Kaum war der Farbige Lucas Beauchamp festgenommen, wusste die ganze Stadt davon. Der alte Mann soll am Abend zuvor einen Weißen hinterrücks niedergeknallt haben. Hier in den Südstaaten sprach man allerdings verächtlich vom „Nigger“ Lucas, während jeder Weiße mit „Sir“ oder „Mister“ angeredet
wurde.
Die Bevölkerung des kleinen (fiktiven) Städtchen Yoknapatawpha ist aufgebracht und möchte den…mehrKaum war der Farbige Lucas Beauchamp festgenommen, wusste die ganze Stadt davon. Der alte Mann soll am Abend zuvor einen Weißen hinterrücks niedergeknallt haben. Hier in den Südstaaten sprach man allerdings verächtlich vom „Nigger“ Lucas, während jeder Weiße mit „Sir“ oder „Mister“ angeredet wurde.
Die Bevölkerung des kleinen (fiktiven) Städtchen Yoknapatawpha ist aufgebracht und möchte den schwarzen Mörder am liebsten gleich hinrichten. Wenn er erst ins Gefängnis überführt und dort einem Richter vorgeführt wird, kommt er vielleicht mit dem Leben davon. Keiner glaubt Lucas, dass er mit seinem Revolver in einem üblen Handel zwischen zwei Weißen nur als Richter auftreten wollte. Also lieber gleich kurzen Prozess machen, es ist doch bloß ein Nigger. Nur dank eines Gendarmen, der die Meute zurückhält, ist Lucas am nächsten Tag noch am Leben.
Allein der 16jährige Charles Mallison interessiert sich für das Schicksal des verdächtigen Lucas. Mit seinem Freund Aleck Sander und Miss Habersham versucht er, den Mutmaßungen und Lynchabsichten der Volksmenge entgegenzutreten. Auch Charles‘ Onkel Gavin, von Beruf Advokat, der zunächst „keine Mörder, die Leute hinterrücks erschießen“, verteidigen wollte, unterstützt schließlich das Trio.
Außerhalb der Stadt erbrechen sie sogar ein Grab. Doch darin liegt nicht der Ermordete. Inzwischen ist selbst Sheriff Hampton von der Unschuld des Farbigen überzeugt und so können Charles und seine Helfer eine Exhumierung erwirken. Dabei offenbart sich, dass der Mord nicht mit Lucas‘ altem Colt sondern mit einer deutschen Luger Pistole begangen wurde.
In dem Augenblick, als davon auszugehen ist, dass nicht Lucas der Mörder ist, sondern er aus ihrer Mitte kommt, zerstreut sich der Pöbelhaufen. Später wird sich herausstellen, dass es Brudermord war.
„Griff in den Staub“ erschien 1948, also kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Jahr später wurde William Faulkner (1897-1962) der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Der Autor schildert in dem Roman nicht nur den Rassenwahn in den amerikanischen Südstaaten, der noch einige Jahrzehnte andauern sollte, immer wieder gibt er auch persönliche Einschätzungen (meist kursiv gesetzt) zu politischen gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit.
Fundiert und höchst aktuell ist auch seine Analyse der aufgebrachten und leicht lenkbaren Volksmenge, für die alles Fremde von vornherein verdächtig und schuldig ist. Doch Faulkner appelliert in klaren Worten: „Es gibt Dinge, die man nie dulden sollte: Ungerechtigkeit, Kränkung, Entehrung und Schande“. Anliegen des Romans ist es, das teuflische Klischee zu durchbrechen „Nigger handeln wie Nigger, und die Weißen handeln wie Weiße“. Kein Mensch kann größeres Leid verursachen als einer, der blind an den Lastern und Vorurteilen seiner Vorfahren festhält.
Es bedarf zunächst etwas Geduld, sich in den dichten (mitunter ohne Absätze), ja wuchtigen Erzählstil hineinzulesen, doch dann wird man von der Handlung, der detailreichen Beschreibung der Menschen und der unmissverständlichen Haltung des Autors gefesselt.
„Griff in den Staub“ gehört zwar nicht zu den großen und umfangreichen Werken von William Faulkner, dennoch nimmt der Roman mit seinen gerade einmal 200 Seiten eine Schlüsselposition in seinem Gesamtschaffen ein. Eindrucksvoll belegt er, warum Faulkner einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist.
Manfred Orlick