"Hirnverbranntes Stück, lies gefälligst was, wenigstens die Klappentexte, damit du weißt, worum es verdammt noch mal geht, und du ein fokkin Book verkaufen kannst!" So fährt der Chef Liborio an, der sich als illegaler Buchhändler, Tagelöhner und Sparring-Boxer über Wasser hält. Er musste Mexiko verlassen, wie Tausende andere unbegleitete Jugendliche gelangte er endlich ins "Gelobte Land". Jetzt erzählt er uns seine verrückte Geschichte, wie er es am Ende schafft, ein Gringo Champ zu werden. Das furiose Debüt einer neunzehnjährigen Autorin über einen mexikanischen Immigranten: Aura Xilonen erfindet eine radikal neue, atemlose Sprache, die gegenwärtige und zukünftige Mauern durchbricht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2019Die härteste Faust
Nordamerikas
Aura Xilonens Debütroman „Gringo Champ“
Von den vielen Dingen, die es über diesen Roman zu sagen gibt, muss man als Erstes die Sprache erwähnen oder wie es vielleicht Liborio, der Erzähler und die Hauptfigur, sagen würde: „Endlich taugt die fokkin Lyrik zu was.“
Aura Xilonens „Gringo Champ“ ist in einer Kunstsprache geschrieben, die wirkt, als habe jemand aus Handyschnappschüssen, allen verfügbaren Gifs von 9Gag und Renaissancegemälden aus dem Museo del Prado eine Instagram-Story gebaut und darüber ein paar Snapchat-Filter verteilt: Xilonen mischt in ihrem Debütroman Englisch und Spanisch mit Zitaten aus Pop, Film, der Bibel, Literatur, Slang, Sport und allem, was irgendwie gerade passt oder auch manchmal nicht passt, um einen ganz neuen Sound und eine Haltung zu erzeugen, die nicht nur in der mexikanischen Literatur mit wenig vergleichbar ist. Der Literaturprofessor Ignacio Sánchez Prado meint in diesen zahllosen Faltenwürfen sogar einen lateinamerikanischen Neobarock zu erkennen, der viel detaillierter und trotzdem unprätentiöser sei, als die ethnografische Künstlichkeit der Sprache, in der sonst Geschichten mexikanischer Auswanderer erzählt werden.
Ins Deutsche musste dieser Roman auch deshalb unbedingt von Susanne Lange übertragen werden, die mit ihrer 2008 erschienen Übersetzung von Cervantes’ „Don Quixote“ die maßgebliche deutsche Fassung dieses Textes vorlegte, aber ebenso als Expertin für lateinamerikanische Literatur gilt. Sie hat das wilde Spanisch des Originals in ein Deutsch gebracht, das den Slang und die Rohheit imitiert, das Durcheinander der Sprachen wo möglich übernimmt, wo nötig auch mal verstärkt, aber immer die Register mitdenkt, die hinter den Zitaten, Anspielungen und Motiven verborgen sind. Damit ist sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Schon am ersten Satz zeigen sich die Schwierigkeiten dieser Übersetzung und wie Lange sie löst. Im spanischen Original lautet der Romananfang: „Y entonces se me ocurre, mientras los camejanes persiguen a la chivata hermosa para bulearla y chiflarle cosas sucias, que yo puedo alcanzar otra vida al putearme a todos esos foquin meridianos.“ „Cameja“ ist ein im Spanischen kaum gebräuchliches Wort für einen zwielichtigen Burschen aus der Unterschicht. Selbst in Interviews in spanischsprachigen Zeitungen wurde Xilonen nach dem Wort gefragt, in dem verführen („camelar“) und der Drogenhändler („camello“) mitschwingen.
Auch Susanne Lange gab an, sie habe noch nie einen Text mit so vielen alten und erfundenen Vokabeln gesehen. „Bulearla“ und „foquin“ sind Anglizismen („to bully“ und „fucking“), deren Ursprung sich auf phonetischer Ebene erschließt. Lange gibt den ersten Satz so wieder: „Und da durchfährt es mich, als die Mickerficker der schönen Chica nachsteigen, im Disturbomodus, und ihr dreckig ins Ohr sülzen: Ich kann mich in ein anderes Leben hangeln, wenn ich diese fokking Meridianer trashe.“ Die Camejanes sind im Deutschen zu dem Neologismus Mickerficker geworden, der wahrscheinlich keine Chance hätte, sich auf der Straße durchzusetzen, aber die Eigenartigkeit des Originals treffend transportiert.
