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'They have sent me here because of what happened on the pylon'. When Clodagh Brown writes these words at the age of nineteen, she believes that she is leaving behind the traumatic events of her youth. But Clodagh soon learns that you can never entirely escape your past.

Produktbeschreibung
'They have sent me here because of what happened on the pylon'. When Clodagh Brown writes these words at the age of nineteen, she believes that she is leaving behind the traumatic events of her youth. But Clodagh soon learns that you can never entirely escape your past.
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Autorenporträt
Barbara Vine
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Über Dach und Stein
Barbara Vine in ungewohnten Höhen / Von Hans-Dieter Seidel

Wenn die britische Autorin Ruth Rendell sich Barbara Vine nennt, geht nicht nur der literarische Anspruch über das Genre des Kriminalromans hinaus. Der Widerschein des Lebens erhält in dem gesellschaftlichen Mikrokosmos, den sie unvergleichlich sorgsam inszeniert, dann auch besonders schnittscharfe Konturen. Im Bizarren das Normale zu entdecken, das Phantastische realistisch zu begründen, darin besteht die Kunst der Barbara Vine. So erzählt das Buch "Heuschrecken" im Grunde eine kreuzbrave, wenn auch aufs Ende hin wenig glücklich scheinende Liebesgeschichte: von Anlehnungsbedürfnis und dem Verlangen nach Nähe und Geborgenheit. Aber daß diese Sehnsucht nächtens vornehmlich auf den Dächern von London ausgelebt wird, gibt dem Bedürfnis nach Halt eine eigene Bewandtnis.

Knapp ein Dutzend Romane mit dem Vine-Siegel sind seit Ende der achtziger Jahre erschienen, und noch jedesmal gelang es der Autorin, im nächsten Buch die Schablone des zuvor meist Erfolgreichen zu meiden. "Sie haben mich hierhergeschickt, weil das mit dem Mast passiert ist." Der erste Satz mag noch vermuten lassen, es könnte wieder um eine Schuld gehen, die ans Licht befördert, und um den Kampf gegen das Verdrängen, der gegen alle Widerstände ausgefochten werden muß. Tatsächlich nagt an der etwa zwanzig Jahre alten Ich-Erzählerin namens Clodagh ein schreckliches Unglück: Als junges Mädchen hat sie ihren Gefährten Daniel bewogen, gemeinsam mit ihr einen Hochspannungsmast zu besteigen, und den Jungen dabei unwillentlich in den Tod geschickt. Tatsächlich verfolgt sie dieses Bild erinnyenzäh, wie er vor dem dämmerroten Himmel auf dem Querträger des Masts steht und von einem Augenblick auf den anderen von einem Feuerball verschlungen wird. Eben war er noch im wahrsten Sinn des Wortes obenauf, wie seine Freundin berauscht von der Höhe. Einen Herzschlag später vernichtete ihn die Explosion, wenn vierhunderttausend Volt von einer Freileitung auf einen Menschen überspringen.

Aber der Bericht, den Clodagh, gestützt auf Tagebuchaufzeichnungen, von dem nun elf Jahre zurückliegenden Geschehen anfertigt, wobei sie den Leser dieser Erinnerungsschübe auf zwei Zeitebenen sich fortdauernd über die Schulter schauen läßt, dient weit weniger therapeutischen Zwecken als dem geschickten Versuch der unterdessen verheirateten, als Elektrikerin beruflich selbstbewußten jungen Frau, ihrer selbst sich auch im Persönlichen so zu versichern, daß sie sich nicht länger auf der Flucht vor einem wesenlosen Schicksal wähnt. Dem Titel des Romans zum Trotz, der Hochspannungsmasten sechsbeinigen Insekten gleichsetzt, quer über die Felder springend, verläßt Clodaghs Erinnern das für Klaustrophobiker mit seinen weiten, offenen Flächen, dem freien Himmel und den ebenen Horizonten so einladende ländliche Suffolk unvermutet rasch und schwingt sich auf über die Dächer des Londoner Stadtteils Maida Vale.

Clodagh leidet an einer besonderen Art von Klaustrophobie, die sie nicht vor engen Räumen zurückschrecken oder fürchten läßt, in Aufzügen eingesperrt zu werden, sondern die ihr Tunnel, Unterführungen, alles, was unter der Erde ist, unerträglich macht. Von einstürzendem Mauerwerk begraben zu sein und zu ersticken, den Mund voll Mörtelstaub und Spinnweben, diese Vorstellung ist für sie der Horror. Wie grausam einen solchen Menschen eine Souterrainwohnung peinigen muß, in die es Clodagh als Fachhochschulstudentin verschlug, kann man nur ahnen: "Es war ein bißchen so, als wenn man in einen dunklen Teich taucht, dessen Tiefe man nicht kennt, von dem man aber weiß, daß man darin ertrinken könnte." Wer Tiefen derart haßt, muß von Höhen fasziniert sein, nicht nur bei den ersten Kletterpartien als Kind auf den Dorfulmen, die mit ihren Zweigen guten Halt bieten, nicht nur mit der für Daniel tödlichen Mastkur - sondern mehr noch von einer verschworenen Gemeinschaft harmlos exzentrischer junger Leute, die ihren ganzen Ehrgeiz darein setzen, sich aus hochgelegenen Fenstern über Gesimse, Brüstungen, Geländer zu schwingen und sich auf flach und auch einmal steiler abfallenden Dächern zu bewegen, als seien sie auf einer Promenade. Daß Clodagh sich in einen der gewandten Dachsteiger spontan verliebt, erhöht noch ihre Anfälligkeit für die verrückte Idee, aber ist keinesfalls die entscheidende Bedingung: "Ich wußte sofort, wozu es gut war und warum man so etwas gern machen wollte. Wie der Everest, wie Annapura und K 2 waren die Dächer einfach da, das genügte. Mir schien, daß es ebenso legitim war, auf ihnen herumzuspazieren und sie zu erkunden, wie bei jeder Gasse oder Landstraße, bei jedem Dorf."

