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Der verkrachte Student Leo Pardell lässt Mutter und Freundin in dem Glauben, er befinde sich auf Sprachreise in Buenos Aires. Doch in Wirklichkeit heuert er als Schlafwagenschaffner an, reist kreuz und quer durch Europa und begegnet einer Vielzahl von Menschen, unter ihnen auch dem exzentrischen Uhrensammler Baron Reichhausen auf der Suche nach einem legendären Stück, der "Grande Complication". Unversehens wird Leo zur Schlüsselfigur in Reichhausens fanatischer Jagd.Liebes-und Detektivgeschichte, Entwicklungsroman und Schelmenstück, Kulturgeschichte und Reisebericht in einem: Kopetzkys…mehr

Produktbeschreibung
Der verkrachte Student Leo Pardell lässt Mutter und Freundin in dem Glauben, er befinde sich auf Sprachreise in Buenos Aires. Doch in Wirklichkeit heuert er als Schlafwagenschaffner an, reist kreuz und quer durch Europa und begegnet einer Vielzahl von Menschen, unter ihnen auch dem exzentrischen Uhrensammler Baron Reichhausen auf der Suche nach einem legendären Stück, der "Grande Complication". Unversehens wird Leo zur Schlüsselfigur in Reichhausens fanatischer Jagd.Liebes-und Detektivgeschichte, Entwicklungsroman und Schelmenstück, Kulturgeschichte und Reisebericht in einem: Kopetzkys literarische Tour de Force begeisterte Kritik und Lesepublikum gleichermaßen. Von elegant geschliffener Sprache, höchst amüsant, präzise und zugleich überbordend an Phantasie bietet "Grand Tour" ein Lesevergnügen der ganz besonderen Art.
Autorenporträt
Steffen Kopetzky wurde 1971 in Pfaffenhofen an der Ilm geboren und arbeitete nach einem unvollendeten Philosophiestudium eine Zeit lang als Schlafwagenschaffner. Er veröffentlichte u.a. Theaterstücke, Opernlibretti, Radiofeatures und Erzählungen und wurde vielfach ausgezeichnet. Von 2003 bis 2008 war er Künstlerischer Leiter der Biennale Bonn. "Der letzte Dieb" ist sein vierter Roman. Nach einem Jahrzehnt in Berlin-Neukölln lebt Kopetzky mit Frau und Kindern wieder in seiner oberbayerischen Geburtsstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Ode an die Pünktlichkeit
Steffen Kopetzkys Uhr geht nach / Von Richard Kämmerlings

Als die große, weite Welt so groß und weit geworden war, daß sie nicht mehr in einen Roman hineinpaßte, und auch Georg Lukács' Ausweg, schon die Suche nach Ganzheit für eine runde Sache zu halten, Stückwerk geblieben war, da erfand ein Thomas Pynchon in den sechziger Jahren den Roman und die Welt einfach noch einmal neu: Und diesmal mit etwas mehr Zusammenhang, bitte! Seine Romane zeigten die Realität als geschlossenes System, in dem alles auf geheime Weise verbunden war. Inbegriff dieses nach verborgenen Mustern gewebten Weltenteppichs war die Post: eine banal-bürokratische, aber weltumspannende Institution, deren profane Logik von Absender und Empfänger die Welt im Innersten zusammenhält.

Nun also die Bahn. Der Held des neuen Romans von Steffen Kopetzky ist der Berliner Student Leo Pardell, der eine Diplomarbeit über die Fluchtwege in den "Carceri" Piranesis schreiben will, und dem Gefängnis seines eigenen verkorksten Daseins entkommen will. Nachdem eine geplante Argentinien-Reise in letzter Minute scheitert, heuert er als "Springer" bei der Münchner Sektion der Compagnie an, der europäischen Schlafwagengesellschaft. Während ihn seine Ex-Freundin Juliane in Buenos Aires wähnt, verfällt er mehr und mehr seiner nachtaktiven Existenzform und wird Teil einer fast geheimbündnerisch verschworenen Gemeinschaft. Was den Romantikern die weisen, der verborgenen Einheit der Welt näherstehenden Bergleute waren, das sind hier die Schaffner mit ihren nachtblauen Uniformen, ihren Ritualen und Treffpunkten an jedem Endbahnhof.

