In this masterful work of neo-noir, William Boyle expertly captures the grit and desperation of a neighborhood in flux, and spotlights the neighbors who find themselves caught up in the crimes of the past. Some worship him and some want him dead, but either way, tensions run high when "Ray Boy" Calabrese is released from prison. It's been sixteen years since Ray Boy's actions led to the death of a young man. The victim's brother, Conway D'Innocenzio, is a 29-year-old Brooklynite wasting away at a local Rite Aid, stuck in the past and drawn into a darker side of himself when he hears of Ray Boy's freedom. But even with the perfect plan in place, Conway can't bring himself to take the ultimate revenge on Ray Boy, which sends him into a spiral of self-loathing and soul-searching. Meanwhile, Alessandra, a failed actress, returns to her native Gravesend after the death of her cancer-stricken mother, torn between the desperate need to escape back to Los Angeles as quickly as possible and the ease with which she could sink back into neighborhood life. Alessandra and Conway are walking eerily similar paths-staring down the rest of their lives, caring for their aging fathers, lost in the youths they squandered-and each must decide what comes next. In the tradition of American noir authors like Dennis Lehane and James Ellroy, William Boyle's Gravesend brings the titular neighborhood to life in this story of revenge, desperation, and escape.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2018Sie wissen nicht, was sie tun
Der Tod ist überall: William Boyles Debüt "Gravesend"
Gravesend, ein Stadtteil im Süden von Brooklyn, eine ganze Welt entfernt von Manhattan, wenngleich nur eine Fahrt mit der Subway. Als könnte der Name etwas dafür, ist dort der Rand des Grabes erreicht, an dem nur noch der Tod steht. Alles in dieser Geschichte geschieht irgendwann nach 2001, die Band Nirvana klingt in den Ohren, Kurt Cobain ist schon tot, und das Album "Nevermind" gibt den Rhythmus vor. Es ist der totale Defätismus, der die Menschen in William Boyles erstem Roman "Gravesend" bestimmt. Aber warum sie so mutlos und verzweifelt sind, das entzieht sich ihrer Reflexion, es gibt keine wirklichen Gründe für diese Stimmung. Sie ist einfach da, so gewiss wie der Tod.
Daraus macht Boyle eine harte, wilde, melancholische Parabel. Weil er von der Unausweichlichkeit des Schicksals und seinen Verflechtungen erzählt, irritierend kompromisslos und kalt - bis sich so etwas wie Rührung einstellt. Es ist nicht so, dass es keine Schulen gäbe, keine Krankenhäuser, keine wie immer schwierigen Kontakte untereinander, zumal zwischen den aus Italien stammenden Familien in Gravesend, keine funktionsfähige Infrastruktur. Es ist nur so, dass niemand die Katastrophe aufhalten kann.
Da ist Conway d'Innocenzio, Ende zwanzig, Angestellter in einem "Rite Aid", der seinen gebrechlichen Vater versorgt und seinen Bruder Duncan rächen will, es aber nicht schafft: "Conway war schon immer eine Komplettniete gewesen. Ohne Aussichten und feige war eine beschissene Kombination." Denn sein Bruder Duncan, der homosexuell war, wurde von einer Bande um Ray Boy Calabrese auf dem Highway zu Tode gehetzt. Dafür saß Ray Boy sechzehn Jahre im Gefängnis; jetzt ist er nach Gravesend zurückgekehrt.
Da ist Ray Boys halbstarker Neffe Eugene, der schlimm hinkt und bei seiner Mutter aufwächst, der seine Frustration mit Ladendiebstählen wettmacht und mit Aufsässigkeit in der Schule - bis er schließlich abhaut. Er schmiedet den Plan für den Überfall auf eine Pokerrunde in Gravesend, um mit dem erbeuteten Geld nach Nova Scotia zu gelangen, seinem Traumland. Eugenes Rollenmodell sind die "Sopranos", die Kult gewordene amerikanische Fernsehserie über eine italoamerikanische Mafiafamilie, die allerdings in New Jersey angesiedelt war.
