Eine der wirkmächtigsten Erzählungen des deutschen Mittelalters ist die Geschichte des aussätzigen Ritters Heinrich, für den sich ein Bauernmädchen opfern will, auf daß er mit ihrem Herzblut geheilt werde. Heinrich lehnt im letzten Augenblick das Opfer ab, wählt statt dessen Krankheit und Tod, um das Mädchen nicht sterben zu sehen. Gott aber heilt ihn. Die Brüder Grimm haben die Geschichte übersetzt, daraus wurde ein vielgelesenes Volksbuch des 19. Jahrhunderts. Gerhard Hauptmann schrieb ein erfolgreiches Drama mit diesem Stoff, Hans Pfitzner eine Oper. Ricarda Huch ließ sich von der Opferlegende faszinieren, Tankred Dorst brachte sie im Jahre 2000 auf die Bühne. Hartmann von Aue, der Autor der mittelalterlichen Versnovelle, die so viele Leser und Dichter faszinierte, hat hier mit legendarischen Motiven sein großes Thema gestaltet: die Entdeckung des Selbst in der Verantwortung für sich und andere Menschen.
Hartmann ist zugleich der vielseitigste Autor seiner Zeit: Mitseinem Erec nach französischem Vorbild hatte er den Artusroman nach Deutschland gebracht: die Geschichte des erfolgreichen Jungritters, der eine schöne Frau gewinnt, im Genuß der Liebe aber seine Verpflichtungen als Kronprinz versäumt und, zusammen mit seiner Frau, auf einem Weg voller Abenteuer lernt, sich für andere einzusetzen und ein guter König zu werden. Sein zweiter Roman handelt von Iwein, der ebenfalls seine Herrscheraufgaben zugunsten eines unbeschwerten Ritterdaseins vernachlässigt, seine junge Königin vergißt und, als sie ihn verstößt, wahnsinnig wird. Auch er muß viele auf seinen Lernprozeß zugeschnittene Abenteuer bestehen, um zu ihr und seinem Herrscheramt zurückkehren zu können. Der Iwein wurde zum klassischen Muster des höfischen Romans, sein ebenso lockerer und eleganter wie klarer Stil gepriesen und nachgeahmt.
Der Arme Heinrich hat als Gegenstück die Legende vom Sünderheiligen Gregorius, die Geschichte des Inzestkindes, das unwissend seine Mutter heirat, nach der Aufdeckung härteste Buße leistet und schließlich von Gott zum Papst bestimmt wird. Thomas Mann hat diese 'Sünden- und Gnadenmär' vom mittelalterlichen ödipus zur Grundlage seines Romans Der Erwählte gemacht.
In der "Renaissance des 12. Jahrhunderts" mit der Emanzipation der volkssprachlichen Literatur von religiösen Vorgaben nimmt Hartmann von Aue eine herausragende Stelle ein: Er macht die theologische Diskussion um die individuelle Verantwortung des Menschen literarisch fruchtbar im Rahmen des Selbstverständnisses des weltlichen Adels.
Dem mittelhochdeutschen Text sind eine übersetzung und neben einem Stellenkommentar Einführungen in die einzelnen Werke beigegeben, die dem Leser das Verständnis ihrer lebensweltlichen und literarischen Bezüge und Eigenheiten ermöglichen.
Hartmann ist zugleich der vielseitigste Autor seiner Zeit: Mitseinem Erec nach französischem Vorbild hatte er den Artusroman nach Deutschland gebracht: die Geschichte des erfolgreichen Jungritters, der eine schöne Frau gewinnt, im Genuß der Liebe aber seine Verpflichtungen als Kronprinz versäumt und, zusammen mit seiner Frau, auf einem Weg voller Abenteuer lernt, sich für andere einzusetzen und ein guter König zu werden. Sein zweiter Roman handelt von Iwein, der ebenfalls seine Herrscheraufgaben zugunsten eines unbeschwerten Ritterdaseins vernachlässigt, seine junge Königin vergißt und, als sie ihn verstößt, wahnsinnig wird. Auch er muß viele auf seinen Lernprozeß zugeschnittene Abenteuer bestehen, um zu ihr und seinem Herrscheramt zurückkehren zu können. Der Iwein wurde zum klassischen Muster des höfischen Romans, sein ebenso lockerer und eleganter wie klarer Stil gepriesen und nachgeahmt.
