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Franz Groß hat vom Prominentenchauffeur zum Rotkreuzfahrer "konvertiert", wie sich sein Bruder, ein pensionierter Griechischlehrer, der Ich-Erzähler dieses Romans, ausdrückt. Bei Familientreffen, sogenannten Symposien, redet der Fahrer in Fahrt: Er läßt seine Verwandten und auch den Leser ein wenig hinter die Kulissen blicken, geradewegs auf die erstaunlichsten Eitelkeiten selbsternannter Größen. Sympathisches reiht sich da an Entlarvendes, Launiges an nachdenklich Stimmendes. Im Hintergrund steht dabei immer das Aussteigen oder Umsteigen, die erhoffte bisweilen auch erreichte Veränderung in…mehr

Produktbeschreibung
Franz Groß hat vom Prominentenchauffeur zum Rotkreuzfahrer "konvertiert", wie sich sein Bruder, ein pensionierter Griechischlehrer, der Ich-Erzähler dieses Romans, ausdrückt. Bei Familientreffen, sogenannten Symposien, redet der Fahrer in Fahrt: Er läßt seine Verwandten und auch den Leser ein wenig hinter die Kulissen blicken, geradewegs auf die erstaunlichsten Eitelkeiten selbsternannter Größen. Sympathisches reiht sich da an Entlarvendes, Launiges an nachdenklich Stimmendes. Im Hintergrund steht dabei immer das Aussteigen oder Umsteigen, die erhoffte bisweilen auch erreichte Veränderung in Lebensläufen und Lebenswegen. Und was wäre für einen in den unterschiedlichsten Wissensgebieten Beschlagenen naheliegender, als - ausgehend vom konkreten Fall - souverän Analogien ins Spiel zu bringen - bis hin zur Sage von Herkules am Scheidewege. Er betreibt Motivforschung nach allen Regeln der rhetorischen Kunst, und dabei wird wieder einmal deutlich, dass das scheinbar Neue nicht ganz so neu und das Alte nicht gänzlich veraltet oder "überholt" gibt.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Die Blinden im Sauwald
Alois Brandstetters Roman "Groß in Fahrt" / Von Michael Allmaier

Zwei Wörter begegnen einem immer wieder, wenn man dieses Buch liest: "heutzutage" und das "Sogenannte". Beides sind Wörter der Distanzierung, mit denen man ausdrückt, daß man sich in dem, was man da beschreibt, keineswegs zu Hause fühlt. Der Romancier und Essayist Alois Brandstetter steht in dem Ruf, ein Nostalgiker zu sein, und er pflegt ihn auch hier mit merklichem Vergnügen.

"Ob du das Rechte triffst, entscheid ich nimmer. Wer bessern will, macht oft das Gute schlimmer!" Das Geleitwort, entnommen dem "König Lear", sollte man dennoch nicht als Auftakt einer Polemik lesen, eher wohl als freundliche Warnung an alle, die von ihrer Lektüre verlangen, sie habe engagiert zu sein. Der Roman bleibt durchaus friedfertig. Brandstetter selber, Germanistikprofessor in Klagenfurt, schlüpft in die Rolle eines pensionierten Griechischlehrers - Altgriechisch, versteht sich.

Im Mittelpunkt von "Groß in Fahrt" steht aber nicht er, sondern sein Bruder, Franz Groß, der früher Chauffeur war, nun aber als Fahrer eines Krankenwagens sein Geld verdient. Ihm dankt das Werk seinen unternehmenslustigen Titel, der indes trügt. Der Erzähler hat es nicht eilig. Gemächlich kolportiert er Anekdoten seines Bruders, an die er seine eigenen Betrachtungen über den Lauf der Welt knüpft. Man darf wohl sagen, sie läuft nicht zu seiner Zufriedenheit. Mit nachsichtigem Spott blickt er auf die Errungenschaften der Welt von heute, auf Datenschutz, Homöopathie, Alarmanlagen, Massenuniversitäten, die Professionalisierung der Gewerkschaften, die Überschätzung der Sexualität.

