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Hätten Sie gedacht, dass Helmut Schmidt die britische Labour-Partei mit einer brillanten Rede zu Europa bekehrte? Oder dass der französische Präsident François Mitterrand die Schaffung des Euro als Entschärfung der deutschen Atombombe betrachtete? Schauen Sie hinter die Türen der Brüsseler Konferenzsäle und lauschen Sie lange geheim gehaltenen Gesprächen im Élysée-Palast! Folgen Sie Winston Churchill, der kurz nach dem Krieg die Vereinigten Staaten von Europa anstrebte, Charles de Gaulle, der Frankreichs Großmachtstellung durch Europa wiederherstellen wollte, und Angela Merkel, die als…mehr

Produktbeschreibung
Hätten Sie gedacht, dass Helmut Schmidt die britische Labour-Partei mit einer brillanten Rede zu Europa bekehrte? Oder dass der französische Präsident François Mitterrand die Schaffung des Euro als Entschärfung der deutschen Atombombe betrachtete? Schauen Sie hinter die Türen der Brüsseler Konferenzsäle und lauschen Sie lange geheim gehaltenen Gesprächen im Élysée-Palast! Folgen Sie Winston Churchill, der kurz nach dem Krieg die Vereinigten Staaten von Europa anstrebte, Charles de Gaulle, der Frankreichs Großmachtstellung durch Europa wiederherstellen wollte, und Angela Merkel, die als "Königin Europas" verehrt und gefürchtet wurde! Mit Christoph Driessen erleben die Leserinnen und Leser die Geschichte der EU auf ganz neue Art: zum Mitfiebern und Weitererzählen. Ein Buch, das fasziniert, fesselt und enorm überrascht
Autorenporträt
Christoph Driessen, Dr. phil., geb. 1967 als niederländischer Staatsbürger in Oberhausen, 14 Jahre Auslandskorrespondent in Den Haag, London und New York, ist Leiter des Kölner Büros der dpa
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2024