Der Arme Heinrich hat als Gegenstück die Legende vom Sünderheiligen Gregorius, die Geschichte des Inzestkindes, das unwissend seine Mutter heirat, nach der Aufdeckung härteste Buße leistet und schließlich von Gott zum Papst bestimmt wird. Thomas Mann hat diese 'Sünden- und Gnadenmär' vom mittelalterlichen ödipus zur Grundlage seines Romans Der Erwählte gemacht.
In der "Renaissance des 12. Jahrhunderts" mit der Emanzipation der volkssprachlichen Literatur von religiösen Vorgaben nimmt Hartmann von Aue eine herausragende Stelle ein: Er macht die theologische Diskussion um die individuelle Verantwortung des Menschen literarisch fruchtbar im Rahmen des Selbstverständnisses des weltlichen Adels.
Dem mittelhochdeutschen Text sind eine übersetzung und neben einem Stellenkommentar Einführungen in die einzelnen Werke beigegeben, die dem Leser das Verständnis ihrer lebensweltlichen und literarischen Bezüge und Eigenheiten ermöglichen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2012Ein Text gegen alle Zeit
Mit seiner Übersetzung des "Iwein" hat Hartmann von Aue den Deutschen einst einen unerschöpflichen Stoff geschenkt. Eine neue Ausgabe des Textes verpasst die Chance, dies zu zeigen.
Hartmanns von Aues "Iwein", der Roman vom Ritter mit dem Löwen, ist an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert entstanden. Wie die anderen deutschen Romane der Zeit ist er kein Originalwerk, sondern die Bearbeitung einer französischen Vorlage. Sie stammt von Chrétien de Troyes, dem genialen Erfinder des Artusromans. Hartmann hatte, wohl um 1180, bereits den Prototyp des Genres, Chrétiens "Erec et Enide", ins Deutsche gebracht. Das war vielleicht sein Erstlingswerk, durchaus ein Wurf, aber behaftet mit allen Mühen des Anfangs. Im "Iwein" sind sie überwunden.
Sprache und Versbehandlung sind von einer lässig perfekten Eleganz, wie sie im Deutschen bis dahin nicht vorstellbar war. Die Darstellung hält sich eng an die Vorlage und setzt doch, so diskret wie entschieden, eigene Akzente, die der Erzählung ein anderes Gesicht geben. Hartmann begegnet dem französischen Meister nun auf Augenhöhe. Sein "Iwein" gilt zu Recht als der klassische Vertreter der Gattung in der deutschen Literatur, die mit ihm das Niveau erreicht hat, auf dem dann Werke von weltliterarischem Rang möglich geworden sind: Wolframs "Parzival" und Gottfrieds "Tristan".
Die Handlung folgt dem üblichen Schema des Artusromans: Ein Ritter erwirbt durch ein tapfer bestandenes Abenteuer sein Lebensglück, verspielt es und holt es sich in weiteren Abenteuern mühsam zurück, um es endgültig zu besitzen. Iwein tötet den Herrn eines Zauberbrunnens, mit dem ein gefährliches Abenteuer verbunden ist; heiratet die Witwe des Getöteten, Laudine, und wird Herr ihres Landes; vernachlässigt, ja, vergisst Frau und Herrschaft auf ausgedehnten Rittertouren mit seinem Freund Gawein; wird von Laudine verstoßen und fällt darüber in Wahnsinn; kommt mit Hilfe mitleidiger Frauen wieder auf die Beine und bewährt sich in einer Serie von Abenteuern als Helfer von Verfolgten und Bedrängten, wobei ihm ein dankbarer Löwe zur Seite steht, dem er das Leben gerettet hat; am Ende gelingt es Laudines durchtriebener Zofe Lunete, das Paar zu versöhnen. Der Fabel dürfte eine keltische Erzählung zugrunde liegen, in der es um die prekäre Liebe eines Sterblichen zu einer Fee ging. Chrétien hat daraus eine komplexe Geschichte entwickelt, die in spielerischer Verkleidung die großen Fragen von Liebe, Gewalt und Herrschaft verhandelt, die das Publikum an den Adelshöfen in Frankreich und England bewegt haben. Hartmann erzählt sie mit souveräner Distanz nach, mit sicherem Gespür auch für ihre reißerischen Qualitäten, für Exotik und Erotik, und immer wieder mit einem Augenzwinkern, für das die Fachgelehrsamkeit leider wenig Sinn hat. Wenn er nur richtig präsentiert wird, kann der Roman auch einem modernen Publikum ein Lesevergnügen bieten, wie es nicht leicht zu finden ist.
