peter Bührers „Zürich Insider Guide“. Das Versprechen, die hippsten Plätze, Läden, Bars zu präsentieren, machen viele andere Reiseführer auch. Aber in diesem Wälzer verschmelzen Inhalt und Aufmachung: Mit großem Stilwillen ist der „Inside Guide“, der ohne ein einziges Foto auskommt, selbst als eine Zürcher Attraktion gestaltet. Er ist ziemlich cool illustriert, außerdem verbindet er konsequent die analoge mit der digitalen Welt. Über viele QR-Codes bekommt der Leser zum einen tagesaktuelle Informationen, zugleich ergänzen etliche der Links den Band um 60 Stunden Bild- und Tonmaterial – man kann sogar Opern hören oder einen Krimi. Beide Bücher ermöglichen einem auf ihre Weise, vom Touristen zum Reisenden zu werden.
STEFAN FISCHER
Peter Bührer: Zürich Inside Guide. Zürich Welcome Home, Zürich 2017. 696 Seiten, 39,90 Euro.
Günter Liehr: Grand Paris. Eine Stadt sprengt ihre Grenzen. Rotpunkt Verlag, Zürich 2017. 296 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Unterwegs auf
Abwegen
Ungewöhnliche Reiseführer aus
der Schweiz zu Zürich und Paris
Es ist mit Reiseführern ein wenig so wie mit Wein: Jeder möchte etwas Besonderes sein, verspricht spezielle Blicke auf und hinter die Kulissen. Aber so, wie eben doch die meisten Winzer Cabernet Sauvignon und Chardonnay anbauen und sich an geschmacklichen Standards orientieren, ist die Mehrzahl der Reiseführer einander in ihrer Funktionalität und in dem, was sie Touristen empfehlen, recht ähnlich. Wenn es um Massentauglichkeit geht, gibt es eben eine bewährte Erfolgsformel.
Dem klassischen Aufbau weicht auch Günter Liehr nicht aus, in einem Dutzend Exkursionen erkundet er Paris. Nur ist es, und das macht seinen Band „Grand Paris“ außergewöhnlich, nicht das Paris aus Notre Dame, Eiffelturm, Louvre und Montmartre. Durch Eingemeindungen und eine Verwaltungsreform hat sich das Stadtgebiet Anfang 2016 massiv erweitert, Umlandgemeinden und die Hauptstadt werden fortan überdies in einer Metropolregion gemeinsam verwaltet. Liehr hat sich an diese neuen Stadtränder, in diese neuen Außenbezirke begeben. Die bestehen keineswegs nur aus tristen Sozialsiedlungen. Auch der Seine-Abschnitt, in dem die Impressionisten viele ihrer bedeutenden Gemälde geschaffen haben, gehört nun zu Grand Paris. Wobei das dann schon wieder recht konventionell reiseführerhaft ist.
Spannend ist Liehrs Paris-Führer dort, wo es um rauere Viertel geht, um Gegenden im Umbruch, die das Bild der Stadt – das die Tourismuswerbung selbst gerne von Paris vermittelt – erst einmal nicht bestätigen. Und doch sind diese Areale nun Teil der Stadtplanung und Orte urbanistischer Großprojekte. Auf längere Sicht werden sie das Paris-Bild sichtbar mitgestalten. Der Band bietet mithin eine spannende Entdeckungsreise, die mitunter überraschend weit in die Vergangenheit der Stadt und ihres Umlands zurückreicht.
Ins Herz der Stadt Zürich führt dagegen Peter Bührers „Zürich Insider Guide“. Das Versprechen, die hippsten Plätze, Läden, Bars zu präsentieren, machen viele andere Reiseführer auch. Aber in diesem Wälzer verschmelzen Inhalt und Aufmachung: Mit großem Stilwillen ist der „Inside Guide“, der ohne ein einziges Foto auskommt, selbst als eine Zürcher Attraktion gestaltet. Er ist ziemlich cool illustriert, außerdem verbindet er konsequent die analoge mit der digitalen Welt. Über viele QR-Codes bekommt der Leser zum einen tagesaktuelle Informationen, zugleich ergänzen etliche der Links den Band um 60 Stunden Bild- und Tonmaterial – man kann sogar Opern hören oder einen Krimi. Beide Bücher ermöglichen einem auf ihre Weise, vom Touristen zum Reisenden zu werden.
STEFAN FISCHER
Peter Bührer: Zürich Inside Guide. Zürich Welcome Home, Zürich 2017. 696 Seiten, 39,90 Euro.
Günter Liehr: Grand Paris. Eine Stadt sprengt ihre Grenzen. Rotpunkt Verlag, Zürich 2017. 296 Seiten, 36 Euro.
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