So schließt Pardell Freundschaft mit dem Bulgaren Poliakov, einem "erotischen Genie", das ihn in der Kunst der Verführung weiblicher Fahrgäste unterweist, dem aus der DDR stammenden Erwin Erfurt, Romanist und Kraftpaket mit asiatischen Zügen, und schließlich dem greisen Quentin, einer Art Philosophenkönig unter den Fahrkartenknipsern, der im Pariser Restaurant "Gran' Tour" zu Pardells Lehrmeister wird. Nicht nur wegen dieses Stammsitzes, dessen Innenarchitektur Piranesi folgt, erscheint die Compagnie als die ins Eisenbahnzeitalter katapultierte Turmgesellschaft Wilhelm Meisters. Zugleich ist Pynchon nicht weit. So trifft Pardell einen paranoiden Mechaniker, der in den Streckennetzen geheime Muster erkennt: der Schlafwagen als Hinterzimmer der Weltgeschichte.

Die andere Hauptfigur ist der wohlhabende Anwalt und Uhrensammler Baron von Reichhausen (auf diese Art Sprachwitz muß der Leser gefaßt sein). Zufällig stößt er auf die Spur des legendären Unikats "Ziffer à Grande Complication 1924", dessen Erwerb seine Sammlung vervollständigen würde. Komplikationen - in diesem Fall eine Jahrtausendanzeige - sind zusätzliche Finessen der Uhrenmechanik. Im Roman nennt man sie gewöhnlich Nebenhandlungen. In "Grand Tour" kreuzen sich nicht nur die Routen Pardells und Reichhausens, der von den Besitzern der Uhr quer durch Europa und an der Nase herum geführt wird. Die Nachtzüge sind auch das Spielfeld eines verdeckten Ermittlers, der das "System des HERRN", ein perfektes Drogennetzwerk auf Schienen, aufdecken will. An weiteren Knotenpunkten der Handlung steigen zu: neapolitanische Mafiosi, eine russische Hochstaplerin und einige schusselige Privatdetektive.

Daß der Roman in den Monaten vor der Jahrtausendwende spielt, verleiht dem Ganzen eine chiliastische Note, wenn auch unerfindlich bleibt, warum Reichhausen eine mechanische, jahrelang nicht mehr aufgezogene Uhr ausgerechnet Silvester 1999 in Händen halten will. Die Angst vor dem millennium bug wird erwähnt; der Erbauer der Meisteruhr, ein Samuel Moses Ziffer, teilt biographische Züge mit Walter Benjamin, die Vertraute Reichhausens heißt Doktor Bloch. Doch mehr als ein vages eschatologisches Wabern erzeugen solche Verweise nicht. Als Millenniumsroman kommt "Grand Tour" zu spät, doch vielleicht zielt Kopetzky auf eine ferne Nachwelt, der man erklären muß, daß die "Siedler von Catan" "ein zeitgenössisches Brettspiel" waren und Madonna eine amerikanische Sängerin.

Nicht ohne Anmerkung verständlich wird in jener Zukunft auch der Konflikt zwischen dem alten Sektionschef Eichhorn - der Reim auf den Verlagsnamen ist wohl Selbstironie - und dem Oberaufseher Lagrange sein, der sich zu einer Auseinandersetzung zwischen Improvisation und Perfektionismus, analoger und digitaler Welt steigert. Die alteuropäische Compagnie erscheint als letztes Bollwerk gegen Brüsseler Nivellierung. Ein ganzes Kapitel widmet sich dem Moloch der EU-Bürokratie und wärmt dabei mindestens so viele antizentralistische Klischees auf wie Pardell Kalbsgeschnetzeltes jenseits des Verfallsdatums.