Eugene ist nur einer von denen in Gravesend, die der Wirklichkeit abhandengekommen sind - und die sich dennoch nicht aus ihren Fängen befreien können. Die Realität lastet dafür auf der vor sich hin vegetierenden Elterngeneration, der jedoch jede Möglichkeit des Verstehens verschlossen ist.
Da ist die attraktive Alessandra Biagini, auch Ende zwanzig, die nach dem Tod ihrer Mutter aus Los Angeles zurückkehrt zu ihrem Vater, nachdem alle Hoffnungen einer Filmkarriere in Hollywood gescheitert sind. Alessandra trifft in Gravesend ihre Klassenkameradin Stephanie Dirello wieder, vielleicht das bedauernswerteste Geschöpf in Boyles Geschichte. Stephanie sieht nicht schön aus, sie lebt bei ihrer bigotten Mutter, arbeitet im selben Laden wie Conway, in den sie unglücklich verliebt ist. Aber es gibt auch für sie keine Chance, nicht einmal für dieses Paar zweier im Leben Zukurzgekommener.
Die Verstrickung der Handelnden nimmt unweigerlich ihren Lauf: Eugene hat bei seinem Plan auf seinen Onkel Ray Boy gesetzt, den er verherrlicht. Doch auch Ray Boy ist eine gebrochene Existenz. Er hat zwar erkannt, dass er an Duncans Tod schuldig ist, ist aber weder imstande, sein Handeln zu bereuen noch sich selbst zu verzeihen, um sich zu befreien - und vielleicht die anderen mit ihm, die in diesem Milieu verkommen.
",Ich will mich nicht entschuldigen', sagte Ray Boy. ,Mit meiner Erziehung oder diesem Scheiß. Ich war einfach, was weiß ich . . . ich war einfach, wie ich war.'" Ray Boy, der Spitzname ist die Fratze seines Charakters, kann kein Erlöser sein. Er will nur eines - seinen eigenen Tod; dafür wird er sorgen. Während die anderen sich verzweifelt abstrampeln in ihren je eigenen Jammertälern, verfolgt er sein Ziel, ohne Gnade für sich und die anderen. Ray Boy ist eine ungeheuerliche, gefährliche Gestalt.
William Boyle, selbst in der Nachbarschaft von Gravesend aufgewachsen, beschreibt seine Figuren allwissend, eine klassische Erzählhaltung ist das. Der Autor hat Verständnis für diese traurigen Gestalten, denen tatsächlich sogar Tragik zuzuerkennen ist; denn sie wissen nicht, was sie getan haben und tun - und vor allem nicht, warum sie so handeln müssen. "Gravesend" nimmt, großartig berechnend, das Muster der antiken Tragödie auf.
ROSE-MARIA GROPP
William Boyle:
"Gravesend".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf.
Polar Verlag, Hamburg 2018. 300 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Tod ist überall: William Boyles Debüt "Gravesend"
Gravesend, ein Stadtteil im Süden von Brooklyn, eine ganze Welt entfernt von Manhattan, wenngleich nur eine Fahrt mit der Subway. Als könnte der Name etwas dafür, ist dort der Rand des Grabes erreicht, an dem nur noch der Tod steht. Alles in dieser Geschichte geschieht irgendwann nach 2001, die Band Nirvana klingt in den Ohren, Kurt Cobain ist schon tot, und das Album "Nevermind" gibt den Rhythmus vor. Es ist der totale Defätismus, der die Menschen in William Boyles erstem Roman "Gravesend" bestimmt. Aber warum sie so mutlos und verzweifelt sind, das entzieht sich ihrer Reflexion, es gibt keine wirklichen Gründe für diese Stimmung. Sie ist einfach da, so gewiss wie der Tod.
Daraus macht Boyle eine harte, wilde, melancholische Parabel. Weil er von der Unausweichlichkeit des Schicksals und seinen Verflechtungen erzählt, irritierend kompromisslos und kalt - bis sich so etwas wie Rührung einstellt. Es ist nicht so, dass es keine Schulen gäbe, keine Krankenhäuser, keine wie immer schwierigen Kontakte untereinander, zumal zwischen den aus Italien stammenden Familien in Gravesend, keine funktionsfähige Infrastruktur. Es ist nur so, dass niemand die Katastrophe aufhalten kann.