Wer sich darauf einlassen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt mehrere Ausgaben, zu denen jetzt noch eine in der anspruchsvoll ausgestatteten "Reclam Bibliothek" kommt, die elegant gebundenen, schön gedruckten Bände dieser Reihe versammeln große Literatur quer durch die Zeiten von Homer bis D. H. Lawrence. Es ist ein illustrer Kreis, in dem Hartmann mit seinem "Iwein" eine gute Figur macht. Die Edition des mittelhochdeutschen Textes und die Übersetzung stammen von Rüdiger Krohn, den Kommentar hat Mireille Schnyder beigesteuert. Wer die Ausgabe erwirbt, erhält den mittelhochdeutschen Text in der Fassung der Gießener Handschrift B aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, eine lesbare, aber nicht immer korrekte Übersetzung und einen klugen, wohltuend knapp gehaltenen Kommentar. Bedauerlicherweise hat der Herausgeber den Text der zugrundegelegten Handschrift nicht in dem Maße philologisch aufbereitet, wie es nötig gewesen wäre, um falschen Vorstellungen von der Klanggestalt der Dichtung entgegenzuwirken. Von wenigen (nicht durchweg sachgemäßen) Regulierungen abgesehen, behält er die handschriftlichen Formen bei, die den Gewohnheiten und Marotten des Schreibers geschuldet sind. Das Ergebnis ist eine Art Rohtext, der an die vorwissenschaftlichen Ausgaben des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Der Sache des Dichters, für die die Ausgabe doch werben sollte, ist damit nicht gedient.
JOACHIM HEINZLE
Hartmann von Aue: "Iwein".
Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt und hrsg. von Rüdiger Krohn. Reclam Verlag, Ditzingen 2011. 656 S., geb., 32,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit seiner Übersetzung des "Iwein" hat Hartmann von Aue den Deutschen einst einen unerschöpflichen Stoff geschenkt. Eine neue Ausgabe des Textes verpasst die Chance, dies zu zeigen.
Hartmanns von Aues "Iwein", der Roman vom Ritter mit dem Löwen, ist an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert entstanden. Wie die anderen deutschen Romane der Zeit ist er kein Originalwerk, sondern die Bearbeitung einer französischen Vorlage. Sie stammt von Chrétien de Troyes, dem genialen Erfinder des Artusromans. Hartmann hatte, wohl um 1180, bereits den Prototyp des Genres, Chrétiens "Erec et Enide", ins Deutsche gebracht. Das war vielleicht sein Erstlingswerk, durchaus ein Wurf, aber behaftet mit allen Mühen des Anfangs. Im "Iwein" sind sie überwunden.
Sprache und Versbehandlung sind von einer lässig perfekten Eleganz, wie sie im Deutschen bis dahin nicht vorstellbar war. Die Darstellung hält sich eng an die Vorlage und setzt doch, so diskret wie entschieden, eigene Akzente, die der Erzählung ein anderes Gesicht geben. Hartmann begegnet dem französischen Meister nun auf Augenhöhe. Sein "Iwein" gilt zu Recht als der klassische Vertreter der Gattung in der deutschen Literatur, die mit ihm das Niveau erreicht hat, auf dem dann Werke von weltliterarischem Rang möglich geworden sind: Wolframs "Parzival" und Gottfrieds "Tristan".