Man hat den beiden ersten Büchern Kopetzkys ihren abgestandenen Postmodernismus vorgeworfen, die Verweigerung realistischen Erzählens im metafiktionalen Spiel. Doch trotz der Häufung von Spiel- und Theatermotiven liegt das Problem dieses Romans nicht in seiner Kopflastigkeit oder eines Übergewichts der Artistik gegenüber dem fleißig recherchierten Stoff. Im Gegenteil bleibt gerade die Virtuosität bloße Behauptung: Die Erzählung als Uhrwerk, in dem jedes Rädchen ins andere greift, als scheinbar chaotisches, aber einem unsichtbaren System folgendes Streckennetz - diese Metaphern treffen allenfalls die reißbrettartige Konstruktion, nicht aber die feinen Federn und Gewichte einzelner Kapitel.

Das Buch wimmelt von handwerklichen Fehlern, die die aufwendige Statik um ihre Wirkung bringen - soviel Abstellgleis war nie. Personen werden umständlich eingeführt, um dann nie wieder aufzutauchen, Szenen in medias res begonnen, so daß der nachgereichten Vorgeschichte jede Spannung fehlt: So treffen wir einmal Pardell mit einer jungen Interrail-Reisenden im Hotelbett an, um später seitenlang das Drama einer schwülen Verführung nachgeliefert zu bekommen. Statt konsequenter Perspektivik läßt Kopetzky einem allwissenden und alles besserwissenden Erzähler freien Lauf: ". . . und er wußte deswegen auch nicht im geringsten, daß ein Fremder, der einen Freund auf dessen eigenem Terrain sucht, gut darin (sic!) tut, weniger zu suchen, als sich selbst vielmehr finden zu lassen". Na, dann eben nicht.

Der gravierendste Mangel des Erzählers Steffen Kopetzky aber ist seine Sprache, die verlockenden Klischees so widerstandslos verfällt wie Pardell den Reizen seiner weiblichen Fahrgäste: "Ein nacktes, duftendes Mädchen neben sich zu wissen und länger zu brauchen, sich an ihren Namen zu erinnern, als an den Geschmack ihrer Muschi. Und kurz danach, für die Sekunde lüsternen weltmännischen Vergnügens, nachdem man sich des bittersalzigen Aroms versichert hatte, das die eigenen Lippen veredelte, erinnerte man sich, daß man gerade in Florenz war." Das ist ein verschmockter Erste-Klasse-Ton aus dem parfümierten Orientexpreß, preziös und prahlerisch. Wenn schon Bier, dann "Augustiner Edelstoff". Alles zielt auf Gediegenheit: Grand Tour, Große Complication, dickes Buch, "Hauptwerk" - so soll die Assoziationskette verlaufen.

Dabei handelt es sich um ein großes Mißverständnis. Dieser Roman ist nicht komplex, sondern schlicht lang und auch langweilig, durch Nebenhandlungen, Rückblenden und Zwischenspiele unnötig aufgebläht und somit gerade das Gegenteil eleganter Funktionalität - ein Präzisionschronometer im Gehäuse einer Kuckucksuhr. Die Herkunft der "Ziffer" etwa ist für den Krimiplot irrelevant, füllt aber mit einem Kurzabriß der Computergeschichte und der späten Aufdeckung eines Nazi-Kunstraubs Seite um Seite. Pardells Maskerade für Juliane weitet sich zur burlesken Beziehungskomödie aus, und die Versteigerung der Uhr in Baden-Baden bietet Anlaß zu einer matten Provinzposse um einen Stadtschreiber namens Rainer Popatzky und Schienbeintritten gegen die Popliteratur.

"Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne, sie sind genauer", schrieb ein Dichter einst ins Lesebuch künftiger Oberstufen. Steffen Kopetzky, Jahrgang 1971, hat ein Kursbuch schreiben wollen und eine Ode an die Pünktlichkeit gleich dazu. Doch über der Frage, welcher Uhr zu vertrauen sei, ist ihm aus dem Blick geraten, wie sehr solch augenzwinkernd-selbstreferentielles Erzählen längst seiner Zeit hinterherhinkt.

Steffen Kopetzky: "Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication". Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2002. 740 S., geb., 29,90 .

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"Ein witziges, weises, gewagtes, abenteuerliches - kurz: ganz und gar hinreißendes Buch."