Patient Europa
Am 9. Juni wird gewählt. Die Frage ist:
Kann Brüssel mehr als Krise?
Leitfaden durchs Labyrinth der EU-Bücher.
VON KAROLINE META BEISEL
Kurz vor der Europawahl am 9. Juni widmet sich auch der Buchhandel der Europäischen Union, die viele Beobachter nicht erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine in der Krise sehen. Aber wie dringend ist der Reformbedarf wirklich, und was genau müsste sich ändern? Darauf haben die sechs Autoren ganz unterschiedliche Antworten.
Markus Preiß
Was macht den Autor zum Experten?
Markus Preiß war viele Jahre Chef des ARD-Studios in Brüssel. Von 1. Juni an leitet er das Hauptstadtstudio in Berlin.
Diagnose und verordnete Therapie
Preiß beschreibt, wie sich Deutschlands Auftreten in der EU verändert hat. Früher sei die Bundesrepublik bescheidener, sensibler für die Belange der kleineren Mitgliedstaaten gewesen. Doch schon unter dem früheren SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem „ersten deutschen Macho der Nachkriegszeit“, habe sich das Gebaren Berlins verändert. Seitdem gelte oft: Wenn eine Regel für Deutschland nicht funktioniere, dann könne sie auch keinen Bestand haben. Deutschland first!
Als Beispiele für diesen Egoismus, bisweilen auch für Arroganz nennt Preiß unter anderem den Beginn der Corona-Pandemie, als Deutschland ein Exportverbot für Schutzmaterial verhängte, oder den langen Streit um das Nordstream-Projekt, als die Bundesregierung trotz expliziter Warnungen der europäischen Partner vor den politischen Folgen das Go für die Pipeline gab.
Mit dem Überfall Russlands auf die ganze Ukraine im Februar 2022 sei ein gemeinsames Handeln der EU noch wichtiger geworden. Auf Deutschland, „die USA Europas“ komme es dabei entscheidend an – das erwarteten auch die anderen Länder. Gerade jetzt aber gebe die zerstrittene Ampelregierung ein Bild der Schwäche ab. Auf Impulse anderer reagiere Berlin spät oder gar nicht; eigene Impulse? Fehlanzeige. Das müsse sich dringend ändern.
Für wen ist das Buch?
„Angezählt“ beschreibt die aktuelle Lage der EU für jeden politisch interessierten Leser. Vorwissen ist keines nötig, Preiß erklärt alle Zusammenhänge, wie er sie auch seinen Zuschauern in den Tagesthemen erklären würde. Dazu schildert er Gespräche und Anekdoten aus seinen Jahren als EU-Korrespondent – mit wohltuendem Fokus auf die Sicht der anderen EU-Länder.
Alexander Thiele
Was macht den Autor zum Experten?
Alexander Thiele ist Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Europarecht an der privaten Business & Law School BSP in Berlin.
Diagnose und verordnete Therapie
Große Reden und Vorschläge zur Zukunft der EU werden mit viel Aufmerksamkeit bedacht – sei es die berühmte Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron im September 2017 an der Sorbonne-Universität, die Europa-Rede des damaligen grünen Außenministers Joschka Fischer im Jahr 2000 oder jüngst jene von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 an der Karls-Universität in Prag.
Selten aber (vielleicht nie?) sind diese so gründlich seziert worden, wie das Thiele in seinem Essay mit ihnen und zwei weiteren Vorschlägen tut. So rechnet er zum Beispiel mit der beliebten Forderung nach einer Ausweitung des Mehrheitsprinzips ab, wenn nicht gleichzeitig geklärt werde, wie die „Minderheitsbefolgungspflicht“ sichergestellt werden könne. Wer pauschal das Mehrheitsprinzip fordere, sei „entweder naiv oder weiß, dass es angesichts der Heterogenität der außenpolitischen Interessen ohnehin nicht kommen wird“.
Warum die zitierten Reformdenker das anders sehen? Thiele analysiert, dass die stützende Ordnungsidee fehle: Warum machten sie genau diese konkreten Vorschläge und nicht ganz andere? Solche Überlegungen würden praktisch nie angestellt. Thiele kommt in seiner Streitschrift zu einem gänzlich anderen Schluss: „Ein großer Wurf sollte von vornherein nicht angestrebt werden.“ Vielmehr sei es richtig, die Union in kleinen Schritten fortzuentwickeln, mit einem Modus, der nicht um die Entscheidung „Mehr oder weniger Europa“ kreist, sondern vielmehr die Frage stellt, wie sich „gute Herrschaft“ organisieren und die Legitimität der EU erhöhen lässt.
Für wen ist das Buch?
Thieles Analyse ist eher für EU-Nerds geeignet und für all jene, die sich mit der Fortentwicklung der Europäischen Union aus beruflichen oder wissenschaftlichen Gründen befassen. Für jene aber sehr zu empfehlen!
Martin Sonneborn
Was macht den Autor zum Experten?
Der Satiriker und frühere Chefredakteur der Zeitschrift Titanic sitzt seit 2014 für „Die Partei“ im europäischen Parlament. Über seine erste Amtszeit hat er ebenfalls ein Buch verfasst: „Herr Sonneborn geht nach Brüssel“.
Diagnose und verordnete Therapie
Sonneborn schildert tagebuchartig Erlebnisse und merkwürdige Anekdoten aus der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode. Etwa die von dem ungarischen EU-Abgeordneten aus der konservativen Fidesz-Partei, der 2020 während des Corona-Lockdowns in Brüssel nach einer schwulen Sexparty „weitgehend unbekleidet und mit Drogen im Gepäck (…) am Ende einer Regenrinne von der belgischen Polizei festgenommen wurde“. Vor allem aber versammelt das Buch sämtliche Aktionen und Reden von Sonneborn und zitiert dazu ausführlich von seiner Homepage, Youtube oder aus Medienberichten. Eine eigene Vision entwickelt Sonneborn nicht, getreu dem Motto, mit dem er 2019 für seine Wiederwahl warb: „Für Europa reicht’s“.
Für wen ist das Buch?
Für Leute, die Sonneborn auch auf anderen Kanälen lustig finden, und für Leser, die sich vergewissern wollen, dass die EU genauso kaputt ist, wie sie immer dachten.
