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Eine Analyse der Kämpfe um die Deutungshoheit über die Schlüsselereignisse deutscher GeschichteWenn historische Ereignisse Vergangenheit sind, beginnt der Streit um ihre Deutung. In den säkularisierten Gesellschaften der Moderne spielt Geschichte eine wichtige Rolle bei der Stiftung nationaler und kultureller Identität und bei der Legitimation politischer Herrschaft. Geschichtsbilder können unter diesen Bedingungen große historische Wirkungen entfalten. Wer über historische Deutungsmacht verfügt, übt daher mittelbar auch politischen Einfluß aus. Die Geschichte wird zu einem Kampffeld…mehr

Produktbeschreibung
Eine Analyse der Kämpfe um die Deutungshoheit über die Schlüsselereignisse deutscher GeschichteWenn historische Ereignisse Vergangenheit sind, beginnt der Streit um ihre Deutung. In den säkularisierten Gesellschaften der Moderne spielt Geschichte eine wichtige Rolle bei der Stiftung nationaler und kultureller Identität und bei der Legitimation politischer Herrschaft. Geschichtsbilder können unter diesen Bedingungen große historische Wirkungen entfalten. Wer über historische Deutungsmacht verfügt, übt daher mittelbar auch politischen Einfluß aus. Die Geschichte wird zu einem Kampffeld verschiedener Deutungseliten, die danach streben, ihre Sicht der Vergangenheit durchzusetzen, um so den Handlungsraum und das Selbstverständnis ihrer politischen Gemeinschaft zu beeinflussen.Diesem »Griff nach der Deutungsmacht« spüren der Berliner Historiker und Publizist Heinrich August Winkler und zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nach. In klar und anschaulich geschriebenen historischen Essays werden geschichtspolitische Instrumentalisierungen, mythische Überhöhungen und rituelle Inszenierungen von Schlüsselereignissen der deutschen Geschichte erörtert. Dabei stehen Themen im Vordergrund, die bei der Diskussion um Geschichtspolitik bisher weniger stark beachtet wurden als die nationalsozialistische Diktatur und der Holocaust. In den Essays werden die Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges, die Erinnerung an die Napoleonischen Befreiungskriege, das Erbe der Revolution von 1848, das Gedenken an die Reichsgründung von 1870/71 und der lange Schatten der gescheiterten Weimarer Republik behandelt. Immer geht es dabei auch um das politisch-kulturelle Selbstverständnis der Deutschen und ihrer Nation.
Autorenporträt
Heinrich August Winkler, geb. 1938 in Königsberg, studierte Geschichte, Wissenschaftliche Politik, Philosophie und Öffentliches Recht. Er habilitierte sich 1970 an der Freien Universität Berlin und war zunächst dort, danach von 1972 bis 1991 Professor in Freiburg. Seit 1991 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Veröffentlichungen u.a.: 'Weimar. Ein Lesebuch zur deutschen Geschichte 1918-1933' (1999); 'Der lange Weg nach Westen' (2000).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2004

Fehlgriffe nach der Deutungsmacht

Zehn Doktorandinnen und Doktoranden des bekannten Berliner Zeithistorikers untersuchen anhand von zehn exemplarischen Fällen, wie man in bestimmten Epochen der deutschen Geschichte bestimmte andere Epochen der deutschen Geschichte betrachtet hat ("Griff nach der Deutungsmacht". Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland. Herausgegeben von Heinrich August Winkler. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 272 S., br., 34,- [Euro]). Sie rekonstruieren populäre Geschichtsbilder, um aus ihnen Aufschlüsse über die politischen Ideologien der Akteure zu gewinnen. Solche Unternehmen sind derzeit, im Zuge des deutschen Enthusiasmus für "Erinnerung" und "Erinnerungsorte", beliebt. Als Themen akademischer Drittmittelprojekte haben sie den Vorteil, kaum schiefgehen zu können. Meist bestätigen sie das, was jeder Gutachter sich so vorgestellt hat - und deshalb für innovativ hält. Daß die Sozialdemokraten während des Kaiserreichs ein anderes Bild der Revolution von 1848 hegten als ihre konservativen Gegner - erstaunlich! Daß den meisten Zeitgenossen um 1930 zum 9. November nicht "Demokratie" einfiel, sondern die Dolchstoßlegende, und daß die Nazis bei "Revolution" kaum an 1848 dachten - hätte man das gedacht?

Kurz: Spektakuläre Enthüllungen, wie Heinrich August Winkler sie mit seinem Griff nach dem Fritz-Fischer-Titel von 1961 verheißt, sind selten. Trotzdem lohnen viele Beiträge die Lektüre - diejenigen, in denen Paradoxien aufgedeckt werden. Verraten Fälle, in denen Ideologie und Geschichtsbild einer Partei, eines Regimes oder einer Regierung gerade nicht ineinander aufgingen, doch mehr über deren Mentalität, Funktionieren und Versagen als jedes laut verkündete Gesamtweltbild. Spannender als der "Griff nach der Deutungsmacht" ist der Fehlgriff danach.

