"Die Bände 5 bis 7 werden alle meine Studien zur griechischen Philosophie umfassen. Ihre geschlossene Darbietung soll für den deutschen Leser das nachholen, was in anderen Sprachen (englisch und italienisch vor allem), teilweise bereits vorliegt. Im Großen habe ich eine chronologische Ordnung angestrebt. Daß die unreifen Anfänge, von denen manche überholt sein dürften, nicht ganz wegblieben, geschah weniger wegen ihres Beitrages zur historisch-philologischen Forschung, als vielmehr, weil sich an ihnen bereits das hermeneutische Interesse an verschiedenen genera dicendi zeigt. Damit tritt der Zusammenhang zwischen hermeneutischer Praxis und Theorie in concreto zutage, der die Seele einer philosophischen Hermeneutik ist. Daß in den Werdejahren eines Gelehrten neue Gesichtspunkte öfters bei der Gelegenheit kritischer Rezension erstmals geäußert und zuweilen in der Forschung weiterhin zitiert werden, schien mir die Aufnahme ausgewählter Rezensionen in dieser Ausgabe gerechtfertigt."- Aus dem Vorwort
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2000 geehrt, gelesen, zitiert
Gadamers Trost
Der Rummel ist vorüber, das zweite Jahrhundert Gadamer hat begonnen. Es ist wieder Zeit, ist an der Zeit, den Mann zu lesen – eine schöne Gelegenheit bieten die Gesammelten Werke in zehn Bänden (UTB Mohr Siebeck, insgesamt 4657 Seiten, 168 Mark). Wer sich dabei nicht ans magnum opus Wahrheit und Methode heranwagt, in den ersten beiden Bänden, kann den Einstieg mit kleinen Texten wagen, mit spielerisch zarten Versuchen zu Hegel und Heidegger, Hölderlin und Heraklit. Eine Klarheit des Denkens und der Rede erlebt man hier, eine unerhörte Reflexivität wie bei Goethe oder Freud. Gadamer hat nie Profilierungsprobleme, er ist subtil, geschmeidig. „Schreiben und Reden” heißt einer der kleinsten Texte (Band 10: Hermeneutik im Rückblick, erstmals erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung, 24. Juni 1983), über das Verfertigen von Gedanken im Schreiben und Reden: „Es ist wahr, daß es etwa für mich eine fürchterliche Qual ist, schreiben zu wollen. Wo ist das Gegenüber, diese schweigende und dennoch beständig antwortende Anwesenheit des Anderen, mit dem man das Gespräch sucht, um das Gespräch mit sich selbst fortzusetzen, das man Denken nennt? . . . Der erste Satz ist der schwerste . . . Der erste Satz, den ich zu Papier bringe, ist mir ganz und gar nicht gekommen, sondern ist aus Verzweiflung gewählt, aus Verzweiflung und in der Hoffnung, es möchten sich weitere Sätze anschließen, und dann solche, die kommen und mehr an das heranführen, was zu sagen ist . . . Alles auf einmal sagen zu wollen – wer das könnte, wäre kein Mensch mehr. Wir sind Stammler. Wir sind immer schon beim Nächsten, und deswegen will das Allernächste, das richtige Wort, oft nicht kommen . . . Wenn einer unsere Worte wiederholt, ist ihr Echo wie unsere Widerlegung. Das Echo dagegen, das ein Kunstwerk der Sprache findet, ist wie unser Trost, fast wie eine Verheißung, die sich für uns kaum je erfüllt. ”
göt
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Gadamers Trost
Der Rummel ist vorüber, das zweite Jahrhundert Gadamer hat begonnen. Es ist wieder Zeit, ist an der Zeit, den Mann zu lesen – eine schöne Gelegenheit bieten die Gesammelten Werke in zehn Bänden (UTB Mohr Siebeck, insgesamt 4657 Seiten, 168 Mark). Wer sich dabei nicht ans magnum opus Wahrheit und Methode heranwagt, in den ersten beiden Bänden, kann den Einstieg mit kleinen Texten wagen, mit spielerisch zarten Versuchen zu Hegel und Heidegger, Hölderlin und Heraklit. Eine Klarheit des Denkens und der Rede erlebt man hier, eine unerhörte Reflexivität wie bei Goethe oder Freud. Gadamer hat nie Profilierungsprobleme, er ist subtil, geschmeidig. „Schreiben und Reden” heißt einer der kleinsten Texte (Band 10: Hermeneutik im Rückblick, erstmals erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung, 24. Juni 1983), über das Verfertigen von Gedanken im Schreiben und Reden: „Es ist wahr, daß es etwa für mich eine fürchterliche Qual ist, schreiben zu wollen. Wo ist das Gegenüber, diese schweigende und dennoch beständig antwortende Anwesenheit des Anderen, mit dem man das Gespräch sucht, um das Gespräch mit sich selbst fortzusetzen, das man Denken nennt? . . . Der erste Satz ist der schwerste . . . Der erste Satz, den ich zu Papier bringe, ist mir ganz und gar nicht gekommen, sondern ist aus Verzweiflung gewählt, aus Verzweiflung und in der Hoffnung, es möchten sich weitere Sätze anschließen, und dann solche, die kommen und mehr an das heranführen, was zu sagen ist . . . Alles auf einmal sagen zu wollen – wer das könnte, wäre kein Mensch mehr. Wir sind Stammler. Wir sind immer schon beim Nächsten, und deswegen will das Allernächste, das richtige Wort, oft nicht kommen . . . Wenn einer unsere Worte wiederholt, ist ihr Echo wie unsere Widerlegung. Das Echo dagegen, das ein Kunstwerk der Sprache findet, ist wie unser Trost, fast wie eine Verheißung, die sich für uns kaum je erfüllt. ”
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