Elmar Brok
Was macht den Autor zum Experten?
Elmar Brok war bis 2019 beinahe 40 Jahre lang CDU-Abgeordneter im Europaparlament, viele Jahre davon als Chef des Auswärtigen Ausschusses.
Diagnose und verordnete Therapie
Brok sieht die EU durch nationalistische Bestrebungen in vielen Ländern in Gefahr. Quasi als Therapie will er „die Wahrheit über Europa berichten, gute wie noch unbefriedigende Seiten, damit Ignoranz und Lügen nicht die Oberhand gewinnen“.
Fast schon memoirenhaft schildert der heute 78-Jährige seine Sicht auf Episoden der jüngeren EU-Geschichte und aktuelle, auch innenpolitische Themen und spart nicht mit Appellen, was „wir“ tun oder lassen sollten, um Europa zu neuer Stärke zu verhelfen: „Wollen wir wirklich den Chinesen die Chance geben, auf Dauer die Weltstandards in der Industrie zu setzen?“, „Wir müssen endlich die Taurus-Raketen freigeben“, oder mit Blick auf die Brüsseler Bürokratie: „Wir sollten (. . .) nicht immer zuerst die Risiken sehen, sondern öfter mal die Chancen.“ Als überzeugter Europäer und „Politrentner“, wie er sich selbst bezeichnet, teilt er Preiß’ Analyse des deutschen EU-Egoismus. Und er macht Vorschläge, wie sich das Ansehen der EU in den Mitgliedstaaten verbessern ließe – etwa durch eine jährliche Kosten-Nutzen-Analyse über die Mitgliedschaft in der EU für alle 27 Mitgliedstaaten.
Für wen ist das Buch?
Das Werk liest sich wie die Verschriftlichung eines Brok-Interviews im Radio – allerdings ohne Zwischenfragen. Charmanter Verschreiber: „Als ich 1980 der EU beitrat . . .“ – gemeint sein dürfte Broks Einzug ins EU-Parlament, aber irgendwie passt der Satz angesichts der Tatsache, dass Brok die deutsche Wahrnehmung des EU-Parlaments lange entscheidend mitgeprägt hat, auch so.
Nico Semsrott
Was macht den Autor zum Experten?
Nico Semsrott sitzt seit 2019 als Abgeordneter im EU-Parlament, zuerst für „Die Partei“, nach seinem Austritt 2021 als parteiloser Abgeordneter (aber wie vorher als Mitglied der Fraktion der Grünen).
Diagnose und verordnete Therapie
In Semsrotts Buch – halb Lebensgeschichte, halb Erfahrungsbericht – mischen sich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit über die Arbeit im EU-Parlament mit seiner persönlichen Geschichte: Eigentlich hatte Semsrott eine Art Late-Night-Show aus dem Europaparlament produzieren wollen. Nach einem tollen Start musste er das Projekt wieder einstellen, Diagnose: Depression, die Therapie brauchte erst einmal er selbst. Semsrott erzählt, wie er diese Zeit empfunden hat, was er über die EU gelernt hat und was ihm dort nicht gefällt, etwa wie machtlos EU-Abgeordnete sind.
Trotz aller Kritik merkt man, dass Semsrott die EU und speziell das Parlament aber tatsächlich am Herzen liegen, „mehr als vielen anderen, die hier arbeiten“, sagte er kürzlich der SZ.
Für wen ist das Buch?
Für Leser, die mit Humor etwas über den oft merkwürdigen Kosmos EU-Parlament erfahren wollen.
Christoph Driessen
Was macht den Autor zum Experten?
Der deutsch-niederländische Historiker und Journalist Christoph Driessen ist Büroleiter der DPA in Köln. Zuvor hat er Bücher über die Geschichte der Niederlande (2009) und Belgiens (2018) veröffentlicht.
Diagnose und verordnete Therapie
Driessen schildert die Geschichte der EU von ihren Anfängen bis heute. Aber nicht als langen Text, sondern in kleinen Anekdoten, die an ganz unterschiedlichen Orten in Europa und darüber hinaus spielen. Er schildert die berühmten Momente, etwa François Mitterrand und Helmut Kohl 1984, Hand in Hand auf dem Schlachtfeld von Verdun (Margaret Thatcher habe das als „zwei erwachsene Männer, die Händchen halten“ abgetan). Aber auch kleine Details, zum Beispiel wie ein niederländischer Bauer durch eine gekonnte Wasserski-Einlage zur Entwicklung der europäischen Agrarpolitik beitrug.
Wie nebenbei versteht der Leser so auch die großen Linien, warum etwa das Bild von Briten und Franzosen auf das europäische Projekt von Anfang an so unterschiedlich war. Mit eigenen Thesen hält der Autor sich zurück, dafür ergänzen informative Kurzporträts zu Personen und Institutionen den historischen Kontext. Als Diagnose zum Zustand der EU trägt das Buch darum wohl nur die Erkenntnis in sich, dass diese auch weiter existieren wird.
Für wen ist das Buch?
Ein Geschichtsbuch für Leute, die sonst keine Geschichtsbücher lesen – oder für Leute, die sich Bekanntes noch einmal kurzweilig und mit einem neuen Blick erzählen lassen wollen.
Markus Preiß:
Angezählt. Warum ein schwaches Deutschland Europa schadet. dtv München 2024, 288 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
Alexander Thiele:
Defekte Visionen. Eine Intervention zur Zukunft der Europäischen Union. Campus-Verlag, Frankfurt 2024. 155 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Auf zu den Sternen: Ein EU-Fan
in passendem Outfit am Europa-Tag, der dieses Jahr in Brüssel
am 4. Mai gefeiert wurde.
Foto: Virginia Mayo/AP
Martin Sonneborn:
Herr Sonneborn bleibt in Brüssel. Neue Abenteuer im Europaparlament. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024.
20 Euro.
E-Book: 16,99 Euro.
Elmar Brok, Peter Köpf: Verspielt Europa nicht! Ohne die EU ist Deutschland ein Zwerg. Europa-Verlag, München 2024. 272 Seiten, 24 Euro.
Nico Semsrott:
Brüssel sehen und sterben. Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe. Rowohlt Polaris, Hamburg 2024. 352 Seiten, 18 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
Christoph Driessen:
Griff nach den Sternen. Die Geschichte der Europäischen Union. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2024. 288 Seiten, 29,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2024