Kay Wenzel zeigt, daß es der wilhelminischen Propaganda gerade nicht gelang, die Befreiungskriege von 1813 als historisches Vorbild für die Heeresverstärkung von 1913 zu instrumentalisieren. Vielmehr entfachte dieser Versuch eine Debatte, in deren Verlauf die obrigkeitliche Lesart, 1813 sei eine Befreiung von der Fremdherrschaft gewesen, mit der liberalen These konfrontiert wurde, daß das deutsche Volk 1813 weniger gegen Napoleon als für demokratische Reformen gekämpft habe. Das sagt mehr über die Öffentlichkeit des Kaiserreichs als jeder neue "Beweis" für deren angeblich blinde Obrigkeitshörigkeit.

Eine ebenso problematische, wenn nicht gar "ungeliebte Tradition" war die Revolution von 1848 - im Kaiserreich (Bettina Effner), aber auch in der Weimarer Republik (Daniel Bussenius). Daß die regierenden Sozialdemokraten die Farben Schwarz-Rot-Gold als Nationalflagge übernahmen, entfremdete jene Genossen, die ihre Ideale in der roten Fahne symbolisiert sahen. Die Niederlage des vom SPD-nahen "Reichsbanner" gestützten Wilhelm Marx bei den Präsidentenwahlen 1925 gegen Hindenburg, die Inkarnation "schwarz-weiß-roter" Werte, mußte so um so mehr als Menetekel wirken. Nach 1945 schaffte die Sozialdemokratie es trotz eifriger Werbungen nicht, 1848 als Symbol für Demokratie und liberalen Verfassungsstaat zu etablieren. Claudia Roths Beitrag macht das Verkrampfte des Achtundvierziger-Gedenkens in der Bundesrepublik einmal mehr verständlich.

Der DDR gelang das Kunststück, sich nicht nur zur Vollenderin von 1848 zu stilisieren, sondern zur Erbin von Bismarcks "Realpolitik". In der Weimarer Republik war, wie Robert Gerwarth darlegt, die Erinnerung an den Eisernen Kanzler meist polemisch benutzt worden. Brüning hatte sich auf ihn berufen, um seine unpopuläre Politik als national zu verteidigen. Hitler hatte dies ironisch aufgegriffen, um die Regierung als kraftlos und machtvergessen zu denunzieren. Auch nach 1945 sorgten Debatten um Bismarck für pikante Konstellationen. Während Linke und katholische Konservative sein Andenken verdammten, während man 1965, anläßlich seines einhundertfünfzigsten Geburtstags, sein Göttinger Denkmal schleifte und Bundespräsident Heinemann 1971 in einer Fernsehansprache den Bann über alle Traditionen verhängte, die sich mit Bismarcks Namen verknüpften, hatte Willy Brandt keine Scheu, dessen "außenpolitisches Genie" zu loben und einen Kranz mit der Widmung "Dem Kanzler des Deutschen Reiches - Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland" in Friedrichsruh niederlegen zu lassen. Sebastian Schubert zeigt, wie diese Debatten im Westen die DDR zu einer taktischen Volte veranlaßten. Hatte Ulbricht den Reichskanzler noch 1962 als Vordenker der "Nato-Imperialisten" bezeichnet, würdigte man ihn seit 1965 als vorbildlichen Realpolitiker. Zu verlockend schien die Chance, auf diese Weise sowohl den Wiedervereinigungsforderungen der westdeutschen CDU zu widersprechen als auch die Nationalstaatskritik der westlichen Linken zu konterkarieren und selbst als Hüterin moderner nationaler Traditionen aufzutreten.

"Geschichtspolitik" also funktioniert in autoritären Regimen besser als in demokratischen, weil dort, wie Winkler bemerkt, "mehrere Geschichtsbilder miteinander zu konkurrieren" pflegen. Überall aber hat sie, so lehrt die Lektüre, mehr mit Strategie zu tun als mit Logik. Zu beobachten, mit welch schöner Pünktlichkeit taktische Kalküle Ideologien unterlaufen und damit entlarven, ist lehrreich und tröstlich. Denn der Überdruß an verordneten Geschichtsbildern führt zur Forschung, und diese ist, auch wenn kritische Köpfe sie für eine Fortsetzung der Geschichtspolitik mit anderen Mitteln halten, dann doch etwas anderes als jene. Zu diesem Thema wären noch andere Bücher zu schreiben. Wer aber einen soliden Rapport darüber sucht, wie heutige Historiker frühere Politiker nach der Deutungsmacht greifen sehen, ist mit diesem Band gewiß nicht schlecht beraten.