Unversehens führt den Roman das Thema Platzangst und Agoraphobie, die Barbara Vine an einer der neuen Freundinnen Clodaghs beklemmend exemplifiziert, zur Akrophilie und damit in eine literarische Höhe, die eher selten erkundet wird und der die Beschreibungskraft dieser Autorin über weite Strecken ohne weiteres genügt. Für das filmische Ineinandergleiten der Zeitebenen, das sich innerhalb eines Satzes vollziehen kann, wird sie seit langem gerühmt, ebenso für das Austarieren der Spannungselemente und retardierenden Momente; auch das Enthüllen nach und nach und die Neigung, die Dinge ausgedehnt im Ungewissen zu lassen, bedienen sich der Technik, in Halbsatzandeutungen von aufgeschobener Aufklärung zu raunen, in einem noch zu tolerierenden Ausmaß. Einzig das Bemühen, der Euphorie von Freiheit und Ungebundensein über den Dächern als Kontrapunkt einen Fall unentrinnbaren Eingeschlossenseins entgegenzusetzen, scheint über die Maßen erzwungen. Da geht es um ein gleichfalls noch nicht sehr altes Paar, dem die Behörde das schon zur Adoption zugestandene Kind mit juristisch unangreifbaren, aber jedem humanen Verständnis hohnsprechenden Gründen wieder entreißen will und das sein Zuhause, die Karriere, ja den ganzen Lebensraum und jegliche Bewegungsfreiheit für dieses Kind zu opfern bereit ist. In ungebärdigem Gerechtigkeitssinn setzen Clodagh & Co. ihren ganzen Ehrgeiz in ein Fluchthelferdrama, das dem Roman zu einem furiosen Finale, freilich vom Reißbrett der Kolportage verhilft.

Doch zum Glück sind es, auch wenn der wie bei Barbara Vine üblich von Renate Orth-Guttmann zwar im norddeutschen Sprachduktus, gleichwohl geschmeidig übersetzte Roman zur gehobenen Unterhaltungsliteratur gerechnet werden muß, kaum je die Versatzstücke der Handlung, welche die mehr als sechshundert Seiten interessant machen: Clodaghs Rauswurf aus der Fachhochschule etwa, ihre erleichtert akzeptierte Verbannung aus der Souterrainwohnung, die Eskapaden auf den Dächern und die dabei auch frei werdende kriminelle Energie des einen oder anderen, die mit gelegentlichen Einbrüchen durch offenstehende Fenster beginnt und bei Angriffen auf Leib und Leben noch lange nicht endet.

Überzeugender ist der schleichend, gleichsam gegen den Willen der Rekapitulierenden sich offenbarende Prozeß, wie die Liebenden auch in luftiger Höhe von den Mühen der Ebene und der Abnutzung ihrer Gefühle nicht verschont werden: Eifersucht, Entfremdung, die schwärt und gärt, Mißtrauen und Gleichgültigkeit. Ergreifender sind die psychologisch fein ziselierten Miniaturen, in denen Figuren am Rande vorgestellt werden, die nie Randfiguren bleiben. Und unwiderstehlich sind die Beobachtungen Barbara Vines, die in eine Sprachpoesie ohne jeden Krampf zum bloß Originellen gefaßt werden, vom Singen der Masten bei Nässe - "die Feuchtigkeit knistert und summt in den Drähten" - über das die Schritte Lähmende einer dunklen Unterführung - "die Kacheln fühlten sich kalt an, nein, schlimmer noch, sie schienen unter meinen Händen zu wabbeln wie Gelee, Wände und Decken dehnten sich aus und zogen sich wieder zusammen, der Boden war wie eine Wanderdüne" - bis zum Hohenlied der Höhenlust, die sich an Giebeln und Gaubenfenstern, Türmchen, Kaminen und Mansarden und den scheinbar endlos lockenden Dachplatten berauscht: "Nachts waren die Lichter ein weites glitzerndes Meer, üppiger als ein Sternenhimmel vor den Zeiten der großen Luftverschmutzung. Da aber, wo wir waren, weit über der Straßenbeleuchtung, war die Dunkelheit wie dünner Rauch, waren die Wolken und der klare Himmel über uns pflaumenfarben." Der Blick hinab auf die geparkten Wagen, "die Tag und Nacht millionenfach die Gehsteige einfaßten wie Narbengewebe eine verheilte Wunde", ist so zuvor ungesehen wie die ehrfürchtige Scheu und das angstvolle Staunen unerlebt, für das Clo die richtigen Worte findet - voller Angst nicht vor dem Sturz oder dem Erwischtwerden, sondern im Respekt vor dem Unbekannten.

Barbara Vine: "Heuschrecken". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 644 S., geb., 46,90 DM.

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