Auch sonst hat sich die Übersetzerin viele Freiheiten genommen und Verschiebungen vorgenommen, etwa den altmodischen Ton des Wortes „camejanes“ in das Verb „nachsteigen“ gelegt und das mitschwingende Englisch aus dem Original dafür in den Wörtern „trashen“ und „Disturbomodus“ nachgedichtet. Was Meridianer sind, ist nicht endgültig geklärt. Den Relativsatz im Spanischen hat Lange zu zwei deutschen Sätzen gemacht, was umständliche Grammatik vermeidet und insgesamt die Durchschlagskraft erhöht, denn um die geht es in dem Roman.
Liborio ist als illegaler mexikanischer Einwanderer in einer nicht benannten Stadt, vermutlich im Grenzgebiet der USA gelandet. Er wohnt und arbeitet in einem Buchladen für einen cholerischen Boss, der genau weiß, dass er mit dem jungen Migranten machen kann, was er will. Liborio, in dessen Namen sich das Buch („libro“) und die Arbeit („labor“) treffen, verschlingt von Catull bis Cervantes alles, was er in dem Laden zu lesen finden kann. Außerdem ist er in die schöne Aireen verliebt und schwingt die härteste Faust Nordamerikas: Mit nur einem Schlag bringt er alle Angreifer zu Fall. Und in den USA gibt es viele, die es auf einen jungen, illegalen Mexikaner abgesehen haben.
Diese Handlung könnte auch direkt aus einem Corrido stammen, den beliebten mexikanischen Volksliedern, in denen die meist haltlos überhöhten Helden der kleinen Leute besungen werden. Es gibt solche Songs über Barack Obama, aber auch über besonders gerissene Drogendealer. Liborios Lieblingsmusik von der mexikanischen Corrido-Band Calibre 50 und deren Liedern über mexikanische Helden ist „Gringo Champ“ noch deutlich näher, als dem barocken spanischen Roman, der oft als Referenz für Xilonens Sprachexperimente angeführt wird.
Diesen jungen Menschen, von denen die Corridos handeln und deren Körper an der Grenze zwischen den Staaten zur Verfügungsmasse für Drogenkartelle, übergeschnappte Bürgerwehren und ausbeuterische Kleinkapitalisten geworden sind, wollte Xilonen, wie sie selbst sagt, eine Stimme geben. Mit 16 Jahren begann sie den Roman zu schreiben und wusste noch nicht genau, ob sie nicht lieber einen Film drehen würde. Mit 19 hatte sie das Manuskript fertig und räumte damit sofort den Premier Mauricio Achar, einen der angesehensten Literaturpreise Lateinamerikas ab. Es folgten Übersetzungen ins Englische und mehrere europäische Sprachen.
Um zu erklären, warum Xilonen einen Nerv getroffen hat, muss man wieder auf diesen halsbrecherischen Stil zurückkommen, in dem es Grenzen zwischen Staaten und Sprachen nicht zu geben scheint. Xilonen schreibt, als müsse nicht das, was man sagt, aber wie man es sagt, von ihr erst erfunden werden. Wenn barockes Spanisch auf den Slang der mexikanischen Einwanderer trifft oder manche Bilder und Motive im Text gewendet werden, bis sie vielleicht etwas bisher Verborgenes preisgeben, dann geht es auch darum, auszuprobieren, was möglich ist in den Sprachen, durch die manchmal die Grenze so streng zu verlaufen scheint, wie die Mauer, die Donald Trump seinen Wählern versprochen hat. Dass natürlich die Sprachbarrieren nördlich und südlich der Grenze längst aufgeweicht sind, ist in diesem Roman ganz selbstverständlich. Motto: „Ja sagen, bis man eines natürlichen Neins stirbt.“ Ausprobieren, was geht, auch wenn man dabei auf die Schnauze fliegt und Liborio von seiner Lehrerin einmal gesagt bekommt, man müsse sich schon für eine Sprache entscheiden.
Es gibt im Text Listen von Autorennamen, von Blumennamen und sogar von den Zahlen eins bis 50, als müsste auch immer mal wieder Sprachinventur gemacht werden und das Instrumentarium zurechtgelegt. Mal schauen, was man dann damit macht.