Man sollte von einem konservativen Autor nicht erwarten, daß seine Ideen neu sind. Aber Brandstetter gelingt es oft, sie ausgeruht, fast weise darzulegen: "Mein Bruder sagt, er habe einmal einen Film über den sogenannten Sauwald in Oberösterreich gesehen, dessen Quintessenz gewesen sei, daß die Bewohner jener Gegend, die Sauwälder sozusagen, über den Sauwald kaum Auskunft geben konnten und alle Gefragten die Fragenden in eine andere Richtung geschickt haben. Man spreche mit Recht von ,Ortsblindheit'. Er habe damals diesen Film für übertrieben gehalten, heute aber wisse er, daß in diesem Film ein wahrer Kern, ja ein großes Korn Wahrheit gelegen sei. Wir sind alle und immer im Sauwald unterwegs."

Und dann ist da eben noch das "Sogenannte", das, wörtlich oder durch Anführungszeichen, auf beinahe jeder Seite steht. Will sagen: Hier macht sich jemand über Sprache Gedanken. Bewußt enerviert der Verfasser seinen Leser mit der Schrulle, jedes altsprachliche Lehnwort weitschweifend zu erklären, auch solche, die man kennt. Danach kennt man sie nämlich nicht mehr so gut. Fremd, alt und unantastbar stehen sie dann vor dem Leser. Dasselbe versucht der Autor mit weniger Geschick in der Gegenwartssprache: Das Anstößige stößt ab, der Rennfahrer verrennt sich, wer sich verläßt, der ist auch verlassen - bis zum Beweis des Gegenteils sind das nur Kalauer.

Abschweifung bildet das kompositorische Prinzip von "Groß in Fahrt". Doch der scheinbar ziellos von Wort zu Wort springende Stil kreist in Wahrheit um drei, wenn man so will, religiöse Motive: die Bewegung als Metapher für den Lebensweg des einzelnen wie für den Fortschritt der Welt, den Dienst am Menschen und an Gott und immer wieder auch den Tod. Die Erzählperspektive ist außerordentlich und mit Geschick gewählt. Der Erzähler will gar keiner sein. So etwas, sagt er, liegt ihm nicht. Besser gefällt er sich als Annatator. Der dem eigentlichen Erzähler, dem Bruder Franz, aufs Maul schaut. Denn so tief wie seine Skepsis gegen eilfertige Antworten ist trotz aller Ironie sein Glaube an die Wahrhaftigkeit des Wortes und daran, daß man aus der Sprachgeschichte lernen kann.

Alois Brandstetter ist einer der wenigen österreichischen Gegenwartsautoren, die auch österreichisch schreiben. In kaum merklichen Feinheiten von Satzbau und Wortwahl fängt er die Melodie dieses Dialekts so lebendig ein, daß auch der deutsche Leser ihn nicht missen möchte. Auch sonst zeigt sich der Verfasser durchweg in der Lage, für den Sprachdünkel seines Erzählers einzustehen. Er schreibt ein steifes, aber fehlerloses Deutsch.

Wie sein Vorbild Wilhelm Raabe fühlt sich auch unser Griechischlehrer "dem ordo artificialis, der kunstvollen und umständlichen Redeweise", verpflichtet. Das Problem ist nur, um es in seiner Manier auszudrücken, daß das Artifiziale bei ihm auch stets das Artifizielle streift. Er pflegt eine mit Bildungsgut übersättigte Kunstsprache. Man möchte sie nicht ernstlich zur Nachahmung empfehlen, weil sie selbst schon Nachahmung ist, eine Hommage an die Sprache des kleinen Bürgers, der sich mit Gelehrsamkeit und Humor gegen die Banalität seines Daseins wehrte.

Alois Brandstetter, Jahrgang 1938, ist sicher kein Philister, wenn es das heute überhaupt noch gibt. Aber er nimmt diese Pose ein, um zu bewahren, was bei seinen modernen und postmodernen Kollegen wie ein liebenswerter Anachronismus erscheint: das humanistische Bildungsideal. Brandstetter will den Zug der Zeit nicht ernstlich stoppen. Er sitzt nur gerne gegen die Fahrtrichtung, läßt sich vom Neuen überraschen und winkt dem Alten lächelnd hinterher.

Alois Brandstetter: "Groß in Fahrt". Roman. Residenz Verlag, Salzburg 1998. 192 S., geb., 38,- DM.

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