Die Handlung folgt dem üblichen Schema des Artusromans: Ein Ritter erwirbt durch ein tapfer bestandenes Abenteuer sein Lebensglück, verspielt es und holt es sich in weiteren Abenteuern mühsam zurück, um es endgültig zu besitzen. Iwein tötet den Herrn eines Zauberbrunnens, mit dem ein gefährliches Abenteuer verbunden ist; heiratet die Witwe des Getöteten, Laudine, und wird Herr ihres Landes; vernachlässigt, ja, vergisst Frau und Herrschaft auf ausgedehnten Rittertouren mit seinem Freund Gawein; wird von Laudine verstoßen und fällt darüber in Wahnsinn; kommt mit Hilfe mitleidiger Frauen wieder auf die Beine und bewährt sich in einer Serie von Abenteuern als Helfer von Verfolgten und Bedrängten, wobei ihm ein dankbarer Löwe zur Seite steht, dem er das Leben gerettet hat; am Ende gelingt es Laudines durchtriebener Zofe Lunete, das Paar zu versöhnen. Der Fabel dürfte eine keltische Erzählung zugrunde liegen, in der es um die prekäre Liebe eines Sterblichen zu einer Fee ging. Chrétien hat daraus eine komplexe Geschichte entwickelt, die in spielerischer Verkleidung die großen Fragen von Liebe, Gewalt und Herrschaft verhandelt, die das Publikum an den Adelshöfen in Frankreich und England bewegt haben. Hartmann erzählt sie mit souveräner Distanz nach, mit sicherem Gespür auch für ihre reißerischen Qualitäten, für Exotik und Erotik, und immer wieder mit einem Augenzwinkern, für das die Fachgelehrsamkeit leider wenig Sinn hat. Wenn er nur richtig präsentiert wird, kann der Roman auch einem modernen Publikum ein Lesevergnügen bieten, wie es nicht leicht zu finden ist.
Wer sich darauf einlassen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt mehrere Ausgaben, zu denen jetzt noch eine in der anspruchsvoll ausgestatteten "Reclam Bibliothek" kommt, die elegant gebundenen, schön gedruckten Bände dieser Reihe versammeln große Literatur quer durch die Zeiten von Homer bis D. H. Lawrence. Es ist ein illustrer Kreis, in dem Hartmann mit seinem "Iwein" eine gute Figur macht. Die Edition des mittelhochdeutschen Textes und die Übersetzung stammen von Rüdiger Krohn, den Kommentar hat Mireille Schnyder beigesteuert. Wer die Ausgabe erwirbt, erhält den mittelhochdeutschen Text in der Fassung der Gießener Handschrift B aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, eine lesbare, aber nicht immer korrekte Übersetzung und einen klugen, wohltuend knapp gehaltenen Kommentar. Bedauerlicherweise hat der Herausgeber den Text der zugrundegelegten Handschrift nicht in dem Maße philologisch aufbereitet, wie es nötig gewesen wäre, um falschen Vorstellungen von der Klanggestalt der Dichtung entgegenzuwirken. Von wenigen (nicht durchweg sachgemäßen) Regulierungen abgesehen, behält er die handschriftlichen Formen bei, die den Gewohnheiten und Marotten des Schreibers geschuldet sind. Das Ergebnis ist eine Art Rohtext, der an die vorwissenschaftlichen Ausgaben des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Der Sache des Dichters, für die die Ausgabe doch werben sollte, ist damit nicht gedient.
JOACHIM HEINZLE
Hartmann von Aue: "Iwein".
Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt und hrsg. von Rüdiger Krohn. Reclam Verlag, Ditzingen 2011. 656 S., geb., 32,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Werke von Hartmann von Aue haben nichts von ihrer Wirkung verloren, befindet der "rh" zeichnende Rezensent angesichts dieses Bandes, in dem der Artusroman "Iwein" mit seinen über 8.000 gereimten Versen und die kürzeren Verserzählungen "Gregorius" und "Der arme Heinrich" vereint sind. Dem Leser dieser Ausgabe des Deutschen Klassiker-Verlags werde die Lektüre durch verschiedene Aspekte erleichtert, freut sich der Rezensent. Zum einen finde sich neben den mittelhochdeutschen Originalen auch eine lebendig gestaltete Übersetzung ins moderne Deutsch von Volker Mertens, zum anderen erschließe der Einleitungstext dem Leser Hintergründe zur Person und zur Geschichte des Iwein-Stoffes sowie zu verschiedenen Lesarten. Die Orientierung werde dem Leser darüber hinaus durch Inhaltsübersichten erleichtert, das Verständnis durch wissenschaftliche Kommentare zu verschiedenen Textstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die Ausgabe dieser drei Werke in einem Band im Deutschen Klassiker Verlag besticht durch neue Übersetzungen der mittelhochdeutschen Texte, durch kundige Kommentare und profunde Einführungen in die einzelnen Werke."
Buchhandlung zum Wetzstein, Freiburg, Das Magazin der 5 plus 2/2014
Buchhandlung zum Wetzstein, Freiburg, Das Magazin der 5 plus 2/2014