Der Traum von der EU ist 81 Jahre alt
Ein Handbuch über die Geschichte der EU gewährt Einblicke in zahllose Details der europäischen Integration

Die Europäische Union ist eines der größten Friedensprojekte weltweit. Es ist ein "in der Geschichte der Menschheit einzigartiges Unterfangen", wie Helmut Schmidt einmal gesagt hat. An Superlativen mangelt es also nicht, wenn man auf die Anfänge der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg blickt, an Wissen aber womöglich schon. Denn wer erinnert sich wirklich an die Streitgespräche zwischen dem ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle und dem Quasi-Verteidigungsminister während der Besetzung Frankreichs, Jean Monnet. Schon im Exil hatten sie überlegt, wie eine zukünftige Kooperation zwischen den verfeindeten Ländern Frankreich und Deutschland nach dem Krieg aussehen könnte. Während de Gaulle von der Auflösung Deutschlands als Zentralstaat sprach, argumentierte Monnet für "irgendeine Art zentraler Union". Dazu gehörte für ihn ein europäischer Markt ohne Zollbarrieren und die Abtretung von Souveränität durch alle Mitgliedstaaten. Schon 1943 träumte Monnet also von einer EU.

"Am Anfang von Europa steht Jean Monnet", schreibt Christoph Driessen. Mit dem vorliegenden Buch versucht er über die Entstehung und Entwicklung der EU im Detail aufzuklären. Und wenn der Leser den 268 Seiten und sechs Kapiteln aufmerksam folgt, gelingt das auch. Aber schon im Vorwort erläutert Driessen, dass er sein Werk als Handbuch verstanden haben möchte, "das sich zum Nachschlagen eignet und nicht unbedingt von Anfang bis Ende gelesen werden muss". Das liegt daran, dass Driessen von Schauplatz zu Schauplatz springt - und die zentralen Figuren immer wieder wechseln. Einmal schreibt er in wenigen Absätzen vom Tode Josef Stalins, direkt darauf folgt eine Beschreibung des Indochinakriegs 1954, auf der nächsten Seite geht es um die Auswirkungen der Niederlage Frankreichs in jenem Krieg auf die französische Gesellschaft. Und all das hängt am Ende mit der Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 zusammen.

Dabei spart Driessen auch nicht an Details. Dass die sechs EWG-Gründungsstaaten Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande einen gemeinsamen Binnenmarkt angestrebt haben, sei dem "Wunder von Messina" geschuldet. Bei der Konferenz in Italien sang der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak laut dem Autor vor Freude "O sole mio". Dabei stand Spaak in den Morgenstunden auf dem Balkon seines Hotels und hielt eine Flasche Champagner in der Hand.

