"Wie viele Grenzen der Vernunft, des Anstands und der Moral müssen noch überschritten werden, damit die Menschen zu einer humanen Haltung gelangen, die sie daran hindert, aus verworrenen Gründen einer trüben, fadenscheinigen nationalistischen Ideologie das Leben ihrer Mitmenschen auszulöschen?" Milo Dors in diesem Band versammelte Schriften fügen sich zu einer repräsentativen Auswahl, die seine wichtigsten Haltungen und Reflexionen zur europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wie zur gegenwärtigen politischen Lage dokumentiert. Dors zutiefst humanistische Intention, den Zustand der Welt nicht so hinzunehmen, wie er ist, sondern ihm schreibend kämpferisch zu begegnen und so seine kritische Stimme gegen Missstände zu erheben, wird in jedem dieser Texte deutlich. Aber er lässt auch viel Persönliches und Anekdotisches einfließen: Erinnerungen an Weggefährten und Freunde, Nachdenkliches über das eigene Schreiben sowie über die Position des Schriftstellers gegenüber der Gesellschaft im Allgemeinen. Seine Lebensgeschichte macht ihn zu einem aufgeklärten Europäer, der durch seine Erfahrungen und seine offene Haltung prädestiniert dafür ist, eine Brücke zwischen West- und Osteuropa zu schaffen. Und so finden sich auch mehrere Texte in diesem Band, die zu einer zukunftsweisenden Annäherung an unsere südosteuropäischen Nachbarn beitragen, indem sie die Perspektive auf die gemeinsame Geschichte in einem gesamteuropäischen Kontext rücken.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Paul Jandl bespricht in einer kurzen Doppelrezension einen Essayband von Milo Dor und ein Buch mit Texten von und über Milo Dor. Den Band "Grenzüberschreitungen" mit gesammelten Aufsätzen empfiehlt der Rezensent als gutes Gegenmittel gegen Versuche, die Idee Mitteleuropas in "politischem Kitsch" zu verwandeln. Der Autor, der als Serbe in Budapest geboren wurde und von den Deutschen nach Wien deportiert wurde, nimmt Mitteleuropa mit "kritischer Zuneigung" in den Blick und schreibt zum Beispiel über "den neuen Rechtspopulismus", über die Entwicklung des ehemaligen Jugoslawien und rekapituliert die Geschichte Sloweniens, fasst der Rezensent zusammen. Wie schon in seinen autobiografischen Romanen zeigt sich Dor als "großer Erzähler", preist der begeisterte Rezensent, der besonders von der Schilderung des zerbombten Nachkriegs-Wiens beeindruckt ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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