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Drei Belgier im Wilden Westen!
Was für ein Trio: Jije, Franquin und Morris reisen in dieser Geschichte im Jahre 1948 in die USA, um zu finden, was vom Wilden Westen noch übrig ist. Geschickt spielt der Autor Yann mit historischen Tatsachen und völlig frei erfundenen, aber unglaublich witzigen, Ideen über das, was diese drei Zeichner dort erleben. Ein fulminantes Werk, das nicht nur drei der größten Talente des frankobelgischen Comics feiert, sondern auch die Lachmuskeln auf eine harte Probe stellt.
Zusätzlich zu regulären Ausgabe bei Carlsen präsentiert Salleck eine limitierte
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Produktbeschreibung
Drei Belgier im Wilden Westen!

Was für ein Trio: Jije, Franquin und Morris reisen in dieser Geschichte im Jahre 1948 in die USA, um zu finden, was vom Wilden Westen noch übrig ist.
Geschickt spielt der Autor Yann mit historischen Tatsachen und völlig frei erfundenen, aber unglaublich witzigen, Ideen über das, was diese drei Zeichner dort erleben.
Ein fulminantes Werk, das nicht nur drei der größten Talente des frankobelgischen Comics feiert, sondern auch die Lachmuskeln auf eine harte Probe stellt.

Zusätzlich zu regulären Ausgabe bei Carlsen präsentiert Salleck eine limitierte Vorzugsausgabe dieses Bandes mit signiertem Druck und zusätzlichen Skizzenseiten.
Autorenporträt
Yann Lepennetier, geboren 1954, wurde in Marseille geboren und gilt als einer der fleißigsten Szenaristen unserer Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2013

Diese Witzfiguren sollen unsere Väter sein?

"Gringos Locos", so nennt man in Mexiko seltsame Ausländer. 1948 kamen drei solcher Herren: die heute weltberühmten Comiczeichner Morris, André Franquin und Jijé. Über ihre amerikanischen Erlebnisse ist nun ein Comic erschienen - sehr zum Ärger ihrer Nachkommen.

Dass ein neu erschienener Comic gleich einen Angriff auf seinen Inhalt und dann die Verteidigung des Verfassers mitliefert, ist ungewöhnlich. So aber verhält es sich mit dem gerade auf Deutsch publizierten Band "Gringos Locos". Der Bildergeschichte selbst nämlich folgt ein Interview, in dem ihr Autor, der 1954 geborene Yann Lepennetier (der unter seinem Künstlernamen Yann zu den gefragtesten französischen Comicszenaristen zählt), Auskunft darüber gibt, wie er seine Erzählung aus dem Jahr 1948 recherchiert hat. Das ist die Verteidigung. Der Angriff erfolgt erst danach in einem eigenen Kapitel, das als "Anhang" ausgewiesen ist. Darin wird der Familie eines der Protagonisten des Comics Platz eingeräumt, um ihre Sicht der Dinge darzustellen. Die Familie heißt Gillain.

Das muss niemandem in Deutschland etwas sagen, und mutmaßlich wissen auch im französischen Sprachraum nicht viele, wer Joseph Gillain war, dessen Kinder nun so empört sind. Auch der 1980 gestorbene Belgier Joseph Gillain arbeitete nämlich unter einem Künstlernamen: Jijé. Dieser Name nun ist berühmt. Neben seinem Landsmann Hergé, dem Zeichner von "Tim und Struppi", der eigentlich Georges Remi hieß, ist Jijé der prägende Zeichner der Frühphase europäischer Comics. Und da er im Vergleich mit Hergé die weitaus bedeutenderen Schüler hatte, wirkt er mehr noch als sein Kollege und Rivale bis in die unmittelbare Gegenwart.