Da ist Conway d'Innocenzio, Ende zwanzig, Angestellter in einem "Rite Aid", der seinen gebrechlichen Vater versorgt und seinen Bruder Duncan rächen will, es aber nicht schafft: "Conway war schon immer eine Komplettniete gewesen. Ohne Aussichten und feige war eine beschissene Kombination." Denn sein Bruder Duncan, der homosexuell war, wurde von einer Bande um Ray Boy Calabrese auf dem Highway zu Tode gehetzt. Dafür saß Ray Boy sechzehn Jahre im Gefängnis; jetzt ist er nach Gravesend zurückgekehrt.
Da ist Ray Boys halbstarker Neffe Eugene, der schlimm hinkt und bei seiner Mutter aufwächst, der seine Frustration mit Ladendiebstählen wettmacht und mit Aufsässigkeit in der Schule - bis er schließlich abhaut. Er schmiedet den Plan für den Überfall auf eine Pokerrunde in Gravesend, um mit dem erbeuteten Geld nach Nova Scotia zu gelangen, seinem Traumland. Eugenes Rollenmodell sind die "Sopranos", die Kult gewordene amerikanische Fernsehserie über eine italoamerikanische Mafiafamilie, die allerdings in New Jersey angesiedelt war.
Eugene ist nur einer von denen in Gravesend, die der Wirklichkeit abhandengekommen sind - und die sich dennoch nicht aus ihren Fängen befreien können. Die Realität lastet dafür auf der vor sich hin vegetierenden Elterngeneration, der jedoch jede Möglichkeit des Verstehens verschlossen ist.
Da ist die attraktive Alessandra Biagini, auch Ende zwanzig, die nach dem Tod ihrer Mutter aus Los Angeles zurückkehrt zu ihrem Vater, nachdem alle Hoffnungen einer Filmkarriere in Hollywood gescheitert sind. Alessandra trifft in Gravesend ihre Klassenkameradin Stephanie Dirello wieder, vielleicht das bedauernswerteste Geschöpf in Boyles Geschichte. Stephanie sieht nicht schön aus, sie lebt bei ihrer bigotten Mutter, arbeitet im selben Laden wie Conway, in den sie unglücklich verliebt ist. Aber es gibt auch für sie keine Chance, nicht einmal für dieses Paar zweier im Leben Zukurzgekommener.
Die Verstrickung der Handelnden nimmt unweigerlich ihren Lauf: Eugene hat bei seinem Plan auf seinen Onkel Ray Boy gesetzt, den er verherrlicht. Doch auch Ray Boy ist eine gebrochene Existenz. Er hat zwar erkannt, dass er an Duncans Tod schuldig ist, ist aber weder imstande, sein Handeln zu bereuen noch sich selbst zu verzeihen, um sich zu befreien - und vielleicht die anderen mit ihm, die in diesem Milieu verkommen.
",Ich will mich nicht entschuldigen', sagte Ray Boy. ,Mit meiner Erziehung oder diesem Scheiß. Ich war einfach, was weiß ich . . . ich war einfach, wie ich war.'" Ray Boy, der Spitzname ist die Fratze seines Charakters, kann kein Erlöser sein. Er will nur eines - seinen eigenen Tod; dafür wird er sorgen. Während die anderen sich verzweifelt abstrampeln in ihren je eigenen Jammertälern, verfolgt er sein Ziel, ohne Gnade für sich und die anderen. Ray Boy ist eine ungeheuerliche, gefährliche Gestalt.
William Boyle, selbst in der Nachbarschaft von Gravesend aufgewachsen, beschreibt seine Figuren allwissend, eine klassische Erzählhaltung ist das. Der Autor hat Verständnis für diese traurigen Gestalten, denen tatsächlich sogar Tragik zuzuerkennen ist; denn sie wissen nicht, was sie getan haben und tun - und vor allem nicht, warum sie so handeln müssen. "Gravesend" nimmt, großartig berechnend, das Muster der antiken Tragödie auf.
ROSE-MARIA GROPP
William Boyle:
"Gravesend".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf.
Polar Verlag, Hamburg 2018. 300 S., geb., 18,- [Euro].
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