Die erzählende Instanz in „Grenzgänge“ durchbricht immer wieder ihre eigene Identität. Weder auf ein Geschlecht, noch auf eine Nationalität legt sie sich fest. Und genau dieses Spiel mit scheinbar festgelegten Grenzen war es, was mich an dem Roman am meisten fasziniert hat. Darum finde ich auch den
Titel „Grenzgänge“ für die deutsche Übersetzung sehr gut gewählt.
Spannend fand ich es, dass das…mehrDie erzählende Instanz in „Grenzgänge“ durchbricht immer wieder ihre eigene Identität. Weder auf ein Geschlecht, noch auf eine Nationalität legt sie sich fest. Und genau dieses Spiel mit scheinbar festgelegten Grenzen war es, was mich an dem Roman am meisten fasziniert hat. Darum finde ich auch den Titel „Grenzgänge“ für die deutsche Übersetzung sehr gut gewählt.
Spannend fand ich es, dass das erzählende Ich auch während des Schreibens noch seine Identität und damit auch die eigene Sicht auf die Dinge zu wechseln scheint. Immer wieder werden Beziehungen und auch Erlebnisse neu interpretiert und es ist nie ganz klar, ob und inwieweit man sich auf sie/ihn verlassen kann, denn wie ein Chamäleon die Farben wechselt, so wechselt Bujar auch die Identität. Natürlich wird die Geschichte nicht linear erzählt, das wäre in diesem Fall vermutlich auch nicht möglich und zielführend. Dennoch erfahren wir recht früh, dass Bujar im albanischen Tirana aufgewachsen ist, in politischen Unruhen. Damals lebt er als Junge, verliert früh seinen Vater an den Krebs und auch seine Schwester, die verschwindet. Da die Mutter in Handlungsunfähigkeit erstarrt und die Familie auch auf Grund der Umbrüche im Land verarmt, flieht er mit Agim. Es zeigt sich früh, dass Agim, dem zunächst das männliche Geschlecht zugeschrieben wurde, eigentlich eine Frau ist, vielleicht ein Ausgangspunkt für Bujar, sich mit den gefühlten Geschlechtergrenzen auseinanderzusetzen. Mit Agim lebt Bujar lange auf der Straße und die beiden erleben Schreckliches, bis sie sich zur Flucht nach Italien entschließen. Sie habe eine extrem innige Bindung und Liebe, die Bujar später vergeblich wieder zu finden sucht.
Bujar lebt in Rom, New York und Helsinki, baut sich immer wieder neue Identitäten auf, die er sich zu eigen macht, verliebt sich, schafft es aber nicht, eine echte Bindung einzugehen. Später wirkt es sogar, als würde er/sie andere Identitäten, andere Träume zu eigen machen und durch diese existieren. Nach Enttäuschungen legt er/sie die angenommene Identität schnell wieder ab.
Ich fand es unglaublich spannend dem erzählenden Ich zu folgen, für das ich mal Mitgefühl, mal extreme Abneigung empfand, während die Geschichte mich vor allem gegen Ende immer mehr fesselte. Manche Passagen, besonders wenn es um trans Identitäten ging, waren für mich schwer zu lesen, da die Beschreibungen mitunter sehr abwertend und verletzend wirkten, auch wenn Bujar selbst zwischen den Geschlechtern wechselt. Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass es Schilderungen von extremer körperlicher und psychischer Gewalt gegen trans Menschen im Roman gibt und außerdem die Beschreibung einer Vergewaltigung.
Sicher keine leichte Lektüre, aber eine, die ich für mich äußerst faszinierend fand.