Um zwei dieser Schüler und den Lehrer geht es in "Gringos Locos", und es sind die wichtigsten Lehrlinge: André Franquin und Maurice de Bévère alias Morris, späterer Schöpfer von "Gaston" der erste, Erfinder von "Lucky Luke" der andere. Erfolgreicher als diese beiden Serien ist in Europa nur noch "Asterix" (und auch der ist eng mit Jijés Einfluss verbunden). Zu dritt hatten sich die Zeichner 1948 aus Belgien nach Amerika aufgemacht, weil Jijé einen Atomkrieg in Europa fürchtete und seine Frau und vier Kinder in Sicherheit bringen wollte. Zwei Studiomitarbeiter, eben Franquin und Morris, begleiteten ihn, denn man wollte gemeinsam in Kalifornien bei Walt Disney als Trickfilmzeichner anheuern. Jijé war damals erst vierunddreißig Jahre alt, seine beiden Begleiter zählten jeweils noch ein Jahrzehnt weniger. Sie wollten ganz neu anfangen.

Dabei waren sie alle in Europa gut im Geschäft. Für den Brüsseler Verlag Dupuis und dessen wöchentlich publiziertes Comicmagazin "Spirou" zeichneten Jijé und Franquin die Titelserie mit den Abenteuern eines mutigen Hotelpagen und Morris seit kurzem "Lucky Luke". Doch sie hatten es satt, vor allem Morris, den das aus amerikanischen Filmen übernommene Klischee des singenden Cowboys langweilte, das der Verlag ihm vorgegeben hatte. Während der Fahrt quer durch die Vereinigten Staaten mit einem gebraucht gekauften Hudson, in dem alle acht Passagiere Platz hatten, arbeiteten sie aber weiter für Dupuis, und als sich das erhoffte Engagement bei Disney zerschlug, zogen sie nach Mexiko und machten dort weiter. So wurde Jijés amerikanische Reise zum Mythos der Comicgeschichtsschreibung.

Vor einem Jahr erschien "Gringos Locos" in Frankreich und Belgien, auch bei Dupuis, wo noch immer die Klassiker von Franquin und Jijé erscheinen und mächtig Kasse machen. Deshalb ärgerten sich die Nachkommen der beiden Letztgenannten (Morris starb 2001 kinderlos) über die Darstellung der Reise von 1948, bei der ja immerhin vier von ihnen mit dabei waren. Denn Yann hat sein Szenario als burleske Schelmengeschichte ganz in der Tradition der drei Zeichner angelegt, und darin erkennen die Kinder eine Schändung des Andenkens ihrer Eltern. So unmöglich - Besäufnisse, Gebrüll, Ausschweifungen, Aktmalerei, Missverständnisse - habe man sich in den Vereinigten Staaten und Mexiko nicht benommen.

Das ist sicher wahr, aber gerade weil es hoch hergeht in "Gringos Locos", wenn die naiven Belgier mit quengelnden Kindern durch Amerika reisen und sich unter den Erwachsenen alle möglichen Eifersüchteleien und mehr oder weniger platonische Liebesverwicklungen (auch mit Jijés Ehefrau Annie) ergeben, liest sich der Comic fulminant. Dazu kommt die Zeichenkunst des noch nicht vierzigjährigen Olivier Schwartz, der die markante Linienführung der von Jijé begründeten "Schule von Marcinelle" so meisterhaft in die Gegenwart überträgt, dass er schon 2009 gemeinsam mit Yann einen "Spi-rou"-Sonderband produziert hatte, der die Erlebnisse des Hotelpagen im deutsch besetzten Brüssel schilderte ("Operation Fledermaus"). Auch darin traten zahlreiche Prominente aus der realen Comichistoriographie auf - unter denkbar heiklen Umständen. Niemand konnte also durch die Erzählweise von "Gringos Locos" überrascht werden.

Doch hier steht Familienerinnerung gegen Freundschaftsüberlieferung. Yann war in den Jahren vor Franquins Tod 1994 einer von dessen engsten Mitarbeitern und hat damals etliche Anekdoten zur Amerika-Reise erzählt bekommen. Die hat er später durch Gespräche mit Morris ergänzt, und auf diese nirgendwo festgehaltenen Erinnerungen beruft sich Yann.