GERRIT WALTHER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2004

Nur kein zweites Weimar!
Geschichtspolitik nach Heinrich August Winkler
Griff nach der Deutungsmacht! Da möchte man doch gleich eine Ethik-Kommission einberufen. Aber gemach, dieses Buch bedient nicht die Streithansel unter den Historikern. Zehn solide Essays besichtigen geschichtspolitische Debatten an ihren historischen Schauplätze. In eben dieser doppelten Perspektive liegt ein Reiz dieses Unternehmens. Ein weiterer Vorzug besteht in der Kontinuität von Fragestellungen und Methoden. Die Beiträge sind gut verzahnt. So untersuchen drei Autoren das Gedenken von 1848 in unterschiedlichen Epochen, drei weitere Aufsätze sind der Weimarer Republik und der vorangegangenen Revolution gewidmet.
Unter all dem Getöse von gut 125 Jahren Erinnerungskultur klingt der Orgelton der neueren deutschen Geschichte deutlich hervor. Es geht im wesentlichen darum, wie die Spaltung des deutschen Bürgertums seit 1848 auch die historische Erinnerung polarisierte. Hier die nationale, dort die freiheitliche Lesart der Geschichte - die Handschrift des Herausgebers ist deutlich zu spüren.
In der Gedenkfalle
Manches, was die jungen Autoren mitunter recht bemüht zu Tage fördern, kennt man aus den Schriften von Heinrich August Winkler. Andererseits möchte man beispielsweise Bettina Effners Beitrag „Auseinandersetzung mit 1848/49 in liberaler Politik und Publizistik der Bismarckzeit” nicht missen, denn er rundet die Beschäftigung mit der 1848er-Rezeption in der frühen Weimarer Republik und in der jungen Bundesrepublik bestens ab.
Gerade das Gedenken der 48er Revolution zeigt, dass Realpolitik stets vor Geschichtspolitik geht. Im Jubiläumsjahr 1873 zogen es sogar die Linksliberalen vor, den Gedenktag öffentlich zu beschweigen - sie wollten Bismarck nicht verärgern. Im 1. Weltkrieg verzichteten die Sozialdemokraten darauf, die Märzgefallenen zu betrauern. Sie hatte Ja gesagt zu den Kriegsanleihen, das war mit revolutionärer Emphase schwer zu vereinbaren.
Nur ein paar Monate später kam es zur Revolution. Und die SPD, die wichtigste Stütze der neuen Ordnung, saß erneut in der Gedenkfalle. Die KPD erwies sich auch auf geschichtspolitischem Feld als entschlossener.
Selbst 1948, als die Westdeutschen eifrig an der freiheitlich-demokratischen Traditionsbildung arbeiteten, blieb der Revolutionsmythos blass. Nur kein zweites Weimar, lautete die Devise. Lebhafter wurde dagegen der Revolution von 1848 in beiden Teilen Deutschlands gedacht, nun allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Während sich die bürgerliche Bundesrepublik eher zur freiheitlichen Traditionsbildung bekannt, replizierten die Einheitssozialisten die Parole des rechtsliberalen Bürgertums aus der Reichsgründungszeit: Durch die Einheit zur Freiheit. Das schloss auch die Bismarck-Verehrung ein, die in der Bundesrepublik durchaus anrüchig blieb.
Solche Pointen muss der Leser in den mitunter allzu quellenlastigen Darstellungen schon selber finden. Es fehlt der Mut zur Kompilation. Auch vermisst man ein Kapitel über das 150jährige Jubiläum der Paulskirche im Jahr 1998.
Grundsätzlich hätte man gern mehr darüber erfahren, ob und wie aus Geschichte Politik wird. Genügt es etwa schon, dass Gedenk-Reden gehalten und Zeitungsseiten voll geschrieben werden, wie dieser Sammelband nahe legt? Oder müsste der Griff nach der Deutungsmacht nicht etwas beherzter ausfallen?
FRANK EBBINGHAUS
HEINRICH AUGUST WINKLER (Hg.): Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 272 Seiten, 34 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Spektakuläre Enthüllungen", wie sie der Herausgeber Heinrich August Winkler mit seinem "Griff nach dem Fritz-Fischer-Titel von 1961" verheiße, seien in diesem Buch mit Beiträgen von Winklers Doktoranden und Doktorandinnen zwar selten, berichtet Gerrit Walther. Wer einen "soliden Rapport" darüber suche, "wie heutige Historiker frühere Politiker nach der Deutungsmacht greifen sehen", sei mit diesem Band aber "gewiss nicht schlecht beraten", meint Walther. Interessant werde der Band vor allem dort, so der Rezensent weiter, wo er Paradoxien der "Geschichtspolitik", also vor allem Fälle behandelt, in denen es nicht gelang, die Geschichte für eine bestimmte Politik zu instrumentalisieren. Walther nennt hier den Beitrag von Kay Wenzel, der zeige, wie der Versuch der wilhelminischen Propaganda misslang, die Befreiungskriege von 1813 als historisches Vorbild für die Heeresverstärkung von 1913 einzusetzen: "Zu beobachten, mit welch schöner Pünktlichkeit taktische Kalküle Ideologien unterlaufen und damit entlarven, ist lehrreich und tröstlich."

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