Schon allein die Schimpfwörter des Buchhändlers öffnen ungeahnte Möglichkeiten jenseits des üblichen Arsenals an spanischen und englischen Beleidigungen. Wenn er Liborio zum Beispiel als „patzigen Pterodaktylus“ beschimpft, dann geht es nicht nur um die doch irgendwie arg würdelose Urzeitflugechse, sondern auch darum, dass „Pterodaktylus“ ein wirklich sehr unschönes Wort ist.
Es sind solche unerwarteten Breschen und Pfade, die zu schlagen dem Roman immer wieder auch im Kleinsten gelingt. Und die deutsche Übersetzung ist dieser Kraft absolut gewachsen. Aura Xilonen und Susanne Lange öffnen die Sprachen, Slangs und Dialekte füreinander. Dieser Roman zeigt, wie Grenzen nicht nur trennen, sondern wie an ihnen Neues entstehen kann. „Herd ist auch nur eine Redensart für eine schwarze Glasplatte, auf die mehrere Kreise gemalt sind, darüber eine Abzugshaube“. Stimmt.
NICOLAS FREUND
Aura Xilonen: Gringo Champ. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser, München 2019. 336 Seiten. 23 Euro.
„Ja sagen,
bis man eines natürlichen
Neins stirbt“
Mexikanischer Neo-Barock: die Autorin Aura Xilonen.
Foto:Cannarsa/Oplale/Leemage/laif
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nordamerikas
Aura Xilonens Debütroman „Gringo Champ“
Von den vielen Dingen, die es über diesen Roman zu sagen gibt, muss man als Erstes die Sprache erwähnen oder wie es vielleicht Liborio, der Erzähler und die Hauptfigur, sagen würde: „Endlich taugt die fokkin Lyrik zu was.“
Aura Xilonens „Gringo Champ“ ist in einer Kunstsprache geschrieben, die wirkt, als habe jemand aus Handyschnappschüssen, allen verfügbaren Gifs von 9Gag und Renaissancegemälden aus dem Museo del Prado eine Instagram-Story gebaut und darüber ein paar Snapchat-Filter verteilt: Xilonen mischt in ihrem Debütroman Englisch und Spanisch mit Zitaten aus Pop, Film, der Bibel, Literatur, Slang, Sport und allem, was irgendwie gerade passt oder auch manchmal nicht passt, um einen ganz neuen Sound und eine Haltung zu erzeugen, die nicht nur in der mexikanischen Literatur mit wenig vergleichbar ist. Der Literaturprofessor Ignacio Sánchez Prado meint in diesen zahllosen Faltenwürfen sogar einen lateinamerikanischen Neobarock zu erkennen, der viel detaillierter und trotzdem unprätentiöser sei, als die ethnografische Künstlichkeit der Sprache, in der sonst Geschichten mexikanischer Auswanderer erzählt werden.
Ins Deutsche musste dieser Roman auch deshalb unbedingt von Susanne Lange übertragen werden, die mit ihrer 2008 erschienen Übersetzung von Cervantes’ „Don Quixote“ die maßgebliche deutsche Fassung dieses Textes vorlegte, aber ebenso als Expertin für lateinamerikanische Literatur gilt. Sie hat das wilde Spanisch des Originals in ein Deutsch gebracht, das den Slang und die Rohheit imitiert, das Durcheinander der Sprachen wo möglich übernimmt, wo nötig auch mal verstärkt, aber immer die Register mitdenkt, die hinter den Zitaten, Anspielungen und Motiven verborgen sind. Damit ist sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Schon am ersten Satz zeigen sich die Schwierigkeiten dieser Übersetzung und wie Lange sie löst. Im spanischen Original lautet der Romananfang: „Y entonces se me ocurre, mientras los camejanes persiguen a la chivata hermosa para bulearla y chiflarle cosas sucias, que yo puedo alcanzar otra vida al putearme a todos esos foquin meridianos.“ „Cameja“ ist ein im Spanischen kaum gebräuchliches Wort für einen zwielichtigen Burschen aus der Unterschicht. Selbst in Interviews in spanischsprachigen Zeitungen wurde Xilonen nach dem Wort gefragt, in dem verführen („camelar“) und der Drogenhändler („camello“) mitschwingen.
Auch Susanne Lange gab an, sie habe noch nie einen Text mit so vielen alten und erfundenen Vokabeln gesehen. „Bulearla“ und „foquin“ sind Anglizismen („to bully“ und „fucking“), deren Ursprung sich auf phonetischer Ebene erschließt. Lange gibt den ersten Satz so wieder: „Und da durchfährt es mich, als die Mickerficker der schönen Chica nachsteigen, im Disturbomodus, und ihr dreckig ins Ohr sülzen: Ich kann mich in ein anderes Leben hangeln, wenn ich diese fokking Meridianer trashe.“ Die Camejanes sind im Deutschen zu dem Neologismus Mickerficker geworden, der wahrscheinlich keine Chance hätte, sich auf der Straße durchzusetzen, aber die Eigenartigkeit des Originals treffend transportiert.
Auch sonst hat sich die Übersetzerin viele Freiheiten genommen und Verschiebungen vorgenommen, etwa den altmodischen Ton des Wortes „camejanes“ in das Verb „nachsteigen“ gelegt und das mitschwingende Englisch aus dem Original dafür in den Wörtern „trashen“ und „Disturbomodus“ nachgedichtet. Was Meridianer sind, ist nicht endgültig geklärt. Den Relativsatz im Spanischen hat Lange zu zwei deutschen Sätzen gemacht, was umständliche Grammatik vermeidet und insgesamt die Durchschlagskraft erhöht, denn um die geht es in dem Roman.
Liborio ist als illegaler mexikanischer Einwanderer in einer nicht benannten Stadt, vermutlich im Grenzgebiet der USA gelandet. Er wohnt und arbeitet in einem Buchladen für einen cholerischen Boss, der genau weiß, dass er mit dem jungen Migranten machen kann, was er will. Liborio, in dessen Namen sich das Buch („libro“) und die Arbeit („labor“) treffen, verschlingt von Catull bis Cervantes alles, was er in dem Laden zu lesen finden kann. Außerdem ist er in die schöne Aireen verliebt und schwingt die härteste Faust Nordamerikas: Mit nur einem Schlag bringt er alle Angreifer zu Fall. Und in den USA gibt es viele, die es auf einen jungen, illegalen Mexikaner abgesehen haben.
Diese Handlung könnte auch direkt aus einem Corrido stammen, den beliebten mexikanischen Volksliedern, in denen die meist haltlos überhöhten Helden der kleinen Leute besungen werden. Es gibt solche Songs über Barack Obama, aber auch über besonders gerissene Drogendealer. Liborios Lieblingsmusik von der mexikanischen Corrido-Band Calibre 50 und deren Liedern über mexikanische Helden ist „Gringo Champ“ noch deutlich näher, als dem barocken spanischen Roman, der oft als Referenz für Xilonens Sprachexperimente angeführt wird.
Diesen jungen Menschen, von denen die Corridos handeln und deren Körper an der Grenze zwischen den Staaten zur Verfügungsmasse für Drogenkartelle, übergeschnappte Bürgerwehren und ausbeuterische Kleinkapitalisten geworden sind, wollte Xilonen, wie sie selbst sagt, eine Stimme geben. Mit 16 Jahren begann sie den Roman zu schreiben und wusste noch nicht genau, ob sie nicht lieber einen Film drehen würde. Mit 19 hatte sie das Manuskript fertig und räumte damit sofort den Premier Mauricio Achar, einen der angesehensten Literaturpreise Lateinamerikas ab. Es folgten Übersetzungen ins Englische und mehrere europäische Sprachen.
Um zu erklären, warum Xilonen einen Nerv getroffen hat, muss man wieder auf diesen halsbrecherischen Stil zurückkommen, in dem es Grenzen zwischen Staaten und Sprachen nicht zu geben scheint. Xilonen schreibt, als müsse nicht das, was man sagt, aber wie man es sagt, von ihr erst erfunden werden. Wenn barockes Spanisch auf den Slang der mexikanischen Einwanderer trifft oder manche Bilder und Motive im Text gewendet werden, bis sie vielleicht etwas bisher Verborgenes preisgeben, dann geht es auch darum, auszuprobieren, was möglich ist in den Sprachen, durch die manchmal die Grenze so streng zu verlaufen scheint, wie die Mauer, die Donald Trump seinen Wählern versprochen hat. Dass natürlich die Sprachbarrieren nördlich und südlich der Grenze längst aufgeweicht sind, ist in diesem Roman ganz selbstverständlich. Motto: „Ja sagen, bis man eines natürlichen Neins stirbt.“ Ausprobieren, was geht, auch wenn man dabei auf die Schnauze fliegt und Liborio von seiner Lehrerin einmal gesagt bekommt, man müsse sich schon für eine Sprache entscheiden.
Es gibt im Text Listen von Autorennamen, von Blumennamen und sogar von den Zahlen eins bis 50, als müsste auch immer mal wieder Sprachinventur gemacht werden und das Instrumentarium zurechtgelegt. Mal schauen, was man dann damit macht.
Schon allein die Schimpfwörter des Buchhändlers öffnen ungeahnte Möglichkeiten jenseits des üblichen Arsenals an spanischen und englischen Beleidigungen. Wenn er Liborio zum Beispiel als „patzigen Pterodaktylus“ beschimpft, dann geht es nicht nur um die doch irgendwie arg würdelose Urzeitflugechse, sondern auch darum, dass „Pterodaktylus“ ein wirklich sehr unschönes Wort ist.
Es sind solche unerwarteten Breschen und Pfade, die zu schlagen dem Roman immer wieder auch im Kleinsten gelingt. Und die deutsche Übersetzung ist dieser Kraft absolut gewachsen. Aura Xilonen und Susanne Lange öffnen die Sprachen, Slangs und Dialekte füreinander. Dieser Roman zeigt, wie Grenzen nicht nur trennen, sondern wie an ihnen Neues entstehen kann. „Herd ist auch nur eine Redensart für eine schwarze Glasplatte, auf die mehrere Kreise gemalt sind, darüber eine Abzugshaube“. Stimmt.
NICOLAS FREUND
Aura Xilonen: Gringo Champ. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser, München 2019. 336 Seiten. 23 Euro.
„Ja sagen,
bis man eines natürlichen
Neins stirbt“
Mexikanischer Neo-Barock: die Autorin Aura Xilonen.
Foto:Cannarsa/Oplale/Leemage/laif
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Dirk Fuhrig bemüht sich um Wohlwollen und attestiert dem Debüt der mexikanischen Autorin Aura Xilonen eine jugendliche Frische. Ansonsten kann er nicht viel finden an dieser Geschichte von einem jungen Mexikaner, der in die USA flieht, sich mit seinen harten Fäusten zum Champion hochboxt und in einer Buchhandlung zugleich die Klassiker der Weltliteratur entdeckt. Da stecken jede Menge Klischees drin, seufzt Fuhrig, den auch die Keuschheit wundert, mit der Xilonen ihre im Boxer und Prostituiertenmilieu angesiedelte Liebesgeschichte erzählt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2019Eine Abreibung, auch für die Sprache
Lang lebe der Kraftausdruck: In Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ" schlägt sich ein belesener mexikanischer Faustheld in Nordamerika durch.
Die meisten Romane, die Liborio in seinem Dachstübchen oder in einem Park liest, sind fade: "allesamt mit gedrilltem Satz-an-Satz ohne Seele, ohne Leben, bloß hübsche Wörtchen kreuz und quer. So knüpften die Schriftsteller ihre adretten, wurmigen Romane, ohne Atem, ohne Sauerstoff." Liborio, in dessen Namen sich der Freiheitswunsch, die Bücher und die Plackerei vereinen, ist die Hauptfigur von Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ". Und man darf getrost davon ausgehen, dass sich die mexikanische, bei Erscheinen des Originals gerade mal neunzehnjährige Schriftstellerin für ihr eigenes Werk das Gegenteil vorgenommen hat: also einen beseelten Roman voller Leben. Was gar nicht so einfach ist, wie Liborio feststellen wird: "Das Leben, verdammte Scheiße, ist nicht, wie es die Bücher malen." Die Realität ist der Literatur nämlich meistens einen Schritt voraus.
Wie Xilonen der Geschichte dieses illegalen mexikanischen Einwanderers, der sich in den Vereinigten Staaten in einer Buchhandlung, auf der Straße und später im Ring durchschlägt, Leben einzuhauchen versucht, ist bemerkenswert. Mit viel Verve verpasst sie der spanischen Sprache einen Aufwärtshaken und schickt sie auf die Bretter, um ihr anschließend wieder auf- und zu mehr Durchschlagskraft und Einsteckungsvermögen zu helfen. Dafür erfindet sie eine Kunstsprache, die das Spanische und das Englische, die klassische Literatur und den Straßenslang, die Popkultur und biblische Motive miteinander in Einklang bringt. Vorbei ist es mit der Aneinanderreihung hübscher Wörtchen, lang lebe der Kraftausdruck, das vermeintlich veraltete Wort, der fachsprachliche Begriff, der Hiphop- und Corrido-Jargon, der Neologismus und die Verhackstückung kanonischer Weisheiten. Demgemäß strotzt "Gringo Champ", ausgezeichnet mit dem Premio Mauricio Achar, nur so vor sprachlichen Grobheiten, Powermoves und idiomatischen Preziosen. Da gibt es die "fokkin polypathetischen, dreckspestenden Scheißgreifer", die "Mickerficker", die "Mackerfacker" und den "Knickerbastard". Da wird die Nacht mit Zittern besprüht und erklärt, wozu die steifkragige Lyrik alles taugt, "honigklebrig und voll karamellisiertem Stroh, so liebesprall wie die Därme von Kühen, wenn sie tüchtig Gras gekaut haben und schöne, süße Fladen in Braun gebären"; mit einem Band der hundert besten Liebesgedichte lässt sich immerhin eine Tür verrammeln.
Der vielfach ausgezeichneten Übersetzerin Susanne Lange wird dank Xilonens Originalitätssucht einiges abverlangt; Lange löst diese Aufgabe mit Bravour. Doch so ideenreich, räudig und vital die Sprache daherkommt, so überraschungsarm und konventionell sind Figurenzeichnung und Handlung. Liborios Liebes-, Passions- und Aufsteigergeschichte kommt zwar ohne Tellerwäscher und Millionäre aus, der amerikanische Traum liegt ihr - neben dem mexikanischen Untergrundheldengesang - trotzdem zugrunde. Da boxt sich einer hoch à la Rocky Balboa, vom Prügelknaben zur YouTube-Berühmtheit zum Sparringspartner und immer so weiter, gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeiten. Verliebt ist er auch noch, in Aireen, das Mädchen von gegenüber. Fällt er hin, steht er wieder auf, steht er in der Wüste dem Tode nah, feiert er alsbald Wiederauferstehung: "Ein Toter, dazu verdonnert, von neuem zu leben."
An der Last der biblischen und manchmal märchenhaften Motive, die Xilonen ihrem Protagonisten aufhalst, hat Liborio schwer zu schleppen. Zu schwer. Sorgt ausgerechnet die Kunstsprache auf der einen Seite für mehr Leben und Bewegung, bringt auf der anderen Seite die Überladung der Kunstfigur Schwerfälligkeit, gar Stillstand mit sich. Je mehr Freiheit Xilonen sich sprachlich verschafft, desto enger schnürt sie das Korsett der Handlung, so dass "Gringo Champ" auf halber Strecke die Luft ausgeht, zumal diesem Entwicklungsroman eine politische Komponente fehlt. Wer hofft, angesichts der Ausgangssituation des Romans mehr über die Zusammenhänge mit der amerikanischen Migrationspolitik zu erfahren, ist bei Xilonen falsch. Liborios Flucht und die Ursachen dafür sind zwar ebenso von Gewalt geprägt wie sein Leben in den Vereinigten Staaten, diese Gewalt kommt aber nahezu ohne eine gesellschaftliche Grundierung aus, erscheint zuweilen willkürlich und ohne Kontext. Dies mag zwar in Teilen auch auf reale Fluchterfahrungen zutreffen, ist für den Leser jedoch wenig erhellend, außer vielleicht in dem Sinne, dass derjenige, der geschlagen wird, irgendwann auch lernt zurückzuschlagen.
Obgleich "Gringo Champ" infolgedessen einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, wird es bei der jungen Autorin spannend sein zu verfolgen, was sie aus ihrem sprachlichen Talent noch alles machen wird. Sie verfügt über die nötige Chuzpe, um tatsächlich etwas Neues zu schaffen. Ihren eigenen Ton hat sie gleich mit ihrem Erstling gefunden. Das lässt sich nicht von vielen behaupten. Was ihr noch fehlt, ist eine eigene Geschichte.
ALEXANDER MÜLLER.
Aura Xilonen: "Gringo Champ". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser Verlag, München 2019.
336 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lang lebe der Kraftausdruck: In Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ" schlägt sich ein belesener mexikanischer Faustheld in Nordamerika durch.
Die meisten Romane, die Liborio in seinem Dachstübchen oder in einem Park liest, sind fade: "allesamt mit gedrilltem Satz-an-Satz ohne Seele, ohne Leben, bloß hübsche Wörtchen kreuz und quer. So knüpften die Schriftsteller ihre adretten, wurmigen Romane, ohne Atem, ohne Sauerstoff." Liborio, in dessen Namen sich der Freiheitswunsch, die Bücher und die Plackerei vereinen, ist die Hauptfigur von Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ". Und man darf getrost davon ausgehen, dass sich die mexikanische, bei Erscheinen des Originals gerade mal neunzehnjährige Schriftstellerin für ihr eigenes Werk das Gegenteil vorgenommen hat: also einen beseelten Roman voller Leben. Was gar nicht so einfach ist, wie Liborio feststellen wird: "Das Leben, verdammte Scheiße, ist nicht, wie es die Bücher malen." Die Realität ist der Literatur nämlich meistens einen Schritt voraus.
Wie Xilonen der Geschichte dieses illegalen mexikanischen Einwanderers, der sich in den Vereinigten Staaten in einer Buchhandlung, auf der Straße und später im Ring durchschlägt, Leben einzuhauchen versucht, ist bemerkenswert. Mit viel Verve verpasst sie der spanischen Sprache einen Aufwärtshaken und schickt sie auf die Bretter, um ihr anschließend wieder auf- und zu mehr Durchschlagskraft und Einsteckungsvermögen zu helfen. Dafür erfindet sie eine Kunstsprache, die das Spanische und das Englische, die klassische Literatur und den Straßenslang, die Popkultur und biblische Motive miteinander in Einklang bringt. Vorbei ist es mit der Aneinanderreihung hübscher Wörtchen, lang lebe der Kraftausdruck, das vermeintlich veraltete Wort, der fachsprachliche Begriff, der Hiphop- und Corrido-Jargon, der Neologismus und die Verhackstückung kanonischer Weisheiten. Demgemäß strotzt "Gringo Champ", ausgezeichnet mit dem Premio Mauricio Achar, nur so vor sprachlichen Grobheiten, Powermoves und idiomatischen Preziosen. Da gibt es die "fokkin polypathetischen, dreckspestenden Scheißgreifer", die "Mickerficker", die "Mackerfacker" und den "Knickerbastard". Da wird die Nacht mit Zittern besprüht und erklärt, wozu die steifkragige Lyrik alles taugt, "honigklebrig und voll karamellisiertem Stroh, so liebesprall wie die Därme von Kühen, wenn sie tüchtig Gras gekaut haben und schöne, süße Fladen in Braun gebären"; mit einem Band der hundert besten Liebesgedichte lässt sich immerhin eine Tür verrammeln.
Der vielfach ausgezeichneten Übersetzerin Susanne Lange wird dank Xilonens Originalitätssucht einiges abverlangt; Lange löst diese Aufgabe mit Bravour. Doch so ideenreich, räudig und vital die Sprache daherkommt, so überraschungsarm und konventionell sind Figurenzeichnung und Handlung. Liborios Liebes-, Passions- und Aufsteigergeschichte kommt zwar ohne Tellerwäscher und Millionäre aus, der amerikanische Traum liegt ihr - neben dem mexikanischen Untergrundheldengesang - trotzdem zugrunde. Da boxt sich einer hoch à la Rocky Balboa, vom Prügelknaben zur YouTube-Berühmtheit zum Sparringspartner und immer so weiter, gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeiten. Verliebt ist er auch noch, in Aireen, das Mädchen von gegenüber. Fällt er hin, steht er wieder auf, steht er in der Wüste dem Tode nah, feiert er alsbald Wiederauferstehung: "Ein Toter, dazu verdonnert, von neuem zu leben."
An der Last der biblischen und manchmal märchenhaften Motive, die Xilonen ihrem Protagonisten aufhalst, hat Liborio schwer zu schleppen. Zu schwer. Sorgt ausgerechnet die Kunstsprache auf der einen Seite für mehr Leben und Bewegung, bringt auf der anderen Seite die Überladung der Kunstfigur Schwerfälligkeit, gar Stillstand mit sich. Je mehr Freiheit Xilonen sich sprachlich verschafft, desto enger schnürt sie das Korsett der Handlung, so dass "Gringo Champ" auf halber Strecke die Luft ausgeht, zumal diesem Entwicklungsroman eine politische Komponente fehlt. Wer hofft, angesichts der Ausgangssituation des Romans mehr über die Zusammenhänge mit der amerikanischen Migrationspolitik zu erfahren, ist bei Xilonen falsch. Liborios Flucht und die Ursachen dafür sind zwar ebenso von Gewalt geprägt wie sein Leben in den Vereinigten Staaten, diese Gewalt kommt aber nahezu ohne eine gesellschaftliche Grundierung aus, erscheint zuweilen willkürlich und ohne Kontext. Dies mag zwar in Teilen auch auf reale Fluchterfahrungen zutreffen, ist für den Leser jedoch wenig erhellend, außer vielleicht in dem Sinne, dass derjenige, der geschlagen wird, irgendwann auch lernt zurückzuschlagen.
Obgleich "Gringo Champ" infolgedessen einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, wird es bei der jungen Autorin spannend sein zu verfolgen, was sie aus ihrem sprachlichen Talent noch alles machen wird. Sie verfügt über die nötige Chuzpe, um tatsächlich etwas Neues zu schaffen. Ihren eigenen Ton hat sie gleich mit ihrem Erstling gefunden. Das lässt sich nicht von vielen behaupten. Was ihr noch fehlt, ist eine eigene Geschichte.
ALEXANDER MÜLLER.
Aura Xilonen: "Gringo Champ". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser Verlag, München 2019.
336 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein wüster und gleichzeitig zarter und feinfühliger Roman." Christian Schachinger, Der Standard, 13.02.19
"Was, wenn ein Roman Gewalt, Kampf und Unterdrückung nicht nur behauptet, sondern sprachlich vorführt? Es dürfte ein ziemlich guter Roman sein. So wie dieser." Ferdinand Quante, WDR 5 Buch der Woche, 01.02.19
"Eine literarische Sensation aus Mexiko ... Also 'Gringo Champ' 2015 in Mexiko erschien, war es genau das richtige Buch zur Zeit. Eine gerade 19-Jährige entwarf da eine Sprache, die völlig eigen war, abgehackt, rausgezischt, ruppig. Sie erfand Wörter, verwendete aber auch solche, die eigentlich nicht mehr in Gebrauch waren. Gerade deshalb gebührt Susanne Lange, die den Roman übersetzte, größte Hochachtung." Jochen Overbeck, Spiegel Online, 28.01.19
"Ein eindringliches Zeugnis über Flucht, ein elektrisierendes Sprachkunstwerk und ... ein engagiertes aufrüttelndes Buch der Stunde. ... Susanne Lange ist hier nicht nur Übersetzerin, sondern auch genialeWortschöpferin." Pascal Fischer, SWR2 Lesenswert Magazin, 27.01.19
"Die junge mexikanische Schriftstellerin Aura Xilonen erzählt eine [...] Geschichte über die Macht der Sprache und hebelt jedwede Grenze zwischen Sprache und Staaten einfach aus." Sofia Glasl, Münchner Feuilleton, November 2019
"Was, wenn ein Roman Gewalt, Kampf und Unterdrückung nicht nur behauptet, sondern sprachlich vorführt? Es dürfte ein ziemlich guter Roman sein. So wie dieser." Ferdinand Quante, WDR 5 Buch der Woche, 01.02.19
"Eine literarische Sensation aus Mexiko ... Also 'Gringo Champ' 2015 in Mexiko erschien, war es genau das richtige Buch zur Zeit. Eine gerade 19-Jährige entwarf da eine Sprache, die völlig eigen war, abgehackt, rausgezischt, ruppig. Sie erfand Wörter, verwendete aber auch solche, die eigentlich nicht mehr in Gebrauch waren. Gerade deshalb gebührt Susanne Lange, die den Roman übersetzte, größte Hochachtung." Jochen Overbeck, Spiegel Online, 28.01.19
"Ein eindringliches Zeugnis über Flucht, ein elektrisierendes Sprachkunstwerk und ... ein engagiertes aufrüttelndes Buch der Stunde. ... Susanne Lange ist hier nicht nur Übersetzerin, sondern auch genialeWortschöpferin." Pascal Fischer, SWR2 Lesenswert Magazin, 27.01.19
"Die junge mexikanische Schriftstellerin Aura Xilonen erzählt eine [...] Geschichte über die Macht der Sprache und hebelt jedwede Grenze zwischen Sprache und Staaten einfach aus." Sofia Glasl, Münchner Feuilleton, November 2019