Ihm halten die Familien eigene Beobachtungen, Aufzeichnungen, Erzählungen und Fotos entgegen - und die für Dupuis unbequeme Drohung, mit den Rechten der populären Figuren, die bei den Erben der Zeichner liegen, den Verlag zu wechseln. Deshalb wurde das schon für 2011 groß angekündigte Erscheinen von "Gringos Locos" in Frankreich mehrmals kommentarlos verschoben, und als der Band im vergangenen Jahr endlich doch erschien, lag ihm eine Broschüre bei, die das Geschehen aus Sicht der Familien schilderte. Dieses mit Reisefotos reichbebilderte Beiheft bildet nun den "Anhang" in der deutschen Ausgabe.

Anhang aber kann doch wohl auch das Gespräch mit Yann genannt werden, das pikanterweise von demselben Dupuis-Redakteur geführt wurde, der auch die Begleitbroschüre erstellte (der deutsche Carlsen Verlag weist ihn dafür nicht mehr als Verfasser aus). Yanns Ausführungen sind Dupuis natürlich sympathischer, aber muste man diese Unterscheidung treffen? Zumal man sieht, wie verzweifelt Dupuis bemüht war, beide Seiten zufriedenzustellen. Im Interview darf Yann seine künstlerische Freiheit begründen und zugleich die Quellen für die Anekdoten offenlegen, um die Vorwürfe zu entkräften, aber das hat den Gillains und Franquins nicht gereicht. So musste Dupuis in den sauren (und kostspieligen) Apfel beißen und das Extraheft beilegen, dessen Inhalt nun die deutschen Leser im Band selbst haben.

Lohnt sich die ganze Aufregung über das Beharren auf korrekte Darstellung beziehungsweise Freiheit der Fiktion hinaus überhaupt? Wer etwas für Comics wie "Spirou und Fantasio", "Gaston" oder "Lucky Luke" übrighat, der wird mit "Gringos Locos" blendend unterhalten und sogar belehrt, denn man erfährt - wie anekdotisch auch immer - einiges über deren Entstehungsgeschichte. Die marcinelle-typischen nationalen und kulturellen Klischees machen gerade, weil sie heute unzeitgemäß sind, zusätzlich viel Spaß, denn böse behandelt wird in diesem Comic niemand. Morris kommt am besten weg, Franquins Darstellung als Selbstzweifler kann als Anspielung auf die Depressionserkrankung, die seine letzten Jahrzehnte überschattete, verstanden werden, und Jijé tritt als munter fluchender Hansdampf in allen Gassen auf - für seine katholische Familie gewiss kein Grund zur Freude.

Warum indes die deutsche Übersetzung die im Original flämischen Verwünschungen des Belgiers in andere gleichfalls flämische Flüche geändert hat, ist rätselhaft. Die Übertragung ist ohnehin die Achillesferse der Carlsen-Ausgabe von "Gringos Locos". Der Ruf eines mexikanischen Grenzbeamten zu den in einer Autoschlange wartenden Ausländern wird statt "Jetzt Sie!" sinnlos mit "Das ist unserer" übersetzt. Und die Übertragung des Gesprächs mit Yann ist ein Festival der Französismen: "idealer Komplize" statt "geeigneter Verbündeter", "Ansicht von diesem Abenteuer" statt "Blick auf diese Episode", "Serigraf" statt "Drucker", "heiliger Stein" statt "heiliger Gral", "hatten eine kleine Beatnik-Seite" statt "verhielten sich ein bisschen wie Beatniks".

Schließlich eine bezeichnende Modifikation: Die französische Ausgabe schloss mit dem Hinweis auf einen geplanten Fortsetzungsband namens "Crazy Belgians". Der fehlt nun in der deutschen Ausgabe. Weitergehen würde alles in New York, wo Jijés Truppe 1949 auf René Goscinny traf, den Vater von "Asterix". Der starb 1977, hat aber eine quicklebendige, durchaus streitbare Tochter.

ANDREAS PLATTHAUS

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