Diese Details machen das Buch eindrucksvoll. Kurz fühlt es sich an, als sei man dabei gewesen. Als der britische Premierminister Harold Macmillan Besuch von de Gaulle bekam und es um den Beitritt Großbritanniens zur EWG ging, schlug Macmillans Familienköchin dem französischen Präsident die Bitte ab, seine Blutkonserven in den Küchenkühlschrank zu legen. Die hatte er laut Driessen immer für den Fall eines Attentats dabei. Das Detail zeigt im Kleinen das Große: Macmillan und de Gaulle waren zu dieser Zeit ebenso wenig große Freunde wie Frankreich und Großbritannien.

Außerdem sagte de Gaulle bei einem Treffen 1961 zu Macmillan: "Das insuläre Gefühl bleibt sehr stark ausgeprägt bei euch." Das mache die Mitgliedschaft schwierig. Erst 2016 kam heraus, wie viel Wahrheit in der Aussage steckte. Die Brexiteers in Großbritannien warben mit "Take back control", und eine Mehrheit der Inseleinwohner stimmte für die Unabhängigkeit von Brüssel. Driessen schreibt: "Es ist das Bild eines tapferen, freiheitsliebenden Volkes, das seine Unabhängigkeit notfalls auch gegen scheinbar übermächtige Gegner wie Hitler-Deutschland im Jahr 1940 verteidigt." Und mit dieser historischen Klammer bekräftigt er die Botschaft seines Buches: Alles hängt mit allem zusammen.

In dem letzten Kapitel "Europa in Aufruhr" geht es um die turbulenten Jahre der EU. Driessen beschreibt die jüngsten Herausforderungen, von der Finanzkrise, dem Rechtspopulismus, den Flüchtlingsströmen bis zum Brexit, der Corona-Pandemie und dem Krieg gegen die Ukraine. Er erklärt damit nicht nur, wie die Krisen ineinandergreifen, sondern auch, wie sie auf Ressentiments bauen, die es schon seit Jahrzehnten in Europa gibt. Dabei entsteht eine unterschwellige Warnung: Das, was so sorgfältig aufgebaut wurde, ist wieder in Gefahr. Er schließt mit dem Satz: "Ob die EU-Mitgliedstaaten die dafür erforderliche Standfestigkeit aufbringen können, liegt noch in der Zukunft verborgen."

Der Autor behält mit seinem Vorwort recht. Das Buch ist nicht fesselnd. So spannend und relevant die geschilderten Ereignisse auch sind, so schwer ist es, die Ballung der Informationen zu verarbeiten und dabei immer den roten Faden nachzuvollziehen. Aber in einem Handbuch geht es auch eher darum, das große Ganze zu verstehen: Die EU ist ein Langzeitprojekt, an dem einzelne Personen arbeiten, das einzelne Ereignisse beeinflusst und das erst gewisse Umstände möglich gemacht haben. Details, wie Reden von Robert Schumann, Konrad Adenauer, Winston Churchill, aber auch Zukunftsvisionen von Louise Weiss, Helmut Kohl oder Emmanuel Macron, haben die europäische Integration vorangetrieben. Andere, das zeigt der Erfolg der Rechtspopulisten bei der Europawahl 2014, arbeiten hingegen an der Rückabwicklung der Integration. Das sollte jeder EU-Bürger verstehen. Dieses Wissen geht über den Geschichtsunterricht in der Schule weit hinaus.Dieses Buch schafft genau das. CARLOTA BRANDIS

Christoph Driessen: Griff nach den Sternen. Die Geschichte der Europäischen Union.

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2024. 288 S., 29,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Carlota Brandis versteht mit Christoph Driessen besser, warum die EU ein "Langzeitprojekt" ist. Zwar findet sie es nicht gerade fesselnd, wie der Autor über die großen und kleinen Momente der Entstehung und Entwicklung und die jüngsten Herausforderungen der EU schreibt, doch als Handbuch taugt der Band sehr wohl, meint sie. Immer wieder vermittelt ihr der Autor mit Anekdoten vom Rand großer politischer Ereignisse das Gefühl, ganz nah dabeizusein, etwa wenn de Gaulle und der britische Premier Macmillan zähneknirschend über den Beitritt GBs zur EWG verhandeln. Dass auch in Sachen EU alles mit allem zusammenhängt, macht das Buch jedenfalls deutlich, meint Brandis wohlwollend, auch wenn die schiere Materialfülle Spannung eher nicht aufkommen lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH